Mitunter kann Schreiben ein erstaunlich abenteuerliches Unterfangen sein, denn es können dabei merkwürdige Dinge passieren. Sogar kleine Wunder. So fand ich durch meinen ersten Roman den längst verloren geglaubten kleinen Friedhofsengel meiner Kindheit wieder, durch ein anderes Buch landete ich unerwartet im „Kölner Treff“ und bekam sogar eine wunderbare seelenverwandte Bärenschwester. Doch meistens habe ich natürlich keine Ahnung, wo meine Buchkinder und Geschichten hinfliegen und landen. Schon gar nicht, wenn die Texte nur im Internet erscheinen. Hier auf meiner Seite fabuliere ich daher also mehr oder weniger ins Blaue hinein und freue mich, wenn zufällig jemand meine Gedanken findet und meine Bilder anschaut. Normalerweise habe ich keine Ahnung, wer diese Personen sind, sie hinterlassen nämlich keine für mich sichtbaren Spuren, es sei denn, sie nehmen mit mir Kontakt auf. So wie nach meinen Beitrag über die Kölner Stämme.
Höchstwahrscheinlich wäre es wohl bei dem ersten allgemeinen Beitrag geblieben, wenn mir nicht ein kühnes Mitglied der „Löstige Gladiatore“ eine freundliche Mail geschickt hätte, die mich zum Recherchieren und Weiterschreiben beflügelte. Jetzt hatte ich einen Ansprechpartner, der mir auch bei kniffligen Fragen und Zuordnungen weiterhelfen konnte. Über viel Hintergrundwissen, was die Kölner Stämme betrifft, verfüge ich leider (noch) nicht, denn bei den Stämmelagern war ich vor allem als Fotografin unterwegs und nicht als Reporterin oder Schriftstellerin. Aber ich lerne gern dazu, und besonders schön ist es, wenn ich weiß, dass meine Texte anderen Freude machen und tatsächlich gelesen werden.
Auf Seemann, Tod und Teufel!
Nach meinem Mailwechsel mit dem kampferprobten Gladiator beschloß ich aus literarischen Gründen (R.L. Stevenson, über den ich unbedingt irgendwann schreiben muss, denn ich war schon drei Mal im „Lady Stairs House“, dem Schriftstellermuseum in Edinburgh!), mit den Piraten anzufangen. Und zu meiner großen Verblüffung wurde auch dieser Beitrag in Windeseile erspäht, allerdings diesmal von messerscharfen stahlblauen Piratenaugen. Und jetzt kenne ich bloß durch mein Schreiben nicht nur einen veritablen Gladiator, sondern auch einen gefährlichen Seeräuber!
Leider teilte mir der Pirat in einer zweiten Nachricht mit, dass Käpt’n Kalli, der erfahrene, mit allen Wassern der Sieben Meere gewaschene Seebär und stolze Kapitän der Dreimastbark „Santa Colonia“, am Montag dieser Woche seine letzte Fahrt angetreten hat. Genau einen Tag, nachdem ich meinen Beitrag geschrieben hatte. Ein trauriger Zufall. Der heutige Beitrag ist daher auch ein kleiner Nachruf auf einen wohl ganz besonderen Piraten und Menschen. Möge seine Überfahrt sanft sein! Seine wilde Crew schaut ihm wehmütig nach und verabschiedet sich auf ihre Weise: „Auf Seemann, Tod und Teufel!“ „Fair winds, Captain!“ „Komm gut über die Brücke!“ Vergessen werden sie ihn sicher nie, und bestimmt wird er weiterhin an ihrer Seite bleiben, wenn sie fluchend die Sieben Meere unsicher machen. Auf Seemann, Tod und Teufel!
Inzwischen weiß ich schon einiges mehr über die „Original 1. Kölner Piraten von 1968 k.e.V.“ (ein fürwahr langer Name, und die Abkürzung steht für „kein eingetragener Verein“). Überhaupt zeichnet sich die Crew durch einen typisch kölschen Humor aus.“Der Verein“ wurde vor nunmehr 52 Jahren von Karl-Heinz Hansmann gegründet, jenem Mann, der später unter dem Piratennamen Käpt’n Kalli berühmt wurde und zuerst ganz allein unterwegs war, aber schon bald eine immer größer werdende wilde Horde anführte. Bis letzten Montag. Ich bedauere sehr, dass ich mich bei den Stämmelagern nicht näher an ihn herangetraut habe, aber die Piraten sahen einfach zu unheimlich aus!
Vor drei Tagen nahm ich schließlich allen Mut zusammen und enterte heimlich bei Nacht und Nebel die „Homepage“ und schaute mir auch gleich die Gesichtsbucheinträge der Piraten an. Zum Glück hat mich dabei keiner erwischt, auch der Steuermann nicht, er war anderweitig beschäftigt. Ich sah mich in Ruhe um und fand mich schon bald in der wilden Seeräuberwelt einigermaßen zurecht. Einiges habe ich kurzerhand mitgehen lassen („requiriert“ würden die Piraten wohl sagen) und ungefragt für diesen Beitrag verwendet (darauf steht sicher normalerweise eine empfindliche Strafe, mindestens „Prozessanhals“), aber ich schätze, dass die Seeräuber mir das ausnahmsweise nicht übel nehmen, denn ich habe es schließlich nur „ausgeliehen“, um ihren Ruhm zu mehren und ihren Käpt’n zu ehren.
Jedenfalls kenne ich jetzt die Namen der momentanen „Santa Colonia“-Crew und kann einige Personen auf meinen Fotos sicher identifizieren. (Offenbar war ich bereits bei vier Stämmelagern!) Ich finde nicht nur Käpt’n Kalli, sondern auch Jack Sperrholz, Turners Frank, Smutje Jean Lafitte, Navigator Schwarzbart („Hält den Kurs. Manchmal.“) und Havanna Charly. Bei den Piratenbräuten bin ich mir nicht sicher. Sind das jetzt Mary Reed und Coco Batida? Oder Jamaica Ann und Tina Osborn? Oder gar Käptn’s Chef? Der imposanten Charlotte de Berry bin ich bisher offenbar noch nicht persönlich begegnet. Auch den 1. Offizier James Blood („Hält die Fäden in der Hand. Und die Neunschwänzige.“) finde ich nicht auf den Bildern, aber vielleicht fehlt mir da der messerscharfe Piratenblick. Ich habe dummerweise ein kurzsichtiges und ein weitsichtiges Auge und sehe dadurch alles irgendwie schräg. Sogar Piratengesichter.
Meinen kühn erbeuteten Quellen zufolge ist der Pirat Calico Jack ein „Grielächer“, also ein Spötter (typisch kölsches Wort), was immer das bei einem Piraten bedeuten mag. Ein wenig spöttisch sieht er schon aus (Sie finden sein Bild im vorigen Beitrag, da habe ich die Bildtitel inzwischen aktualisiert). Havanna Charly hatte ich aufgrund seiner wuchtigen Präsenz zunächst fälschlich für einen weiteren Käpt’n der Crew gehalten, sah meinen Irrtum aber rasch ein. Laut Aussage seines furchteinflößenden Crewmitglieds (meiner streng geheimen stahlblauäugigen Zusatzquelle) ist er aber nur „ein ganz normaler Pirat“, allerdings mit einer Schwäche fürs Modeln, denn sein markantes Konterfei ziert weltweit zahllose Fahndungsplakate. Eins davon habe ich sogar abgelichtet, weiß aber nicht mehr, in welchem Jahr. Kann es sein, dass er mir darauf die Zunge herausstreckt, oder ist das bloß wieder mein schräger Blick?
Einige Piraten, die ich damals aufs Bild gebannt habe, gehören inzwischen leider nicht mehr zur Crew und bleiben daher namenlos. Seinen Piratennamen sucht man sich (normalerweise) selbst aus, erfahre ich von meinem seeräuberischen Geheimkontakt. Wie ich sehe, gibt es an Bord sogar einen kühnen Kölner Robert Surcouf. Aber auch mit Henry Goldfinger, Joshua Flint, dem Logbuchverwalter (er hat so schlimme Augen wie Mad Eye Moody), Le Doc („Rauchende Hand. Schmerzfrei.“), Bloody Hands und Barfossa ist sicher nicht zu spaßen. Allesamt zum Fürchten und sicher grenzenlos grausam! Auf einem Seitendeck der frisch gestrichenen „Homepage“ fand ich (gut getarnt) erschreckende Fotos von Piratentaufen, die echt furchtbar zu sein scheinen, weil man dabei kübelweise (bestimmt eisekaltes!) Wasser ins Gesicht geschüttet bekommt und gnadenlos gezwungen wird, eklig aussehende trübe Flüssigkeiten zu schlucken und gräßliches Zeug zu kauen (wahrscheinlich ranzig und übel stinkend), während man unbequem mit Händen und Hals im „Joch“ steckt und sich nicht regen kann. Ich kann nur hoffen, dass die Knöchel des neuen Piraten dabei nicht auch noch im „Stock“ hängen.
Auf einem echten Piratenschiff darf natürlich auch ein Klabautermann nicht fehlen. Den hört man normalerweise nur. Er warnt den Kapitän vor Gefahren, und „wenn er klopft, bleibt er, wenn er hobelt, geht er.“ Man sollte es sich also mit ihm besser nicht verscherzen. Angeblich sieht er aus wie ein Matrose mit Hammer und Pfeife, manchmal auch mit Seemannskiste, roten Haaren und grünen Zähnen. Wenn er sich zeigt, ist das ein schlechtes Zeichen. Er verlässt das Schiff erst, wenn es untergeht. Das erinnert mich an mein maritimes Kinderbuch, das noch unfertig in meiner Schublade liegt. Darin kommt nämlich auch ein Klabautermann vor. Er heißt „der Chintz“, und das Ganze spielt in Lübeck, einer meiner Lieblingsstädte. Vielleicht setz ich mich diesen Winter doch noch mal dran und baue gleich auch noch ein paar von den Piraten ein. Zeit genug hab ich ja dank Lockdown und so.
Auf dem waffenstrotzenden Piratenseitendeck kann man zwischen Schatztruhen, glänzenden Piasterhaufen, trockenem Schiffszwieback (mit Maden drin, also vor dem Essen ordentlich schütteln oder abklopfen oder besser nur im Dunkeln verzehren), diversen Sanduhren, Schiffsglocken und gut gefüllten Rum- und Wasserfässern einiges über das Leben und Wirken der Piraten im 17. und 18. Jahrhundert erfahren. Unter anderem entdeckt man Navigationsinstrumente wie Kamal, Jacobsstab, Quadrant, Traversboard oder Backstaff. Noch nie was von gehört, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Na ja, Quadrant schon, aber was genau das ist, wußte ich trotzdem nicht, hab ja damals auch das Piratenbuch nicht übersetzen dürfen. Auch Astrolabium und Nocturlabium waren mir unbekannt und klangen eher wie irgendwas aus „Harry Potter“, aber dafür kannte ich den Trepanationsbohrer, den Mundknebel, die Amputationssäge und „die Neunschwänzige“ (die gefürchtete Katze im roten Sack, mit der Matrosen gezüchtigt werden. An den Wunden kann man sogar sterben!). Dass Piraten ihren Zopf zu teeren pflegten, wußte ich auch noch nicht. Klingt echt schmierig.
In einer äußerst schlecht beleuchteten Ecke (achtern) entdeckte ich eine staubige Flaschenpost mit Informationen über das bleiche Gerippe im Käfig (genannt „die Oma“), das (oder die) grausam verstümmelt wurde, weil feindliche Piraten versucht hatten, es (oder sie) zu entführen, ihm (oder ihr) dabei aber nur etliche Knochen brachen. (Gendergerechte Sprache muss heute leider sein, auch bei Beiträgen über Piraten.)
Dass die furchteinflößenden Seeräuber hier jedes Jahr traditionell den berühmten Rosenmontagszug als Vorgruppe anführen, hätte ich als Kölnerin eigentlich wissen müssen (jetzt weiß ich es für alle Zeiten). Auch hätte ich mir denken können, dass sie originalgetreu gewandet und bis an die Zähne bewaffnet (nebst Entermesser, Säbel, Vorderlader, Schwarzpulver und sogar Kanone) nichts lieber tun als Stadt-, Hafen- und Hansefeste unsicher zu machen.
Man kann sie sogar privat anheuern und sich selbst und/oder seine Gäste (und Gästinnen!) in Angst und Schrecken versetzen. Wer über genug Nervenstärke verfügt, kann sich dabei auch demonstrieren lassen, wie man früher Zahnbehandlungen durchzuführen pflegte (oder vielmehr erlitt). Natürlich ohne Narkose. Die Zähne zog der Barbier. Besonders gut war der sicher nicht. Daran mag ich nicht mal denken, mir graut ja schon vor hochmodernen sterilen Zahnbehandlungen. Mit Narkose. Einen eigenen Song mit Video (googeln Sie mal „Schäng. Piratenpolonäse“, zu finden bei YouTube) haben die Piraten auch, da kann man sie alle in voller Aktion sehen. Aber aus Sicherheitsgründen nur heimlich gucken, damit nichts passiert! (Sie wissen schon: Prozessanhals! Mindestens!) Mit diesen Kölner Piraten ist nicht zu spaßen!