Im Kirchengarten in meinem Viertel stehen viele große alte Linden. Sie haben längst aufgehört zu blühen, spenden an heißen Tagen aber immer noch ihren wohltuend luftigen „linden“ Schatten. Nach ihrem Duft habe ich mich besonders gesehnt, als ich durch Covid meinen Geruchssinn verloren hatte, und als ich sie zum ersten Mal wieder wahrnahm, habe ich so laut „Linden!“ gejubelt, dass mich anderen Passanten auf dem Bürgersteig verständnislos angestarrt haben. Wenn ich an der Kirche vorbeigehe und in die Wolke aus Lindenduft eintauche, bleibe ich immer stehen und genieße den Moment. Perfect Bliss, wie ich solche Zustände der Entrücktheit auf Englisch nenne.
Vieles geht mir bei ihrem Anblick durch den Kopf. Linden, Tilia, sind besondere Bäume. Ihr weiches Holz lässt sich hervorragend bearbeiten und ist ideal für Bildhauer und Schnitzer, auch wenn es leider anfällig für Holzwurmbefall ist. Aus Lindenholz wurden die berühmten Statuen und Altäre von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß geschaffen. Lindenholz diente zur Fertigung von Krippen, Spielwaren, Küchengeräten, Furnieren und Fässern, Streichhölzern, Gitarren und Harfen. Aus dem weichen, geschmeidigen Lindenbast wurden früher sogar Kleidung und Matten hergestellt sowie vielerlei Gebrauchsgüter geflochten, etwa Bienenkörbe, Schnüre, Seile und Sattelzeug. Bis heute macht man daraus Bindebast für Gärtner.
Bei den Germanen galt die Linde als heiliger Baum der Freya. Im Christentum wurde sie später zum Marienbaum, in dessen Nähe oft ein Schrein, eine Kapelle oder ein Wegkreuz stand. In Deutschland gab es vielerorts Dorf- und Friedenslinden. Linden wurden bald zum Baum des Volkes, zum beliebten Versammlungsplatz und wegen des Dufts und der hübschen herzförmigen Blätter auch zum Baum der Verliebten. Unter Linden wurden Urteile gesprochen und wichtige Bekanntmachungen verlesen. Luther soll über sie gesagt haben: „Unter den Linden pflegten wir zu singen, trinken und tanzen und fröhlich zu sein, denn die Linde ist uns ein Friede- und Freudebaum.“ Mich erinnert der Duft auch an meine Mutter, die ein Eau de Toilette von D’Orsay liebte, das „Tilleul“ hieß. Es duftete ganz zart und zum Schluß roch es nach Heu. Leider kann man es schon lange nicht mehr kaufen, sonst hätte ich bestimmt eine Flasche davon hier bei mir.
Linden sind außerdem heilkräftige und nährende Bäume, aus ihren Blüten werden der bewährte Lindenblütentee, das hautberuhigende Lindenblütenwasser und wohlschmeckender Honig und Sirup gemacht. Sie können sehr alt werden, manchmal sogar über 500 Jahre. Doch mit dem zunehmend heißen Klima kommen die Bäume nicht zurecht und werden immer anfälliger für Schädlinge und Krankheiten.
Bald tragen sie wieder ihr unauffälliges sanftgelbes Herbstlaub, doch jedes Jahr im Juni strömen ihre winzigen Blüten einen geradezu betörenden Duft aus, der Bienen und Hummeln magisch anzieht. Leider stellen sich dann gleich auch scharenweise die Blattläuse ein. Doch während sich die Anwohner und Parkplatzsucher wohl vor allem über den herabtropfenden klebrigen Honigtau ärgern, kann man auf der Bank im Gemeindegarten direkt an der lärmenden Aachener Straße den Lindenduft in vollen Zügen genießen und unbeschwert seinen Träumen und Erinnerungen nachhängen.
Kleiner Nachtrag zum letzten Post:
Übrigens hat sich die Telekom inzwischen in einem arg verspäteten Brief zu einer Erklärung für die Sperrung meines Handy-Anschlusses herabgelassen. Hätte ich diese Information gleich am Tag der Sperrung als Mail erhalten, wie sonst sämtliche Nachrichten der Telekom, wären mir Schreck und Panik erspart geblieben. Ich gebe übrigens jetzt auf und werde den Anschluss meines Mannes kündigen. Ich bin den Clinch mit der Telekom leid, auch wenn es mich stark an Erpressung erinnert. Kleiner (nicht von mir bearbeiteter!) Ausschnitt aus dem Brief:
„Unsere Anteilnahme zu Ihrem Verlust. Gern unterstützen wir Sie dabei, in dieser sicherlich schwierigen Zeit wenigstens dieses Thema gut zum Abschluss zu bringen. Vorher sind allerdings noch einige Schritte erforderlich – denn durch die Übernahme entsteht ein neuer Vertrag mit Ihnen. Lassen Sie sich ruhig Zeit dafür: Wir haben die Anschlüsse für 30 Tage stillgelegt.“
Ja, tatsächlich fett gedruckt und in einer Extrazeile, als wäre es für den Briefempfänger eine wunderbare, hilfreiche Nachricht. Wer in aller Welt kommt auf solche kundenfeindlichen, unsensiblen Ideen? Man sollte der Person und ihrem/seinem Partner (oder Partnerin) zur Belohnung auf jeden Falls sofort die Handy-Anschlüsse für 30 Tage sperren. Oder besser noch: für 60 Tage.