Waren die Winter damals wirklich so viel kälter als heute? Ich erinnere mich an unzählige Schneewanderungen, flockenumwirbelt, mit dicken wollenen Fäustlingen an den Händen und eisigen Füßen in knarzenden fellgefütterten Stiefeln, an Schlittern mit Anlauf auf langen spiegelglatt gefrorenen Pfützen, an lästiges Schneeschaufeln noch vor der Schule. Ich erinnere mich an Eisblumen an den Fenstern, in die man kleine Atemlöcher hauchen konnte, und an lange Eiszapfen, die von den Dächern hingen. Ich erinnere mich an gefrorene Beeren und aufgeplusterte Vögel, die bis auf unsere Terrasse kamen, um sich aufzuwärmen.
Mutige Kinder liefen bei Eis auf dem Graben der Dorenburg Schlittschuh, was mir streng untersagt war, weil ich todsicher stürzen und hart auf den Hinterkopf fallen oder gar einbrechen und jämmerlich im Eiswasser ertrinken würde. Die detailreichen Warnungen meiner Verwandten, die von Schädelbruch bis Hirnquetschung reichten, waren so drastisch, dass ich mich tatsächlich nie aufs Eis wagte, nicht mal Jahre später im neu gebauten Eisstadion, auch wenn ich es noch so gern getan hätte.
Wenn Winnie unter der Trauerweide auf ihren Schlittschuhen herumwirbelte und begeistert rief: „Nu komm doch! Du fälls’ schon nich’! Dat is’ toll! Echt wie Fliegen!“ blieb ich unglücklich am Ufer zurück, stampfte von einem Fuß auf den anderen, um nicht festzufrieren, bewunderte Winnies Pirouetten, wäre liebend gern anders gewesen und ärgerte mich über mich selbst. Doch Angst ist leider ansteckend, und die bangen Befürchtungen meiner Verwandten waren Legion. Winnie brach nie ein, fiel nie hart auf den Hinterkopf und ertrank auch nicht jämmerlich. Wenn sie hin fiel, stand sie lachend wieder auf und machte weiter. (Aus: „Mit Winnie in Niersbeck“)
Auch diesmal freue ich mich sehr, dass mir Simone Garland ihre wunderschönen poetischen Bilder für meinen Beitrag geschenkt hat.