Aller guten Coone sind drei

Krispin

„Na, wie sieht es aus?“ fragte mein Mann, als ich aus dem Kittenzimmer wieder nach unten kam, wo er sich angeregt mit Heikes nettem Gatten über allerlei Hessisches unterhalten hatte, während ich oben mit Federangel und Bällchen zeitlos die Kitten bespielt hatte. „Du warst ja ziemlich lange oben.“ Echt? War mir gar nicht aufgefallen. „Und, was hast du entschieden?“ Drei Augenpaare starrten mich gespannt an, und ich fühlte mich irgendwie unbehaglich. „Es bleibt bei den Jungs!“, sagte ich. Und das meinte ich auch so. Zwei waren genug! Man wird ja schließlich nicht jünger. Wenn es noch einen Kater in dem Wurf gegeben hätte, wäre ich vielleicht schwach geworden. Katzen und Menschen in Heikes Wohnzimmer schauten immer noch prüfend. „Nur zwei!“ beharrte ich. „Hab ich doch gesagt.“ „Da bist du dir wirklich sicher?“, fragte mein Mann irgendwie ungläubig. Ja, war ich! Was sollte diese Fragerei? Ich bat Heike, mir die Jungs zu reservieren und schrieb ihr die Namen auf, die ich nach langem Nachdenken ausgesucht hatte: Krispin und Hathaway. Damit sie auch weiter einen K-Vornamen im Stammbaum hatten, kombinierten wir unsere Namen: Kurt Krispin und Kingsley Hathaway. Und dann fuhren wir wieder zurück nach Köln.

Es gibt etliche erstaunlich lange Namenslisten in meinem Handy, denn was Katzentaufen betrifft, bin ich mindestens so eigen wie ein Züchter. Mir ist allerdings am wichtigsten, dass die Namen auch zuverlässig rufbar sind und für meine Schriftstellerohren melodisch genug klingen. Dazu können sie ruhig etwas länger sein. Natürlich müssen sie am Ende vor allem den Katzen gefallen, aber das merkt man schnell. Katzen haben immer viele Namen, Kosenamen kommen im Laufe der Zeit ganz von selbst. Doch dazu muss die Katze natürlich erst mal eingezogen sein, aus der Ferne geht das nicht.

Hathaway

Hätte ich die Kitten gleich mitnehmen können, wäre es in der Tat bei den zwei Katern geblieben. Aber ich musste ja noch sooo lange warten, und da kommen einem dann doch immer wieder Zweifel. Vor allem nachts, wenn man nicht schlafen kann, was bei mir sehr oft der Fall war. Dann sah ich mich beglückt nebst Katzenrudel die Treppe hinunterlaufen oder umgeben von etlichen Samtpfoten (alle Maine Coons) am Schreibtisch sitzen und neue Bücher schreiben. Katzen sind die idealen Begleiter von Schriftstellern und Übersetzern, denn sie beruhigen und inspirieren gleichzeitig. Ich hatte seit Monaten eine Schreibblockade, was nicht nur an Covid lag, sondern auch daran lag, dass Alice so krank gewesen war und nicht mehr wie sonst entspannt neben dem Computer schnurrte.

Ach, Alice! Ein Katzenmädchen war ja vielleicht doch eine schöne Ergänzung zu den beiden Jungs? Auch wenn es noch so unvernünftig und natürlich auch bedeutend arbeitsaufwändiger war. Katzen sind ja so anders als Kater, und ich hatte bisher immer mit Pärchen zusammengelebt. Jetzt wurde mir allerdings schon mulmig, wenn ich nur an Rolligkeit und Kastration dachte. Bei Katzen ist das ja eine richtige Operation, bei Katern nur ein Klacks. Kater werden zudem auch nicht rollig. Und schließlich gibt es ziemlich viele zickige und schwierige Katzen (wenn man Pech hat), während Kater meist große Kinder bleiben, wie echte Kumpel miteinander rangeln und nichts als Unsinn im Kopf haben. Oder sind das nur meine Vorurteile?

Stellaluna

Wenn ich nun doch eine Katze nehmen würde, welche wäre es dann wohl? So imposant und löwenartig die feurige Karma auch war, sie erinnerte mich viel zu sehr an meinen roten Ben, und ich wollte ganz neu und ohne Erinnerungen anfangen. Am liebsten habe ich bunte Mädchen, aber die erinnern mich äußerst schmerzhaft an Kitty, Alice und Elaine. Davon gab es gleich zwei in dem Wurf und beide waren ein Traum. Aber Kyley, die ohnehin für die Zucht vorgesehen war, und auch Katjes waren Polys, und bei aller Schönheit war ich irgendwie noch nicht reif für Vielzeher.

Doch es gab ja noch ein Mädchen. Kallista war mir gleich am ersten Tag durch den ungewöhnlichen Ausdruck ihres Kittengesichts aufgefallen und erinnerte mich lebhaft an Tjorven, das stämmige kleine Mädchen aus Astrid Lindgrens „Ferien auf Saltkrokan“. Noch nie habe ich ein Kitten mit einer so merkwürdigen Mimik gesehen. Skeptisch, nachdenklich, eigenwillig und irgendwie schmollend. Aber silberrot und weiß? Ich wollte doch keine rote Katze mehr! Kallista war allerdings hell silberrot und weiß. Aber ich hatte doch noch nie eine so helle Katze! Wahrscheinlich bekam sie eine extrem sensible Haut und total empfindliche Augen? Man würde sicher jeden Krümel an ihrer Nase und in den Augenwinkeln sehen, genau wie damals bei Ben. Wie sahen silberrote Katzen mit Weiß überhaupt als erwachsene Tiere aus? Ich kannte keine einzige. Also begann ich, eifrig das Netz und sämtliche Ahnenreihen zu durchforsten. Die Bandbreite war gewaltig, von schmalen Köpfen mit langen spitzen Kaninchenohren über breite Brummschädel mit ballonartig aufgeblasenen Schnurrhaarkissen bis hin zu zierlichen, elfenhaft zarten und atemberaubend schönen Exemplaren. Ein ungewohnter Anblick, wenn man nur dunkle Katzen kennt. Ich legte mir eine kleine Bildersammlung zu, die ich jeden Tag ansah und erweiterte, und bemerkte, dass die Silberroten von Mal zu Mal schöner wurden. Es war offenbar reine Ansichtssache.

Stellaluna

„Wie findest du das ganz helle Kitten?“ fragte ich meinen Mann. „Du willst also doch noch eine!“ meinte er amüsiert. „Nein! Will ich nicht! Ich will nur wissen, ob dir so eine helle Katze gefällt.“ Er fand das Gesicht zwar irgendwie „apart“, tat sich aber wie erwartet mit der Farbe schwer. Außerdem hatte das Kind eine merkwürdige Augenfarbe. Ich hatte bisher nur grünäugige Katzen gehabt. „Ich halt mich da raus“, sagte er schließlich. „Aber wenn dein Herz so dran hängt, dann nimm sie doch!“ Seufz.

Die Kater waren inzwischen längst angezahlt und reserviert, so dass ich zumindest in dieser Hinsicht entspannt war. Zwei dunkle Kater und eine helle silberrote Kätzin waren doch eigentlich eine reizvolle Kombination. Aber nein, ich wollte nur zwei. Die ständige Zweifelei ging mir schwer auf den Senkel, und die Wochen zogen sich immer noch zäh und lang wie Kaugummi. Ich bat Heike, mir noch ein paar Portraits von Kallista zu schicken und sie bei den nächsten nächtlichen Videos bitte einfach mal zwischen die Kater zu setzen. Heike schickte und setzte, und ich sah mir das Katzenkind genau an. Für ein Mädchen war sie recht groß und kräftig und würde sich wohl auch gegen ihre Brüder behaupten können. Ich schwankte heftig. Dummerweise bis zum letzten Tag vor dem Abholen.

Stellaluna (H. Kreuzsaler)

Erst in allerletzter Minute kam ich auf die Idee, nach einer „Fügung“ zu suchen, um auch ganz sicher zu sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Gab es irgendetwas, das dieses silberrote Katzenmädchen eindeutig als „meine“ Katze identifizierte? Irgendein Zeichen? Oh ja! Es gab! Es war mehr als offensichtlich und mir trotzdem die ganze Zeit nicht aufgefallen. Die Fügung war ihr Name.

Kallista! Callisto! Die große Bärin! Mein Krafttier! Mein zweiter Name ist Ursula (kleine Bärin), und die Bärin hatte für mich schon immer mystische Bedeutung. Ich habe während meiner Therapien Bilder gemalt, in denen ich auf dem Rücken der großen Bärin sitze, die mich trägt und beschützt. Die erste bekannte Göttin der Menschheit war die Bärengöttin. Ich habe hier im Blog sogar einen langen Eintrag zu den Bärenmädchen der Artemis geschrieben, und er schließt tatsächlich mit der Geschichte von Callisto, die von Jupiter als das Sternbild der großen Bärin an den Himmel versetzt wird.

Ich bereitete meinen Mann so schonend wie möglich auf das Silberchen vor, doch er meinte nur: „Das war mir schon die ganze Zeit klar.“ Mir blöderweise überhaupt nicht, sonst hätte ich mich nicht so gequält. Offenbar kennt er mich wirklich extrem gut. Ich war sehr erleichtert, aber da war ja auch noch Heike.

Stellaluna Schulterkatze (J. Leidel)

Am Vorabend der Abholung bat ich sie am Telefon, noch einen dritten Vertrag vorzubereiten, denn ich würde am liebsten auch noch Kallista mitnehmen. Heike wirkte total verblüfft und war kurzzeitig sogar sprachlos. „Jetzt doch drei? Bist du dir da wirklich ganz sicher?“ „Absolut! Alle drei!“ Kein Fitzelchen Zweifel. Ich hatte schließlich meine Fügung.

Ich habe meine „unvernünftige“  Entscheidung keine Sekunde lang bereut und finde es nur ärgerlich, dass ich nicht schon viel früher auf die Idee mit der Fügung gekommen bin, denn das hätte mir eine Menge Stress erspart. Außerdem hätte Heike dann auch schon meinen Namen mit in den Stammbaum eintragen lassen können. Oder aber auch nicht. Stellaluna hat sich ihren Namen nämlich tatsächlich höchstpersönlich ausgesucht, denn sie ist eine ganz besondere Katze und entscheidet am liebsten selbst. Alles. Doch das ist eine andere Geschichte.

Stellaluna ist ein heller, leuchtender, silberroter Sonnenstrahl mit goldenen Augen in unserem Leben und hat es sogar mühelos geschafft, meinen Mann um ihre weißen Pfötchen zu wickeln, was bisher noch keinem einzigen Tier gelungen ist. Die Jungs dösen gerade hier bei mir, während Stellaluna oben im Arbeitszimmer weilt und heftigst meinen Mann beschmust. Sie ist die emotionalste und spontanste Katze, die ich je getroffen habe. Reines Glück in Katzengestalt. Wenn nur ihre Krallen nicht so nadelspitz wären!

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Kittentreffen und Polys

Krispin und seine hübsche Schwester (H. Kreuzsaler)

Krispin und seine hübsche Schwester Kyley (H. Kreuzsaler)

Mein Mann reagierte erstaunlich gelassen, als ich ihm vorsichtig zu vermitteln versuchte, dass die Kitten, die ich mir ausgesucht hatte, dummerweise 150 km entfernt von uns lebten. Dass der Ort ausgerechnet in Hessen lag, fand er aber geradezu genial. Schließlich stammt er selbst aus Hessen. Auch wieder so eine Fügung! Also konnte ich in aller Ruhe weiter träumen und planen.

Ende Mai waren die Kitten endlich, endlich alt genug, um besucht werden zu können. Ich konnte es kaum erwarten, war aber an dem Tag  leider so aufgeregt, dass ich beim Kittentreffen in Niederselters vor lauter Begeisterung, Verlegenheit, Spielen und Streicheln das Fotografieren komplett vergaß. Daher gibt es von jenem denkwürdigen Nachmittag keine einzige gute Aufnahme. Ich hatte mir wieder mal viele Sorgen gemacht. Wie würden die fremden Katzen auf mich reagieren? Würde mich die Züchterin mögen, würde ich sie mögen? Würde sie mir ihre Tiere überhaupt anvertrauen wollen? Nein, ich war alles andere als entspannt. Dass es meinem Mann an dem Tag gesundheitlich nicht gut ging, machte alles noch komplizierter. Vor allem die Fahrt.

Baby Cisco

Bei meinen Kitten hatte ich bisher immer Glück gehabt. Mit der Züchterin meiner ersten drei Coone habe ich bis heute Kontakt, sie hat ihre „Kinder“ oft besucht und all die Jahre lang Anteil an ihrem Leben genommen. Ben war beim ersten Besuch gleich total zutraulich, Cisco, ein winziges pummeliges Pelzknäuel, schlief in meiner Hand ein, und Elaine hat mich tatsächlich persönlich ausgesucht. Sie lief gurrend auf mich zu und leckte mir zärtlich die Nase, als ich sie auf den Arm nahm. Unwiderstehlich.

Baby Alice Wonderland

Alice entdeckte ich „zufällig“ im Internet, als sie gerade vier Wochen alt war. Sie sah so bezaubernd aus mit dem roten Fleck auf ihrer Stirn und dem dicken Knubbbelkinn, dass ich sofort hin und weg war. Sie musste einfach meine vierte Katze werden! Selbst mein Mann wurde bei ihrem Anblick irgendwie schwach, obwohl er eigentlich wirklich keine vierte Katze wollte. „Also, wenn ich die Kleine so sehe, kann ich dich irgendwie verstehen….“ murmelte er, was mich dann veranlaßte, noch am selben Abend anzufragen, ob die Kleine noch zu haben war. Sie war – und sie wurde meine Seelenkatze.

Aber wie würde es jetzt mit Krispin und Hathaway werden?

Kittenbett (B. Felten-Leidel)

Die Fahrt dauerte eineinhalb Stunden und wir verfranzten uns ziemlich, weil ich dem Navi Falschinformationen (nächster Parkplatz) eingegeben hatte, und kamen erst weiter, als ich Heike anrief und mir den Weg beschreiben ließ. Im Haus fiel mir gleich auf, dass die erwachsenen Katzen, die sich drinnen und im Auslauf frei bewegten, sowohl miteinander als auch mit den beiden großen Hunden und mit ihren Menschen äußerst entspannt umgingen. Offenbar ließen sie sich auch durch fremde Besucher oder laute Geräusche nicht aus der Ruhe bringen. Nacheinander kamen sie selbstbewußt auf uns zu, um uns neugierig zu beschnuppern.

Mein Versuch, mich auf „Coonisch“ mit ihnen zu unterhalten, irritierte sie allerdings und bewirkte so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich mir erhofft hatte. Sie reagierten höchst irritiert. (Huch, das komische Wesen radebrecht in unserer Sprache? Wie unheimlich! Ein Alien!). Auch Heike hörte meine kätzischen Lautäußerungen, dachte, eins ihrer Mädels hätte Probleme und wurde sichtlich unruhig. „Wer hat denn da grade gemaunzt?“ „Äh, das war nur ich“, gestand ich und hielt danach lieber den Mund, um keinen unnötig zu verwirren. Ich weiß ohnehin nicht, was ich sage, wenn ich Coonisch rede. Mit meinen eigenen Katzen kann ich mich problemlos unterhalten, sie verstehen mich immer und antworten auch. Aber sie sind ja auch meine Lehrer. Eine Britisch Kurzhaar ist allerdings schon mal entsetzt mit angstgeweiteten Augen und gesträubtem Fell vor mir geflohen, als ich sie freundlich auf Coonisch angegurrt habe. (Hilfe! Eine feindliche Spionin!) Komischerweise reagieren fremde Kater meistens heftiger als Katzen. Möglicherweise sage ich unbewußt katerfeindliche Dinge. Ich arbeite noch an mir.

Katjes (H. Kreuzsaler)

Katjes (H. Kreuzsaler)

Die sechs Kitten logierten oben im Babyzimmer und saßen und lagen eng um die Mama geschart auf einem großen blauen Bett. Ich war gespannt, wer als erstes mit mir Kontakt aufnehmen würde. Natürlich waren es nicht die Katerchen, sondern die roten Schwestern Karma und Kallista. Karma war offenbar eine richtige kleine Persönlichkeit, die äußerst geschickt und vorsichtig mit ihren großen Pfötchen zugreifen konnte.

Inzwischen wußte ich natürlich schon viel mehr über diesen Wurf, kannte die Farben und Eigenheiten der Kleinen, hatte mir die Stammbäume und Linien genau angesehen (tatsächlich bis zu den ersten Vorfahren) und die Bilder ihrer Ahnen gegoogelt. Bei Rassekatzen kann man das problemlos über die riesige Datenbank von Paw Peds und auch über die Suchfunktion im Internet. Viele Züchter behalten ihre Homepages auch noch, wenn sie nicht mehr aktiv sind, und haben dort Bilder ihrer Lieblinge und auch Texte über deren Eigenheiten.

Lenny (H. Kreuzsaler)

Lenny, der Vater der Kleinen, ein eindrucksvoller Kater stammt aus St. Petersburg. Offenbar gibt es schon seit etlichen Jahren viele russische Linien in der Maine Coon-Zucht, was mir bisher völlig entgangen war. Sie werden sogar in die USA importiert, was irgendwie merkwürdig erscheint, wenn man bedenkt, dass es eine uramerikanische Rasse ist.

Als Übersetzerin war ich früher übrigens (sehr gern!) auf Bücher über Katzen und Katzenrassen spezialisiert. Die meisten anderen Übersetzer ließen davon lieber die Finger, weil man sich im Wirrwarr aus Farbschlägen und Standards leicht verirren kann und die Recherchen damals äußerst mühsam waren. Zudem verändern sich die Standards dauernd, es kommen immer neue Varianten und Farben hinzu, und die Standards sind auch nicht in den Zuchtverbänden aller Länder gleich. Mir hatte es immer Freude gemacht, die imposanten Bildbände mit den vielen tollen Katzenportraits zu übersetzen. Ich habe dabei viel gelernt, und immer waren es die Seiten mit den Maine Coons, die mich zum Träumen brachten. Eines Tages wollte ich auch so eine wunderschöne Riesenkatze haben….

Hathaway und Krispin (H. Kreuzsaler)

Krispin und Hathaway stammen aus einem sogenannten Poly-Wurf, in dem es sowohl drei Poly-Kinder als auch drei Nicht-Poly-Kinder gab. Polys sind Katzen mit Polydaktilie, also mehr Zehen als gewöhnlich (6 oder 7 statt 5 an den Vorderpfoten und/oder 5 oder 6 statt 4 an den Hinterpfoten). Das PP hinter den Namen der Mutter (PP: mehrzehig an allen Pfoten) war mir zunächst gar nicht aufgefallen, denn „zu meiner Zeit“ waren Poly Coons noch nicht anerkannt, was gerade bei den Maine Coons verwunderlich ist, denn Polydaktilie kommt bei dieser Rasse besonders häufig vor. Man nimmt an, dass ursprünglich bis zu 40 Prozent aller Maine Coons Polys waren. Etwa die Hälfte der über fünfzig Katzen Ernest Hemingways waren übrigens auch Polys, weshalb man sie auch manchmal als Hemingway-Katzen bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Spielart der Natur, die keine gesundheitlichen Nachteile mit sich bringt soweit man weiß und auch keine „Qualzucht“ ist. Ich mag mir allerdings nicht vorstellen, was meine drei mit noch mehr Zehen mit unseren Möbeln anfangen würden, denn sie kratzen wirklich an ALLEM. Polys haben angeblich oft einen schwereren Knochenbau als „normale“ Katzen und werden mitunter auch besonders groß. Möglicherweise gilt das sogar für ihre Geschwister, mein Hathaway ist jedenfalls auf dem besten Weg, ein Riesenkerl zu werden.

Poly-Mädchen Kyley (H. Kreuzsaler)

Tatsächlich war die erste amerikanische Katze, die ich je sah, eine Poly. An unsere denkwürdige Begegnung (in Oakland bei San Francisco) kann ich mich noch sehr gut erinnern, denn zunächst glaubte ich an eine Halluzination. Ich war todmüde mit heftigem Jetlag ins Bett gesunken und hatte geschlafen wie ein Stein. Irgendetwas weckte mich früh am Morgen und ich öffnete vorsichtig die Augen, weil ich das unangenehme Gefühl hatte, intensiv beobachtet zu werden. Wurde ich auch. Zwei grüne Augen starrten mich an. Sie gehörten einer sehr großen zotteligen schwarzen Katze mit Riesenpfoten, die irgendwie komisch aussahen. Sehr breit. Sehr groß. Sehr zehig. Irgendetwas stimmte nicht mit diesen Pfoten, also schloß ich schnell wieder die Augen. Das Katzentier war todsicher eine Ausgeburt meiner Phantasie. Ich blinzelte erneut. Das unheimliche Wesen hockte immer noch da, starrte mich immer noch unverwandt an, und die breiten Pfoten hatte es auch immer noch. Ich kniff die Augen so fest wie möglich zu, zählte bis zehn, blinzelte vorsichtig, und tatsächlich war der Katzenspuk verschwunden. Ich schilderte den anderen Hausbewohnern beim Frühstück meine Vision, aber die lachten nur. „That was Nancy. She’s a poly.“ Wie bitte? Was zum Teufel war eine Poly? „A cat with extra toes.“

Hathaway und Krispin (H. Kreuzsaler)

Krispin und Hathaway sind keine Polys. Die silberrote Stellaluna auch nicht. Ist vielleicht auch gut so. Nie im Leben wäre ich imstande, so viele Krallen zu kürzen. Ich schaff ja schon die Normalzehenzahl nicht! Außerdem finde ich den Anblick immer noch ungewohnt, aber das mag an der Geisterkatze Nancy liegen.

Polys gibt es bei vielen Katzenrassen (und auch bei anderen Tieren und sogar bei Menschen) und bei den Coons haben sie weltweit unzählige Fans, auch unter den Züchtern. Angeblich existieren über 20 verschiedene Spielarten von feliner Vielzehigkeit. Ich kenne nur Mitten Paw (die Pfoten sehen ähnlich aus wie die menschliche Hand, und die Katzen können damit hervorragend greifen und Dinge fangen und festhalten) und Patty Foot (die Pfoten sehen aus wie runde Schneeschuhe). Alle Maine Coons haben übrigens auffällige Fellbüschel zwischen den Zehen, möglicherweise als Schutz gegen Winterkälte. Ob viele Zehen einen besseren Halt auf Eis und Schnee bieten, vermag ich nicht zu sagen, aber da Maine Coons früher häufig als Schiffskatzen tätig waren und kühn die Meere durchsegelten, mag die Vielzehigkeit durchaus ihre Kletterkünste und Mausefängerkunst gesteigert haben. Gegen so viele Krallen kommt selbst eine fette Schiffsratte nicht an. Und die Schiffsbesatzung hielten diese Katzen für Glücksbringer.

An Poly Coons scheiden sich jedenfalls die Geister. Entweder man mag sie oder man mag sie nicht. Inzwischen werden sie von der amerikanischen TICA und auch von anderen wichtigen Verbänden anerkannt.

Übrigens muss ich gestehen, dass ich ganz kurz damit geliebäugelt habe, die hübsche kleine Katjes mit den vier Patty Feet hier einziehen zu lassen. Ihr Gesicht war einfach zu süß. Ich hatte sogar schon einen genialen Namen für sie: Pawlina. Aber das bleibt natürlich unter uns. Vor allem Stellaluna darf das nie erfahren!

Stellaluna aka Kallista und ihre Poly-Schwester Karma (H. Kreuzsaler)

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Krispin, Stellaluna und Hathaway

Kingsley Hathaway und Kurt Krispin (H. Kreuzsaler)

Es war Mai und Alice war nicht mehr bei mir. Ihr Platz in meinem Bett, auf der Couch und im blauen Sessel war verwaist. Sie fehlte mir so sehr, dass es nur noch weh tat. Überall im Haus und im Garten sah ich sie sitzen oder liegen. Doch sie war fort und würde nie wieder zurückkehren. Im Rewe schossen mir schon die Tränen in die Augen, wenn ich nur in die Nähe des Katzenfutters kam. Es war kaum auszuhalten. Den Kummer nach dem Tod eines geliebten Tieres, das einen viele Jahre lang durch die Höhen und Tiefen des Lebens und Alltags begleitet hat, kann man kaum beschreiben. Da ich mir ernsthaft vorgenommen hatte, nach Alice keine Katzen mehr zu haben, war der Verlust umso schmerzlicher. Alice war die letzte meiner vier Maine Coons gewesen, zwei Katzen, Alice und Elaine, und zwei Kater, Cisco und Ben.

Die Aussicht war düster. Ein Leben ohne Maine Coons! Ein Leben völlig ohne Katzen! Nach mehreren endlos langen durchweinten Tagen und Nächten sagte mein Mann schließlich: „Du brauchst dringend neue Katzen.“

Die Katzenmama mit ihren Babys (H. Kreuzsaler)

die Katzenmama mit ihren Babys (H. Kreuzsaler)

Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich ihm für diesen Satz war. „Meinst du das wirklich ernst?“ Er nickte. „Absolut!“ Ich fiel ihm schluchzend um den Hals, aber diesmal waren auch Freudentränen dabei. Auf diese Wendung war ich so gar nicht gefaßt gewesen, aber ich nahm all meine Hoffnung zusammen und überlegte, wo ich mit meiner Suche wohl am besten anfangen konnte. Zwei Kater sollten es diesmal sein, wenn möglich Maine Coons und am liebsten Kitten, denn es gibt kaum etwas Schöneres, als quirlige verspielte Kitten aufwachsen zu sehen. „Wären zwei Kater okay für dich?“ fragte ich. „Du kannst auch drei nehmen“, sagte mein Mann.  Nein, zwei sollten diesmal genügen. Das hatte ich schon entschieden. Zwei waren praktischer und unkomplizierter. Zudem war der Preis für Maine Coons natürlich in all der Zeit ordentlich gestiegen, wie ich feststellte. Mehr als zwei konnte ich mir unmöglich leisten. Und für mehr als zwei brauchte man ja auch noch mehr Katzenklos und Futter. Und es dräute ja auch noch die neue Gebührenordnung für Tierärzte, die ich (zum Glück) noch nicht richtig einschätzen konnte. Nein, zwei waren genug. Mein Mann schien an meiner Entscheidung zu zweifeln. „Du hast freie Hand.“ „Nein. Nur zwei.“ Da war ich mir wirklich sicher. Absolut. Bin ja vernünftig.

Kurt Krispin (H. Kreuzsaler)

Da meine Züchterkontakte und einst recht guten Stammbaumkentnisse ungefähr zwanzig Jahre brach gelegen hatten, weil meine Coone ziemlich alt geworden waren und sämtliche mir damals bekannten Catterys nicht mehr existierten, hatte ich keine Ahnung, wo ich anfangen sollte mit der Kittensuche. Zum Glück fiel mir eine Katzenfreundin ein, die sich bestens auskennt. Sie antwortete mir auch gleich ganz lieb und nannte mir mehrere Anlaufstellen, allerdings alle nicht ihn meiner Nähe. Ich flehte sämtliche Katzengötter inständig um Hilfe an. Und tatsächlich waren sie mir gut gesonnen, denn meine Suche war bereits bei der ersten Cattery zu Ende, weil mir genau dasselbe passierte wie bei all meinen Katzen zuvor: Mich traf aufs Heftigste die Liebe auf den ersten Blick. Die niedlichen Katerchen, die da auf der Homepage mit staunenden Augen in die Welt sahen, waren haargenau die Kitten, die mir vorschwebten! Aber waren sie noch frei? Es war Mai, sie waren im April geboren und sechs Wochen alt. Waren sie möglicherweise schon anderen Katzenmenschen versprochen? Und selbst wenn sie noch frei waren, gab es da noch etwas. Es musste mindestens eine überzeugende „Fügung“ her, die mir eindeutig zeigte, dass es wirklich „meine Katzen“ waren und ich meinem Gefühl blind und ohne ausführlichen Blick in den Stammbaum vertrauen konnte.

In den meisten Catterys werden die Würfe in alphabetischer Reihenfolge benannt, und die Katerchen gehörten zum K-Wurf.

Kingsley Hathaway (H. Kreuzsaler)

Und da war sie auch schon, die erste Fügung! Alice stammte damals aus einem A-Wurf und hieß ursprünglich wie meine Mutter: Anni. Ihren „richtigen“ Namen, Alice Wonderland, habe dann ich ausgesucht. Der Tabby mit Weiß hieß tatsächlich Kurt. Genau wie mein Vater!

Zudem war der Wurf am 7. April geboren, an dem Tag hat eins unserer Enkelkinder Geburtstag. Ein Datum also, das man sich sogar merken kann, wenn man so hoffnungslos zahlenblind ist wie ich. Also noch eine Fügung. Mehr „Zufälle“ brauchte ich nicht. Die beiden waren eindeutig „meine“ Kater!

Noch am selben Abend schrieb ich der Züchterin eine ausführliche Mail und begann (etwas bang) zu warten. Hoffentlich war mir niemand zuvorgekommen! Hoffentlich hatte sie nicht vor, die Kleinen zu behalten oder gar in die Zucht zu geben! Hoffentlich fand sie mich sympathisch genug, um mir die Kleinen anzuvertrauen! Züchter können da sehr eigen sein manchmal. Der Tag verging, es tat sich nichts. Ob sie meine Mail nicht bekommen hatte?

Kallista Kabaret aka Stellaluna (H. Kreuzsaler)

Stellaluna, damals noch Kallista (H. Kreuzsaler)

Zweiter Versuch. Diesmal kontaktierte ich Heike über Facebook. Und diesmal antwortete sie mir auch. Ziemlich knapp, aber da ahnte ich auch noch nicht, dass sie im krassen Gegensatz zu mir eine leidenschaftliche Telefoniererin ist. Sie hatte meine Mail, in der ich mich vorgestellt und ihr von meiner Coon-Liebe berichtet hatte, gelesen und rief mich noch am selben Abend an. Es wurde ein äußerst langes und für mich nicht gerade einfaches Gespräch, denn ich HASSE Telefonieren. Vor allem, wenn ich die andere Person nicht mal kenne und einen möglichst guten Eindruck machen möchte, weil ich mich unsterblich in zwei ihrer Kitten verliebt habe. Heike dagegen HASST Schreiben.

Wir haben in den nächsten Tagen und Wochen noch viele Male telefoniert, sie jedes Mal total entspannt und ich oft genug ziemlich unentspannt. Zum Ausgleich versorgte mich Heike allerdings mit vielen kleinen Videos (merkwürdigerweise immer bei problematischen Lichtverhältnissen aufgenommen, aber trotzdem heiß erwartet) und ganz vielen richtig schönen Fotos. Ich fand den ganzen K-Wurf wunderschön und konnte mich nicht satt sehen an den Kleinen. Aber die katzenlose Zeit war dennoch schwer erträglich, zumal sich schwarze Schicksalswolken am Horizont abzuzeichnen begannen. Doch die Aussicht, dass die beiden Kitten irgendwann im Juli einziehen würden, half mir über viele Sorgen hinweg.

die Torbie Schwestern (H. Kreuzsaler)

Zuerst stand allerdings noch der Besuch an, um herauszufinden, ob mir die Kitten gefielen (völlig unnötig, wußte ich auch so) und ob ich den Kitten und vor allem ihrer Züchterin gefiel. Ich hoffte das Beste und machte mich mit Feuereifer daran, unser Haus kittensicher zu machen, neues Spielzeug und neue Decken zu kaufen, die Kratzbäume neu zu beziehen, frische Kratzmatten aufzuhängen und alles zu waschen, was sich überhaupt waschen ließ. Die beiden sollten in ein wahres Kittenparadies einziehen. Aber die Zeit wurde lang und länger. Auf dem Regal neben meinem Bett standen zwei Portraitfotos, und nachts machte ich mir stundenlang Gedanken, wie ich sie wohl nennen würde.

Oh süße Qual des Wartens….

Der ganze wunderschöne K-Wurf (H. Kreuzsaler)

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Covid und kein Ende

Im Oktober 2022 erwischte mich Covid erneut, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der ersten Infektion (mit dem Wildtypus), leider auch diesmal wieder pünktlich vor meinem Lieblingsfest Halloween, das natürlich auch diesmal ausfiel. Nicht mal die Kürbisse habe ich geschnitzt, und gefeiert haben wir auch nicht, obwohl der Test an dem Tag noch negativ war.

Mein sensitives Körpergefühl schlug gleich deutlich Alarm, obwohl die Symptome diesmal völlig anders waren und ich es mit dem Verstand nicht wahrhaben wollte. Nicht schon wieder! Einmal genesen und fünf Mal geimpft! Sogar gegen BA 4 und BA 5. Was sollte denn das jetzt sein? Etwa die Cerberus-Variante? Ich verlasse das Haus ausgesprochen selten, versuche immer, Abstand zu halten, und trage so gut wie ständig draußen Maske. Aber ich muss halt manchmal längere Strecken mit der Straßenbahn fahren und in den Supermarkt, und danach gibt es oft auch wenige Tage später Alarm auf der Corona-Warnapp. Ich habe nicht übel Lust, sie zu löschen, weil sie mich jedes Mal nervt und erschreckt. Wenn ich in der Bahn sitze, frage ich mich oft, wie viele Menschen um mich herum wohl schon oder noch krank sind, ohne es zu wissen. Oder sich nicht um ihre Infektion scheren, denn Omikron ist ja harmlos. Sicher ist die Dunkelziffer hoch, und kaum jemand hat noch eine Warnapp oder macht noch einen PCR-Test. Bringt ja eh nichts. Und wenn ich bei der kleinen Anzahl  von Personen mit Warnapp schon so viele rote Meldungen kriege, sind todsicher verdammt viele Infizierte in meiner Nähe. Kein gutes Gefühl. Schon gar nicht, wenn man einen Menschen, der immunsupprimiert ist, schützen muss. Und es gibt immer irgendjemanden, der die Maske nicht trägt oder die Nase herausragen läßt, und ich traue mich nur selten, etwas zu sagen. Seit einiger Zeit habe ich eine Packung mit Masken dabei und biete sie kostenlos an, aber selbst das kommt nicht bei jedem gut an. „Wenn Sie Angst haben, lassen Sie sich doch impfen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.“

Diesmal fing es ganz anders an, mit leicht geschwollenem Zahnfleisch an einer Seite (hab ich sonst nie) und schmerzendem Zungenrand (hab ich auch sonst nie). Vielleicht ist es ja bloß Vitaminmangel, dachte ich hoffnungsvoll und griff zum bewährten Vitamin C-Pulver, liebevoll aufgelöst und verrührt in einer sprudelnden Multimineral-Brausetablette. Was auch zunächst etwas half. Dachte ich jedenfalls. Doch dann folgte am nächsten Tag auch schon die altbekannte bleierne Müdigkeit, die sich wie eine Mischung aus richtig übler Depression und krassem Jetlag anfühlt. Man ist nahezu kataton, hat zu gar nichts Lust und Kraft, will sich nur verkriechen, die Augen schließen und in Ruhe gelassen werden. Nachts fing dann auch noch der Hals an böse zu kratzen. Ach herrje. Doch Covid? Oder etwa die Grippe? Nein, die Grippe kommt plötzlich, wie auf den Leib geflogen, die hatte ich zweimal in meinem Leben und das war anders. Seit dem zweiten Mal lasse ich mich jedes Jahr dagegen impfen.

„Im Moment grassieren eine Menge Viren“, versuchte die Familie mich zu beruhigen. „Die Kinder sind ja auch überall krank.“ Stimmt,  RSV-Viren. Vielleicht war es ja sowas. Einen Tag später kamen plötzlich beim Frühstück heftige Niesattacken dazu, die sich haargenau so anfühlten wie Heuschnupfen, und auch Augen und Nase begannen auf vertraute Weise zu jucken. Ich ertappte mich beim charakteristischen „Allergikergruß“ (Reiben der Nase mit Aufwärtsbewegung der Hand). Vielleicht war es ja tatsächlich nur ein Heuschnupfen? Aber im Oktober? Ich nahm ein Antihistamin, und die Nieserei legte sich. Doch die Nase blieb auf merkwürdige Weise verstopft. Und meine Augen tränten, was sie bei Heuschnupfen nie tun. Und ich hatte eine ganz üble Belastungsinkontinenz wie damals bei Covid und bei allen Postcovid-Schüben. Die Nase war einfach nur zu, genau wie damals, ohne Schnupfensymptome, zum Glück ohne den stechenden Schmerz über der Nasenwurzel, mit dem die Anosmie anfing. Ich testete meine Nase regelmäßig, alles in Ordnung. Schmecken ging auch. Ich hatte nur keinen Hunger.

Meine hochgetunte Körperalarmanlage reagierte offenbar deutlich zuverlässiger und empfindlicher als sämtliche Schnelltests, ich begann gleich bei den ersten Beschwerden mich zu isolieren und zu testen. Mit unterschiedlichen Tests, manchmal sogar morgens und abends. Nichts. Erst am 3. November gab es keinen Zweifel mehr, der positive Balken verfärbte sich morgens früh schon beim Hochsteigen der Flüssigkeit dunkel. Vier Tage lang blieb das so, dann verblasste er und verschwand wieder. Der Omikron-Spuk war offenbar vorbei.

Ich hatte auch diesmal weder Fieber noch Husten, und zum Glück blieb mein Geruchssinn weiterhin völlig intakt. Mehrfach täglich benutzte ich Listerine zum Mundspülen (mache ich auch meistens, nachdem ich Bahn gefahren bin). Ich wollte und durfte meinen Mann auf gar keinen Fall anstecken. Bisher habe ich auch kaum Postcovid-Symptome entwickelt, nur leichte Konzentrationsprobleme und Wortfindungsstörungen. Ganz im Gegensatz zu 2020, als mich angstmachendes Herzrasen und lästige Schweißausbrüche plagten („a poncho of sweat“, wie Hugh Grant es sehr treffend ausdrückte) und üble kognitive Aussetzer.

Damals habe ich übrigens auch meine alte Katze Alice angesteckt, die einmal so schrecklich geniest hat, dass ihr Blut aus der Nase kam. Diesmal war offenbar nur meine Katze Stellaluna betroffen, die immer sehr nah am Gesicht schmust, ihr tränten tagelang die Augen. Es hörte schlagartig am selben Tag auf wie bei mir. Sonst hatten die drei Katzen keinerlei Symptome, waren mir aber ein großer Trost. Sie lagen immer in meiner Nähe und schnurrten beruhigend auf mich ein. Genau wie damals meine Alice.

Omikron hat schon jetzt unzählige Unterarten und Unter-Unterarten, die das Immunsystem und den Impfschutz geschickt austricksen, so dass man auch mehrfach hintereinander infiziert werden kann. Aber man ist hoffentlich nach Impfungen und Infektionen weniger ansteckend. Schlimm wird es, wenn man mehrere Infektionen auf einmal hat. Gegen Grippe bin ich inzwischen geimpft. Mit dem ganz starken Impfstoff für Senioren (zum Glück hatte ich keine Impfreaktion außer ein bisschen Armweh). Mehr kann ich nicht tun. Hope for the best.

Wenn die Pandemie nur endlich vorbei wäre. Und die Klimakatastrophe. Und vor allem der Krieg in der Ukraine. Was mag wohl als nächstes kommen? Hope for the best – and fear the worst.

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Fremde Ängste

(Aaron Burden/unsplash)

Als im Februar der Krieg in der Ukraine begann, strömten mit einem Schlag viele alte Ängste in mein Leben zurück. Darunter auch solche, die ursprünglich meinem Vater gehört hatten, der im zweiten Weltkrieg traumatisiert wurde und seinen grausamen Erinnerungen nie zu entrinnen vermochte. In seinen letzten Lebenswochen litt er an Halluzinationen und hielt das Krankenhaus, in dem er nach einem Sturz behandelt wurde, für ein Partisanenlager, in dem man ihn fesselte, folterte und hinrichten wollte. Er starb verzweifelt kämpfend, von der eigenen Tochter verraten, die ihn nicht befreite und ihm seine Waffe nicht brachte. Ein rasender alter Mann. Ein panischer junger Soldat. Umzingelt von Feinden. Mitten im Krieg. Allein und verlassen. Vor meinen Augen. Die Szenen in der Intensivstation haben mich so erschüttert, dass ich danach selbst eine Traumatherapie machen musste, um die unerträglichen Bilder bewältigen zu können. Es tat gut, professionelle Hilfe zu finden, nicht mehr allein zu sein mit den Erinnerungen. Damals glaubte ich noch, der Krieg meines Vaters, der auch mein Leben geprägt hatte und mich am Ende gar mit in die Tiefe zu reißen drohte, wäre vorbei. Dachte, ich wäre nach all der Zeit endlich in Sicherheit.

Mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine brach alles wieder auf. Ich war wie versteinert, Alpträume und Flashbacks kehrten zurück. Es gibt so unendlich viele Trigger. Ortsnamen, Wörter, Geräusche. Bilder von Panzern, Flugzeugen, Kriegsgefangenen, jungen Soldaten, Leichen auf Straßen, rauchenden Trümmern. Manchmal sind es Wörter. Russe. Partisanen. Schützengraben. Vergewaltigung. Folter. Massengrab. Die Bilder in den Nachrichten kenne ich. So sahen die Bilder im Kopf meines Vaters aus. Ganz zum Schluss sprangen sie in meinen Kopf über und nisteten sich für immer ein.

Über den Tagen hängt wieder der alte bedrohliche Schatten. Als Kind hat er mir Panikanfälle gemacht. Ich habe versucht, ihn zu bannen, habe mich schon mit den „vererbten Ängsten“ befaßt, als mein Vater noch lebte, habe darüber in meinen Büchern geschrieben und auch den Artikel „Im Schatten fremder Ängste“ für die Deutsche Angst-Hilfe.

Katharina Altemeier, selbst hochsensible Angstspezialistin und Buchautorin, fand und las den Artikel, nahm Kontakt zu mir auf und fragte, ob ich mir vorstellen könne, im Rahmen ihres Podcasts „Hallo Angst“ über die unheimlichen fremden Ängste zu reden.

Ich hatte etliche Bedenken und Sorgen. Ein echtes Interview, bei dem man sich gegenüber sitzt, konnte ich mir vorstellen. Aber ein Zoom-Interview? Schaffe ich das überhaupt? Also schon rein „technisch“? Wo ich doch Online-Konferenzen so hasse! Da sieht man doch die ganze Zeit sein eigenes Gesicht auf dem Bildschirm! Und dann muss ich das lange Gespräch auch noch gleichzeitig mit dem Handy aufzeichnen und anschließend die Riesendatei verschicken! Was, wenn alles schief geht? Wenn die Aufnahme nicht klappt? So was kann man doch nicht wiederholen! Katharina beruhigte mich. Das schaffst du! Ich helfe dir! Aber kann ich überhaupt über dieses aufwühlende Thema sprechen, ohne dass mir die Worte wegbleiben? Ich kenne ja die Fragen gar nicht, die sie mir stellen wird, denn es soll ja ein spontanes, authentisches Gespräch werden. Kann ich ihr vertrauen? Katharina hat all meine Zweifel ernst genommen und mich auf ihre feinfühlige und emphatische Art so gut aufgefangen, dass ich mich schließlich auf das gemeinsame Abenteuer eingelassen habe. Vielleicht hätte ich das zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr gewagt oder geschafft, denn das Jahr nahm danach für mich noch einige weitere schlimme Wendungen, die mich völlig verstummen ließen. Aber das wußte ich damals zum Glück noch nicht.

Zur Vorbereitung hörte ich alle Folgen ihres Podcasts „Hallo Angst“, besonders faszinierend fand ich Katharinas eigene Angsterfahrungen. Wie schade, dass sie so weit weg wohnt und wir uns nicht „richtig“ treffen konnten. Es wurde ein intensives, sehr persönliches Gespräch. Den Beitrag (#16) finden Sie hier auf Katharinas Seite, man kann ihn aber auch über Spotify hören.

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