Die Sache mit dem Geschenkpapier

Bei Lesungen aus meinem Buch „Hasenherz und Sorgenketten“ ist die folgende (für mich ein wenig peinliche) Geschichte stets ein kleines Highlight für die erheiterten Ohren meiner ZuhörerInnen, weil man daran so deutlich sieht, wie irrational und hilflos sich eine hochsensible zu Ängsten neigende Person zuweilen verhält, wenn sie sich überrumpelt und gestresst fühlt. Schlimmstenfalls kann sie sich einfach nicht wehren, merkt es selbst überdeutlich und schämt sich dafür natürlich in Grund und Boden. Besonders, wenn sie an einer schweren „Ladenhemmung“ leidet wie ich. Besagte Hemmung wird allerdings in Läden mit Spielzeug oder Büchern (sowie in Gartenzentren, auch wenn sie riesig und voller Menschen sind) bereits beim Eintritt ins Geschäft komplett außer Kraft gesetzt – es gibt halt immer Ausnahmen. Glücklicherweise. Lustig fand ich übrigens, dass mein nicht-ängstliche und nicht-hochsensible Lektorin beim Korrigieren meine schöne Eigenschöpfung jedes Mal penibel in „Ladehemmung“ umwandelte, obwohl das nun gar nicht zum Text passte, weil sie das Wortspiel einfach nicht verstand.  Die meisten Frauen shoppen ja offenbar ausgesprochen gern und können sich daher nicht vorstellen, wie schrecklich das für unsereins ist. Meine Lektorin hat jedenfalls todsicher keine „Ladenhemmung“.

Zufallsfund

An die Sache mit dem Geschenkpapier wurde ich akut erinnert, als ich vorige Woche nach geeigneten Dekorationen für mein neuestes selbstgebautes Maushaus suchte und dabei zwischen all meinen Papierschätzen (ich bin eine bekennende Papier-Sammlerin und sammle so gut wie alles, sofern es schöne Bilder hat) ausgerechnet die beiden peinlichen schweineteuren Bögen fand, die ich bisher nie angerührt hatte. Natürlich ganz hinten in der Schublade, weil sie schließlich immer noch irgendwie tabu sind und nur ja nicht angefaßt werden dürfen. Ich entrollte sie trotzdem kühn und musste plötzlich ziemlich lachen. Bis dahin hatte ich nämlich gar nicht bemerkt, dass auf dem einem ein kleines Piratenschiff voller Mäuse dargestellt ist! Was für ein Zufall! Mein architektonisches Wunderwerk ist ja ein kleines Mauspiratenhaus! Vielleicht war zumindest dieser blöde Bogen das ganze Geld ja doch wert…..  Ich habe ihn jetzt mutig und mit einer gewissen Genugtuung zerschnippelt. Die anderen Details sind nämlich auch ganz nett für meine Mäuse. Es gibt sogar eine Maus, die einer Königin Angst macht! An den bösen Hexenbogen traue ich mich sicher auch bald ran.

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Das kleine Schiff im Mauspiratenhaus (an Katze)

Aber lesen Sie selbst:

Good old Ladenhemmung

„Menschen mit Sozialen Ängsten fürchten auch, angesprochen zu werden, zu telefonieren, am Schalter Geld abzuheben oder Tickets zu kaufen oder sich mit Fremden zu unterhalten. Entspannter Small Talk? Unmöglich! Als Kind und junges Mädchen hatte ich damit Riesenprobleme. Telefonate und Einkäufe erledigte immer meine Mutter. Sie hat sich sogar einmal erfolgreich telefonisch für mich als Dozentin beworben, weil ich mich selbst nicht anzurufen traute. Mit Fremden zu reden vermied ich, wo ich nur konnte. Das führte natürlich dazu, dass ich nie richtig üben konnte. Übung macht hier nämlich wirklich den Meister, also tapfer weitermachen, notfalls auch mal blamieren.

In Läden kaufte ich früher oft Kleidungsstücke, die mir nicht gefielen oder nicht passten, bloß weil ich es nicht schaffte, der Verkäuferin zu sagen, dass ich den teuren Pullover lieber doch nicht wollte. Ich fand es so peinlich, nichts zu kaufen, dass ich lieber mein Geld für ein hässliches Kleidungsstück ausgab. Ich habe mich deswegen sehr geschämt. Das Kauf-Problem hatte ich sehr lange, vor allem wenn es um Schuhe ging. Erst eisernes Training brachte Besserung. Wochenlang zwang ich mich immer wieder in verschiedene Läden, ließ mich eingehend beraten, hielt den Stress tapfer aus und sagte zum Schluss: »Das muss ich mir noch mal überlegen« oder »Das passt mir leider doch nicht«. Manchmal nahm ich eine Freundin mit, und gab vor, Engländerin zu sein. Karla dolmetschte, und ich merkte mir, wie sie es anstellte, sich höflich ich aus der Affäre zu ziehen, und versuchte es danach selbst. Rückfälle habe ich selten.

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es ist der zweite Bogen von oben…..

Nur im vorigen Jahr passierte es doch wieder. In einem kleinen Laden in Hessen, der von einer merkwürdigen alten Dame geführt wurde, wollte ich zwei hübsche Bögen Geschenkpapier kaufen. (Das Papier war dummerweise nicht mit einem Preisschildchen ausgezeichnet, sonst wäre mir das alles erspart geblieben – im doppelten Wortsinn.) An der Kasse verlangte die besagte Dame dreist 32 (!) Euro. Ich hatte höchstens mit sechs Euro gerechnet, schaffte es aber nicht, ihr zu sagen, wo sie sich ihr Papier hinstecken sollte. Ich wurde tomatenrot, nahm allen Mut zusammen und murmelte zaghaft: »Das ist aber teuer!«. Woraufhin sie fein lächelnd »Ja, ja!« sagte. Da war meine Gegenwehr gebrochen und ich blätterte ihr beschämt das Geld hin. Nachdem ich mich im Café von dem Schock erholt hatte, überlegte ich, warum mir das passiert war.

Hochsensibler Erklärungsversuch

Offenbar kamen mehrere Stresspunkte zusammen: Es war ein enger, voller Laden, mir war heiß, hinter mir scharrten ungeduldige Kunden mit den Hufen, die Frau hatte die Bögen mühsam aus einem Stapel herausgesucht, ich wollte mich nicht vor ihr und den anderen Kunden blamieren. Das Allerschlimmste war, dass mein inneres Kind Angst hatte. Die Alte sah nämlich aus wie aus dem Märchenbuch. Rabenschwarze Haare, Bienenkorbfrisur und eine Warze auf der Nase. Sie hatte sogar einen Stock. Bestimmt hätte sie mich verzaubert! Zu allem Übel waren Märchenmotive auf dem einen Bogen: Hexen! Ich brauchte Tage, bis ich meinem Mann davon erzählte. Wenn ich den Schock endgültig überwunden habe, lasse ich die Bögen rahmen.“

So steht es im Buch (allerdings ohne die Kommentare). Ganz unter uns: Rahmen lassen werde ich mir die Dinger bestimmt nie, dazu sind sie zu groß, aber heute würde ich beim Schreiben einen kleinen alternativen Zusatz einbauen: …. oder benutze sie als hübsche Dekoration für mein Maushaus. Damals hatte ich noch keine Mäuse. Leider.

So fällt irgendwann alles an den richtigen Platz. Man muss nur geduldig genug sein  – und süße kleine Mäuse haben, die einen lieben. Inzwischen zerbreche ich mir den Kopf, ob ich das Schiff nun lieber im Haus oder doch besser draußen auf dem kleinen Giebel anbringen soll. Wo es auch wirklich jeder sehen kann! Den Mäusen ist es egal. Sie finden einfach alles gut, was ich mache. Und genau das weiß man als hochsensibler Mensch sehr zu schätzen.

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