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Charlotte MacLeod, John Ball und die Wölfe

Schon während des Studiums fing ich an zu übersetzen und beschloss, nicht wie geplant Studienrätin zu werden, sondern Buchübersetzerin. Ein Traumberuf für Hochsensible – genau wie Schreiben! Zunächst arbeitete ich einige Jahre als Fachübersetzerin für Psychiatrie, danach wurde ich freiberufliche literarische Übersetzerin für verschiedene Verlage.

So war ich viele Bücher lang (mit dem größten Vergnügen!) die deutsche Stimme der kanadischen Krimi-Autorin Charlotte MacLeod. Außerdem übertrug ich einige viktorianische Krimis von Anne Perry und amerikanische Thriller von John Ball (u.a. das berühmte „In der Hitze der Nacht“). Noch heute habe ich das Gefühl, den illustren Kelling-Clan und das Ehepaar Shandy aus den MacLeod Romanen persönlich zu kennen.

Dazu kamen die unterschiedlichsten Fachbücher – Gedichte, Reiseliteratur, Stadtführer, Kochbücher, Naturbücher, Bildbände über Life Style, Kunstbände, Kinderbücher, Literatur über antikes Spielzeug, Puppen, Teddybären (sehr gefährlich: man fängt dabei nämlich unter Umständen an, selbst welche zu sammeln) und vor allem ganz viele KATZENBÜCHER. Besonders fasziniert hat mich vor Jahren ein Buch über Wölfe. Es war gerade Winter in Köln, draußen lag Schnee, und ich lief in meiner Fantasie mit den Wölfen durch eisige Wälder und sang mit ihnen am Fluß ihre einsamen Nachtlieder. Genau so hatten wir es uns als Kinder ausgemalt! Winnie und ich wollten unbedingt in die USA auswandern und unser Leben den Wölfen widmen!

Fast 30 Jahre lang war ich mit Leib und Seele literarische Übersetzerin und liebte es, stundenlang zwischen hohen schwankenden Bücherbergen am Schreibtisch zu sitzen, immer mit genügend Tee, Keksen und Schokolade in Reichweite, und in spannende und komplizierte Texte einzutauchen. Doch Übersetzen ist auch ein einsamer Beruf, das Alleinsein muss man aushalten können und außerdem in der Lage sein, sich seine Zeit gut einzuteilen, damit man keinen Stress bekommt. Dafür hat man dann aber auch keine nervigen Kollegen und keinen übellaunigen Chef. Es kam oft vor, dass ich von frühmorgens bis spät in die Nacht am Schreibtisch saß und arbeitete. Sogar am Wochenende.

Beim Übersetzen kann man wunderbare Flows erleben. Das Wörterfangen und Formulieren setzt immer wieder unerwartet (jedenfalls bei mir) Glückshormone frei. Und so richtig allein war ich ja gar nicht. Immer war ich in Gesellschaft meiner Katzen, die für ihre engagierte Mitarbeit von den Verlagen dummerweise keinerlei Inspirationszuschlag oder Honorar bekamen, obwohl sie es redlich verdient hatten. Aber Katzen haben ja keine Gewerkschaft. Sehr ungerecht. Vielleicht ist es an der Zeit eine „VG Katz“ ins Leben zu rufen? Buchübersetzer werden leider nur selten beachtet, weil sie naturgemäß hinter dem Autor verborgen bleiben, und erinnern mich daher immer ein wenig an Synchronsprecher. Man kennt zwar ihre vertrauten Stimmen, doch sie selbst bleiben unsichtbar. Als ich damals anfing, musste man unsere winzig kleinen Namen noch mühsam unter dem Impressum auf der dritten Seite suchen. Inzwischen haben wir es ein ganzes Stück weiter nach vorn im Buch geschafft, und Literaturkritiker erwähnen heute ganz selbstverständlich auch den Übersetzer oder die Übersetzerin, wenn sie ein neues Buch besprechen.

Das war nicht immer so. Es ist mir schon mehrmals passiert, dass ein großer Verlag meinen Namen schlichtweg „vergaß“, ein andermal stand gar ein falscher Übersetzername im Buch, was dazu führte, dass ich bei der VG-Wort (Verwertungsgesellschaft Wort) mühsam beweisen musste, dass wirklich ich das Buch übertragen hatte und nicht mein Kollege, der sehr erstaunt war, als ich ihm davon erzählte, damit ich meine Tantiemen auch selbst bekam.

Buch-Übersetzer sind ein eigenes buntes Völkchen. Ich mag meine Kollegen und Kolleginnen sehr und habe sie fast immer als ausgesprochen solidarisch, angenehm uneitel, überaus witzig, fantasievoll und vielseitig interessiert erlebt. Ein Buch zu zweit zu übersetzen, hat mir immer viel Spaß gemacht, besonders, wenn die Mitübersetzerin meine Freundin Birgit war. Als Übersetzer muss man sich notgedrungen in sehr vielen Bereichen auskennen und bereit sein, sich selbst in die abstrusesten Themen einzuarbeiten – etwa mittelalterliche Tischsitten, die Anatomie von Pferden und Greifvögeln, die neuesten Katzenrassen (wer kennt hier schon Pixiebobs, RagaMuffins oder Munchkins?) oder antike Kostümkunde. Ich weiß noch, wie ich mal trotz Internet tagelang recherchieren musste, weil ich einfach nicht herausfinden konnte, wie die Reifen eines alten Traktors auf Deutsch hießen (nicht mal das einzige deutsche Traktorenmuseum konnte mir helfen, die Erleuchtung bekam ich schließlich von einem Spezialisten bei eBay!) oder wie ich ein typisch skandinavisches Fischrezept angemessen ins Deutsche übertragen sollte, damit der Leser es dann auch nachkochen konnte. Das Problem fing schon damit an, dass man den Fisch hier nirgendwo bekommt. Und die Backform und das Gewürz auch nicht. Übersetzer haben es wirklich schwer. Besonders, wenn sie Perfektionisten sind. Ich habe mir fest vorgenommen, eines Tages selbst einen Krimi zu schreiben – nachdem ich schon so viele Krimis übersetzt habe.

Martin Baker, der Held in dem Roman, an dem ich gerade schreibe, ist übrigens auch Buch-Übersetzer und mir daher besonders nahe…..

„Die wahren Abenteuer sind im Kopf.“ (Andre Heller)