Ich mache mir grade wieder selbst eine Freude und schaue mir Seifenbilder an. Das finde ich überaus beruhigend in Zeiten der Pandemie.
Draußen ist es heute bis auf den normalen Puls des Kölner Westens (möglicherweise ist die Aachener Straße gerade ein wenig leiser als sonst, aber noch fällt es nicht auf) und einige frühlingsschmetternde Vögel ziemlich still. Mir fehlen die Stimmen der vielen Kinder, die um diese Zeit normalerweise draußen den Schulhof bevölkern. Manche sind ganz schön laut, ein Mädchen kann täuschend echt wiehern, und etliche nerven mich auch gelegentlich, weil sie so laut kreischen, dass mir die Haare zu Berge stehen, aber alles in allem erinnert mich die quicklebendige Geräuschkulisse immer an meine Kindheit und das Haus meiner geliebten Oma. Sie wohnte unmittelbar neben einer Schule, und da war es vor 60 Jahren schon genau so laut. Die Stimmen von spielenden Kindern sind offenbar immer gleich. Herumtollende Kinder sind etwas Vertrautes. Wenn sie nach der Pausenglocke alle gleichzeitig auf den Schulhof strömen, ist das eine Szene voller Lebenslust und Übermut. Jetzt sind die Kinder fort. Nur der Rasenmäher und der Hausmeister sind noch da. Und die Schulglocke. Pünktlich. Als wäre alles wie sonst.
In Köln sind ab heute nicht nur alle Kitas und Schulen, sondern auch alle Restaurants, Kinos, Spielplätze, Schwimmbäder und Bordelle (die Stimme der meisten Nachrichtensprecher verändert sich bei diesem Wort sehr subtil, und jedesmal muss ich lächeln) geschlossen. Nun ist auch der Zoo zu, der noch am Wochenende (bis auf die Tierhäuser) geöffnet war und die Kölner und ihre Kindern erfreute.
Es ist so schön draußen, die ersten Blätter sprießen, Bäume blühen, Narzissen und Tulpen stehen im Blust, sogar der jährliche Heuschnupfen ist im Anflug. Trotzdem ist alles anders. Ab heute sind fast alle Geschäfte zu, bis auf Apotheken, Tankstellen, Banken und Lebensmittelläden, in denen die Angestellten (es ist bewundernswert, dass sie immer noch so freundlich sind!) zu Stoßzeiten bis an die Grenze ihrer Kraft (oft sicher auch oft darüber hinaus) arbeiten und dabei auch noch ständig unterhalb des empfohlenen Sicherheitsabstands bleiben müssen. Eine Kassiererin klagte darüber, dass rücksichtslose Kunden einfach in die Hand husten und ihr dann mit genau dieser Hand das Geld reichen. Wenn man sie darauf anspricht, reagieren sie sauer und gereizt. Nach wie vor gibt es den Super-Run auf Nudeln und Klopapier. Nudeln kann ich gut verstehen, aber ich frage mich, warum die Menschen scharf auf Toilettenpapier sind. Ist Klopapiersucht ansteckend? Triggert sie der Anblick der leeren Regale? Oder ist Klopapier irgendwie das Symbol für „Keine Sorge, alles ist gut“?
Das Einkaufscenter glich gestern einer Geisterwelt. Die Gänge, die meisten Läden und die Rolltreppen waren leer, im Kaufhof musste man ähnlich wie im Flughafen erst mal Slalom laufen, um zur Kasse zu kommen. In der Konfektionsabteilung waren wir die einzigen Kunden, was mich normalerweise erfreut hätte, denn ich mag keine Warteschlangen, aber unter den gegebenen Umständen war es unheimlich und bedrückend. Die Kassiererinnen trugen Handschuhe und machten ernste Gesichter. Leider bekam ich nicht mal das, was ich suchte. „Lieferstopp. Ham wir nicht im Moment.“ Ich hatte schon seit einigen Tagen meine Vorahnungen und habe mich daher vorige Woche einfach bei der Verkäuferin meines Vertrauens direkt erkundigt. „Wir wissen auch noch nichts“, meinte sie. „Das kommt immer ganz plötzlich. Aber ich gehe mal davon aus, dass hier nächste Woche zu ist.“ Ob wirklich zu ist? Ich muss es selbst sehen, um es zu glauben.
Irgendwie bizzar, aber es ist überall auf der Welt dasselbe, sogar das Horten von Klopapier ist gleich, wie ich täglich aus den sozialen Medien erfahre. Auf instagram beschäftigen sich sogar die Miniaturisten mit dem Thema. Auf höchst humorvolle Weise. Überhaupt ist instagram im Moment eine wahre Wohltat, hier wünschen Menschen aus aller Welt einander täglich Kraft, schicken sich virtuelle Umarmungen, liebe Worte und Ratschläge und finden sogar unerwartet Seelenverwandte (so bin ich seit kurzem auf die Ferne richtig gut mit Künstlerinnen in New York, Texas, Australien, England und Norwegen befreundet, alles „Mausfrauen“). Wir posten spöttische, selbstironische und mitfühlende Bilder. Aber vielleicht habe ich auch nur Glück und „folge“ den (für mich) richtigen Personen. Oder gehen Künstler in aller Welt besonders feinfühlig und kreativ mit diesen einschneidenden, furchterregenden Veränderungen um?
Auch meine eigenen instagram Bilder sind „eingestimmt“. Bei mir in Mouseland (@cheddarandmozzarella) sind zum Glück alle Läden geöffnet und werden das auch bleiben, sofern mich die Coronaviren nicht vom Stuhl fegen. Auch das gemeinsame üppige Schmausen darf selbstverständlich weitergehen. Mäuse sind äußerst soziale Wesen und dürfen sich zum Glück auch bei Menschencorona noch fest in den Arm nehmen und nach Herzenslust beschmusen. Ich freue mich immer, wenn ich lese, dass meine Mäuse andere trösten und zum Lächeln bringen. Genau das sollen sie ja! Ich verkaufe dort nichts, ich brauche keine Werbung, ich poste meine Bilder, weil es Freude macht und weil ich meine Mäuse liebe. Es tut gut, dieser bedrohlichen Dunkelheit einfach jeden Tag ihre kleine heile Welt entgegenzusetzen. Ohne Viren, Einschränkungen, Verbrechen und Gefahr.
Auch die vielen hilfsbereiten Menschen, denen ich hier im Westen seit einigen Wochen real wie virtuell (vor allem bei facebook und nebenan.de) begegne, beeindrucken mich. Das „Viertel“ hält zusammen, formiert sich vielleicht gerade erst richtig, die Jungen helfen den Alten, überall herrscht große Solidarität. Auch der Kölner Westen verändert sich. Die Menschen werden zwar gezwungen, einander zu meiden, doch sie rücken gleichzeitig auch enger zusammen, lernen sich vielleicht jetzt erst kennen. Wir sitzen tatsächlich alle im selben Boot, weltweit, stadtweit, straßenweit, alle sind wir von dieser Katastrophe betroffen. Danach werden wir vielleicht anders miteinander umgehen. Köln zeigt sich hier gerade von seiner besten Seite, und mir wird das Herz weit.
Was mich traurig macht: Dass am Sonntag die Gläubigen ungetröstet zurück nach Hause geschickt werden mussten, weil auch die Gottesdienste verboten sind. Dass man sie nicht mal beruhigend in den Arm nehmen konnte. Dabei war alles so liebevoll vorbereitet, auf den Stühlen waren die Sitzkissen so verteilt, dass genug Abstand zwischen den Menschen bestanden hätte, die Gesangbücher lagen schon auf den Plätzen (und wären auch dort liegen geblieben), am Ausgang stand eine große Flasche mit Desinfektionsmittel, auf dem Altar standen frische Frühlingsblumen, zwei Türen wären einladend weit geöffnet worden. Die Gemeinde hätte nicht gesungen (denn dabei verteilt man natürlich auch Viren), sondern gemeinsam gesummt. Alle hatten sich auf diesen Abendgottesdienst in Krisenzeiten gefreut und auf die beruhigenden Worte ihres Pfarrer gehofft. Die gewohnte innere Nähe, die vertrauten Menschen, der gemeinsame Glaube hätten die Anwesenden, von denen viele betagt und einsam sind, sicher trösten können. Doch die unsichtbare Bedrohung verlangt, dass die Menschen einander meiden. Sie dürfen einander nicht mehr berühren, sich nicht mehr nah sein, nicht mal in Sprechnähe stehen. Auch die Beerdigungen werden von nun an eine Zeitlang anders sein. Nur Angehörige ersten Grades dürfen am Grab stehen und müssen auch in ihrem Schmerz allein bleiben. Gerade bei Trauerfeiern bekommt man normalerweise so viel dringend benötigte Zuwendung und Trost. Alles dahin. In Italien bleiben inzwischen auch die Sterbenden allein. Vorübergehend brechen uns alle inneren und äußeren Haltestrukturen weg.
Die Welt ist in Aufruhr. Möglicherweise werden viele Menschen aus dieser Phase traumatisiert hervorgehen. Wenn die Pandemie vorbei ist, hat sich das Leben tiefgreifend verändert. Wir befinden uns in einem globalen Kampf mit einer unberechenbaren neuen Krankheit. Die Zustände in Italien sind unvorstellbar (wie es auch in China der Fall war), ich lese darüber täglich in der „New York Times“ und hoffe immer noch, dass uns diese Wucht erspart bleibt. Ärzte kämpfen dort nicht nur um das Leben ihrer Patienten, sie sind auch selbst in höchster Gefahr. Viele trennen sich jetzt von ihren Familien, um sie nicht zu infizieren. Alle Länder wappnen sich. In Frankreich gibt es ab jetzt eine Ausgangssperre, und selbst der intelligenteste Präsident aller Zeiten (he whose name must not be mentioned, also Voldetrump) und sein ruppiger Brexitfreund rudern jetzt nach großen Tönen heftig zurück.
Was mir gerade akut zu schaffen macht: In Köln wurden an der Uniklinik sozusagen über Nacht 50.000 Atemschutzmasken gestohlen, was hier in der Stadt möglicherweise etliche Leben in Gefahr bringt oder sogar kosten wird (aber wie kann jemand nur so viel Zeug ungesehen fort schaffen?).
Außerdem gibt es schon wieder Trickbetrüger, die bei hilflosen Senioren klingeln und sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamts ausgeben. Angeblich wollen sie einen Rachenabstrich nehmen, haben es aber in Wirklichkeit nur auf das Geld und den Schmuck ihrer betagten Opfer abgesehen. Während Täter 1 ablenkt, räumt Täter 2 die Wohnung leer. Mir fehlen für so ein Verhalten die Worte.