„Na, wie sieht es aus?“ fragte mein Mann, als ich aus dem Kittenzimmer wieder nach unten kam, wo er sich angeregt mit Heikes nettem Gatten über allerlei Hessisches unterhalten hatte, während ich oben mit Federangel und Bällchen zeitlos die Kitten bespielt hatte. „Du warst ja ziemlich lange oben.“ Echt? War mir gar nicht aufgefallen. „Und, was hast du entschieden?“ Drei Augenpaare starrten mich gespannt an, und ich fühlte mich irgendwie unbehaglich. „Es bleibt bei den Jungs!“, sagte ich. Und das meinte ich auch so. Zwei waren genug! Man wird ja schließlich nicht jünger. Wenn es noch einen Kater in dem Wurf gegeben hätte, wäre ich vielleicht schwach geworden. Katzen und Menschen in Heikes Wohnzimmer schauten immer noch prüfend. „Nur zwei!“ beharrte ich. „Hab ich doch gesagt.“ „Da bist du dir wirklich sicher?“, fragte mein Mann irgendwie ungläubig. Ja, war ich! Was sollte diese Fragerei? Ich bat Heike, mir die Jungs zu reservieren und schrieb ihr die Namen auf, die ich nach langem Nachdenken ausgesucht hatte: Krispin und Hathaway. Damit sie auch weiter einen K-Vornamen im Stammbaum hatten, kombinierten wir unsere Namen: Kurt Krispin und Kingsley Hathaway. Und dann fuhren wir wieder zurück nach Köln.
Es gibt etliche erstaunlich lange Namenslisten in meinem Handy, denn was Katzentaufen betrifft, bin ich mindestens so eigen wie ein Züchter. Mir ist allerdings am wichtigsten, dass die Namen auch zuverlässig rufbar sind und für meine Schriftstellerohren melodisch genug klingen. Dazu können sie ruhig etwas länger sein. Natürlich müssen sie am Ende vor allem den Katzen gefallen, aber das merkt man schnell. Katzen haben immer viele Namen, Kosenamen kommen im Laufe der Zeit ganz von selbst. Doch dazu muss die Katze natürlich erst mal eingezogen sein, aus der Ferne geht das nicht.
Hätte ich die Kitten gleich mitnehmen können, wäre es in der Tat bei den zwei Katern geblieben. Aber ich musste ja noch sooo lange warten, und da kommen einem dann doch immer wieder Zweifel. Vor allem nachts, wenn man nicht schlafen kann, was bei mir sehr oft der Fall war. Dann sah ich mich beglückt nebst Katzenrudel die Treppe hinunterlaufen oder umgeben von etlichen Samtpfoten (alle Maine Coons) am Schreibtisch sitzen und neue Bücher schreiben. Katzen sind die idealen Begleiter von Schriftstellern und Übersetzern, denn sie beruhigen und inspirieren gleichzeitig. Ich hatte seit Monaten eine Schreibblockade, was nicht nur an Covid lag, sondern auch daran lag, dass Alice so krank gewesen war und nicht mehr wie sonst entspannt neben dem Computer schnurrte.
Ach, Alice! Ein Katzenmädchen war ja vielleicht doch eine schöne Ergänzung zu den beiden Jungs? Auch wenn es noch so unvernünftig und natürlich auch bedeutend arbeitsaufwändiger war. Katzen sind ja so anders als Kater, und ich hatte bisher immer mit Pärchen zusammengelebt. Jetzt wurde mir allerdings schon mulmig, wenn ich nur an Rolligkeit und Kastration dachte. Bei Katzen ist das ja eine richtige Operation, bei Katern nur ein Klacks. Kater werden zudem auch nicht rollig. Und schließlich gibt es ziemlich viele zickige und schwierige Katzen (wenn man Pech hat), während Kater meist große Kinder bleiben, wie echte Kumpel miteinander rangeln und nichts als Unsinn im Kopf haben. Oder sind das nur meine Vorurteile?
Wenn ich nun doch eine Katze nehmen würde, welche wäre es dann wohl? So imposant und löwenartig die feurige Karma auch war, sie erinnerte mich viel zu sehr an meinen roten Ben, und ich wollte ganz neu und ohne Erinnerungen anfangen. Am liebsten habe ich bunte Mädchen, aber die erinnern mich äußerst schmerzhaft an Kitty, Alice und Elaine. Davon gab es gleich zwei in dem Wurf und beide waren ein Traum. Aber Kyley, die ohnehin für die Zucht vorgesehen war, und auch Katjes waren Polys, und bei aller Schönheit war ich irgendwie noch nicht reif für Vielzeher.
Doch es gab ja noch ein Mädchen. Kallista war mir gleich am ersten Tag durch den ungewöhnlichen Ausdruck ihres Kittengesichts aufgefallen und erinnerte mich lebhaft an Tjorven, das stämmige kleine Mädchen aus Astrid Lindgrens „Ferien auf Saltkrokan“. Noch nie habe ich ein Kitten mit einer so merkwürdigen Mimik gesehen. Skeptisch, nachdenklich, eigenwillig und irgendwie schmollend. Aber silberrot und weiß? Ich wollte doch keine rote Katze mehr! Kallista war allerdings hell silberrot und weiß. Aber ich hatte doch noch nie eine so helle Katze! Wahrscheinlich bekam sie eine extrem sensible Haut und total empfindliche Augen? Man würde sicher jeden Krümel an ihrer Nase und in den Augenwinkeln sehen, genau wie damals bei Ben. Wie sahen silberrote Katzen mit Weiß überhaupt als erwachsene Tiere aus? Ich kannte keine einzige. Also begann ich, eifrig das Netz und sämtliche Ahnenreihen zu durchforsten. Die Bandbreite war gewaltig, von schmalen Köpfen mit langen spitzen Kaninchenohren über breite Brummschädel mit ballonartig aufgeblasenen Schnurrhaarkissen bis hin zu zierlichen, elfenhaft zarten und atemberaubend schönen Exemplaren. Ein ungewohnter Anblick, wenn man nur dunkle Katzen kennt. Ich legte mir eine kleine Bildersammlung zu, die ich jeden Tag ansah und erweiterte, und bemerkte, dass die Silberroten von Mal zu Mal schöner wurden. Es war offenbar reine Ansichtssache.
„Wie findest du das ganz helle Kitten?“ fragte ich meinen Mann. „Du willst also doch noch eine!“ meinte er amüsiert. „Nein! Will ich nicht! Ich will nur wissen, ob dir so eine helle Katze gefällt.“ Er fand das Gesicht zwar irgendwie „apart“, tat sich aber wie erwartet mit der Farbe schwer. Außerdem hatte das Kind eine merkwürdige Augenfarbe. Ich hatte bisher nur grünäugige Katzen gehabt. „Ich halt mich da raus“, sagte er schließlich. „Aber wenn dein Herz so dran hängt, dann nimm sie doch!“ Seufz.
Die Kater waren inzwischen längst angezahlt und reserviert, so dass ich zumindest in dieser Hinsicht entspannt war. Zwei dunkle Kater und eine helle silberrote Kätzin waren doch eigentlich eine reizvolle Kombination. Aber nein, ich wollte nur zwei. Die ständige Zweifelei ging mir schwer auf den Senkel, und die Wochen zogen sich immer noch zäh und lang wie Kaugummi. Ich bat Heike, mir noch ein paar Portraits von Kallista zu schicken und sie bei den nächsten nächtlichen Videos bitte einfach mal zwischen die Kater zu setzen. Heike schickte und setzte, und ich sah mir das Katzenkind genau an. Für ein Mädchen war sie recht groß und kräftig und würde sich wohl auch gegen ihre Brüder behaupten können. Ich schwankte heftig. Dummerweise bis zum letzten Tag vor dem Abholen.
Erst in allerletzter Minute kam ich auf die Idee, nach einer „Fügung“ zu suchen, um auch ganz sicher zu sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Gab es irgendetwas, das dieses silberrote Katzenmädchen eindeutig als „meine“ Katze identifizierte? Irgendein Zeichen? Oh ja! Es gab! Es war mehr als offensichtlich und mir trotzdem die ganze Zeit nicht aufgefallen. Die Fügung war ihr Name.
Kallista! Callisto! Die große Bärin! Mein Krafttier! Mein zweiter Name ist Ursula (kleine Bärin), und die Bärin hatte für mich schon immer mystische Bedeutung. Ich habe während meiner Therapien Bilder gemalt, in denen ich auf dem Rücken der großen Bärin sitze, die mich trägt und beschützt. Die erste bekannte Göttin der Menschheit war die Bärengöttin. Ich habe hier im Blog sogar einen langen Eintrag zu den Bärenmädchen der Artemis geschrieben, und er schließt tatsächlich mit der Geschichte von Callisto, die von Jupiter als das Sternbild der großen Bärin an den Himmel versetzt wird.
Ich bereitete meinen Mann so schonend wie möglich auf das Silberchen vor, doch er meinte nur: „Das war mir schon die ganze Zeit klar.“ Mir blöderweise überhaupt nicht, sonst hätte ich mich nicht so gequält. Offenbar kennt er mich wirklich extrem gut. Ich war sehr erleichtert, aber da war ja auch noch Heike.
Am Vorabend der Abholung bat ich sie am Telefon, noch einen dritten Vertrag vorzubereiten, denn ich würde am liebsten auch noch Kallista mitnehmen. Heike wirkte total verblüfft und war kurzzeitig sogar sprachlos. „Jetzt doch drei? Bist du dir da wirklich ganz sicher?“ „Absolut! Alle drei!“ Kein Fitzelchen Zweifel. Ich hatte schließlich meine Fügung.
Ich habe meine „unvernünftige“ Entscheidung keine Sekunde lang bereut und finde es nur ärgerlich, dass ich nicht schon viel früher auf die Idee mit der Fügung gekommen bin, denn das hätte mir eine Menge Stress erspart. Außerdem hätte Heike dann auch schon meinen Namen mit in den Stammbaum eintragen lassen können. Oder aber auch nicht. Stellaluna hat sich ihren Namen nämlich tatsächlich höchstpersönlich ausgesucht, denn sie ist eine ganz besondere Katze und entscheidet am liebsten selbst. Alles. Doch das ist eine andere Geschichte.
Stellaluna ist ein heller, leuchtender, silberroter Sonnenstrahl mit goldenen Augen in unserem Leben und hat es sogar mühelos geschafft, meinen Mann um ihre weißen Pfötchen zu wickeln, was bisher noch keinem einzigen Tier gelungen ist. Die Jungs dösen gerade hier bei mir, während Stellaluna oben im Arbeitszimmer weilt und heftigst meinen Mann beschmust. Sie ist die emotionalste und spontanste Katze, die ich je getroffen habe. Reines Glück in Katzengestalt. Wenn nur ihre Krallen nicht so nadelspitz wären!