Noch ist Winter, die Zeit der Stille, die Zeit der Kälte. Die Zeit der langen, dunklen, einsamen Nächte. Die Zeit der Flocken, des Raureifs, der Eiszapfen. Die Zeit der Winterstürme, glatten Straßen und gefrorenen Seen. Wie lange ist es eigentlich her, dass ich meinen letzten Schneemann gebaut habe?
Bei uns in Köln war der Winter bisher recht nachsichtig, wenn man von den beiden heftigen Orkanen Burglind und Friederike einmal absieht, die sich leider auch in unserem Garten wieder ein Baumopfer geholt haben. Friederike riss unseren geliebten uralten, mit Efeu und duftender Clematis bewachsenen, „heiligen“ Holunder innerhalb von Minuten buchstäblich aus den Wurzeln, so dass sich die Singvögel jetzt einen neuen Lieblingsbaum suchen müssen. Langsam wird es kahl am Gartenrand, nachdem der extrem trockene Sommer auch schon dem Lebensbaum von über 25 Metern den Garaus gemacht hat und Kyrill hat seinerzeit mit einem Atemzug die große Blutpflaume gefällt. Ich bin immer wieder erschüttert, wie schnell ein Baum verschwindet, wenn man bedenkt, wie viele Jahre er braucht, um sich zu entfalten. Der Verlust meiner Bäume macht mich immer sehr traurig.
In anderen Teilen der Welt war und ist dieser Winter jedoch außergewöhnlich hart. An der Ostküste der USA sorgten arktische Temperaturen dafür, dass der New Yorker Flughafen JFK zeitweise völlig lahm gelegt wurde, in Kanada fiel die Temperatur zeitweise auf drastische -50°C. Meine Freundin Simone Garland berichtet aus Kanada, sie hätte in dreißig Jahren noch keinen so eisigen Jahreswechsel erlebt. Auch im Januar sind die Temperaturen dort tagsüber eisig, die gefühlte Temperatur erreicht durch den schneidenden Wind oft sogar -35 Grad. Heute, am 30. Januar zeigt mir meine Wetter-App für Ontario grade auch nur -26°C, nachts fällt die Temperatur diese Woche sogar wieder auf -30°. Die Extremkälte ist sicher äußerst unangenehm, doch die Bilder, die sie für Simone gezaubert hat, sind einfach wunderschön. Dass selbst die Niagara Fälle einfrieren können, habe ich mir bisher noch nie bewusst gemacht. Simone hat auch dieses Naturschauspiel eingefangen.
Simone hat mehrere Katzen, unter anderem einen wilden kleinen Streunerkater, der so scheu ist, dass er sich auch bei Extremkälte nicht ins Haus wagt. Doch er bleibt in der Nähe, lässt sich füttern und genießt die liebevolle Fürsorge. Simone macht es ihm leicht. Der Kleine schläft in einer isolierten Hütte mit Heizmatte und ist sogar stolzer Besitzer eines beheizten Wassernapfs. Wie schade, dass er seine Geschichte nicht erzählen kann. Ob er schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hat und sich daher vor lauter Angst nicht ins warme Haus traut? Vielleicht hat er auch nur als Kitten die sensible Prägephase verpasst und erst viel zu spät Menschen kennen gelernt? Auf jeden Fall ist für ihn gesorgt, und man sieht, dass es ihm trotz allem gut geht.
Ich habe seit ich denken kann eine Schwäche für Schneebilder und Schneemärchen. Schon immer war Andersens „Schneekönigin“ mein Lieblingsmärchen, und ich kann mich gut erinnern, wie ich als kleines Mädchen zusammen mit meiner Freundin am Fenster saß und nach dem mächtigen Schlitten der Schneekönigin Ausschau hielt. Wir wussten, dass sich um die eisige Luftkutsche, die von starken Schneepferden gezogen wurde, die Flocken zu wundersamen Gestalten ballten. Wenn man nur lange genug wartete, entdeckten man sie sogar, all die geheimnisvollen Polargänse, aufgeplusterten Schneehühner, majestätischen Schwäne und eleganten Silberreiher. Und hing da hinten am mächtigen Schlitten der Königin nicht auch der hölzerne Kinderschlitten des kleinen Kai? Wie gern wären wir mit Gerda ausgezogen, um ihn zu suchen und sein gefrorenes Herz wieder aufzutauen, damit der Splitter aus dem Spiegel des Teufels endlich herausgespült werden konnte. Bis in den Eispalast wären wir mit Gerda und dem treuen Rentier gewandert und hätten ihm dort die kleinen Eisstücke zurechtgelegt. Denn Kai kann ja erst erlöst werden, wenn er das Wort „Ewigkeit“ liest. Warum es ausgerechnet dieses Wort ist, habe ich allerdings bis heute nicht verstanden. Aber Andersen wird sich schon etwas dabei gedacht haben.
Es gibt so viele schöne Wintergedichte, dass man ihnen eigentlich einen eigenen Beitrag schenken sollte. Manchmal bin ich dankbar, dass meine strenge Deutschnonne uns damals mehr oder weniger gezwungen hat, Gedichte auswendig zu lernen. Einige habe ich bis heute im Kopf, wenn auch nur bruchstückhaft.
„Der Wind nur geht bei stiller Nacht
und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seine Wipfel sacht
Und redet wie im Träume.“
(aus: „Verschneit liegt rings die ganze Welt“ von Joseph von Eichendorff)