Nur gut, dass ich alles, was ich an positiven Gefühlen für den Sommer aufbringen kann, schon vorige Woche aufgeschrieben habe, denn diese Woche wäre ich dazu definitiv nicht mehr in der Lage. Heute morgen in der Früh war es in unserem Badezimmer so heiß, dass ich das Gefühl hatte, das Tropenhaus im Zoo zu betreten. Oder die Wüste. Mein hochsensibler Temperaturregler ist ja leider im Wärmebereich besonders empfindlich eingestellt. Im Sommer habe ich oft das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, nicht mehr durchatmen zu können, was bei mir früher häufig zu Angstanfällen führte, denn schneller Puls, Schwitzen, Kopfdruck, Übelkeit und Schwindelgefühl sind oft auch Symptome bei Angst, und irgendwie hat mein Körper das häufig durcheinander gebracht. Zum Schluss bringt mich meine Alarmanlage zum Ausrasten, und ich brülle verzweifelt los wie eine Löwin. Wie ich gerade feststelle, bin ich ab 39° nicht mehr zurechnungsfähig. Ich rede Unsinn, bin desorientiert, habe lästige Wortfindungsstörungen und das ungute Gefühl, völlig kraftlos zu sein. Als wäre mein Akku leer. Mein Mann tut mir leid. Im Sommer teilt er sein Leben mit einer hochexplosiven Frau, bei der man nie weiß, wann sie in die Luft geht. Möglicherweise platze ich eines Tages. Oder verdunste. Oder löse mich sonstwie in meine Bestandteile auf. Ich entschuldige mich morgens schon für alles, was da kommen mag. Und abends natürlich nochmal. Für alles, was da gekommen ist. Und das kann eine Menge sein. Ich kann es nicht ändern, auch wenn ich es noch so sehr versuche. (Ja, ich weiß schon: „Stell dich nicht so an!“ Aber so einfach ist das nicht.)
Gestern und vorgestern hatten wir das Pech, bei Bullenhitze im Auto unterwegs zu sein. Auf der Hinfahrt nach Marburg gab das Tomtom plötzlich den Geist auf. „Ladevorgang abgebrochen, Gerät zu heiß“. Das Gerät hatte mein vollstes Mitgefühl. Es fühlte sich glühend heiß an, und ich nahm es von der Halterung und schaltete es aus. Dann hielt ich es erst in die Kühlung und legte es dann auf meine Tasche. Als ich es nach einiger Zeit wieder anstellte, war es hitzegeschädigt. Es zeigte keine Baustellen und Staus mehr an und hatte keinen Schimmer, dass die blöde Brücke in Marburg, über die wir sonst immer in die Stadt kommen, gesperrt war. Verbockt wie es war, wollte es immer wieder auf die Brücke, egal, was wir machten. Jannik (die Tomtom-Stimme) wurde zunehmend leiser, vielleicht wollte er damit Energie sparen, während die merkwürdigsten Straßenangaben im Display lustig hin und her sprangen. Die Daueranzeige „Straße ohne Namen“ ist eine Meldung, die einen bei Hitze nicht wirklich erfreut. Wir kurvten gefühlte Stunden durch Marburg (überall gesperrte Straßen und Baustellen) und wussten nicht, wo wir waren. Das Tomtom offenbar auch nicht. Jannik erst recht nicht. Bis wir schließlich vor dem Freibad standen. Ich glaube, es heißt Sommerbad. Ich rastete aus, doch im Gegensatz zu Jannik wurde ich immer lauter. Nach einer Ewigkeit kamen wir dann trotzdem an.
Im Hotel schleppte ich mich gleich unter die Dusche, umziehen musste ich mich sowieso, denn Frau und Kleidung waren, wie meine Mutter immer so schön sagte, „patschnass geschwitzt“. Nur gut, dass ich so viel Ersatzkleidung mithatte. Eine Stunde später hätte ich schon wieder duschen können. Gegen Mitternacht habe ich es dann endlich getan. Obwohl unser Raum einigermaßen klimatisiert war. Mir war es trotzdem zu heiß, und irgendwie schafften wir es nicht, die Temperatur niedriger einzustellen. Egal. Die Klimaanlage war so laut, dass sie mich störte, also Ohrstöpsel rein. Ohrstöpsel bei Wärmestau sind nicht so toll. Der beste Ehemann von allen sagte nicht: „Dir kann man es aber auch nie recht machen“. Dazu ist er zu höflich. Er schwieg gequält. Er hatte Rückenschmerzen und war nicht gut drauf. Trotzdem hat er mir vorgelesen. Sommerlektüre. „Ferien auf Saltkrokan“. Das beruhigt mich. Leider sollte der nächste Tag noch heißer werden. Wir checkten aus, mussten allerdings noch bis drei bleiben.
Gegen neun begab ich mich in die Oberstadt. Meine Spiegelreflexkamera hatte ich nicht dabei. Zu schwer. Zu warm. Und überhaupt. Mit der kleinen machte ich Fotos. Ein älterer Herr meinte freundlich „Ich habe gesehen, wie sie grade hochgeschaut und fotografiert haben. Ihre Augen möchte ich haben! Ich gehe hier jeden Tag vorbei, und der fällt mir gar nicht mehr auf!“ Er meinte den Batman, der kopfüber zwischen den Fachwerkhäusern hängt. Das war dann aber auch schon das Highlight des Tages. Der Kinderbuchladen, auf den ich mich so gefreut hatte, war umgezogen, so dass ich wieder zum Marktplatz zurückkehrte, mich auf eine Bank setzte und anfing zu schreiben. Das ging gerade noch. Einen Laden schaffte ich auch. Er war total sticksig, aber es gab da Bastelkram für meine Mäuse. Danach machte ich schlapp, knallte mich vor ein Café und kippte so viel kaltes Mineralwasser in mich hinein, bis mein pflegeleichter Magen leise seinen Unmut bekundete. Ja, ich weiß, dass eiskalte Getränke bei Hitze nicht gut sind, aber ich hatte nun mal das Bedürfnis, und so viel Freiheit muss sein. Zum ersten Mal zeigte ich dem schönen großen Buchladen, den ich in Marburg sonst IMMER aufsuche, die kalte oder vielmehr heiße Schulter. Aber ich konnte ihn von meinem Tisch aus sehen. (Mein Mann war geschockt, als ich ihm das später mitteilte. „Kein einziges Buch? Geht es dir so schlecht?“) Ich war auch nicht in dem gemütlichen Café Vetter, in das ich sonst IMMER gehe. Nach der Mineralwasser-Episode schleppte ich mich mit letzter Kraft zurück in die relativ kühle Hotelhalle, um dort schräg im Sessel hängend auf meinen Mann zu warten.
Doch zuerst musste ich noch meine Maus-Basteltüte im Auto verstauen. Dabei wurde mir siedend heiß klar, dass ich wirklich kurz vor dem Ausklinken stand. Ich fand den Aufzug zur Tiefgarage nicht mehr (es ist derselbe wie zu den Zimmern!) und rannte mindestens zehnmal hin und her, weil ich plötzlich dachte, er wäre in einem anderen Flur. Zum Schluss musste ich peinlicherweise die Dame an der Rezeption fragen, die mich komisch anguckte. Dabei kenne ich dieses Hotel seit 20 Jahren. Das ist mir da noch nie passiert! Endlich vor der Tiefgarage fand ich die Tür zu den Parkplätzen nicht. Und dann sah ich unser Auto nicht, obwohl es genau vor mir stand. Schwere temporäre Hitzeblindheit.
Eigentlich hätte ich am liebsten schon wieder geduscht, aber wir hatten ja das Zimmer nicht mehr. Zu Lesen hatte ich auch nichts dabei, weil ich fest davon ausgegangen war, dass ich in der Buchhandlung zuschlagen würde. Also las ich im Handy meine Mails und die digitale „New York Times“ mit den neuen Artikeln über Trump und Boris Johnson. Zwei Stunden später kam mein Mann, und ich stieg matt und triefend ins Auto.
Das Tomtom warnte bereits in der Tiefgarage „Ladevorgang abgebrochen, Gerät zu heiß“, obwohl es sich total kühl anfühlte. Leider war der Akku so gut wie leer. Na toll! Offenbar hatte Tomtom einen bleibenden Schaden davongetragen. Seine Stimme Jannik auch. Wir beschlossen, Tomtom und Jannik trotz allem so lange anzulassen, bis wir den Weg allein finden konnten. Jannik war mittlerweile voll durch den Wind, obwohl er auf meinem Schoß lag und gar nicht in seiner hitzeanfälligen Halterung steckte. Er redete nur Unsinn! Mitten auf der Autobahn, neben uns donnerte grade ein Laster vorbei, stellte er uns eine Frage, die wir bei dem Krach leider nicht verstanden. Wahrscheinlich nuschelte er mit voller Absicht. Wiederholen wollte er sie jedenfalls nicht. Stattdessen plärrte er stur: „Sagen Sie ja oder nein!“ Wenn man nichts sagte, kam: „Bitte wiederholen Sie! Ja oder nein!“ Mit zunehmend bedrohlichem Unterton. Irgendwann schrie ich entnervt „Ja, du Idiot!“, woraufhin er „Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden, bitte wiederholen Sie! Ja oder nein!“ sagte, und ich so laut „Ja! Ja! Ja!“ brüllte, dass meinem Mann fast die Ohren abfielen. „Ja“ ist in Zweifelsfällen besser als „nein“. Dachte ich. Leider ein Fehler. Jannik seufzte erleichtert und verkündete dann freundlich und gut verständlich: „Neues Ziel: nächste Zahnarztpraxis“. Das Display nudelte kurz und präsentierte uns sogleich den Namen eines Zahnarztes in Weißderteufel bei Wetzlar. Die Praxis hieß Pirandello oder Paparello oder so. Irgendwas, das bei mir Zirkusassoziationen hervorrief. Ich änderte das Ziel manuell, doch danach zeigte Tomtom nur noch Pfeile im Schneckentempo oder gar nichts, und Jannik war verstummt. Möglicherweise vor Zahnschmerzen. Offenbar brauchte er den Zahnarzt wirklich dringend. In meinem Kopf spukten inzwischen Visionen von kühlen nordischen Häusern herum. Grün-Weiß-Rot. Muss wohl an „Ferien auf Saltkrokan“ liegen. Für richtig kalte Schneebilder fehlte mir eindeutig die Energie.
Zum Glück kannte mein Mann den Weg und schaffte es auch ohne die Hilfe von Tomtom und trotz seiner halluzinierenden Beifahrerin. Mit letzter Kraft stieß ich mein Mantra aus: „Tut mir echt leid, aber das hat nichts mit dir zu tun! Das ist nur die Hitze! Ehrlich!“ Mein Mann war so klug, nichts zu sagen. Draußen herrschte inzwischen Backofentemperatur. 42 Grad. Sagte jedenfalls der Info-Anzeiger, aber es war bestimmt noch viel, viel heißer. Als absolute Krönung machte urplötzlich die Klimaanlage schlapp und blies uns heiße statt kühle Luft um die Ohren, so dass wir sie ausschalten mussten. Das gab mir den Rest. Ich wäre fast kollabiert, und mein Mann warf mir besorgte Arztblicke zu und meinte: „Halte bitte durch!“ Die nordischen Bilder waren inzwischen Visionen von eisgekühlten Zitrusgetränken gewichen. Mit Zitronenscheiben. Und frischen Pfefferminzblättern. Daneben Riesenportionen Carameleis mit Salz. Das haben wir immer in der Truhe, weil ich es so liebe.
Kurz vor meinem Hitzschlag erreichten wir unser Heim. Der Garten sah ziemlich so aus, wie ich mich fühlte. Aber die Natur geht immer vor, wenn man hochsensibel ist. Auch bei 40°. Ich fütterte die Katze, wässerte ausgetrockneten Töpfe und schlaffe Stauden, leerte eine große Flasche kaltes Mineralwasser (ja, ich weiß, ist schlecht bei Hitze), und erst dann schleppte ich mich unter die Dusche, schaltete im Schlafzimmer (immerhin auch noch stolze 30° warm) die Klimaanlage an (in meinem Fall eine fürwahr lebensrettende Anschaffung) und knallte mich mit der Katze aufs Bett. Als ich mich wieder bewegen konnte, aß ich zwei Portionen Carameleis mit Salz. Mein Magen verstand mich und machte keinen Mucks. Was Temperaturen betrifft, ist er längst nicht so sensibel wie der Rest von mir. Ich hoffe, er hält durch bis zum Herbst.
Eine hübsche Geschichte, mit schönen Fotos (vor allem das Foto von dem begrünten skandinavischen Haus)!
Das Risiko solcher ‚Katastrophen‘ hält mich immer vom Reisen ab.
Glückwunsch, daß Sie die ‚Katastrophen‘ heil überstanden haben! Immerhin haben sie Ihnen zu der Geschichte verholfen.
Freundliche Grüße
Elisabeth Warnat-Ostermaier
Danke… Ja, im Nachhinein sind diese Schrecklichkeiten zum Glück oft ganz lustig. Viele Grüße!
Liebe Beate, dieser Artikel ist von all deinen schönen Artikeln die absolute Krönung, ich habe so gelacht und höre bestimmt nicht so schnell auf damit. Echt köstlich, deinen Artikel teile ich sofort 🙂
Ich schicke dir kühle Gedanken 🙂
Liebe Grüße,
Monika
Liebe Monika, danke für die kühlen Gedanken, die kann ich echt brauchen im Moment. Es freut mich sehr, dass der Artikel dir Spaß gemacht hat. Ich hoffe nur, dass sich Jannik bald wieder bekrabbelt. Erfrischende Sommergrüße an dich!
Wenn ich so schreiben könnte, wie Sie, dann wäre dieser Bericht durch und durch von mir!! :-))))) Ich musste sehr lachen, obwohl ich in diesem wohl bekannten Zustand überhaupt gar nichts zum lachen finde und durchdrehen würde, wenn ich die Kraft dazu hätte. Vielen Dank für Ihre Worte, ich fühle mich nicht mehr alleine im Sommer 😉
Vielen Dank für Ihre Nachricht! Ich freue mich auch sehr, dass ich nicht allein bin…. und ja, wenn man mitten drin steckt im Hitzestress, ist es alles andere als lustig. Zum Glück stehe ich immer auch einen Schritt neben mir und beobachte mich beim Ausklinken, auch wenn der literarische Niederschlag dann doch ein paar Stunden Verarbeitung braucht. Sommerlindernde Grüße an Sie!