An einem unangenehm heißen Tag Anfang Juli holten wir die Kätzchen in Hessen ab. Heikes Kittenpakete mit Futter und Spielzeug waren so üppig, dass mir die Worte fehlten und der Kofferraum nach dem Einladen bis oben hin voll war. Die Hinfahrt verlief reibungslos (wir waren viel zu früh da), doch die Rückfahrt wurde ein Alptraum. Es fing schon in Niederselters und Bad Camberg an, überall gab es merkwürdige Umleitungen wegen irgendeines tausendjährigen Ortsjubiläums, die das Navi offensichtlich wetterbedingt (oder grundsätzlich) nicht zu bewältigen vermochte. Die verwirrende Kurverei nahm einfach kein Ende, es war ein ziemliches Problem, überhaupt auf die Autobahn zu kommen. Zweimal hielten wir an und fragten nach dem Weg. Der zweite Mensch wußte ihn zum Glück.
Die drei Kitten im Kennel auf dem Rücksitz gaben keinen Laut von sich. Sie jammerten nicht mal leise, was schon irgendwie unheimlich war. Aber Coone sind ja selten laut, wenn man sie transportiert, was ich nach zwei ohrenbetäubenden Sirenen (Sam und Kitty), die dabei auch noch sabberten wie die Weltmeister und mit aller Macht versuchten, unter Einsatz ihres Lebens aus dem Transportkorb auszubrechen, sehr zu schätzen weiß. Sam und Kitty waren gebürtige Dorfkatzen, hatten eine halbwilde Mutter (Vater unbekannt, aber ebenfalls Freigänger), was ihr Leben als Wohnungskatze genetisch etwas erschwerte, obwohl ich sie bereits mit sieben (!!!) Wochen bekam, so dass sie viel Zeit zur Eingewöhnung hatten. Sie brüllten im Auto und in ihrem Weidenkorb wie am Spieß, sprudelten beim Tierarzt wie Springbrunnen, und Sam verlor dabei regelmäßig vor Stress auch noch büschelweise Fell, das am Ende den Behandlungstisch zierte. Nach einer harmlosen Impfung waren sämtliche Menschen im Raum in Schweiß gebadet und voll Sabber und Kater und Katze reif für eine therapeutische Krisenintervention. Es war echt stressig.
Einmal musste ich Sam notgedrungen im Taxi transportieren lassen, was sogar den erfahrenen Kölschen Fahrer, der sicher schon so gut wie alles in seinem Fahrzeug erlebt hatte, in Unruhe versetzte. „Vielleicht weiß der arme Kerl ja, was ihm blüht“, meinte er mitleidig. Der arme Kerl war auf dem Weg zur Kastration. Aber das wußte er bestimmt nicht. Er tobte immer so, wenn er im Korb saß. Auf der Rückfahrt war der arme Kerl still, was an der Narkose lag, die damals noch stundenlang wirkte. Sam und Kitty konnte man leider auch nachts nicht ins Schlafzimmer lassen, weil sie nachtaktiv und unermüdlich auf und unter dem Bett zugange waren. These cats were made for walking. Außerdem MUSSTE Sam um vier Uhr dreißig (nachts!) gefüttert werden, sonst brach er die Bude ab. Dreizehn lange Jahre lang. Ich erledigte das irgendwann wie ein Dosenöffner-Zombie. Auch im Dunkeln. Die Tür zum Schlafzimmer schloß ich stets von innen ab, denn die kluge Kitty wußte genau, wofür Klinken gut waren. Die Wohnungstür war ihr Spezialgebiet und somit ein Riesenschwachpunkt. Kitty hat sie mehrfach aufgefrickelt, und Sam raste dann sofort nach unten oder oben und vertilgte gnadenlos die geliebten Pflanzen unseres Hausmeisters. Besonders wenn sie in voller Blüte standen. Kitty blieb immer in der Wohnung. Doch das sind andere Geschichten. Über Sam könnte ich mehrere Bücher schreiben.
Die vier Maine Coons, die nach den beiden Heulbojen einzogen, waren dagegen überaus kooperativ, ließen sich ergeben und stumm im Kennel transportieren und ergeben und stumm beim Tierarzt behandeln, standen morgens ergeben und stumm erst auf, wenn ihre Menschen sich auch erhoben. Egal wie spät. Sonntags auch gegen Mittag. Doch vielleicht hatten wir da auch nur sehr viel Glück, denn der Coon meiner Schwester läßt sie nachts grundsätzlich nicht schlafen, weil er unbedingt bespielt werden will. Meine vier Coone hatten übrigens trotz aller Ergebenheit ziemlichen Respekt vor Tierärzten, sie vokalisierten ihn nur nicht.
Als unsere Tierärztin mal zum Impfen kam, was sie netterweise gelegentlich tat, waren zwar alle vier Coone im Wohnzimmer, hatten sich aber so perfekt versteckt und erfolgreich geschrumpft, dass selbst ich sie erst nach längerer Suche hervorzerren konnte. Sogar Cisco, ein Riesenkater, mutierte in Tierarztnähe geschickt zu einem brettflachen winzigen Kitten, und der rote Ben faltete sich akrobatisch im Affenzahn in die abgelegenste Ecke. Das zweifelnde Gesicht unserer Tierärztin sehe ich noch genau vor mir. „Sind Sie sicher, dass hier vier große Katzen im Zimmer sind?“ Ja, war ich, ich hatte sie ja persönlich ins Zimmer geschleppt, aber sehen konnte ich sie auch nicht. Keine einzige. Zehn peinliche Minuten lang. Die Verstecke waren einfach zu genial.
Ob die drei neuen Kitten wohl pflegeleicht sein würden? Im Moment waren sie jedenfalls äußerst brav und wirkten eher neugierig als verschreckt. Mit ihren großen runden Augen blickten die Katzenkinder eher erstaunt als ängstlich durch das weiße Kennelgitter in die fremde Welt. Es war ihr erster Ausflug überhaupt, und dann auch noch bei dieser Bullenhitze und einer so weiten Fahrt. Hoffentlich wurde ihnen nicht übel! Bestimmt war ihnen genauso heiß wie uns. Da wir wegen der Hitze die Klimaanlage laufen lassen mussten, paßte ich gut auf, dass sie nur ja keinen Zug abbekamen, und hielt dabei die meiste Zeit in verrenkter Stellung eine Hand vor ihr Gitter, damit sie sich nicht so allein fühlten. Ab und zu schnupperten und knabberten sie zart an meinen Fingern. Aber beruhigt war ich noch lange nicht. Mit gutem Grund.
Nach einer halben Stunde fing das silberrote Mädchen an zu hecheln. Selbst mein Mann, der normalerweise kaum aus der Ruhe zu bringen ist, machte sich Sorgen. Von mir will ich gar nicht erst reden. Wir hatten beide Angst, dass die Kleine dehydrieren könnte. An der nächsten Raststätte holten wir eine Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure. „Aber nicht aus dem Kühlschrank!“ Was die Verkäuferin extrem erstaunte. „Warmes Wasser? Is‘ das jetzt Ihr Ernst? Sie wollen wirklich kein kaltes Wasser?“ Als ich ihr von den Kitten erzählte, wurde sie gleich sehr nett, denn sie hatte auch eine Katze. „Na dann viel Glück!“ meinte sie nur. An eine Pipette hatte ich bei den Reisevorbereitungen dummerweise nicht gedacht, also gab ich den Kitten das Wasser tröpfchenweise mit dem Zeigefinger. „Hoffentlich kriegen wir die lebendig nach Köln“, sagte mein Mann. Wenn wir doch bloß schon da wären!
Leider sollte es noch schlimmer kommen, denn auf der Autobahn gab es plötzlich gleich mehrere Vollsperrungen hintereinander. „Leben die Babys noch?“ fragte mein Mann in regelmäßigen Abständen, denn die Stille auf dem Rücksitz behagte ihm gar nicht. Ich verdrehte mir tausendmal den Hals. Drei kleine Köpfchen waren zu sehen, die Jungs schienen zu dösen, das Mädchen hechelte. Alle atmeten. Noch. Oh Gott. Zu heiß war es jetzt nicht mehr im Wagen, aber sie hatte sicher Stress oder vielleicht auch Angst. Möglicherweise war das Mädchen ja auch empfindlicher? Heller Typ und so? Waren die Jungs etwa ohnmächtig? So entspannt in einem fremden Wagen zu liegen war doch nicht normal!
Die Rückfahrt dauerte doppelt so lange wie die Hinfahrt, und die Tatsache, dass Fahrer und Beifahrerin dringend eine Toilette benötigten, war nicht unbedingt stressreduzierend. Für den Fall, dass die Kitten mal mussten, hatte ich vorgesorgt und einen ordentlichen Vorrat an Lappen und Papiertüchern mitgenommen. Ein wenig Sorgen machte mir toilettenmäßig die Tatsache, dass die Kitten bei Heike nur ein „Murmelklo“ (kannte ich bis Heike auch nicht) kennengelernt hatten (sie hat es inzwischen entsorgt, sagt sie). Ob die Kitten wußten, wie man ein normales Katzenklo mit Klumpstreu benutzte? (Kein Grund zur Sorge. Sie kapierten es sofort und buddelten wie begeisterte Dackel.) Im Auto wurde es zunehmend stiller, denn inzwischen war auch den Menschen nicht mehr zum Reden zumute. Würde das denn nie aufhören mit den endlosen Autoschlangen? Entweder wir standen still oder kamen nur im Schritttempo vorwärts. Warum waren diese verdammten Autobahnen bloß alle gesperrt? Im Verkehrsfunk kam dazu kein Sterbenswörtchen. Befanden wir uns etwa in einer Parallelwelt?
Kurz vor Köln hatte der Spuk mit einem Mal ein Ende und wir gelangten unverhofft auf eine völlig leere große Straße, die wir trotz genauer Recherche auch im Nachhinein nicht identifizieren oder finden können. Vielleicht hatten ja die Katzengötter mein Flehen erhört und uns geholfen? Die geheimnisvolle Straße kam uns vor wie ein Wunder. Als wir endlich, endlich zu Hause ankamen, waren zum Glück alle drei Kitten noch am Leben und erholten sich sehr schnell, wie ich zu meiner Erleichterung feststellte.
Dass sie zu dritt waren, machte ihnen die Erkundung des fremden Hauses sichtlich leichter. Sie kletterten zusammen aus dem Kennel, marschierten gemeinsam zum Fressnapf, gruben gemeinsam im Sand und inspizierten gemeinsam das Wohnzimmer. Sie stiegen hintereinander in die diversen Häuser und Filzhöhlen, robbten unter die Möbel, unter denen noch Wollmäuse waren, und quetschten sich in alle Ecken, in denen ich die Spinnweben übersehen hatte. Die Küchentür hielt ich vorsichtshalber geschlossen, damit sie nicht mit zu vielen Räume auf einmal konfrontiert wurden. Nur nicht überfordern! Das einzige, was ihnen Angst machte, war unsere alte knarrende Treppe. So etwas kannten sie nicht, und die lauten Menschenschritte darauf waren bis heute das einzige Geräusch, das sie je dazu brachte, auf der Stelle das Weite zu suchen.
Nach ein paar Tagen hatten sie sich aber auch daran gewöhnt und behandelten unser Haus wie einen riesigen Katzenspielplatz. Besonders die Treppe! Jetzt hatte ich Angst, weil sie wie Akrobaten zwischen den Stäben hingen, tollkühn am Geländer baumelten oder wie elegante Seiltänzer darauf herumturnten (das machen sie leider immer noch äußerst gern). Nur gut, dass wir eine geschlossen Treppe haben. Dummerweise komplett aus Holz, was bei pfotenbetonten Katzen (aus einem Poly Wurf) eindeutig ein Nachteil ist, denn so signalisiert ihnen offenbar jeder Stab, dass sie einen eigens für Kitten installierten und präparierten Kratzpfosten vor sich haben, in den sie nach Herzenslust ihre nadelspitzen Nägel graben können. Das Geländer ist inzwischen von Narben übersäht und fühlt sich unter der Hand nicht mehr angenehm an. Damit hatte selbst ich bei all meiner Katzenerfahrung nicht gerechnet. Ich arbeite immer noch hart daran, den Coonkindern die Treppenkratzerei abzugewöhnen. Muss am Poly-Gen liegen. So angekratzt war unsere Hütte noch nie.