Olfaktorische Parallelwelt
Dass ich in einer olfaktorischen Parallelwelt lebe, weiß ich schon lange. Leider habe ich die Tendenz, im Eifer des Geruchs dauernd alles zu kommentieren, was meine Nase erreicht, und kann damit anderen gehörig auf die Nerven gehen. Ich muss also aufpassen und mich zügeln, sonst prasseln meine Eindrücke nur so auf mein jeweiliges Opfer nieder. Früher fand ich meine Jagdhundnase ziemlich lästig, weil ich mich vor allem auf die üblen Gerüche konzentrierte (da gibt es wirklich Unmengen!), doch seit ich das Konzept der Hochsensibilität kenne, finde ich meine „Supersinne“ faszinierend und erforsche und erweitere vor allem die positiven Seiten. Für eine Schriftstellerin ist das ein wahrer Segen. Ich kann nämlich meine Nase bewusst als Trigger beim Schreiben nutzen, denn fast alle meine Erinnerungen und Empfindungen sind über den Geruchssinn gut zu erreichen und lösen in Sekundenschnelle Bilder und Gefühle aus oder versetzen mich schlagartig in die gewünschte Zeitfalte oder Stimmung. So ähnlich wie bei Marcel Proust die Madeleines und der Verbenentee in seinem Buch „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.
Die Streichhölzer oben auf dem Bild gehören genau wie die winzige Flasche des allerersten Eau de Colognes (das tatsächlich aus Köln kam und von Jean Maria Farina kreiert wurde) zu meinem hochsensiblen Notfall-Kit und helfen zuverlässig beim Überdecken bzw Auslöschen von üblen Gerüchen. Wenn ich einen wirklich scheußlichen Nasenreiz wieder los werden will, brenne ich einfach ein oder zwei Streichhölzer ab, und schon ist Ruhe. Sonst kann es nämlich passieren, dass mich ein überaus lästiger „Nasenwurm“ plagt. Das kann Stunden dauern und ist die olfaktorische Entsprechung eines „Ohrwurms“, der einem nicht mehr aus dem Kopf geht.
Glücklicherweise gehöre ich zu den Hochsensiblen, die ihnen angenehme Düfte und Gerüche unbeschwert im Übermaß genießen können, ohne dass sie davon Kopfschmerzen oder „Überreizung“ bekommen. Ich habe daher etliche Duftwässer, die ich je nach Stimmung und Jahreszeit einsetze, und einen Garten voller Kräuter und Duftpflanzen, von denen einige offenbar so dezent riechen, dass andere ihr Aroma kaum wahrnehmen. Vermutlich könnte ich die meisten meiner Pflanzen mit verbundenen Augen allein am Geruch ihrer Blätter erkennen.
Zu meinen liebsten nasalen Harmonie-Erinnerungen gehört ein Kräutergarten, den ich als junges Mädchen in England besuchte. Ich stand eine gefühlte Ewigkeit zwischen den vielen Pflanzen, die Zeit richtig stand still, und genoß den aromatischen Duft, das Summen der Insekten, die warmen Sonnenstrahlen und das pure Glücksgefühl, das mich durchströmte. Ich nenne diese Momente „perfect bliss“. Normalerweise gibt es von diesen besonderen Augenblicken natürlich nie Fotos, doch dieses Erlebnis ist eine Ausnahme. Offenbar bemerkten meine Freunde, wie wohl ich mich fühlte, auch wenn mein Gesichtsausdruck eher ernst aussieht, wie so oft, wenn ich mich richtig „ehrfürchtig“ und „versunken“ fühle.
Perfume Spotting
Manche Menschen kann ich nicht riechen, andere bringen mich geradezu in Verzückung. Trotz meiner Schüchternheit sprach ich als junge Studentin mit klopfendem Herzen auf dem Domvorplatz einen Wildfremden an, nachdem ich in der Kathedrale seine Witterung aufgenommen hatte und der Duftspur möglichst unauffällig gefolgt war. Ich musste einfach wissen, wie dieser Wohlgeruch hieß! „Eau Sauvage“, klärte mich der verblüffte Herr auf. Ich eilte in die nächste Parfümerie und kaufte mir die kleinste Flasche. Leider war sie so teuer, dass ich danach längere Zeit auf mein Mensamittagessen verzichten musste, aber das war mir egal. In der Duftbeschreibung findet man eine eindrucksvolle Liste guter Ingredienzien wie Basilikum, Bergamotte, Rosmarin, Lavendel, Jasmin, Koriander, Iris und Vetiver. Ich habe eine Vorliebe für leichte, frische Düfte. Woher mein Mann dies wusste, bleibt eins der vielen ungelösten Rätsel unserer Liebe. Jedenfalls duftete er bei unserem ersten Rendezvous nach „Eau Sauvage“. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er nach „Tabac Original“ gerochen. Das kann ich nämlich nicht ausstehen. Möglicherweise hätte ich schreiend das Weite gesucht.
Pariser Luft
„Mein olfaktorisches Lieblingserlebnis fand 1974 während einer Klassenfahrt nach Paris statt. Wir waren im Louvre gewesen und strebten gerade dem Metroausgang in der Nähe unseres Hotels zu, als ein starker, aber nicht unangenehmer Tiergeruch meine Nase traf. Zirkus? Zoo? Pferdestall? Was konnte das sein? Mitten in Paris? Während ich noch schnupperte, erschien eine riesige graue Gestalt vor meinem inneren Auge. »Hier riecht es nach Elefant!«, entfuhr es mir. Meine Klassenkameradinnen schüttelten sich vor Lachen. Ich wurde rot und schämte mich. Hätte ich doch geschwiegen! Wir fuhren die Rolltreppe hoch und kamen ans Tageslicht. Direkt neben dem Metroeingang stand der Elefant. Die verblüfften Gesichter werde ich niemals vergessen. Aus den eben noch spöttischen Mienen sprach tiefe Bewunderung. »Woher hast du das gewusst?« Keine Ahnung. Intuition? Hochsensitivität?
Jahre später gab es sogar noch ein kleines Nachspiel. Ich wanderte mit meinem Mann durchs abendliche Rostock, als ich plötzlich aufgeregt zu schnuppern begann. »Hier riecht es genau wie damals in Paris!«, rief ich. »Du meinst nach Elefant?«, fragte mein Mann, dem ich natürlich von dem denkwürdigen Erlebnis berichtet hatte. Ich nickte begeistert. Dann passierte etwas Unglaubliches. Wir bogen um die Ecke und schon sahen wir sie: drei prächtig herausgeputzte graue Riesen, die mitten auf der Einkaufsstraße gemessenen Schrittes hintereinander her marschierten, begleitet von bunten Clowns und Akrobaten.“ (Aus: Von wegen Mimose)
Flaschen voller Erinnerungen
Oft habe ich mir als Kind ausgemalt, wie schön es wäre, zierliche bunte Flaschen mit Erinnerungen zu füllen, etwa dem Duft von Omas Frühlingsgarten, dem Seifengeruch unserer alten Waschküche und den Wohlgerüchen von Weihnachten. Kindheitsaromen sind wohl die prägendsten. So erinnere ich mich bis heute an den Staubgeruch unseres finsteren Kohlenkellers und den vertrauten, wunderbaren Heuduft im Kaninchenschuppen. Die Geruchskombination von Heu, Stroh und Kaninchen berührt mich bis heute, ich muss immer aufpassen, dass ich nicht in Tränen ausbreche (was bei mir eigentlich extrem selten passiert). Auch der Lanolinduft vom Fell winziger Katzenbabys gehört unbedingt in eine eigene Flasche. Genau wie Pferdestall, Papas Rasierwasser, frisch gewaschene Wäsche an der Leine, Kaffekränzchen bei Oma, Ginsterbusch im Frühling, Regenluft, Herbstwald, Vanillekipferl, Schokoladenkuchen, Marienandacht im Mai, Klosterkapelle, Clematis montana odorata, Orangenschalen an einem Winternachmittag und der Wildrosenbusch neben meinem Elternhaus. Die Liste könnte ich tatsächlich endlos fortsetzen.
Wahrscheinlich hat jeder Mensch Kindheitsdüfte, die ihn sofort zurück in die Vergangenheit versetzen. Für mich riechen Häuser und Wohnungen, aber auch Museen, Buchläden und Kirchen sehr individuell. Wälder, Felder und Gärten sind sogar wahre Duftparadiese.
Jasmintee und Lindenblüten
Im Juni, wenn der Jasmin blüht, gönne ich mir eins meiner Lieblingsrituale. Ich setze mich hinten im Garten auf meine Bank, in die Nähe der weißblühenden Büsche, und trinke Jasmintee. Dann schmecke, sehe und rieche ich den Jasmin. Wenn ich ein paar Blüten abzupfe, kann ich ihn auch noch berühren. Ein vielsinniger Hochgenuss! Gerade ist es wieder so weit, und gleich werde ich mich nach draußen zu meiner Bank begeben, das Teewasser kocht schon. Jasminteeduft erinnert mich außerdem an Cambridge, wo ich diesen Tee zum ersten Mal getrunken habe, und ist damit eine überaus angenehme Zusatz-Assoziation.
Hinten an der Kirche blühen gerade die Linden. Gestern habe ich mich unter die Bäume gestellt, die Augen geschlossen und begeistert inhaliert. Mich hat nicht mal gestört, dass die Leute komisch guckten. Ich kann verstehen, dass Linden schon immer die Bäume der Liebenden waren. Ich finde ihren Duft einfach betörend, und es fühlt sich für mich an, als würde ich in eine warme, süße Wolke gleiten. Auch davon hätte ich liebend gern eine Flasche. Oder vom Herbst mit all seinen unterschiedlichen Gerüchen und melancholischen Assoziationen. Den Herbst liebe ich natürlich auch wegen seiner leuchtenden Farben. Wahrscheinlich hätten meine Duftflaschen daher auch alle bunte kleine Bildetiketten, denn ich bin ja trotz der feinen Jagdhundnase vor allem ein Augenmensch.
Die Idee, einen Beitrag über die positive Seite der hochsensiblen Supersinne zu schreiben, stammt von Monika Richrath, die Spezialistin für EFT für hochsensible Menschen ist, und ich freue mich sehr, dass sie mich eingeladen hat, an ihrer Blogparade teilzunehmen.
Liebe Beate,
genauso, wie es ein Ganzkörper-Erlebnis ist, deinen Artikel zu lesen, hätte jemand, der mir beim Lesen deines Artikels zugesehen hat, ein Ganzkörper-Spaß-Erlebnis gehabt. Ich habe gekichert, mir begeistert auf die Schenkel geklopft und mich dabei schief gelacht und beim Parfümabsatz die Stirn gerunzelt (weil das zu meinen riechenden No-Gos gehört 😉
Jetzt bin ich glatt ein bisschen neidisch auf deine olfaktorische Parallelwelt 😉 Liebe Grüße aus dem weitgehend geruchsfreien Universum
Liebe Monika,
freut mich sehr, dass mein Beitrag dir gefällt. Nur gut, dass ich nichts von den negativen Highlights geschrieben habe….. Schade, dass dir die Wunderwelt der Düfte Probleme macht, sonst hätte ich dich gern mal mitgenommen in meine Parallelwelt. Ich glaube, meine elterlichen Erbteile gleichen sich da genial aus. Meine Mutter hatte eine wahnsinnig empfindliche Nase und unendlich viele Sachen, die sie gar nicht riechen mochte und die sie regelrecht zum Schreien brachten, mein Vater dagegen gar nicht. Und so habe ich von beidem das Beste erwischt.