Hochsensible Angst trifft Corona (2)

Angst (Alexandra Gorn/unsplash)

Seit meinem letzten Beitrag hat sich leider eine Menge getan. Es geht meiner Angst nicht gut. Sie tut mir leid, und ich fühle mit ihr. Wir haben Probleme, weil sie sich chronisch überschwemmt fühlt, und leider ist im Moment noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Wie soll sie es schaffen, in Coronazeiten entspannt zu bleiben? In Köln ist die lit.cologne abgesagt worden, in Leipzig die Buchmesse. Veranstaltungen mit mehr als tausend Personen sind in Deutschland verboten. Schulen und Kitas schließen in vielen Orten, Krankenhäuser schränken Besuche stark ein, die Uni Köln verschiebt den Semesterstart, in den Drogeriemärkten sind die Desinfektionsmittel innerhalb von Minuten ausverkauft, die ersten wichtigen Medikamente werden knapp, bald vielleicht auch die Krankenhausbetten, es gibt keine Atemschutzmasken mehr, weil irgendwelche Leute (die sie wahrscheinlich nie im Leben brauchen werden) sie stapelweise bunkern, und jetzt fehlen sie dem medizinischen Personal. Die Börsen sind auf Talfahrt, die ersten Fluglinien melden Insolvenz an. Die evangelische Kirche im Rheinland rät, in den Kirchen keine Gesangbücher mehr auszugeben und Liedtexte an die Wand zu projizieren, selbst das Abendmahl soll ausgesetzt werden, die Konfigottesdienste werden wohl ans Ende des Jahres verlegt. Sorge und Unruhe überall. (In Australien haben sich übrigens vor ein paar Tagen drei Frauen kreischend um eine Klopapierrolle geprügelt und mussten mit Gewalt getrennt werden. Das fanden wir beide lustig.)

Nebenbei läßt die Klimakatastrophe grüßen, was auch unruhig macht. Der letzte Winter war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, der nächste Sommer wird höchstwahrscheinlich genauso qualvoll wie der letzte. Our House is on Fire. Because it is.

Corona trifft Westminster (Hello I’m Nick/unsplash)

Unsicher blickt meine Angst in die Welt. Überall ernste Mienen. Möglicherweise haben es auch die Journalisten nicht leicht im Moment. Irgendwie müssen sie es schaffen, informativ und sachlich zu bleiben. In den Talk Shows geht es hoch her, und nach den Diskussionsrunden ist man noch verwirrter als zuvor. Meist schalte ich ab, es sei denn der ruhige und kundige Prof. Drosten ist dabei (er hat übrigens einen eigenen NDR-Podcast, den ich nur empfehlen kann). Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich nicht ganz aufhören soll, mir die Nachrichten anzusehen oder meine geliebte „New York Times“ zu lesen. Ich habe mich mit der Angst beraten, und die Antwort ist NEIN. Wir möchten weiterhin gut informiert sein, doch ich habe ihr versprochen, (noch) mehr Rücksicht auf sie zu nehmen und uns die Quellen (noch) sorgsamer aussuchen. Ich möchte wissen, was um mich herum passiert!

Über den Wolken (Sacha Verheij/unsplash)

Ich sitze auch im Flugzeug am liebsten am Fenster und schaue mir die Landschaften und Wolken an, die wir überfliegen, obwohl ich das Flugzeug nicht selbst steuere und keinen Einfluss darauf habe, wie die Landung wird, wie wir aus den Turbulenzen herausfinden oder ob wir in einen Orkan geraten. (Nein, ich habe keine Flugangst, das ist so ungefähr die einzige Phobie, die in meiner eindrucksvollen Sammlung noch fehlt. Aber wenn ich nicht am Fenster sitze, geht es mir gar nicht gut.) „Blind fliegen“ funktioniert bei mir nicht, und „blind leben“ auch nicht. Ich muss sehen und wissen, wo ich mich befinde.

Aber was ist denn jetzt mit Corona? fragt die Angst. Der wortgewaltigste Präsident aller Zeiten mit dem (nach eigener Einschätzung) höchsten IQ der Welt hielt die neue Seuche bis vor kurzem noch für einen „Hoax“, eine Erfindung der Demokraten oder der Chinesen (was ihn hoffentlich bald viele  Wählerstimmen kosten wird!). Aber als absoluter Fachmann, was das Corona-Thema betrifft (ebenfalls nach eigner Selbsteinschätzung), hat er in seiner großen Weisheit gestern beschlossen, ab sofort keine Europäer mehr in die USA zu lassen, weil die ja besonders infektiös sind. Bis auf Briten, aber die sind ja keine Europäer (mehr) und haben außerdem Boris Johnson (Great guy, good friend of mine!). Und das („ausländische“!) Virus „will go away“. Übrigens finde ich diesen Einreisestopp gar nicht so schlimm, denn die USA haben ja noch nicht mal genug Testkits! (Aber das ist nur Barack Obama schuld.) Ganz in unserer Nähe versinkt Italien gerade im Chaos, und meine Angst fragt, ob uns das wohl auch noch droht. Wahrscheinlich nicht. Hoffentlich nicht. Aber wer weiß das schon? „Ruhig, ganz ruhig!“, würde Karlsson vom Dach jetzt sagen. Vor Karlsson vom Dach hat meine Angst Respekt, denn sie findet ihn toll. Wohl weil er so angstfrei und durch nichts zu erschüttern ist. Aber ein bisschen erinnert er mich allerdings an den Präsidenten mit dem höchsten IQ aller Zeiten. Doch davon will sie nichts hören.

Ich bin nicht allein mit meiner Angst. Viele Menschen fürchten sich vor der „neuen Naturkatastrophe“. Verständlich. Die WHO wertet die Ausbreitung des Coronavirus (Stand vom 11.3.2020, gerade als ich anfing, diesen Beitrag zu schreiben) inzwischen als Pandemie. Der WHO-Generaldirektor äußerte, er sei tief besorgt über das „alarmierende Niveau der Untätigkeit“ im Kampf gegen das Virus. Was genau er damit meint, erläuterte er nicht. Aber es klang irgendwie schlimm, und meine Angst zuckte sofort schmerzhaft zusammen. Wie soll ich sie nach so was wieder ruhig kriegen?

Neues an der Wand (BFL)

Inzwischen gibt es etwa 120.000 Fälle in 114 Ländern (aber das war vorgestern, ich sitze schon seit drei Tagen an diesem Beitrag, allerdings nicht ununterbrochen, auch wenn es sich so anfühlt). Wahrscheinlich werden es immer mehr, während ich hier still schreibe und versuche, nicht dauernd die Statistiken zu checken (wozu die Angst leider tendiert). Ich messe mir schließlich auch nicht alle fünf Minuten den Blutdruck, tadele ich sie, weil ich weiß, dass das nichts bringt und die Messwerte dadurch nur verfälscht werden. Aber über 4.200 Menschen sind bereits an der Erkrankung gestorben. Hier in Köln gibt es (wieder nur Stand vom 11.3.) auch schon 54 Krankheitsfälle (leider sind es heute 15 mehr, aber das weiß die Angst noch nicht), und 164 Kölner befanden sich vorgestern in Quarantäne. Mit sichtbaren Konsequenzen: In der VHS hingen gestern morgen überall Zettel an den Wänden, und eine Frau in der Bahn trug Mundschutz. Bei all den Zahlen bin ich im Moment fast dankbar dafür, dass ich Dyskalkulie habe und die Zahlen eh sofort wieder vergesse.

In Köln bleibt die Lanxess Arena bis auf weiteres zu, der Circus Roncalli gibt keine Vorstellungen mehr, und die KVB öffnet jetzt an allen Haltestellen automatisch sämtliche Türen, damit man nicht mehr mit dem Finger auf den Halteknopf drücken muss. Gern fahre ich im Moment nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich versuche, möglichst meine Jackenärmel einzusetzen und nicht meine Hände. Manchmal muss ich allerdings über die Angst grinsen. So schrillte mein hochsensibles Alarmsystem vorgestern schon los, als wir mit dem Auto (!) an Heinsberg vorbei fuhren. Soweit ist es schon gekommen!

zartblaue (Vogelgrippe)Viren (CDC/unsplash)

Als wenn das alles nicht schon genug wäre, rauscht auch immer noch die Influenza-Welle durchs Land, nach der aber irgendwie kein Hahn kräht. Schnupfen, Grippe, grippaler Infekt, echte Virusgrippe, alles dasselbe. Oder? „Die Grippe“ bringt keinen mehr aus der Ruhe, dabei wurden bis zum 6. März in Deutschland 145.258 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das Robert Koch-Institut übermittelt, davon waren immerhin 23.276 so schwer krank, dass sie ins Krankenhaus mussten, und 247 Menschen sind bisher daran gestorben (Stand gestern, 11.3.) Aber gegen Influenza kann man sich auch jetzt noch impfen lassen. Zum Glück.

Und was passiert, wenn COVID-19 und Influenza aufeinanderprallen? Genau das versucht man gerade zu vermeiden. Daher auch die vielen Vorsichtsmaßnahmen. Noch haben wir einen kleinen Zeitvorsprung. Und wir haben im Vergleich zu anderen Ländern auch recht viele Intensivbetten und schon sehr früh angefangen zu testen. Gegen die echte Virusgrippe bin ich geimpft, und hoffe, dass mein Körper nach all den vielen Impfungen gelernt hat, zumindest diese Viren zuverlässig zu erkennen.

In meiner Familie (übrigens lauter Ärzte) sind alle gegen Influenza geimpft. Sogar unsere Enkel, von Opa höchstpersönlich. Das erledigen wir traditionell an Halloween, nach dem Hauptgang und vor dem Nachtisch. Bei uns gibt es nicht nur „Trick or Treat“, sondern auch „Prick and Treat.“ Tut mir leid, aber für Impfgegner (komischerweise ein rein deutsches Phänomen) habe ich wenig Verständnis. Ich hatte die Grippe schon zweimal und weiß nur, dass ich das auf keinen Fall noch mal durchmachen möchte.

Gegen die neuen Coronaviren gibt es leider (noch) keine Impfung, aber ich wäre bestimmt eine der ersten, die begeistert den Arm hinhalten würde. Ich habe mich seinerzeit auch sofort gegen die Schweinegrippe impfen lassen, als es den Impfstoff gab. Zum Glück verlief die Schweinegrippe glimpflich, was aber zu dem Zeitpunkt noch nicht vorherzusehen war. Gut für die Bevölkerung, Pech für das NRW-Gesundheitsministerium, das vorsorglich genügend Impfdosen zum Schutz der Bevölkerung bestellt hatte. Damals (und leider auch heute noch) hat man das hier nur als Geldverschwendung gegeißelt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Schweinegrippe damals so explodiert wäre wie gerade Covid-19 und dann nicht genug Impfstoff zur Verfügung gestanden hätte! Sollte der  Corona-Impfstoff zufällig erst fertig werden, wenn die Pandemie bereits abgeflaut ist, wird man ihn wahrscheinlich genauso vernichten müssen wie damals den gegen die Schweinegrippe.

Man kann und sollte sich auch immer noch schnell gegen Pneumokokken impfen lassen. Allerdings wird der Impfstoff knapp.

Angstkind (ambermb/pixabay)

Die Schlagzeile „70% der Deutschen werden Corona bekommen!“, die gerade viele aufschreckte, bedeutet eigentlich nur: Bevor die Pandemie abklingt (wann immer das sein mag), muss ein Großteil der Bevölkerung Kontakt mit den Coronaviren gehabt haben (und dadurch immun werden). Die Katastrophenmeldungen werden uns weiter anspringen. Meine Angst reagiert empfindlich, was ich ihr kaum verübeln kann, und gelegentlich reagiert sie echt über, und dann muss ich ihr helfen. Mit Ablenkung, guten Worten, Eisklümpchen und anderen  bewährten „Beruhigungsmitteln“. Ich vertraue weiterhin der Seite des Robert Koch-Instituts, dem Podcast von Prof. Drosten und der „New York Times“. Tagsüber hält sich die Angst wacker und achtet darauf,  dass ich mir sorgfältig die Hände wasche. Mit Wasser und Seife. Die empfindliche Lipid-Hülle der Coronaviren löst sich nämlich bei Kontakt mit Seife auf! Dazu braucht es gar kein Desinfektionsmittel auf der Haut.

Seifenfreude (thomas despeyroux/unsplash)

Nachts erwischt es mich aber dann doch ab und zu. Schlafstörungen und Alpträume (auch mit maskentragenden Wesen und Krankenhäusern). Die Schreckensbilder des Tages wecken offenbar Urängste. Manchmal habe ich den Eindruck, dass mir die vererbten Lazarett- und Kriegsbilder meines Vaters im Kopf herum spuken. Es reicht schon, wenn ich das Wort Lazarett nur in der Zeitung lese.

Wenn Stress, Sorge und Angst massiv und gleichzeitig auftreten, sind diese Reaktionen bei angstanfälligen Menschen wohl ganz normal.  Erst recht in unruhigen Pandemie-Zeiten, wenn man neben der eigenen Angst und dem eigenen Stress auch noch die fremde Angst und Panik (ungewollt) massiv mitfühlt. Das weckt in mir Erinnerungen an meine schweren Panikanfälle als Kind, wenn meine traumatisierten Eltern Probleme hatten, von denen ich damals nicht mal etwas wußte! Für fremde Angst und fremden Stress besitzen viele hochsensible Menschen offenbar einen doppelten Verstärker in ihrer inneren Alarmanlage. Er läßt sich kaum regulieren, daher muss man (möglichst ruhig) abwarten, bis sich alles wieder einpendelt.

„Keep calm and wash your hands“ klebt weiter tröstlich über meinem Schreibtisch. Ich versuche möglichst ruhig, alles zu tun, was ich tun kann: mir häufig die Hände zu waschen, mein Gesicht möglichst nicht zu berühren, keine Hände zu schütteln, in die Armbeuge zu niesen oder zu husten, Abstand zu halten, eher mal zu Hause zu bleiben, nett zu mir selbst zu sein und meiner Angst beruhigend und verständnisvoll zuzureden. Besonders nachts. Meistens bekrabbeln wir uns schnell wieder. Wir haben es schwer miteinander, aber wir haben schon schlimmere Krisen überstanden.

Also: „Keep calm and carry on!“ Oder, mit Karlsson vom Dach: „Ruhig, ganz ruhig!“  Oder auch: „Wir schaffen das!“ Because we will.

Seifentrost (monika1607)

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