Mitte der 1980er Jahre zog ich aus der wuseligen Kölner Südstadt ins damals eher beschauliche Belgische Viertel, das zu dieser Zeit noch ein echter Geheimtipp war. Ich fühlte mich dort gleich zu Hause und freue mich bis heute jedes Mal, wenn ich in die Maastrichter Straße einbiege und die vertrauten Türme von St. Michael sehe. Obwohl ich schon seit zwanzig Jahren im „Wilden Westen“ Kölns lebe, bekomme ich manchmal noch richtiges Heimweh nach „meinem“ alten Viertel. Deshalb spielt dort auch mein nächster Roman. So wohne ich zumindest im Buch direkt gegenüber von St. Michael und genieße den Blick auf die Bäume, den Platz und die Kirche.
Zu meiner Überraschung öffnete 1989, als man von Halloween in Köln noch wenig wußte, ein ungewöhnlicher Laden an der Ecke Maastrichter und Brabanter Straße und schmückte sich Ende Oktober auch gleich mit Hexen und Geistern. Da ich gerade in den USA gewesen war und als Übersetzerin ohnehin vor allem amerikanische Bücher ins Deutsche übertrug, kam mir das bunte Fleckchen Amerika in unserer Straße gerade recht. Abends, wenn ich müde vom Englischunterricht nach Hause kam, begrüßte mich schon von weitem die strahlende Leuchtreklame. Da ich nur wenige Häuser entfernt wohnte, kam ich jeden Tag an den Schaufenstern und den riesigen Figuren vor dem Geschäft vorbei. Im Sommer war es eine Freiheitsstatue, die an Halloween gar mit einem Kürbis geschmückt war, im Winter ein illuminierter Schneemann oder Father Christmas höchstpersönlich.
„FRANTA“ brachte amerikanisches Flair ins Viertel und Farbe in den Alltag. Leider konnte ich mir zunächst keines der tollen Objekte leisten. Bis ich mich eines Tages in Nipper, den traurig blickenden Hund von „His Masters Voice“, verliebte, den ich später Murphy taufte und der auf meinem Schreibtisch immer noch treu und brav Wache hält. Merkwürdigerweise teilte mein Maine Coon-Kater Ben diese Liebe, und ich fand ihn oft genug pfötchenhaltend mit Murphy vor. Meine amerikanischen Katzen Cisco, Ben, Elaine und Alice spielen im Buch eine wichtige Rolle. Und Marigard, die Erzählerin, bekommt von Frau Franta (genau wie ich) einen besonderen Nachbarinnen-Sonderpreis, als sie sich (genau wie ich) in Murphy verguckt.
Außer dem eigentlichen Laden gibt es auf der Maastrichter Straße auch in anderen Gebäuden „FRANTA“-Schaufenster, und im gegenüberliegenden Parkhaus befindet sich eine große Galerie, die man allerdings erst auf den zweiten Blick entdeckt.
Inzwischen sind die Wohnungen im Belgischen Viertel, das bis heute mein Seelenviertel ist und von mir (mindestens!) zweimal im Monat besucht wird (schon weil ich mein Schwarzbrot grundsätzlich nur in der Bäckerei „Zimmermann“ kaufe), extrem teuer und begehrt. Vor allem gut Betuchte lassen sich heute hier nieder, und auch die Geschäfte, Galerien und Kneipen haben sich verändert und auf den wachsenden Touristenstrom eingestellt.
Im Sommer ist der Brüsseler Platz nachts kaum wiederzuerkennen, weil er so laut und überfüllt ist. Doch tagsüber sind die Straßen manchmal noch so still wie früher, als unser gemütlicher Briefträger Hans Kranz, die „Seele des Viertels“, dort die Post austrug und für jeden Bewohner ein freundliches Wort hatte. Ich habe ihn zum Glück schon damals für meinen Roman ausgiebig interviewt, genau wie den schrillen Paradiesvogel Hermann Götting, der täglich mit ausgefallenen Kostümen und Hüten in Begleitung seiner Hunde im Belgischen Viertel Hof hielt. „Dann möchte ich aber auch ein eigenes Kapitel!“, hat er damals gemeint. Das hat er auch bekommen. Wie schade, dass die beiden das Buch nicht mehr lesen können.
Auch längst verschwundene Läden gibt es bei mir noch, etwa die Krimi-Buchhandlung „Alibi“ mit ihrem Besitzer Manni Sarrazin, die große italienische Eisdiele am Brüsseler Platz mit Hofterrasse, den Kinderbuch- und Spielzeugladen „Gebrüder Grimm“ (am Mauritiussteinweg), die BUNT-Buchhandlung (in der Ehrenstraße), die Reisebuchhandlung „Gleumes“ (am Ring) sowie in völlig verwandelter Form und an anderer Stelle das Antiquariat „Heybutzki“, das früher am Rudolfplatz war. Einige meiner Lieblingsgeschäfte wie „FRANTA“ und „Papelito“ (im Kwartier Latäng) sind geblieben. Rolf Ormanns, der einstige „Herr Papelito“, lebt leider nicht mehr, doch auch er wußte von meinen Buchplänen und hatte Lust auf einen kleinen Gastauftritt. Über seine wimmelige Schatztruhe und deren neue Besitzerin werde ich noch einen eigenen Beitrag schreiben, genau wie über Hermann Götting. Die Fotos dazu habe ich schon. Etliche „Papelito“-Schätze habe ich natürlich als echte Sachensammlerin auch hier bei mir im Haus.
Americana sind sicher nicht jedermanns Geschmack, aber mich haben die Möbel und Leuchten, die ausgefallenen Designartikel, die eindrucksvollen Ventilatoren, die großen und kleinen Walt Disney Figuren und die riesigen Jukeboxes im „FRANTA“ immer fasziniert. Dort findet man neben echten Klassikern und Kultobjekten des 20. und 21. Jahrhunderts, die man übrigens nicht nur kaufen, sondern auch für Partys, TV-Beiträge oder Filme mieten kann, noch viele andere Gegenstände, zum Beispiel US-Nummernschilder und Reklameschilder (eins davon hängt heute in unserer Küche). Eindrucksvoll finde ich auch den verstellbaren Frisierstuhl mit Pferdekopf für Kinder. Alles wird liebevoll zusammengetragen vom Eigentümer Georg Franta, der mir freundlicherweise auch die Fotos zu diesem Artikel zur Verfügung gestellt hat und wahrscheinlich zu jedem Stück eine lange Geschichte erzählen kann.
Er weiß genau, woher seine Schätze kommen: Der einarmige Bandit stammt aus Illinois, der eine Flugzeugpropeller aus Alabama, der andere aus Dallas, das Postoffice kommt aus dem Wilden Westen, das Holz-Surfbrett aus Florida, das alte Motorboot aus Miami, und die Tanksäule ist aus Manhattan, und zwar aus der Zeit des Art Deco. Pünktlich zu Halloween leuchten bei „FRANTA“ immer noch die Kürbisse, Geister und Hexen. Das Antiquariat in meinem Buch leiht sich jedes Jahr einige aus, damit es auch am Brüsseler Platz richtig schön gruselig wird. Mein Buchvater, der Übersetzer Martin Baker, ist schließlich Amerikaner. Übrigens backt er überaus leckere Halloween-Cupcakes und kocht die beste Kürbissuppe, die man sich vorstellen kann. Ein begnadeter Koch ist er nämlich auch.