Es war Mai und Alice war nicht mehr bei mir. Ihr Platz in meinem Bett, auf der Couch und im blauen Sessel war verwaist. Sie fehlte mir so sehr, dass es nur noch weh tat. Überall im Haus und im Garten sah ich sie sitzen oder liegen. Doch sie war fort und würde nie wieder zurückkehren. Im Rewe schossen mir schon die Tränen in die Augen, wenn ich nur in die Nähe des Katzenfutters kam. Es war kaum auszuhalten. Den Kummer nach dem Tod eines geliebten Tieres, das einen viele Jahre lang durch die Höhen und Tiefen des Lebens und Alltags begleitet hat, kann man kaum beschreiben. Da ich mir ernsthaft vorgenommen hatte, nach Alice keine Katzen mehr zu haben, war der Verlust umso schmerzlicher. Alice war die letzte meiner vier Maine Coons gewesen, zwei Katzen, Alice und Elaine, und zwei Kater, Cisco und Ben.
Die Aussicht war düster. Ein Leben ohne Maine Coons! Ein Leben völlig ohne Katzen! Nach mehreren endlos langen durchweinten Tagen und Nächten sagte mein Mann schließlich: „Du brauchst dringend neue Katzen.“
Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich ihm für diesen Satz war. „Meinst du das wirklich ernst?“ Er nickte. „Absolut!“ Ich fiel ihm schluchzend um den Hals, aber diesmal waren auch Freudentränen dabei. Auf diese Wendung war ich so gar nicht gefaßt gewesen, aber ich nahm all meine Hoffnung zusammen und überlegte, wo ich mit meiner Suche wohl am besten anfangen konnte. Zwei Kater sollten es diesmal sein, wenn möglich Maine Coons und am liebsten Kitten, denn es gibt kaum etwas Schöneres, als quirlige verspielte Kitten aufwachsen zu sehen. „Wären zwei Kater okay für dich?“ fragte ich. „Du kannst auch drei nehmen“, sagte mein Mann. Nein, zwei sollten diesmal genügen. Das hatte ich schon entschieden. Zwei waren praktischer und unkomplizierter. Zudem war der Preis für Maine Coons natürlich in all der Zeit ordentlich gestiegen, wie ich feststellte. Mehr als zwei konnte ich mir unmöglich leisten. Und für mehr als zwei brauchte man ja auch noch mehr Katzenklos und Futter. Und es dräute ja auch noch die neue Gebührenordnung für Tierärzte, die ich (zum Glück) noch nicht richtig einschätzen konnte. Nein, zwei waren genug. Mein Mann schien an meiner Entscheidung zu zweifeln. „Du hast freie Hand.“ „Nein. Nur zwei.“ Da war ich mir wirklich sicher. Absolut. Bin ja vernünftig.
Da meine Züchterkontakte und einst recht guten Stammbaumkentnisse ungefähr zwanzig Jahre brach gelegen hatten, weil meine Coone ziemlich alt geworden waren und sämtliche mir damals bekannten Catterys nicht mehr existierten, hatte ich keine Ahnung, wo ich anfangen sollte mit der Kittensuche. Zum Glück fiel mir eine Katzenfreundin ein, die sich bestens auskennt. Sie antwortete mir auch gleich ganz lieb und nannte mir mehrere Anlaufstellen, allerdings alle nicht ihn meiner Nähe. Ich flehte sämtliche Katzengötter inständig um Hilfe an. Und tatsächlich waren sie mir gut gesonnen, denn meine Suche war bereits bei der ersten Cattery zu Ende, weil mir genau dasselbe passierte wie bei all meinen Katzen zuvor: Mich traf aufs Heftigste die Liebe auf den ersten Blick. Die niedlichen Katerchen, die da auf der Homepage mit staunenden Augen in die Welt sahen, waren haargenau die Kitten, die mir vorschwebten! Aber waren sie noch frei? Es war Mai, sie waren im April geboren und sechs Wochen alt. Waren sie möglicherweise schon anderen Katzenmenschen versprochen? Und selbst wenn sie noch frei waren, gab es da noch etwas. Es musste mindestens eine überzeugende „Fügung“ her, die mir eindeutig zeigte, dass es wirklich „meine Katzen“ waren und ich meinem Gefühl blind und ohne ausführlichen Blick in den Stammbaum vertrauen konnte.
In den meisten Catterys werden die Würfe in alphabetischer Reihenfolge benannt, und die Katerchen gehörten zum K-Wurf.
Und da war sie auch schon, die erste Fügung! Alice stammte damals aus einem A-Wurf und hieß ursprünglich wie meine Mutter: Anni. Ihren „richtigen“ Namen, Alice Wonderland, habe dann ich ausgesucht. Der Tabby mit Weiß hieß tatsächlich Kurt. Genau wie mein Vater!
Zudem war der Wurf am 7. April geboren, an dem Tag hat eins unserer Enkelkinder Geburtstag. Ein Datum also, das man sich sogar merken kann, wenn man so hoffnungslos zahlenblind ist wie ich. Also noch eine Fügung. Mehr „Zufälle“ brauchte ich nicht. Die beiden waren eindeutig „meine“ Kater!
Noch am selben Abend schrieb ich der Züchterin eine ausführliche Mail und begann (etwas bang) zu warten. Hoffentlich war mir niemand zuvorgekommen! Hoffentlich hatte sie nicht vor, die Kleinen zu behalten oder gar in die Zucht zu geben! Hoffentlich fand sie mich sympathisch genug, um mir die Kleinen anzuvertrauen! Züchter können da sehr eigen sein manchmal. Der Tag verging, es tat sich nichts. Ob sie meine Mail nicht bekommen hatte?
Zweiter Versuch. Diesmal kontaktierte ich Heike über Facebook. Und diesmal antwortete sie mir auch. Ziemlich knapp, aber da ahnte ich auch noch nicht, dass sie im krassen Gegensatz zu mir eine leidenschaftliche Telefoniererin ist. Sie hatte meine Mail, in der ich mich vorgestellt und ihr von meiner Coon-Liebe berichtet hatte, gelesen und rief mich noch am selben Abend an. Es wurde ein äußerst langes und für mich nicht gerade einfaches Gespräch, denn ich HASSE Telefonieren. Vor allem, wenn ich die andere Person nicht mal kenne und einen möglichst guten Eindruck machen möchte, weil ich mich unsterblich in zwei ihrer Kitten verliebt habe. Heike dagegen HASST Schreiben.
Wir haben in den nächsten Tagen und Wochen noch viele Male telefoniert, sie jedes Mal total entspannt und ich oft genug ziemlich unentspannt. Zum Ausgleich versorgte mich Heike allerdings mit vielen kleinen Videos (merkwürdigerweise immer bei problematischen Lichtverhältnissen aufgenommen, aber trotzdem heiß erwartet) und ganz vielen richtig schönen Fotos. Ich fand den ganzen K-Wurf wunderschön und konnte mich nicht satt sehen an den Kleinen. Aber die katzenlose Zeit war dennoch schwer erträglich, zumal sich schwarze Schicksalswolken am Horizont abzuzeichnen begannen. Doch die Aussicht, dass die beiden Kitten irgendwann im Juli einziehen würden, half mir über viele Sorgen hinweg.
Zuerst stand allerdings noch der Besuch an, um herauszufinden, ob mir die Kitten gefielen (völlig unnötig, wußte ich auch so) und ob ich den Kitten und vor allem ihrer Züchterin gefiel. Ich hoffte das Beste und machte mich mit Feuereifer daran, unser Haus kittensicher zu machen, neues Spielzeug und neue Decken zu kaufen, die Kratzbäume neu zu beziehen, frische Kratzmatten aufzuhängen und alles zu waschen, was sich überhaupt waschen ließ. Die beiden sollten in ein wahres Kittenparadies einziehen. Aber die Zeit wurde lang und länger. Auf dem Regal neben meinem Bett standen zwei Portraitfotos, und nachts machte ich mir stundenlang Gedanken, wie ich sie wohl nennen würde.
Oh süße Qual des Wartens….
so schön liebe Beate <3
Danke, Heike!