Kürbiszeit

Kennengelernt habe ich Kürbisse und Halloween durch meine Comics. Mit freundlicher Unterstützung von Donald Duck und den Peanuts. Tick, Trick und Track hatten tolle Pumpkins, und der kleine Linus van Pelt saß jedes Jahr pünktlich im Herbst mit seiner Schmusedecke mitten im Kürbisfeld und wartet geduldig darauf, dass der Great Pumpkin kam und den Kindern Geschenke brachte. Leider kam er nie. Linus glaubte trotzdem unbeirrt weiter und probierte es im nächsten Jahr aufs Neue. Irgendwann würde der Great Pumpkin schon kommen! Sein Idealismus und seine Unerschütterlichkeit haben mich schon als Kind beeindruckt. So sieht wahrer Glaube aus! Voller Zuversicht. Egal, was die anderen sagen. Irgendwann kommt der Great Pumpkin bestimmt. Santa Claus und Father Christmas kommen ja schließlich auch. Ganz zu schweigen vom Heiligen Nikolaus und dem Christkind.

Echte Kürbisse kannte ich ansonsten nur von Fotos, aber die Vielfalt der Formen und Farben hatte es mir auf den ersten Blick angetan. Mich faszinierten die riesigen Kürbisse auf den Feldern und auf den amerikanischen Treppenstufen, auf denen es so herrlich  teuflisch orangenrot grinste. Die Generation meiner Eltern mochte Kürbisse überhaupt nicht, sie erinnerten sie offenbar zu sehr an den Krieg. Genau wie Rüben. Etwas anderes hatten sie auf dem Land nicht zu essen gehabt in den Hungerwintern. Niemals wären bei uns Rüben oder Kürbisse auf den Tisch gekommen! Schade. Vor allem Kürbissuppe ist wirklich köstlich. Irgendwann stand ganz oben auf meiner langen to do-Liste: RICHTIG Halloween feiern, großen HEXENHUT kaufen und MINDESTENS einen Kürbis aushöhlen und schnitzen. Doch es sollte noch lange dauern, bis sich mein Wunsch erfüllte. Linus ist nicht umsonst mein Liebling. Auch ich kann warten. Wenn es sein muss, sehr lange. Irgendwann kommt der richtige Moment. Kairos. Und dann muss man nur die Hand ausstrecken und zugreifen, damit das Glück nicht davonfliegt.

Als ich in England lebte, kam ich den gruseligen Herbsttraditionen um einiges näher. Hier gab es zwar keinen St Martin wie bei uns am Niederrhein (auch eins meiner Lieblingsfeste), dafür aber einen eindrucksvollen Guy Fawkes Abend am 5. November, mit Verkleidungen, bonfire und dem Guy, einer meist lebensgroßen Puppengestalt, die am Abend unter Johlen und Knallkörpergeknattere auf einem kleinen Scheiterhaufen verbrannt wurde. Mancherorts feierte man Ende der 1970er in England auch schon ein wenig Halloween. Nicht so schön wie bei den Peanuts, aber immerhin. Vielleicht kam das Fest den Engländern damals noch zu amerikanisch vor, dabei war es doch ursprünglich aus Irland in die USA exportiert wurden. Späterer kam es dann als Re-Import wieder zurück über den Großen Teich. Allerdings steckten die Kerzen nun nicht mehr in ausgehöhlten Rüben, sondern weit dekorativer in großen Kürbissen. Die Hexen waren ohnehin nie amerikanisch, sondern zutiefst britisch. Wo sonst haben sie so schöne schwarze spitze Hüte? Bei uns in Deutschland wurden Hexen immer nur als alte Frauen dargestellt, meist krumm und mit Kopftuch. In England konnten sie jedes Alter haben und sogar wunderschön aussehen. Und wo sonst gibt es so viele Coven, ein veritables Museum of Witchcraft and Magic (in Boscastle in Cornwall, und ich war natürlich schon mehrmals dort) und (zumindest seit J.K. Rowling) eine Schule für Hexen und Zauberer? Hogwarts! Wie gern hätte ich dort eine ordentliche Ausbildung gemacht. Vorzugsweise bei Prof. Sprout und Madame Pomfrey. Ich liebe Alraunen und Fliegenpilze.

Bei einem Urlaub in Wales, in einem Ort mit einem unaussprechlichen Namen, sah ich im Foyer des B&B Fotos von alten walisischen Frauen, die rabenschwarz gewandet und angetan mit komischen Hüten auf einer Bank saßen und den Betrachter unheimlich ansstarrten. Die Frau in der Mitte war die Uroma des B&B Landlords. Es waren Welsh Ladies, und sie sahen verblüffend aus wie die Hexen in englischen Kinderbüchern. Ich fragte vorsichtig nach. „Well“, sagte der Landlord. „I am sure you are right there. She really was a very strange woman.“ Er fand, dass ich auch ein bisschen etwas von einer Hexe hätte, was mir sehr gefiel. Endlich hatte es jemand gemerkt, auch wenn meine Zauberkünste äußerst erweiterungsbedürftig waren. Immerhin war das erste Buch, das ich mit sieben Jahren allein gelesen hatte, sicher nicht von ungefähr „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler gewesen. Und eins der wenigen Dinge, die ich in meinem Leben geklaut habe, war eine arg zerfledderte Ausgabe des The New Yorker mit einem wunderschönen Halloween Cover von Chas Addams. Es passierte in einem amerikanischen Motel und ist mir immer noch peinlich, aber ich konnte nicht anders. Ich glaube nicht, dass die Besitzer es vermißt haben. Es war schon alt, und es lagen Unmengen von Magazinen auf dem Tisch. Inzwischen bekomme ich The New Yorker längst im Abonnement. Damit mir so etwas nur ja nicht wieder passiert. Die Magazin Cover hängen bei mir an mehreren  Wänden, und ich zelebriere jeden Monat meine kleine Wechselausstellung. An Halloween hänge ich selbstverständlich auch immer das stibitzte Cover aus dem Motel auf.

Übrigens gab es in dem walisischen Haus mit den Welsh Ladies einen veritablen Geist. Eine bleiche junge Frau, die mit Vorliebe durch die Wände ging und den erschrockenen Gästen nachts im Treppenhaus erschien. Ich stand mehrfach auf, um sie zu treffen, aber leider kam sie nicht. Ganz wie der Great Pumpkin. „You have to come back, you know!“ meinte der Landlord. Ganz bestimmt. Irgendwann. Dann wird sie mir sicher auch erscheinen. Am letzten Tag erwarb ich in dem Ort mit dem unaussprechlichen Namen (er hatte mindestens 7 Konsonanten hintereinander) in einem merkwürdigen Antiquitätenladen eine kleine Glocke in Form einer Welsh Lady. Es ist eindeutig eine magische Glocke. Wenn sie richtig aufgelegt ist, läutet sie nachts von ganz allein. Allerdings nur sehr selten. Und ausschließlich Ende Oktober. Wann sonst?

In Deutschland versuchte ich alles, was in meiner Macht stand, um die Kölner für mein Lieblingsfest zu begeistern. Wahrscheinlich habe ich enorm dazu beigetragen, dass sie inzwischen das Fest mit Begeisterung feiern. Generationen von VHS-Kursteilnehmern erfuhren von mir alljährlich in gleich zwei Doppelstunden (mit freundlicher Unterstützung der Peanuts und Donald Duck) alles Wissenswerte über Pumpkins, Cupcakes und Halloween. Ob sie wollten oder nicht. Die meisten wollten. Hoffe ich jedenfalls. Meine erste Pumpkin Pie aß ich trotzdem erst Mitte der 1980er Jahre, als ein amerikanischer Freund von meiner Passion erfuhr und mir etwas Gutes tun wollte. Die ersten Kürbisse schnitzte ich erst 1998. Im selben Jahr kochte ich auch meine erste Kürbissuppe. Mit viel Ingwer. Es war wirklich ein wunderbares Jahr, nicht nur was die Herbstfreuden betraf. Vielleicht war es sogar das glücklichste Jahr in meinem Leben, aber das lag nicht an Halloween. Seitdem feiern wir Halloween jedes Jahr. Und der Great Pumpkin bringt sogar Geschenke. Beim Schnitzen sind immer meine Katzen dabei. Vor allem Alice. Sie hat kürbisfarbene Flecken, einen höchst dekorativ mitten auf der Stirn, und daher eine ganz besondere Affinität für dieses Fest. Aber dazu mehr im nächsten Eintrag.

Die wunderbaren Fotos zu diesem Beitrag stammen von SIMONE GARLAND, die in Kanada lebt und genau so ein Kürbisfan ist wie ich.

 

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