Ist es möglich, ein ganzes Jahr lang mit einem wildfremden Menschen, den man sich nicht einmal selbst ausgesucht hat und der noch dazu aus einem anderen Land stammt, ein Zimmer zu teilen und dabei glücklich und in Harmonie zu leben?
Ich weiß nicht, wer die andere Studentin sein wird. Eine Französin, hat die Heimleiterin am Telefon gesagt. Ich stelle mir eine elegante, selbstbewusste Pariserin vor, toll geschminkt, die ununterbrochen raucht und Wein trinkt, nur französische Schlager hört und wie ein Wasserfall redet. Ganz schreckliche Vorurteile, ich weiß, aber sie sind hartnäckig. Möglicherweise ist sie zwanghaft ordentlich, alles muss makellos aufgeräumt sein. Oder total chaotisch, überall liegen Sachen herum, auch schlimm. Ich habe solche Angst vor diesem Jahr! Vor der Fremde, der Großstadt, der Universität, dem Studium. Keiner mehr da, den ich um Hilfe bitten oder um Rat fragen kann. Keine Familie, keine Freundinnen, keine Schule. Mein Freund, mit dem ich seit vier Jahren zusammen bin, ist weit weg bei der Bundeswehr und kommt nur noch am Wochenende nach Hause. Und er hat sich verändert, weil er es beim Bund kaum aushält. Ob ich mich auch verändern werde hier in der Stadt? Vor der Heimleiterin, einer älteren Dame, habe ich auch Angst, sie erinnert mich an eine strenge Lehrerin aus der Volksschule. Ich bestehe wie so oft nur aus Angst. Vor den Studentinnen im Heim, die aus aller Welt kommen, und den Kommilitonen an der Uni habe ich auch Angst.
Ich bin sehr aufgeregt, als meine Eltern mich mit dem Auto nach Köln bringen, aber wie üblich merkt man mir nichts an, weil ich nichts mehr sage und stumm bin wie ein Fisch. Meine Eltern sind auch gestresst, ich spüre es deutlich, meine Mutter gibt mir tausend Ratschläge, ihr wäre es lieber, ich würde weiter zu Hause wohnen und jeden Tag mit dem Zug nach Köln reisen. Mein Vater flucht und schimpft, weil er in einer fremden Stadt herumfahren muss und sich nicht auskennt. Wir haben den Kofferraum vollgepackt mit Essen, ich soll auf keinen Fall verhungern, und dem, was man als Erstsemester so braucht. Jetzt bin ich froh, dass ich eine „Aussteuer“ habe. Handtücher, Bettwäsche, mein gelbes und braunes Melitta-Geschirr, alles im Kofferraum, in Taschen, Tüten und Koffern.
Das katholische Studentinnenheim liegt nur wenige Schritte vom Volksgarten entfernt, nah an den Ringen, die Bahnverbindung ist gut, die Haltestelle Eifelplatz um die Ecke, aber ich habe keine Ahnung, wie ich zur Uni oder zum Bahnhof komme, bin ja nur an unser Dorf, aber nicht an ein Leben in der Großstadt gewöhnt. Ich kenne hier nur eine einzige Person, die Studentin, die für mich gebürgt hat. Aber von Kennen kann gar nicht die Rede sein. Sie kommt zufällig aus demselben Dorf, meine Mutter ist mit ihrer Mutter zur Schule gegangen. Meine kontaktstarke Mutter kennt jeden in unserem Dorf und ist ein Organisationsgenie. Ich fühle mich schon jetzt völlig überfordert. Schaffe ich das Studium überhaupt? Ist es wirklich eine gute Idee, Anglistik und Germanistik auf Lehramt zu studieren? Alles in mir sträubt sich dagegen. Ich kann mich so gar nicht als Studienrätin sehen, bin viel zu schüchtern, habe große Probleme damit, vor anderen zu stehen und zu reden. Vor Referaten bin ich immer tausend Tode gestorben. Am liebsten würde ich Psychologie studieren, aber das wollen meine Eltern nicht. Kunst würde mir auch gefallen, doch ein brotloser Beruf kommt nicht in Frage. Für Kunst bin ich auch nicht gut genug. Meine Abschlussnote ist gleich abgestürzt, als wir mit Speckstein und Ton gearbeitet haben. Meine Stärke ist einzig und allein das Zeichnen.
Ich habe keinen Schimmer, welche Kurse ich belegen muss, noch nie habe ich allein einen Stundenplan zusammenstellen müssen, fühle mich von den unzähligen Namen und Kursnummern erschlagen, wenn ich ins Vorlesungsverzeichnis schaue. Ich weiß nicht mal, wo ich mittags und abends etwas zu essen bekommen soll. Ewig werden die Vorräte meiner Mutter nicht halten. Meine Mutter, die meine Gedanken lesen kann, sagt: „Am nächsten Freitag bist du ja wieder zu Hause, Kind.“ Wie wird es sein ohne richtiges Badezimmer, ohne meinen vertrauten Schreibtisch, ohne Fernseher und ohne Telefon, auch wenn zu Hause immer einer mithört. Ich könnte heulen, wenn ich daran denke, dass ich ab heute Abend ohne Eltern, Schwester und ohne meine Katze leben muss.
Die schwarzweiße Topsi hat während meines Grundstudiums mit dem Kittenkriegen jedes Mal auf mich gewartet. Ihre Würfe kamen während dieser Zeit nur samstagnachts zur Welt, weil ich dann zuverlässig bei ihr im Keller neben der Wurfkiste sitzen und ihre Pfote halten konnte. Ich kam immer freitagabends mit dem Zug und blieb bis montagmorgens. Erst als ich in England lebte, konnte Topsi nicht mehr auf mich warten. In dem Jahr hat meine Mutter sie zum Tierarzt gebracht und kastrieren lassen.
Mich im Beisein einer anderen Person an- und auszuziehen, zu waschen, mit jemandem im selben Raum zu schlafen (vielleicht spricht sie im Schlaf, macht komische Geräusche oder schnarcht? Oder, noch schlimmer, ich selbst spreche im Schlaf, mache komische Geräusche oder schnarche?), zu arbeiten, zu schreiben, zu lesen, Vokabeln zu lernen, für Vorträge oder Klausuren zu üben, wie soll das gehen? Stört man sich da nicht dauernd gegenseitig? Todsicher kann ich mich nicht konzentrieren, wenn ich nicht allein bin, ich brauche dazu totale Ruhe. Vielleicht hört sie die ganze Zeit Radio? Vielleicht ist sie temperamentvoll und launig? Oder sie ist verschlossen und redet kaum. Dann gibt es diese bleierne Stille, die einen völlig fertig macht. Oder sie streitet gern und wir kriegen dauernd Krach? Ich hasse Streit. Ich kann mich nicht wehren, lieber leide ich stumm vor mich hin und fresse alles in mich hinein. Den Satz „Mit dir kann man sich überhaupt nicht streiten“ kenne ich nur allzu gut. Bisher war er immer Vorwurf und nie Lob. Kann es in einem Doppelzimmer auch nur den Anflug von Privatsphäre geben? Die Chancen stehen nicht gut. Manchmal macht mich mein Kopfkino mit all seinen detaillierten Katastrophenvisionen total verrückt. Wäre ich doch entspannter!
Ich hätte meinem Schicksal einfach vertrauen sollen. Immerhin hatten Michelle und ich bereits eine Gemeinsamkeit. Die Heimleiterin hatte sich im Vorfeld erkundigt, ob es mir etwas ausmachen würde, ein Zimmer mit der Nummer 13 zu beziehen. Andere Studentinnen hätten dies abgelehnt, was sie gut verstehen könne, immerhin sei es für die meisten eine Unglückszahl. Warum eigentlich? Die Französin habe mit der 13 kein Problem, sagte die Heimleiterin. Ich auch nicht. Ich lebe heute sogar in einem Haus mit der Nummer 1313.
Das Heim wirkt auf den ersten Blick fremd und einschüchternd, riecht aber an manchen Stellen vertraut nach Klosterschule und Internat. Auf den Fluren wuseln junge Mädchen herum. Im vierten Stock gibt es eine Kapelle mit Sakristei. Zimmer 13 befindet sich im ersten Stock, ganz nah an der Treppe und dem kleinen Aufzug. Es gibt in jeder Etage ein Gemeinschaftstelefon, das einfach an der Wand hängt, so dass intime Gespräche problematisch und störanfällig sind. Alle Etagen haben zudem eine Gemeinschaftsküche mit Herd und zwei Kühlschränken, in den Schränken hat jede ein eigenes Fach. Am anderen Ende des Flurs sind zwei enge Toilettenkabinen, nicht viel für so viele Personen. Die Heimleiterin schließt die dreizehnte Tür auf und übergibt mir die Schlüssel für Haus- und Zimmertür. Neben der 13 hängt ein Kasten mit vielen hölzernen Taubenfächern für die Hauspost. Briefe und Karten an mich werden im F-Fach sein. Meine Zimmergenossin komme nicht aus Paris, sagt die Heimleiterin, sondern aus der Bretagne. Ein sehr sympathisches Mädchen, heute besuche sie ihre deutsche Brieffreundin. Offenbar ist sie sehr selbstständig und kann nahezu perfekt Deutsch. Sagt jedenfalls die Heimleiterin. Ich schöpfe ein bisschen Hoffnung.
Es wundert mich, wie oft ich bis heute von diesem Heim träume, manchmal vermischt mit der Klosterschule, vor allem die Wand mit den Brieffächern kommt fast immer vor. Zweimal habe ich in diesem Heim gewohnt. Zuerst drei Jahre lang bis zum Umzug nach England, zwei Jahre davon in einem Einzelzimmer, nach der Rückkehr aus Gravesend erneut, jedoch nur für wenige Monate, um vor Ort auf Wohnungssuche gehen zu können. Wieder im Doppelzimmer, diesmal mit einem afghanischen Mädchen, aber wir sahen uns kaum, weil sie meistens mit ihren Verwandten zusammen war. Ihren Vornamen habe ich vergessen, ich glaube, er bedeutete Schmetterling. Sie hatte einen netten Bruder, der sehr gut kochen konnte. An die Gesichter der beiden erinnere ich mich gut. Merkwürdigerweise hatte die Schmetterlingsschwester eine Vorliebe für Paul Simons Song „Duncan“, sie wollte es immer unbedingt hören. Nur gut, dass sie den Text nicht verstand.
Zimmer 13 mit den großen Fenstern ist leer, als wir es betreten. Der Raum ist doppelt so groß wie mein Kinderzimmer, an der linken Wand stehen zwei Betten fest hintereinander, mit gegenüberliegenden Kopfenden. Dazu gehören zwei kleine Nachttische. Hinter dem zweiten Bett steht ein einfacher weißer Schreibtisch mit einem roten Stuhl, auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls. Den Großteil der rechten Wand nehmen zwei breite, deckenhohe braune Schränke ein, mit vielen Fächern und Schubladen. Wir legen die Koffer, die meine Eltern leer wieder mitnehmen werden, aufs Bett, und meine Mutter macht sich ans Ausräumen. Sie hat wie immer alles perfekt im Griff, agiert überaus praktisch, hat an alles gedacht, ich bin ihr unendlich dankbar und mir wird fast schlecht, wenn ich daran denke, dass sie bald fort sein wird. Geschirr, Wäsche, Bücher, Plätzchen und Schokolade wandern in den Schrank. Alle Fächer haben Schlüssel. „Hoffentlich kommt hier nichts weg“, sagt mein Vater. Die Heimleiterin hat einen Generalschlüssel, wie wir gesehen haben. Wer weiß, ob es noch mehr davon gibt. Mein Vater hat immer Angst, bestohlen zu werden. Ich schließe also vorsichtshalber erst mal alle Fächer ab und verstecke die Schlüssel im jeweils nächsten Fach, doch das ist ziemlich umständlich. Lange halte ich das bestimmt nicht durch.
Rechts neben der Tür hängt ein Waschbecken, darüber eine Ablage, an den Seiten Handtuchhalter. Meine Zimmergenossin hat sich Bett (das hintere) Schreibtisch (den links) und Schrank (den ersten rechts) bereits ausgesucht und ihre Sachen dort hingestellt und hingelegt. An der Stelle, wo sich die Betten treffen, befindet sich ein kleiner Tisch, auf den wir meinen Radiorecorder stellen. Der französische Kassettenrecorder steht bereits dort.
Die hohen Fenster gehen hinaus auf Birken und den Hof mit dem Eingangsbereich. Wie ein gläserner Käfig ist er konstruiert, es gibt eine Art Falle zwischen zwei großen Türen, beide müssen aufgeschlossen oder per Pfortenknopf aufgedrückt werden, damit Gäste ins Haus gelangen können. Wenn man das Haus betritt und zwischen den Glastüren steht, ist rechts das Pfortenfenster, hinter dem bis auf nachts immer jemand sitzt und aufpasst. Dort muss sich jeder anmelden, der keinen Schlüssel hat. Auch das erinnert mich an die Klosterschule und den Cerberus. Wer das Pech hat, ein Mann zu sein, bleibt bis zu seiner Befreiung durch die Studentin, die er besuchen oder abholen möchte, in der Glasfalle stecken. Die Bewohnerinnen sind also sicher vor bösen Überraschungen. Meiner Mutter gefällt das. Mein Vater ist ungewöhnlich still, ich glaube, es geht ihm nicht gut. Unsere bevorstehende Trennung macht auch ihm zu schaffen.
Sofort ist mir aufgefallen, dass es in diesem Zimmer ganz wunderbar duftet. Keine Spur von Rauch oder Rotwein, nur zart und frisch nach Blumen, ein klein wenig nach Frühlingswald und Gewürzen. Offenbar stammt der Duft aus der großen blauweißen Flasche auf dem linken Schreibtisch, die gleich neben den Riesenplastikflaschen mit Evian steht. Meine Mutter findet den Geruch auch angenehm. „So frisch! Sollen wir mal an der Flasche riechen?“, schlägt sie vor und schreitet, forsch wie sie ist, sofort zur Tat, während ich nervös zur Tür schaue, falls die Französin plötzlich ins Zimmer kommen und uns beim Tischfriedensbruch überraschen sollte. Wir schnuppern und ich bin sofort hin und weg. Wer dieses Eau de Toilette benutzt, kann nur ein besonders netter Mensch sein. „Eau de Roche“ steht auf der Flasche. Wasser, das über Felsen fließt.
Ein Klassiker, 1948 kreiert von Edmond Roudnitska, der auch das berühmte „Diorissimo“ entwickelte. 1970 wurde der zitrisch frische Duft leicht verändert, 1983 erneut, seitdem heißt er „Eau de Rochas“. Es gibt ihn zum Glück immer noch! Irgendetwas fehlt heute zwar, aber er duftet immer noch überaus angenehm, leicht herb und zitronig, würzig, blumig und passt zu jedem Alter. Ein Hauch Basilikum und Moos, ein wenig wie Gin Tonic mit Zitrone. Damals wusste ich noch nichts von meiner hochsensiblen Nase, merkte aber, dass der Duft mich beruhigte. Später hat Michelle auch andere sehr schöne Düfte ausprobiert, etwa „L’EauParkKenzo“ und „Verveine“, sie hat mir bei ihren Besuchen auch gleich ihren neuen Duft mitgebracht und ich habe ihn dann ebenfalls aufgetragen und dabei an sie gedacht, doch sie selbst und unser gemeinsames Jahr habe ich offenbar nachhaltig mit „Eau de Roche“ abgespeichert. Ich benutze es bis heute. Immer noch. Nicht jeden Tag, dem außerdem liebe ich ja auch „Eau Sauvage“, aber ziemlich oft. Der olfaktorische Trigger ist absolut zuverlässig. Den etwas anderen Duft des Duschgels und der Seife verknüpfe ich übrigens mit einem bemerkenswerten Urlaub an der Côte d’Azur und mit T. S. Eliot, doch das ist ein anderes Zimmer.
Direkt neben der Tür befindet sich eine Sprechanlage, ein flacher Kasten mit mehreren Knöpfen, die man drücken muss, um mit der Zentrale in Kontakt zu kommen.
Leider schrillte oft genug und vor allem spätabends der sogenannte Sammelruf, mit dem jedes Zimmer im Haus gleichzeitig erreicht wurde. Das kurze Knacksen und die laute Stimme kamen immer plötzlich und im falschen Moment, so dass man bis ins Mark erschrak. „Karin bitte in die Pforte, Kariiiiin! Besuch für dich!“ oder „Marianne, Telefon für dich! Es ist dringend!“ Jede von uns hatte mehrmals im Monat Pfortendienst, was ziemlich viel Stress bedeutete. Vor einem stand das große Board mit Namen und Knöpfen, schätzungsweise lebten damals um die 70 Studentinnen im Haus, es war ein internationales Studentinnenheim, und zu meiner Zeit gab es viele indonesische Namen. In meiner Erinnerung studierten alle indonesischen Mädchen Mineralogie. Wenn die ausländischen Studentinnen abends Anrufe von Verwandten oder Freunden von sehr weit weg erhielten, waren die Verbindungen meist schlecht und man konnte vor lauter Knacken die Namen oder die Sprache kaum verstehen. Vor Aufregung drückt man dann den falschen Knopf, rief das falsche Zimmer oder die falsche Person an oder legte den Anruf in die die falsche Etage. „Michiko, ein Anruf aus Japan für dich, deine Eltern, ich lege auf drei!“ Michiko wohnte aber auf zwei und kam kurz darauf völlig aufgelöst hereingestürzt, und ich war schuld an ihrer Aufregung. Die höfliche Michiko sagte nichts, blieb aber sicherheitshalber vor Ort, um den nächsten Versuch persönlich entgegenzunehmen, und ich fühlte mich wie eine Versagerin. Es riefen noch zig andere Leute an, bevor Michikos Eltern endlich wieder durchkamen.
Es gibt auch gute Erinnerungen an die Pfortenabende. Meistens nahm ich nämlich Block und Tuschsachen mit und zeichnete. Malen beruhigt. Merkwürdig verschlungene schwarzweiße Bilder entstanden in der Pforte. Das Schöne war, dass die anderen Studentinnen manchmal hereinkamen („Malst du wieder? Ach, wie toll!“) und mir über die Schulter schauten. Ein angenehmes Gefühl, wie im Zeichensaal in der Schule. Zeichnen kann ich immer, dabei brauche ich nicht zu denken, nur meinen Fingern zu folgen. Heute geht es mir beim Porzellanmalen noch genauso, sogar in Zeiten mit größtem Stress entstehen ganz von selbst spontane Wimmelbilder.
Als ich mich von meinen Eltern verabschiede, zittere ich innerlich. „Wir rufen dich sofort an, wenn wir zu Hause sind“, verspricht meine Mutter. Das wird sie bestimmt tun, sie hält immer, was sie verspricht. Doch meine Vorangst macht das nicht besser. Ich bringe meine Eltern zum Auto, sehe sie wegfahren, winken, schlucke tapfer an meinen Tränen, gehe schnell die Treppe hoch, ohne jemanden anzusehen, schließe die 13 auf, fühle mich einsam und verlassen, hänge das David Hamilton Poster, auf dem zwei Mädchen vor einer verwitterten Mauer stehen und weiße Tauben füttern, und das rothaarige Egon Schiele-Mädchen mit den großen Augen („Sitzende Frau mit hochgezogenem Knie“) übers Bett, versuche zu lesen und warte auf meine unbekannte Mitbewohnerin. Auf dem Bett liegt die rote Decke, die meine Mutter mir extra für das neue Zimmer geschenkt hat.
Draußen ist es dunkel geworden. Meine erste Nacht in Köln.