Die alte Bibliothek der Liebfrauenschule stammt noch aus der Klosterschulzeit und erinnert offenbar nicht nur mich, sondern auch die heutigen Schüler ein bisschen an Hogwarts, die Schule von Harry Potter. Vielleicht liegt es am dunklen Holz, vielleicht auch an der ganz besondere Stimmung oder am typischen Bücherduft.
Inmitten von Büchern habe ich mich schon immer besonders wohl und sicher gefühlt, und selbst nach über einem halben Jahrhundert ist die Bibliothek in Mülhausen tatsächlich ein Stückchen Heimat für mich geblieben. Sehr verändert haben sich allerdings die Ordensschwestern. Sie sehen heute gänzlich anders aus als die strengen schwarzweißen Lehrerinnen aus meiner Schulzeit und haben mich durch ihre herzliche, entspannte Art tief beeindruckt. Überhaupt war es eine gelöste, heitere Atmosphäre, auch nach der Lesung gab es noch viele interessierte Fragen und persönliche Gespräche. Meine ehemalige Schule hat mich wirklich mit offenen Armen empfangen. Ich freue mich schon darauf, in derselben Bibliothek bald auch vor den SchülerInnen zu lesen.
Heute steht der Raum mit den hohen dunklen Regalen allen Schülern und Schülerinnen offen, zu meiner Zeit war er noch ein gut gehüteter Geheimbereich, den nur wenige betreten durften. Viel zu selten hatte eine von uns das Glück, auserwäht und zum Sortieren oder Katalogisieren mit hinein genommen zu werden. Damals roch die Bibliothek noch weit stärker nach Gewürzen, Staub der Weisheit und ehrwürdigem Papier. Wenn man sie betrat, wurde einem gleich so feierlich zumute, dass man automatisch die Stimme senkte. Das ist heute wahrscheinlich nicht mehr so. Ich meine mich zu erinnern, dass hier gelegentlich auch Klausuren nachgeschrieben wurden. Die guten Geister der Bibliothek hatten am Tag meiner Lesung überall Vasen mit wunderschönen riesigen Sonnenblumen verteilt, die schon von weitem leuchteten, so dass es nicht nur „buchig“, sondern auch nach frischem Herbstgarten roch. Der Strauß, den ich mit nach Köln nehmen durfte, hat mich über eine Woche lang erfreut und wird dies auf den Fotos, die ich von ihm gemacht habe, sicher noch sehr lange tun.