Ich habe eine wirklich harte Woche hinter mir – fast wäre meine Katze Alice gestorben – und ich bin auch jetzt alles andere als entspannt. Noch lauern Angst und Sorge an allen Ecken und überfallen mich vor allem nachts. Um die schlimmen Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen, bin ich mehr als einmal in die beruhigenden Fotos meines facebo0k-Freundes Andreas Schmelz abgetaucht, die mich an die tröstenden Wälder meiner Kindheit erinnern, in denen ich mit meinem Vater so viel Zeit verbrachte – auch wenn Andreas gar nicht am Niederrhein lebt, sondern weit weg in Süddeutschland.
Wir kennen uns seit ungefähr zwei Jahren aus einer kleinen kreativen Fotogruppe und habe das Glück, fast täglich in den Genuss seiner Bilder zu kommen. Andreas hat ein feines Gespür für Naturstimmungen, sieht immer wieder die kleinen Wunder am Wegesrand, an denen viele achtlos vorübergehen, und hält sie liebevoll mit der Kamera fest.
Besonders die Menschen, die Natur und die Tiere in seiner Heimat Hohenlohe haben es ihm angetan, aber inspirierende und spannende Fotomotive findet er auch während der Berg- und Wanderurlaube mit seiner Frau und gemeinsam mit seinen beiden Kindern. Zu meinen persönlichen Favouriten gehören seine einsamen „Lebenswege“, wie ich sie nenne, besonders die Bilder von der Kupferhof Allee, an der er fast jeden Tag frühmorgens und abends auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommt. Er fotografiert sie zu allen Jahreszeiten und in den unterschiedlichsten Stimmungen und Lichtverhältnissen.
Andreas ist nicht nur ein ausgezeichneter Fotograf, er hat auch noch das Glück, inmitten einer Landschaft zu wohnen, wo sich die Natur auch heute noch zuverlässig von ihrer schönsten Seite zeigt. Im Frühling besucht er die Stellen, wo die winzigen Leberblümchen mit dem ganz besonderen Blau am prächtigsten blühen, er beobachtet Rehe und Waldmäuse, entdeckt die ersten Fliegenpilze und Maikäfer. Sein Bild vom einsamen Boot war lange mein Bildschirmschoner.
Im vorigen Jahr habe ich einige seiner Arbeiten bereits auf meiner fb-Seite „Von wegen Mimose“ vorgestellt und ihn damals auch um einen kleinen Text gebeten. Folgendes hat er für mich geschrieben: „In den vergangenen Jahren ist die Fotografie zu mehr als einem Hobby für mich geworden. Sie ist Ausgleich zu meiner Arbeit, Entspannung und kreative Ausdrucksmöglichkeit meiner Gefühle und Stimmungslagen. Mit meinen Fotografien versuche ich, meinen Blick auf die Welt mit euch zu teilen und euch die kleinen und großen Schön- und Besonderheiten zu zeigen, die ich in den sehr frühen Morgenstunden auf dem Weg zur Arbeit, im feierabendlichen Sonnenuntergang und an vielen anderen Tagen finde. Von meiner Familie und meinen Freunden erhalte ich dabei viel Unterstützung – sie machen mir Mut, Neues zu probieren und lassen mich spüren, dass sie meine Fotos mögen. Manchmal finden sie ihren Weg dann zum Beispiel unter den Weihnachtsbaum in Form von Postkarten oder Kalendern – das freut mich dann besonders.“
Mit Andy verbindet mich aber noch etwas ganz anderes. In meinem Kölnroman, den ich gerade überarbeite, gibt es nämlich eine kleine Bäckerei. Am Brüsseler Platz, genau gegenüber von St. Michael. Beim Schreiben hatte ich lange das Problem, dass ich mir „meinen“ Besitzer nicht richtig vorstellen konnte. Wie sollte er aussehen? Groß, klein, alt, jung? Wie klang er? Kam er aus Köln oder aus einer ganz anderen Stadt? Was könnten seine besonderen Spezialitäten sein? Ich mag es nicht, wenn die Figuren in meinen Büchern nicht richtig leben. Ich muss sie genau kennen, ihre Vorlieben und Macken, ihre Lebensgeschichten und Familien, auch wenn das im Text alles gar nicht vorkommt. Irgendwann bekommen sie dann ihren eigenen Kopf und teilen mir mit was sie wollen. Notfalls wehren sie sich auch so lange, bis ich die Szenen umschreibe, die ihnen nicht passen. Diese Phase finde ich immer am schönsten. Der Bäcker und Konditor jedenfalls blieb in meinem Kopf lange ziemlich farblos, und das störte mich. Ich hatte einfach kein Modell. Das änderte sich erst, als ich erfuhr, dass Andreas Bäckermeister ist. Ich bot ihm spontan meine vakante literarische Bäckerei an, und er zog gleich mit seiner Frau Bärbel dort ein. Wir haben seine neue Wirkungsstätte „Bäckerei Schmelzle“ genannt, und die kleinen Heldinnen meines Buchs, die Mädchen Marigard und Michan, die nur wenige Häuser weiter wohnen, sind dort oft zu Gast und bekommen an Halloween und St. Martin natürlich ganz besonders leckere Muffins und Püfferchen. Und wenn sie Sorgen oder Kummer haben, tröstet die mütterliche Bärbel sie mit selbstgemachter Schokolade (am liebsten mit Koriander und Pfeffer und einem Hauch Salz). Und einen Cocker Spaniel mit langen weichen Ohren hat Andy jetzt auch. Allerdings nur im Buch.
Andy beschrieb mir genau, wie es morgens früh in der Backstube duftet, erzählte mir, welche schwäbischen Spezialitäten man bei „Schmelzle“ anbieten könnte (zum Beispiel Schneeballen!!) und stand mir bei der Möblierung mit Rat und Tat zur Seite. An den Wänden seiner Konditorei hängen (natürlich) seine Fotos. Und so gibt es seitdem zwei neue Personen in meinem Buch, und Andreas und Bärbel wohnen jetzt nicht real nur in Hohenlohe, sondern fiktiv auch am Brüsseler Platz in Köln. Und frühmorgens fährt der Buch-Andy stilecht mit dem Fahrrad und der Kiepe wie vor vielen Jahren während seiner Lehrlingszeit in den kleinen umliegenden Straßen die Brötchen aus, sein Spezialservice für die betagten Bewohner „meines“ Belgischen Viertels in den Jahren 2002 und 2003, als es dort noch ruhig und gemächlich zuging und nicht so laut und überfüllt war wie heute.