Schreibstress
Alles, was wir nach Hause schrieben, wurde im offenen Umschlag eingesammelt und gelesen. Auch die Post, die wir erhielten, kam geöffnet an. Die Enttäuschung, wenn es nichts gab. Ich habe alles gehütet, wie einen Schatz. Zum ganzen Kurkummer kam allerdings erschwerend hinzu, dass ich ein Riesenpensum an Ansichtskarten und Briefen zu erledigen hatte. Meine Mutter hatte bereits alle vorgeschrieben. Ich schrieb sie brav ab, aber es waren einfach tierisch viele. Ich hatte damit jeden Tag Stress. Verwandte, Freunde, Nachbarn, Lehrer, Spielgefährtinnen mussten bedacht werden. Bloß keinen vergessen! Aber die Texte waren falsch! Meine Mutter hat es sicher nur gut gemeint. Auch hier hätte ich gestern in der Bahn fast wieder laut NEIN geschrien. Oder, lieber noch, geheult. Da war es wieder, das alte Kindergefühl. Was für ein Dilemma! Du darfst die Wahrheit nicht sagen, von allen Seiten wird dir eingeredet, was du zu fühlen hast, und du fügst dich auch noch. So was macht Kinder krank! Aber meine Mutter wusste natürlich besser als ich, wie es mir ging. Das habe ich damals mit zehn wirklich geglaubt.
„Hast du auch schon eine Karte an K. und W. geschrieben? Schreibe ihnen folgendes: „Aus dem schönen Niendorf sende ich euch herzliche Feriengrüße. Mir gefällt es hier sehr gut. Die Ostsee ist wunderbar! Ich genieße das Strandleben. Nochmals viele Grüße, eure Beate“ Schaue dir die Adressen im Notizbuch an, ob du allen geschrieben hast. Auch an D. kannst du dasselbe schreiben.“
„Hast du folgenden Leuten schon geschrieben: Frau W. (den Brief hatte ich dir vorgeschrieben), Tante M. (den Brief hatte ich dir vorgeschrieben), B.S., K.D., A.L., K.B., Tante L. bzw. A.? An die Kinder kannst du folgenden Text schreiben: „Dir und deinen lieben Angehörigen sende ich recht herzliche Feriengrüße. Mir gefällt es hier sehr gut. Wir bekommen viel Spaß! Die Zeit vergeht wie im Flug. Nochmals liebe Grüße, Deine Beate.“ Falls dir jemand aus den Ferien geschrieben hat, schreibst du ihnen noch : …. vielen Dank für Eure Post.“ Jetzt will ich im nächsten Brief hören, dass du das erledigt hast.“
Ich habe es erledigt. Oder vielleicht doch nicht ganz. Höchstwahrscheinlich haben alle Kinder mich um den tollen Urlaub beneidet!
„K. sagte mir, du hättest noch nicht an die Klasse und an Frau W. geschrieben. Tue es bitte umgehend. Lass die Karte aber bitte von Fräulein durchlesen, damit du an Frau W. keine Fehler schreibst. Hast du auch an Tante M., K. und A. geschrieben? Teile es mir bitte mit!“
In dieser Hinsicht konnte meine Mutter echt stressig sein. Ich spüre die Kindernot noch gut, während ich das hier schreibe. Aber gegen Ende der Kur ließ sich vieles leichter ertragen. Allerdings bitte ich in meinen Briefen mehrfach darum, die ersten Nächte bei meinen Eltern im Bett schlafen zu dürfen. Das haben sie mir dann auch erlaubt. Und ich bat auch darum, mein Bett nicht weiß, sondern bunt zu beziehen. Ob meine komische Abneigung gegen weiße Bettwäsche etwa heimbedingt ist? Ich hasse bis heute weiße Bettwäsche.
Im letzten Brief trägt meine Mutter mir auf: „Bitte, Kind, bedanke dich recht herzlich bei allen, die für dich gesorgt haben, und sage ihnen allen, daß es dir sehr gut gefallen hat. Bitte, das mußt du tun, denn du kannst deinen Betreuerinnen und den ehrw. Schwestern nicht genug danken.“
Ich habe mich dann tatsächlich für das ganze Leid dann auch noch bei allen bedankt. Ich habe immer getan, was meine Mutter sagte. Erwachsene wissen schließlich besser, was für Kinder gut ist, als die Kinder selbst. Aber ich muss trotzdem an vielen Stellen lächeln, wenn ich meine Kinderbriefe lese.
„Hier in Niendorf hat sich noch nichts geendert. Ich möchte aber so gern zu dir zurück. (…) Wenn ich zu Haus ankomme möchte ich zuerst zu meinen Kaninnchen. Dann teile ich meine Geschenke aus und esse dann eine Scheibe Rosbölf und Bratkartoffel. Am Freitag koche bitte Nudeln mit Marmelade und Apfelsaft dabei. Zum Nachtisch Annanas. Das sind meine Esswünsche.“
Ich frage mich, wie viele Briefe ich in der Unterhose aus dem Heim geschmuggelt habe. Es ist schon so lange her. Über fünfzig Jahre. Vielleicht kam auch einiges durch die Zensur, weil ich verschwieg, wie schlecht es mir wirklich ging? Die Briefe klingen nicht sonderlich gestresst. Oder doch?
Kranke Nächte
„Auß meiner Gruppe sind 8 krank. 2 im Krankenhaus und die anderen hier im Heim.“
In meiner Erinnerung erwischte es uns zweimal. Alle gleichzeitig. War es das Essen? Eklig genug war es ja. Die erste Durchfallnacht war der Horror. Wir krochen in besudelten Schlafanzügen durch den Schlafsaal, weil wir uns trotz des Elends nicht in den Flur wagten, zogen die schmutzigen Hosen aus, rollten sie zusammen und stopften sie in die Schränke, weinten, wussten nicht, was wir tun sollten. Warum kam die Nachtwache nicht nach uns sehen? Waren wir echt so leise? War es schon nach Mitternacht? Oder kam dann doch irgendwann jemand, und ich habe es nur vergessen? Ich erinnere die Zittrigkeit, den kalten Schweiß, dass wir immer zu zweit in den Waschraum liefen, als der Flur leer war, um die Sachen auszuwaschen. Aber jetzt waren sie leider klatschnass, das Wasser lief in den Schrank. Und immer noch nicht richtig sauber. Die guten Sachen! Am Morgen gab es erstaunlicherweise kein Donnerwetter, die Heimleute bekamen es wohl langsam mit der Angst zu tun.
„Hier regnet es immer. Ich muß meistens an den Betten von Kindern sitzen, denn die meisten sind hier krank. Schon die ganzen Wochen. Ich werde aber nicht angesteckt. 2 mal habe ich schon gebrochen. Vor Vorgestern und dafor.“
In der schlimmen Nacht ließ Frau Mahlzahn mich sogar ausnahmsweise raus in die Waschräume, weil sie begriff, dass ich mich jeden Moment übergeben musste und der Schwall auch sie hätte treffen können. Aber vielleicht bin ich auch in meiner Verzweiflung einfach so los gelaufen. Ich habe es nur ganz knapp geschafft. Mir war so hundeelend. Geholfen hat mir Frau Mahlzahn nicht. Ich stand klein und würgend vor den Becken, aus dem Spiegel starrte mein kalkweißes Gesicht zurück. Als es endlich vorbei war, trug ich alles mit zitternden Händen ins Klo, weil es das Waschbecken komplett verstopfte. Ich musste ziemlich oft hin und her laufen und weinte dabei. Frau Mahlzahn saß die ganze Zeit auf ihrem Stuhl. Sie sagte auch nichts, als ich zurück in den Schlafsaal schlich. Ich musste in dieser Nacht noch ein weiteres Mal in den Waschraum. Aber da war der Flur schon leer. Mein Bett blieb sauber. Ich habe übrigens keinerlei Erinnerung an die Gesichter dieser Heimfrauen. Ich würde Frau Mahlzahn bestimmt nicht wiedererkennen.
Der Waschraum
Ich weiß noch, welches Becken es war. Das erste links. Weiter kam ich damals nicht in meiner Not. Zum Klo war es viel zu weit. Trost durch Erwachsene gab es nicht, doch wir trösteten uns gegenseitig. Wer ins Krankenhaus musste, erinnere ich nicht. Überhaupt liegt über den Krankheitstagen eine dunkle Waberglocke. Vielleicht schützt mich da mein sonst so zuverlässiges Gedächtnis? In den Briefen ist es jedenfalls nur kurz nebenbei erwähnt.
Mich wundert, dass diese Briefe meine Eltern überhaupt erreichten, dass sie all die Jahrzehnte überlebt haben. Aber vielleicht wäre es aufgefallen, wenn ich einen Tag nicht geschrieben hätte. Meine Mutter nummerierte die Briefe, und ich schrieb jeden Tag, wie ich es versprochen hatte. Meine Mutter auch. Ich hoffe inständig, dass sie mit ihren Kontrollanrufen die Heimleitung richtig übel genervt hat. Sie war eine frühe Helikoptermutter und stand sogar mit den Betreuerinnen in Kontakt. Ich habe Briefe von Fräulein M. in Mutters Aktenordner gefunden. Aus der Ferne versuchte sie die ganze Zeit, ihre schützende Hand über mich zu halten. Viel geholfen hat es nicht.
Interessanter Artikel!
Danke, Steffen. Viele Grüße, Beate
1958/1959 wurde ich nach Villingen im Schwarzwald verschickt. M.E. war es ein katholisches Ferienheim. Es gab Haferschleimsuppe. Ich hatte beobachtet, dass ein Kind die Suppe nicht essen konnte. Er übergab sich und das Gebrochene floss auf den Teller. Das Kind (Ob es ein Junge oder ein Mädchen war, weiß ich nicht mehr) musste das Gebrochene essen. Ich hätte auch fast gebrochen, als ich das sah. Ich meine, ich wäre herausgelaufen. Dieses Erlebnis ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich war nur Zeuge, kein Opfer.
Liebe Roswitha,
das ist eine schlimme Erinnerung, die würde mich sicher auch nach Jahren noch verfolgen. Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum so viele „Tanten“ und „Fräuleins“ die Kinder damals zu solchen Scheußlichkeiten gezwungen haben. Und unsere Eltern waren sogar noch der Meinung, wir würden uns „erholen“!
Ganz liebe Grüße
Beate
Ich habe in Villingen zur gleichen Zeit das Gleiche erlebt. Das Kinderkurheim hieß „Sonnenwinkel“. Wer weiß etwas darüber, – es ist anscheinend „spurlos verschwunden“.
Lieber Dieter,
danke für den Kommentar. Vielleicht finden sich auf der fb-Seite „Verschickungskinder Deutschland“ andere Betroffene? Ich würde es da mal versuchen. Die Gruppe hat viele Mitglieder.
Viele Grüße
Beate
Liebe Roswitha Kaulbars,
war das das Haus Sonnenwinkel? Dort hat man nämlich mich auch 1958 oder im I. Halbjahr 1959 für 6 lange Monate zur „Erholung“ hingeschickt. Das eklige Essprozedere habe ich auch genau so erlebt.
Grüße
Leider kann ich diese Frage nicht beantworten, aber vielleicht liest Roswitha diesen Kommentar.
Viele Grüße!
Lieber Dieter Steinmüller
Ich war 1961 auch für 6 Monate dort und zwar im Rahmen einer TBC Maßnahme. Ich habe dort schreckliche Dinge erlebt, bin jedoch gut therapiert und kann mich über diese Erlebnisse ohne getriggert zu werden austauschen.
Hallo, habe deine Antwort erst jetzt gesehen. Bei mir ging es auch um TBC. Und es waren auch 6 lange Monate im Alter von 6 Jahren. Kennst du die Beiträge in der ARD Mediathek, „Verschickungskinder … „?
Darin wird vieles berichtet, was wir wohl auch genau so erlebt haben. Besonders erschüttert hat mich 1 Beitrag, glaube des WDR, in dem es auch um systematische Medikamentenerprobungen geht.
Ich frage mich seither, ob das der Grund gewesen sein könnte, dass mir so häufig Blut abgenommen wurde? Erinnerst du das auch so?
Gruß
Dieter Steinmüller
Lieber Dieter Steinmüller,
Das Haus Sonnenwinkel hatte es in sich. Dort waren nur 30 kranke Kinder untergebracht, die medizinisch von einem Kinderarzt betreut wurden, der nach dem Krieg Berufsverbot hatte (Nazi Vergangenheit?). Ich habe seinen Umgang mit mir als äußerst grob und übergriffig empfunden. So wurde mir mehrfach Magensäure entnommen, in dem man mir einen Schlauch brutal in den Schlund bis hinunter in den Magen schob. Man hat mich ein viertel Jahr lang mit Wurmkuren traktiert und mir Neoteben, das TBC Antibiotikum, verabreicht und verwundert meinen Eltern berichtet, dass ich mich öfter übergeben habe. Als ich mich geweigert habe, morgens den obligatorischen Löffel Honig auf nüchternen Magen zu essen, hat man mich festgehalten und mir die Nase so lange zugehalten, bis ich den Mund aufgemacht habe, um mir dann den Löffel hinein schieben zu können. Auch kann ich mich an weitere gewalttätige Übergriffe erinnern, die ich hier jedoch nicht ausführen möchte. Was die Blutabnahme betrifft, mir wurde monatlich Blut abgenommen, was auch bei den anderen Kindern üblich war, um die Entwicklung der Entzündung festzustellen. Nach dem halben Jahr „Kur“ kam ich zwar TBC frei nach Hause, war jedoch so erschüttert, dass ich mir die langen Haare abschneiden ließ und monatelang nicht gesprochen habe. In meinen Augen waren da wohl Kinderquäler am Werk, ich habe sie schon lange dafür verurteilt. Betroffene sollten dies vielleicht auch tun, das erleichtert. Liebe Grüße Gabriele Zieger
Liebe Gabriele,
das sind wirklich besonders schlimme und quälende Erinnerungen, es tut mir sehr leid, dass du so etwas durchmachen mußtest.
Ganz herzliche Grüße, Bee
Danke für die Antwort zum Sonnenwinkel. Das deckt sich riemlich genau mit meinen Erinnerungen. Wobei ich seinerzeit erst 6 Jahre alt war und das meiste zwischenzeitlich „vergessen“ hatte. Wer der Träger des Heims war, wissen Sie aber auch nicht mehr? In den 60er Jahren wurde es laut Archiv der Stadt Villingen wohl ein privates Kinderheim
Gruß
D. Stm
Im Kinderheim Marianne in Obermaiselstein, Allgäu, wo ich 1962 6 Wochen lang war, musste man das Erbrochene ebenfalls aufessen. Briefe an die Eltern wurden von den Betreuerinnen geschrieben, so dass zuhause jeder dachte, es ginge einem gut.
Liebe Christiane,
danke für deinen Beitrag. Es tut mir leid, dass du diese Scheußlichkeit auch miterleben musstest. Ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten Eltern dachten, es ginge ihren Kindern gut und sie würden sich in diesen „Kurheimen“ erholen. Was die Kinder dann später erzählten, wenn sie überhaupt etwas erzählten, wurde dann oft als „übertrieben“ dargestellt. Wir hatten keine Chance…..
Herzliche Grüße
Beate
Ich war da auch wohl Ende der 60iger oder Anfang der 70 iger.
Als ich dort ankam, war ich a Krischperl, und als ich wieder heim
kam nach 6 Wochen, war ich aus den Klamotten rausgewachsen und vom Gewicht propper. An die komische Haferschleim Suppe kann ich mich erinnern und dass dort Tiere waren, eine Sau, die Klara hieß. Das hab ich damals heim geschrieben. Wir waren in der Breitachklamm und am Hirschsprung. An mehr kann ich mich nicht erinnern
Gruß Jochen
Durch Zufall bin ich auf diesen Kommentar von Christiane zum Kinderkurheim Marianne gestoßen. Ich war als Kind ebenfalls dort für sechs Wochen (ca. 1963) und habe eine schlechte Erinnerung daran. Am schlimmsten war damals für mich, dass die „Tanten“ die Post korrigierten, wenn man etwas Kritisches nach Hause schrieb. Außerdem wurden Süßigkeiten, die die Eltern zum Geburtstag schickten, von den Tanten zurückbehalten und gegessen. Schlimm!
Ich bin durch einen Podcast über die Kinderverschickungen aufmerksam geworden. Mein Aufenthalt im Kindekurheim Marianne in Obermaiselstein war in 1974 als ich 8 Jahre alt war. Ich habe noch die Ansichtskarte, die ich meinen Eltern geschickt habe wiedergefunden. Der Text wurde uns diktiert. Ich habe nur schlechte Erinnerungen. Die Betreuerinnen haben nie mit uns gesprochen sondern uns wie im Gefängnis bewacht. Nach Ankunft wurden uns unsere Süßigkeiten, die wir von unseren Familien im Rucksack hatten, weggenommen. Die haben wir nie wieder gesehen. Im Speisesaal herrschte eine gespannte Atmosphäre, unter Aufsicht mussten wir essen. Ich habe die dicken Sülzeblöcke verabscheut. Wir haben an unserem Vierertisch untereinander die Speisen getauscht. Wie mussten oft Schuhe putzen. Vor dem Schlafraum bei geöffneter Tür saß die ganze Zeit eine Frau vor dem Zimmer. Man durfte nicht auf die Toilette gehen. Ein Kind war krank und war 4 ganze Wochen nur in ihrem Zimmer. Ich hatte großes Heimweh.
Hallo Andrea,
ich war auch 1974 im Haus Marianne. Leider habe ich nur bruchstückhafte Erinnerungen, weil ich erst 5 Jahre alt war. 2 der 6 Wochen habe ich isoliert auf der Krankenstation verbracht. Ich kann mich an den Zwang aufzuessen erinnern und an Toilettenverbot. Ich bin mit vielen Ängsten und verändert wieder nach Hause gekommen. Gerne würde ich „Lücken“ schließen.
Herzliche Grüße, Kerstin
Liebe Leidensgefährten, ich war 1979 im gleichen Kurheim in Obermaiselstein. Es war wie beim Militär und ich hatte großes Heimweh. Die Betten mussten perfekt, nach Vorlage, gemacht werden. In der Mittagspause durften wir (10 Jahre alt) kein Wort reden. Auf einem Ausflug bekam ich eine Ohrfeige, weil ich an einem Dorfbrunnen getrunken hatte. Es war ca. 30 Grad Außentemperatur und wir hatten nichts zu Trinken mit. Die Nonnen hatten nichts Christliches an sich und auch unsere Briefe wurden zensiert. Ich war glücklich, dass ich nach 6 Wochen nach Hause könnte.
Liebe Anne,
danke für deine Nachricht. Ja, die Erinnerungen sind wirklich schlimm. Es tut mir leid, dass du das erleben musstest.
Viele Grüße
Beate
Hallo Anne,
Ich selber war auch 1979 als 6-jährige in Obermaiselstein. Erinnere mich auch an viele schreckliche Sachen (aber auch schönes). Es gab als Vorspeise eine Art Fruchtsuppe mit Fettklößen drin, die war einfach eckelig. Unsere Pakete wurden geöffnet und wir durften uns nur eine Sache daraus aussuchen. Ich hätte Mal in die Hose gemacht, da müsste ich einen halben Tag bei der Oberschwester/-nonne auf einen einfachen Holzstuhl Strafe sitzen. Auch durfte ich nicht immer mit in den Pool, weil ich aufsäßig war oder mit zu den Wanderungen. Erinnere mich an den Musikraum im Keller und kenne immer noch die Lieder, die wir gelernt haben (Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen…., Unterm Dach Kühe, unterm Dach Kühe, hat der Sperling……). Im Dorf gab es einen Brunnen (ein ausgehöhlter Baumstamm), wo wir nicht trinken durften, egal wie durstig wir waren. Es gab eine Kindererzieherin, die uns immer versucht hatte zu beschützen. Ich bin immer wieder erschrocken, wie viele es von uns Verschickungskindern gibt. Ich hoffe, viele können das erlebte für sich verarbeiten. Liebe Grüße Jana
Hallo,
ich war auch im Kinderheim Marianne im Somner 1980, da war ich 10 Jahre und wurde dort 11. Vieles was hier geschrieben wurde habe ich auch so erlebt. Hier meine Erinnerungen:
Am Tag der Ankunft weiß ich, dass beim ersten Mittagessen viele Kinder geweint haben. Nach und nach wurden einzelne weinende herrausgeführt. Was da erzählt wurde weiß ich nicht, weil ich zu Beginn noch kein Heimweh hatte. Jedenfalls kamen die Kinder nicht mehr weinend zurück in den Essensraum.
Ich kann mich an diese Kaltschalensuppe erinnern in grün mit Glibbe drin, die mochte ich nicht. Ich war zum Zunehmen dort. Als ich Geburtstag hatte, bekam ich ein Päckchen, was ich vor allen aufgemacht habe. Die Süßigkeiten musste ich auch abgeben und habe sie nie wieder gesehen. Die Tanten hatten das so begründet, dass es eine Süßigkeit sein müsste, die man an alle verteilen kann und das war es nicht-also weg damit. Ein Spiel wurde glaube ich auch gespielt, jedenfalls wurde ein wenig zum Geburtstag gemacht.
An die Mittagsruhe und Abendruhe kann ich mich auch gut erinnern. Man musste liegen, durfte nicht reden und auf dem Gang ist immer eine Tante langmarschiert und hat dabei immer gesprochen: „Ruhe bitte, schlafen“ oder so ähnlich.
Einmal hatte ich mir bei einem Kiosk einen Lolli gekauft ( heimlich) und ihn bei der Mittagsruhe geschleckt. Leider hat mich meine Nachbarin verpetzt, weil ich sie nicht habe lecken lassen 🙃
Wir waren jeden Tag wandern und einmal waren wir in ein Gewitter geraten und die ganze Gruppe hatte sich dann in einem Kuhstall auf einer Weide Schutz gesucht- das war mal aufregend.
Ich weiß auch, dass wir Sonntags immer in die Kirche mussten und da ging ja immer jemand mit so einem Gefäß rum, was hin und hergeschwenkt wurde, wo Weihrauchduft rausströmte. Jedenfalls weiß ich, dass ein Kind davon in der Kirchenbank brechen musste.
Die Briefe wurden kontrolliert, es gab bestimmte Tage, wo alle schreiben mussten. Weil meine Eltern schonmal davon gehört hatten, dass die Briefe kontrolliert werden, hatten wir ein Zeichen vorher ausgemacht: Herzen für alles gut und Sterne für schlecht. Ich hatte erst zum Ende der Kur mal einen Stern gemalt, da hatte ich auch Heimweh.
Ja, es war sehr streng dort, ich hoffe, es war 1980 schon etwas besser. Mit dem Erbrochenem aufessen in den 60 er Jahren, was ich gelesen habe ist echt krass.
Ich war letztes Jahr im Herbst in Oberstdorf und da bin ich einmal nach Obermaiselstein gewandert und an dem Haus, was heute ein Mutter-Vater Kindheim ist, vorbeigewandert.
Achja, die Skischanze in Oberstdorf hatten wir mal besucht damals.
Am Tag vor der Abreise gab es doch im Kinderheim einen Raum, wo viele Andenken zum Verkauf lagen. Da konnte man sich was von seinem Taschengeld kaufen. Ich hatte so eine Brunnentränke in Miniatur aus Holz gekauft. Ich weiß noch, dass meine Eltern nach der Kur noch einen Brief bekommen hatten aus Obermaiselstein, wo sie etwas Geld bezahlen sollten, weil ich mehr ausgegeben hatte als ich Taschengeld hatte. Das war auch merkwürdig, wir wussten ja garnicht wie viel wir hatten.
Das war es von mir, ich habe alle Briefe aufgehoben, die ich in Obermaiselstein bekommen habe.
Hallo, Stefanie, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Diese scheußlichen Kaltschalen gab es in meinem Heim auch. Die Idee mit den Herzen und Sternchen finde ich genial, schade, dass meine Eltern an so etwas nicht gedacht haben, dann hätten sie bald gesehen, wie ich mich wirklich fühlte im „Kinderkurheim“. Liebe Grüße, Bei
Ich war bereits 1964 im Kinderheim Marianne und kann den Kommentaren nur entnehmen, dass sich später nichts geändert hätte. Auch ich musste Erbrochenes aufessen und nachts dürfte man nicht zur Toilette, was zur Folge hatte, dass Einige ins Bett gemacht haben. Dies wurde wiederum vor der Gruppe bloßgestellt und es gab Stubenarrest. Ansonsten stimmen Eure Berichte mit dem überein, was ich erlebt habe. Ich kann als eingeschüchtertes Kind zurück und habe erst sehr spät meiner Mutter davon erzählt (es war kurz vor ihrem Tod).
Gerlinde
Liebe Gerlinde,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich denke, wir haben alle ganz ähnliche Erinnerungen und nur ganz wenige von uns konnten danach über die schlimme Zeit reden.
Herzliche Grüße aus Köln, Bee
Hallo Gerlinde,
war 1959 mit knapp 7 Jahren im Kindeheim Marianne, welches damals noch Bergmännle hieß;
wenn man abends nicht aufgegessen hatte mußte man in den dunklen Kohlenkeller………
Hallo Gerlinde.
Ich war im Dezember 1965 im Kinderheim Marianne in Obermaiselstein, habe eine Postkarte meiner älteren Schwester aufgehoben, da war ich 6 Jahre alt. Viele Erinnerungen habe ich nicht mehr, wahrscheinlich auch verdrängt. Das immer alles aufgegessen werden musste, fand ich sehr schlimm, ich sollte ja zunehmen! Ich war auch krank und war dann im Zimmer isoliert, das Heimweh war schon stark. Wir Kinder untereinander hatten keinen Streit, eine meiner Tischnachbarinnen hat mir bei der Milchsuppe geholfen (heimlich), ich habe dafür den Apfel komplett aufgegessen.
Ich kam krank und abgemagert nach Hause (eine lange Zugfahrt inklusive). Es war auch immer kalt und die Tanten habe viel mit uns geschimpft.
Das es so viele Kinder gibt, die das durchmachen mussten, macht mich immer noch traurig. Habe auch erst sehr spät davon gehört. Mit den Eltern war es nicht wirklich möglich darüber zu sprechen, warum auch immer…!
Es war mir ein Bedürfnis einfach mal eine kleinen Beitrag dazu zu schreiben.
Liebe Grüße und Danke für Deinen Beitrag Karin
Hallo Stefanie, ich war ebenso im Sommer 1980 dort, ebenso mit 10 Jahren. Ich empfand das ganze auch als Horror und kann mich nur noch bruchstückehaft erinnern. 1x in der Woche Fernsehen (Käfer Dudu), Wanderungen und Breitachklamm sind die guten Erinnerungen. Ansonsten auch nur fürchterliches Heimweh, Kontrolle, Verbote, Haferschleimsuppe und die garstigen Nonnen.
Guten Abend,
Es macht mich so unendlich traurig, von so vielen schrecklichen Kinderheimerfahrungen zu lesen.
Ich war auch im Kinderheim Marianne in Obermeiselstein im Januar/Februar 1962 mit 6 Jahren. Von den 6 Wochen habe ich gefühlt 4 Wochen den Tag im Bett verbracht, weil ich so gut wie nichts gegessen habe und zu Strafe nicht aus dem Schlafsaal raus durfte. Ich habe erst gestern mit meiner 96 jährigen Tante gesprochen, die mir noch mal bestätigt hat, dass weder sie noch meine Eltern mich bei meiner Rückkehr auf dem Bahnsteig in Hannover erkannt haben, so erbärmlich dünn und blass habe ich ausgesehen. Auch ich habe wochenlang fast nicht gesprochen und war sehr verängstigt.
Liebe Grüße an die vielen Leidensgenossen*innen
Ich war auch 1963 in Obermaiselstein. Alles hier Aufgezählte stimmt. Ich erinnere mich mit Grauen, wie ich mein Erbrochenes aufessen mußte und mit dem Kopf in das Erbrochene gestupst wurde.
Nachts machten einige ins Bett, da man sich nicht erwischen lassen durfte, auf die Toilette zu gehen. Die Strafe fürs Bettnässen war dann Bloßstellung vor den Anderen und Stubenarrest.
Mein Geburtstagspäckchen habe ich nur von weitem gesehen; der Inhalt wurde irgendwo geleert und die Trauer und das Heimweh habe ich versucht, in einem „unzensierten“ Brief zu äußern, den ich jedoch nicht abschicken konnte, da ich bei der Besorgung von Briefmarken erwischt wurde.
Als ich aus der „Kur“ zurück kam, war ich verändert…
Diese Traumata haben mich mein Leben lang geprägt und sind meines Erachtens ausschlaggebend für eine spätere Angstneurose, die mich mit anderen seelischen Erkrankungen mein Leben lang begleitet.
Heike
Ich war 1964 für 6 Wochen im Winter im Kinderheim Marianne, alles was beschrieben wurde ist absolut richtig. Ich war damals 9 Jahre alt und gehörte zu den Großen. Die Kleinen taten mir immer so leid, weil sie so viel weinten. Der ganze Aufenthalt war aber auch für mich eine Qual. Die Nonnen waren Drachen, vor denen alle Angst hatten. Wir waren alle eingeschüchtert und wurden blamiert, schikaniert und kindverachtend verhandelt. Man war ihnen hilflos ausgeliefert. Urvertrauen wurde da gebrochen. Es war so schlimm dort, dass ich erst im Erwachsenenalter einiges von den Misshandlungen und Missachtungen durch die Nonnen meinen Eltern erzählt habe. Wenn ich heute daran denke, wird mir immer noch schlecht! Ich war die ganze Zeit nur traurig. Gefühlt waren wir nur einmal in der Woche draußen im Schnee. Man sollte sich ja nicht nassmachen. Es gab ein/zwei Ausflüge ins Umland, das war’s. Extrem fand ich auch die Bewachung, nicht sprechen dürfen am Abend und bei der Mittagsruhe (2std.), für 10 Jährige eine Katastrophe. Wenn man weinte, wurde man im Speisesaal verhöhnt. Ich habe lange auf ein Päckchen von zuhause gewartet, in dem mir mein Schmusetier zugeschickt wurde. Ich habe öfter nachgefragt und wurde ausgelacht, und dann, als es endlich kam, total verhöhnt. Glücklicherweise hat sich eine Hilfsschwester, die leider nur kurz da war, besonders auch um mich gekümmert. Ich fühlte mich so alleine und hilflos, das muss sie wohl bemerkt haben. Sie schlich sich manchmal am Abend noch leise in mein Zimmer und hat mich getröstet. Ich könnte ein Buch verfassen über die Greueltaten. Wir wurden nie geschlagen, aber erniedrigt. Besonders auch die Jungs traf es sehr hart. Manche wollten sich halt nicht fügen. Die haben mir damals sehr imponiert. Wir Mädchen waren ja brav… und trotzdem hatten wir Angst, machten in die Hose, ekelten uns vor dem Essen und empfanden es als erniedrigend, dass unsere Post diktiert und gelesen wurde. Eine schreckliche Erfahrung als Kind, die mich verändert hat. Zu der Zeit hab ich nicht widersprochen und meine Eltern geschont. – Die meinten es ja gut.
Danke für Ihre Erinnerungen, die auch in mir gleich wieder alte schlimme Bilder heraufbeschwören. Wie gut, dass wir jetzt endlich eine oder sogar viele Stimmen haben, die auch gehört und ernst genommen werden. Viele Grüße aus Köln!
Ihr Lieben,
es ist erschreckend die ganzen Geschichten durchzulesen. Dadurch fühle ich mich bestärkt auch meine Geschichte anzureihen. Ich war 1975 im Alter von 5 Jahren im Heim Marianne in Obermaiselstein und hatte bisher nur zwei bruchstückhafte Erinnerungen, da ich so jung war. Das waren keine guten, es ging um Erbrechen und auf einem harten Boden sitzen und frieren….und natürlich HEIMWEH ohne Ende. Jetzt, da ich Eure Geschichten durchgelesen habe, schließen sich langsam einige Lücken. Nun kann ich mich erinnern, daß es sich bei dem Erbrochenen um Rosenkohl handelte, den ich unbedingt aufessen mußte, und aufessen mußte, und aufessen mußte.
Ich möchte mich so gerne mit jemandem austauschen, der 1975 auch in diesem Heim gewesen ist und bin auf der Suche nach Gleichgesinnten. Liebe Grüße, Katrin
Liebe Katrin, vielen Dank für deine Geschichte. Vielleicht liest sie jemand, der gleichzeitig mit dir in dem Heim war.Ich habe bisher auch noch niemanden aus meiner Gruppe damals wiederfinden können. Herzliche Grüße!
Hallo,
war ebenfalls dort, mit 11 Jahren, 1973, ein einziger Alptraum.
Guten Tag zusammen, ich war im Mai 1969 auch im Kinderheim Marianne und war mir gar nicht bewusst, dass ich auch ein „Verschickungskind“ war. Erst als ich gestern bei planet wissen die Sendung darüber gesehen habe, ist es mir bewusst geworden.
Jetzt habe ich ein altes Foto entdeckt…an vieles kann ich mich leider nicht mehr erinnern, ausser dass einem das Sprechen beim Essen verboten war, auch Frage waren nicht erlaubt. Päckchen bekam ich auch nicht, da ich zum Abnehmen hingeschickt wurde. Aber auch ich hatte Heimweh, war ja gerade mal sieben. Zu Hause hatte ich auch keine Zuhörer, habe alles für mich behalten…hätte mir ja sowieso niemand geglaubt bzw. vielleicht sogar für richtig gehalten. Danke an Alle für die Offenheit. Ich bin wirklich erschüttert über diese Erkenntnis auch ein Verschickungskind gewesen zu sein. Viel Licht und Liebe für alle!
Danke für den Kommentar. Ich kann mich noch gut erinnern, wie erschüttert und fassungslos ich war, als ich erkannte, dass damals so viele Kinder „verschickt“ wurden. Ich denke aber, die Erkenntnis kann hilfreich für die Seele sein, denn nun sind wir nicht mehr allein mit den schlimmen Erinnerungen. Liebe Grüße
Ich sehe hier das erste Mal Berichte über das Kinderheim Marianne in Obermaiselstein. Ich war dort 1967 – bei der Anreise wurden uns alle Bücher weggenommen, da lesen unsere Ruhe schaden würde. Auch ich kann die Kontrolle der Post bestätigen. Die meisten Kinder waren deutlich jünger als ich, es gab nur 4 Mädchen im Alter von 8-10, zu denen ich gehörte. Ich lag in einem 4-Bett-Zimmer und eine der Mädchen war ein wahrer Teufel, die mir in einer Nacht die Hälfte meiner Haare ausriss, als sie an meinem Zopf zerrte. Als ich mich weigerte eine Suppe mit Sago mittags zu essen, die bei mir einen Brechreiz auslöste, wurde mir gesagt, wenn ich nicht esse sei ich krank. Ich wurde isoliert und lag nach meiner Erinnerung von den 6 Wochen Kur 3-4 Wochen alleine in einem Zimmer. Es kam nur selten jemand vorbei um nach mir zu sehen, Eigentlich nur, um mir etwas zum Essen zu bringen. Immerhin durfte ich meine Puppe behalten. Es ist mir unverständlich, wie ich diese Zeit alleine überstanden habe. Als ich wieder zuhause war, wurde ich richtig schwer krank. Da kam die ganze Anspannung heraus. Meine Eltern waren entsetzt, als ich berichtete, was alles geschehen war. Es gab nur eine Schwester, die ausgesprochen lieb war – ich meine sie hieß Marianne, es könnte auch Margarete gewesen sein.
Ich war Mitte / Ende der 80er Jahre zweimal da und ich habe nur schöne Erinnerungen von dem Kinderkurheim Marianne behalten. Ja damals wurden uns Kindern auch die Süßigkeiten weggenommen, jedoch wurden sie in einen Schrank im Esszimmer verwahrt und bei besonders guten Taten am Sonntag an alle verteilt. Immerhin gab es da auch Kinder, die zur Gewichtsreduktion da waren. Wir wurden ärztlich untersucht. Das Essen war lecker. Die Fräuleins waren freundlich. Wir haben viel unternommen. In der Mittagspause mussten Schulkinder eine Stunde Hausaufgaben machen, anschließend eine Stunde schlafen. Wir besuchten eine Tropfsteinhöhle, waren schwimmen, spazieren im Schnee (Ostern) und wir studierten ein Theaterstück ein. Es gab Bluna, die man sich nach dem Sport gekauft hat. Und meine Post war nicht geöffnet. Nur wenn Eltern Süßigkeiten geschickt haben, wurde diese den Briefen entnommen. Meine Mama schickte mir jeden Tag Briefe mit kleinen Pixi Büchern. Wir könnten Ansichtskarten kaufen und diese schreiben wie wir wollten. Vom Taschengeld kauften wir uns am Ende Andenken wie kleine Brunnen aus Holz. Ich war zweimal für 6 Wochen da und ich erinnere mich total gerne an diese Zeit.
Vielen Dank für den Beitrag. Es freut mich sehr, dass du so gute Erfahrungen im Kinderkurheim gemacht hast. Meine acht Jahre jüngere Schwester wurde auch zweimal „verschickt“ und hatte keine Probleme. Aber dies ist bei der Fülle der Traumatisierungen vor allem bei den Kuren aus früheren Jahren sicher eher eine Ausnahme. Viele Grüße, Bee
Ich denke auch, dass Ende der 80ziger Jahre schon noch eine andere Zeit war, als Ende der 60ziger Jahre, wo ich mich im Kinderheim Marianne aufhalten musste.
… und wie Anfang/ Mitte der 60er, als es wirklich noch sehr schlimm war.
Ich war im Februar/März 1963, jedenfalls zu Fasching, für sechs lange Wochen im Kinderheim Marianne. Ich war 6, in der 1. Klasse. Zum Frühstück gab es Milchsuppe „mit Milchzucker!“, die das Mädchen mir gegenüber jedes Mal erbrach ind wieder aufessen sollte.
Wir mussten zum Einschlafen alle auf der rechten (oder linken?) Seite liegen.
Wir durften nachts nicht aufs Klo und haben Wachen aufgestellt, wenn jemand aus dem 4er Zimmer mal musste.
Wenn eines der Mädchen (alles 5 – 7 jährige!) ins Bett gemacht hatte, wurde sie in ihr eingenässtes Laken gewickelt und musste sich auf ihr Bett stellen, und alle Mädchen des gesamten Flurs wurden daran vorbeigeführt.
Es lag Schnee, und wir durften rodeln. Unsere „Tante“ fragte mich „kannst du rodeln?“ Ich bejate. Da packte sie noch zwei kleinere Kinder vor mich auf den Schlitten, und wir sausten den Hang hinunter. Ich war damals schon kurzsichtig, was aber noch nicht erkannt worden war. So sah ich den Stacheldrahtzaun zu spät. Ich schrie noch „bremsen!“ und stemmte meine Absätze in den Schnee, aber alleine konnte uch den Schlitten nicht stoppen. Ich schrie „runter!“, aber die beiden Kleinen blieben sitzen, und der Schlitten fuhr in den Zaun. Zur Strafe durfte ich nie wieder rodeln, sondern musste oben am Hang hin und her gehen.
Diese „Tante“ hat beim Nägel schneiden vor allen Kindern behauptet, ich würde meine Fußnägel abkauen.
Die Leiterin hatte eine große Modelleisenbahnanlage in einem Raum unter einer Dachschräge. An den Wochen wurden wir an dieser Anlage vorbeigeführt, verweilen und länger angucken durften wir nicht.
Ich habe die Jungen beneidet, deren „Tante“ mir netter zu sein schien.
Päckchen wurden konfisziert und die Postkarten an die Eltern haben die Tanten geschrieben. Meine Eltern waren ungläubig und entsetzt über das, was ich berichtete, als ich endlich wieder zuhause war.
Hallo Sabine,
das sind sehr unangenehme Erinnerungen und es tut mir sehr leid, dass auch du sie machen musstest.
Viele Grüße
Bee