Köln und Corona: Masken (1)

(Leo2014/pixabay)

Jetzt ist die Pandemie bereits über 100 Tage alt, und noch immer ist kein Ende abzusehen. Letzte Woche las ich in der Zeitung einen Bericht über die Vorbereitungen für den nächsten Rosenmontagszug. Der Kölner Karneval soll 2021 trotz Corona stattfinden, die Prunkwagen sollen wie geplant gebaut werden, und „d’r Zoch“ kommt (natürlich) auch. Wenn es bis dahin keinen Impfstoff gibt, wird er allerdings nur in stark veränderter Form möglich sein. Vielleicht werden die Wagen an verschiedenen Stellen der Stadt aufgestellt und die Jecken können dann von einem zum anderen ziehen und Kamelle sammeln.

(Leo2014/pixabay)

Köln ohne Karneval ist schwer vorstellbar. Seit 1946 ist der Rosenmontagszug, den es schon seit 1823 gibt, nur ein einzige Mal ausgefallen. Ich erinnere mich noch. Das war 1991, während des zweiten Golfkriegs. Doch so einfach geben sich die Kölner nicht geschlagen, wenn es um ihre fünfte Jahreszeit geht. Bisher haben sie allen Orkanen, Überflutungen und Katastrophen getrotzt. Sogar im Krieg wanderten verkleidete Jecke durch die Ruinen, und selbst an der Front und im Lazarett sangen die Kölner Soldaten das Heimweh-Lied von Willi Ostermann. Irgendwas fällt ihnen immer ein, um ihren Karneval zu retten.

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Auch 1991 fanden sie einen Ausweg, sie belebten einfach den alten „Geisterzug“ neu. Den gab es zwar auch schon seit 1860, aber im Ersten Weltkrieg war er verboten worden und geriet danach offenbar in Vergessenheit. Jetzt gehört er wieder zur Tradition. Seit der Wiederentdeckung machen nun auch jedes Jahr (an Karnevalssamstag) die Geister die Straßen unsicher, mitsamt ihrem Maskottchen, dem „Ähzebär“, der den Winter persönlich darstellt. In diesem Jahr gespensterten sie für den Klimaschutz, als Gewitterwolken und Nebelgeister und in vielen anderen gruseligen Gewandungen. Auch Schnabelköpfe waren wie immer dabei, doch zu denen komme ich später.

In Köln ist man an Masken gewöhnt. Hier zuckt keiner mit der Wimper, wenn Mitte November plötzlich überall Hexen, Prinzessinnen, Vampire, Piraten oder Superhelden auftauchen. Die vermutlich kleinste Maske ist wohl die dicke rote Knollennase. Doch die „neuen“ Masken, die wir seit einiger Zeit (fast) alle tragen, sind wenig phantasievoll und dienen nicht der Verkleidung, sondern dem Schutz. Sie sind wahrlich keine Hingucker und verdecken im Gegensatz zu den Karnevalsmasken nur die untere Hälfte des Gesichts. Anfangs haben sie mir Unbehagen bereitet, inzwischen gehören sie fast schon zum Alltag dazu und geben ein zaghaftes Gefühl von Sicherheit. Offenbar helfen sie ja wirklich, Corona in Schach zu halten. Ich habe zum Glück kein Problem damit, mir bekannte Menschen auch „maskiert“ zu erkennen, und kann Stimmen auch noch stoffgedämpft gut verstehen. Eine Freundin von mir, die kaum noch hören kann, ist darauf angewiesen, von den Lippen zu lesen, und fühlt sich seit Monaten abgeschnitten von der Welt. Für taube und schwerhörige Menschen sind diese Masken ein Riesenproblem.

Gesine mit Maske (BFL)

Aber offenbar sind sie nötig. Wenn wir sie tragen, nehmen wir Rücksicht, halten uns an die Schutzregeln, tun etwas für die anderen und damit letztlich auch für uns selbst. Die meisten Kölner scheinen vorsichtig zu sein, auch wenn es hier momentan (Stand von gestern) lediglich noch 45 Infizierte gibt. Vielleicht ist die Zahl nur deshalb so niedrig, weil wir so diszipliniert der Maskenpflicht nachkommen? Ob die „Maskierung“ den verkleidungsgewohnten Kölnern wohl leichter fällt als anderen?

Leider haben am letzten Wochenende 10.000 Menschen in der Deutzer Werft gegen Fremdenhass und Rassismus demonstriert, am Sonntag dann noch einmal 5.000 auf dem Neumarkt. Gerechnet hatte man lediglich mit 500 Personen. Die Stimmung war bedrückend. „America we see you“. Wie viele der Demonstranten mögen wohl Masken getragen und den nötigen Abstand gewahrt haben? Ich hoffe inständig, dass die zahlreichen Massenveranstaltungen in aller Welt keine weiteren Corona-Monsterwellen auslösen.

Kleine Sammlung (BFL)

Die „neuen“ Masken sind einfarbig oder bunt gemustert und sehen insgesamt recht langweilig aus. Sie sind flach bis häßlich spitz, lassen Brillen beschlagen und Ohren schmerzen und haben viele Namen: Behelfsmaske, Behelfs-Mund-Nasen-Maske, Gesichtsmaske, Textilmaske, Alltagsmaske, Mund-Nase-Bedeckung (MNB), Schutzmaske, Hygienemaske, Stoffmaske, Papiermaske, Community-Maske, DIY-Maske, Do-it-yourself-Maske. Es gibt sie mit langen und kurzen Haltebändern und diversen Gummis. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Gummisorten es gibt! Einige sind angenehm weich und elastisch, andere hart und starr. (Mamas Hosengummis! Manchmal peinigten sie mich sogar in den sonntäglichen Kniestrümpfen!) Andere leiern schnell aus und lassen den Schutz ständig von der Nase rutschen, während wieder andere dauerhaft stramm und einschneidend bleiben.

Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass man frisch erworbene Masken auf keinen Fall mit unverknoteten Gummis in die Waschmaschine stecken sollte. Es dauert Stunden, bis man die Gummis, die beim Waschen (zumindest bei mir) alle rausrutschen, endlich wieder in ihre engen Tunnel gefrickelt hat. Man gerät dabei ins Schwitzen und Fluchen und sogar die Fingernägel brechen ab. Noch schlimmer ist es, wenn der Pfeifenputzer- oder sonstige Draht sich in der Waschmaschine verbiegt oder gar spitz herausragt, Stoffe aufreißt und partout nicht wieder an seinen Platz will.

(Adam Niescioruk/unsplash)

Meine Mask-Awareness ist in den letzten Monaten durch die Omnipräsenz verschiedenster Gesichtsbedeckungen so gestiegen, dass ich mir viele Gedanken zum Thema Masken gemacht habe. Durch die Katastrophennachrichten haben sich auch die OP-Masken und die FFP-Atemschutzmasken nachhaltig in meinem Bewusstsein verankert und versetzen mich in latente Dauerunruhe, denn Krankenhäuser sind ja mein spezielles Angstgebiet. Angeblich sind die chirurgischen Masken bequem und leicht, aber man kann sie nur einmal tragen, umweltfreundlich sind sie also nicht.

(Jacob Boavista/unsplash)

Auch die schweren Atemschutzmasken und Visierhelme der Polizei sind jetzt dauernd in den Nachrichten zu sehen, und gleich fallen mir auch wieder die martialischen Gasmasken aus Kriegszeiten ein, die an Insektenköpfe erinnern und von denen mein Vater nur mit Grauen sprach. Im Ersten Weltkrieg trugen sogar Pferde und Hunde solche Gasmasken und sahen aus wie bizarre Horrorfilmwesen. Kurz bevor die Pandemie losging, habe ich mich noch mit dem Thema beschäftigt, denn im Literaturkreis wollten wir als nächstes „Im Westen nichts Neues“ lesen (Remarque ist in diesem Jahr 50 Jahre tot). Aber dazu kamen wir durch den Lockdown nicht mehr. Harter Lesestoff, und wenn man einen kriegstraumatisierten Vater hatte, kann der Roman viele belastende „geerbte“ Erinnerungen triggern.

Die Giftgasangriffe müssen entsetzlich gewesen sein. Selbst wer eine Schutzmaske trug, war nicht sicher, denn es wurde ein brechreizauslösendes Gas entwickelt, das mühelos in die Masken eindrang und die Träger zwang, sie abzureißen. Woraufhin der Gegner gleich das eigentliche, tödliche Giftgas einsetzte. Welche Gehirne denken sich solche Grausamkeiten aus? Auch beim Anblick der bis an die Zähen bewaffneten amerikanischen Polizisten wird mir elend. Ich sehe das unbarmherzige Knie im Nacken von George Floyd. Über acht Minuten lang. „I can’t breathe!“

(Kuma Kum/unsplash)

Der Vorläufer der Schutzmasken  und vielleicht auch der Gasmasken war wohl die Maske des sogenannten Pestarztes, des „Dottore della Pesta“. Eine lange „Rabenmaske“, gefüllt mit Flüssigkeit (Essig oder Kräuteressenzen), Räucherwerk oder Kräutern (Wacholder, Gewürznelken, Zitronenmelisse, Kampfer, Myrrhe u.a.). Zu Zeiten des „Schwarzen Todes“ glaubte man, wohlriechende Kräuter und Spezereien könnten den Maskenträger vor dem „Pesthauch“ bzw. den gesundheitsgefährdenden „Miasmen“ (üble, krankmachende Dünste, giftige Ausdünstungen, Ansteckung) schützen. Auch der Begriff „Malaria“ entspringt dieser Vorstellung von gefährlichen, ansteckenden Dünsten, denn wörtlich übersetzt bedeutet er „schlechte Luft“.

(Marc Vandecastteele)

Zusätzlich zur auffälligen Maske mit dem langen Schnabel oder Rüssel und den eingesetzten Glasaugen (die gegen den krankmachenden Blick schützen sollten) trugen die Pestdoktoren des 17., 18. und 19. Jahrhunderts gewachste Stoffgewänder oder Ledermäntel, die alle Körperteile bedeckten, lange Handschuhe und einen Krempenhut. Echte Schutzkleidung also. Oft hatten sie auch noch einen Stab, mit dem Untersuchungen durchgeführt und die Infizierten auf Abstand gehalten werden konnten.

(xxxmax/pixabay)

Wenn ich im Fernsehen die bis zur Unkenntlichkeit vermummten Ärzte auf den Intensivstationen sehe, muss ich an die schwarzen Pestärzte denken, auch wenn die medizinische Kleidung heute ganz anders aussieht. Doch auch die Menschen in den Covid-Stationen wirken wie Wesen aus einem Fiebertraum. Vieles ist gleich geblieben: Genau wie in Pestzeiten versuchen auch wir, uns vor der Luft, dem Atem, den Infizierten zu schützen. Nur dass wir heute wissen, dass es winzige Viren sind, die uns krank machen. Wir wissen sogar, wie sie aussehen, wie genau wir uns infizieren, wie sie sich in unseren Körpern vermehren und dass wir uns vor allem vor den unsichtbaren Aerosolen in der Luft hüten müssen. Auch Angst und Hilflosigkeit sind leider geblieben. Allzu oft können unsere Ärzte nichts mehr tun für ihre sterbenden Patienten. Wer den Covid-Intensivstationen mit den Beatmungsgeräten entkommt, ist kein Genesener, sondern ein „Survivor“, ein Überlebender.

(vreichel/pixabay)

Heute assoziiert man die Schnabelmasken vor allem mit dem Karneval in Venedig. Ich weiß nicht, ob es die „Rabenköpfe“ schon während der ersten großen Pestepidemie gab, der Justitianischen Pest (Mitte des 6. Jahrhunderts). Als im Frühjahr der Karneval in Venedig aus Sorge vor einer weiteren Ausbreitung der Pandemie abgesagt wurde, sah man schon die ersten Schnabelmasken in den Straßen der Lagunenstadt. Corona ließ sich weder durch sie noch durch den Lockdown aufhalten und wütete in Italien besonders schlimm.

Pestärzte (BFL)

Menschen mit Vogelköpfen haben mich schon als Kind fasziniert, doch sie sahen nicht aus wie die Pestärzte. Sie waren Mischwesen. Meinen ersten Vogelmann sah ich in den Collagen von Max Ernst, es ist ein laufender Mensch mit dem Kopf eines Zaunkönigs, vielleicht ist es auch eine Schnepfe, genau kann ich das nicht erkennen. Mein erstes Buch heißt nicht von ungefähr „Mann mit dem Vogelkopf“. Es ist wohl wieder eine dieser merkwürdigen Fügungen, dass auch mein Mann eine persönliche Beziehung zu Vogelkopfwesen hat. Das eigens für ihn entworfene Exlibis, das hier in so vielen Büchern klebt, stellt den Pestarzt dar.

(Alefolsom/pixabay)

Die unheilverkündende Schnabelmaske des „Dottore della Pesta“, die das ganze Gesicht bedeckte, fand ihren Weg bald in die Maskenwelt des Karnevals und erinnert gleichzeitig auch an die noch älteren venezianischen Halbmasken. Die beliebten „Zanni“ haben ebenfalls Schnabelnasen, sind in der „Commedia dell’Arte“ verankert und verbunden mit Theaterfiguren wie Pulcinella, Scaramouche, Brighella, Arlecchino oder Capitano. Sie werden in verschiedenen Formen und Farben angeboten. Aber irgendwie haftet auch ihnen in meiner Wahrnehmung (vor allem den schwarzen und weißen Varianten) die Erinnerung an den „Schwarzen Tod“ an, der Europa so schwer heimsuchte. Inzwischen kann ich mir noch besser vorstellen, wie sich die Menschen damals gefühlt haben müssen.

Auch Bücher fallen mir ein: Boccaccios „Decamerone“, „Die Pest“ von Albert Camus, „A Journal of the Plague Year“ von Daniel Defoe und das Tagebuch von Samuel Pepys.

(Blickpixel/pixabay)

Ich liebe phantasievolle Verkleidungen und Masken, auch wenn ich mich selbst nur ungern „maskiere“, weil meine Haut sich dabei schon nach kurzer Zeit unwohl fühlt. Das gilt auch für die weichen Corona-Stoffe, die schnell unangenehm feucht werden, die Nase wie verrückt jucken lassen (nur nicht ins Gesicht fassen!) und den gewohnten Umgang miteinander ziemlich unmöglich machen. Wir haben plötzlich aufgehört uns anzulächeln.

Seelenlos glänzende schwarze Helmköpfe (wie bei Darth Vader in „Star Wars“) oder Schockgesichter (wie der verzerrt grinsende Joker, der gräßliche Freddy Krueger oder Stephen Kings Horror-Clown) sowie Vermummungen, die einzig dem Zweck dienen, unerkannt Verbrechen zu begehen (wie die Spitzhüte des Ku-Klux-Klans), machen mir Angst und dringen ein in meine Alpträume. Dazu gehören für mich auch die ironisch grinsenden weißen Guy Fawkes-Masken, die alle Träger gleich aussehen lassen. Masken verbergen die Mimik, machen den Träger darunter unsichtbar. Nur gut, dass wir im Moment nicht alle so herumlaufen müssen! Übrigens kann man auch zu Corona-Zeiten und fern von Amerika einem hässlichen alten Bekannten begegnen. So wurde in Thüringen vor kurzem die Maske des Ku-Klux-Klans als „Alternativ-Mund-Nasen-Schutz-Pullover“ zum Verkauf angeboten. Zum Glück wurden die Pullover, es gab sie in Schwarz und in Weiß, gleich wieder aus dem Verkehr gezogen.

Wer mag wohl die allererste Maske erfunden haben? Das bisher erste bekannte Exemplar stammt bereits aus der Jungsteinzeit, man schätzt die Entstehungszeit auf etwa 7.000 vor Christus. Es handelt sich um eine einfache Steinmaske mit runden Augenlöchern, schmaler, gerader Nase und offenem Mund. Sie ist aus rosa-gelbem Kalkstein und wirkt geradezu minimalistisch. Wer trug sie? Wurde sie überhaupt getragen oder wurde sie vielleicht aufgehängt? Welchem Zweck diente sie? Wir werden es wohl nie erfahren.

(sdk/pixabay)

 

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