Kölner Westen – Ausgangssperre und Social Distancing

Evangelische Kirche Weiden  (BFL)

Ein neuer Begriff, doch schön ist er nicht: Social Distancing. Ich hoffe, wir sind in Köln reif und altruistisch genug, um jetzt gemeinsam stark zu sein, Distanz zu wahren und die Schwächsten unter uns zu schützen, auch wenn es noch so weh tut. Hier in Weiden habe ich bisher zum Glück noch keine grillenden Gruppen entdeckt, die ausgelassene Corona Partys feiern, aber ich bin auch die meiste Zeit zu Hause und weiß es daher nicht wirklich genau. Wir bleiben vermehrt drinnen, und draußen müssen wir Abstand halten. Sehr ungewohnt in einer Großstadt, in der Menschen sonst wie Ölsardinen aufeinander hocken.

Weiden „Römergrab“ (JL)

Schon in der Bahn fängt es normalerweise an, und oft genug ist es laut und lästig. Aber jetzt sind die Straßen wie ausgestorben, die Bahnen leer, und man wagt nicht mal mehr, sich an den Stangen festzuhalten oder den Halteknopf zu drücken. Unser öffentliches Leben kommt allmählich zum Erliegen. Köln wird zur Ghost Town. In einigen Teilen Deutschlands treten bereits stärkere Einschränkungen in Kraft. Aber noch gibt es keine „Ausgangssperre“.

Warum erinnert mich das Wort jetzt sofort an meine Mutter und an „Stubenarrest“ und „Hausarrest“? Meine Mutter hat das damals in der Nachkriegszeit tatsächlich so genannt. (Sorry, Mama, ich hab dir das alles längst verziehen.)  „Ausgangssperre“ habe ich gehaßt, weil ich dann meine Freundinnen und später leider auch meinen ersten Freund nicht sehen durfte. Es war so demütigend! Da standen sie unten erwartungsvoll an der Haustür, um mich abzuholen, und ich saß brav und stinksauer oben in meinem Zimmer, kämpfte mit den Tränen und fühlte nur stolzen Trotz und hilflose Wut, konnte aber gegen den mütterlichen „Befehl“ nichts machen.

Shelfie (BFL)

Meine Schwester war weniger kooperativ und hat sogar mal den Glaseinsatz ihrer Zimmertür eingetreten, um einfach abzuhauen, aber wir waren vom Temperament her auch extrem unterschiedlich. Bei ihr zog „Ausgangssperre“ nicht. Ich habe sie dafür sehr bewundert. Zum Glück war ich eine Leseratte und hatte schon damals Regale voller Bücher in meinem Zimmer, daher hat mir die Isolation im Grunde wenig ausgemacht. Das hat wiederum meine Mutter extrem geärgert, was mich gefreut hat. Auf die Idee, meine Regale leer zu räumen, ist sie zum Glück nie gekommen. Wäre wohl auch zu viel Arbeit gewesen. Heute habe ich noch viel, viel mehr Bücher. Sie reichen für zehn Jahre „Ausgangssperre“, und danach wäre ich dann ein Ausbund an Weisheit und Belesenheit. Übrigens höre ich plötzlich auch wieder Wörter, die Väter in der Nachkriegszeit oft benutzten. Begriffe wie „Lazarett“ und „Triage“. Schlimme Wörter. Angstbesetzt, jedenfalls bei mir.

Was mir angenehm auffällt: Die Menschen schauen sich plötzlich wieder an, lächeln einander häufiger zu, sprechen miteinander. Auch wenn es nur „Schlimme Zeiten, finden Sie nicht?“ ist. Dann nickt man dem anderen zu, lächelt und geht weiter. Wir sind im Moment höflicher miteinander, würdigen endlich Menschen, an denen wir sonst nur achtlos vorübergehen. Gestern in den Läden habe ich mich jedenfalls bewußt bei allen Kassierinnen dafür bedankt, dass sie jetzt in der Not für uns da sind und für uns arbeiten, denn sie haben im Moment enorm viel Stress und sind, wie ich schon gestern schrieb, auch gesundheitlich gänzlich ungeschützt. Ob man sie nicht doch besser abschirmen sollte? Ich habe gestern auch überall mit Karte bezahlt, damit sie mein Geld nicht anzufassen brauchten. Ach, es wäre schön, wenn die Menschen sich auch in Nach-Corona-Zeiten häufiger anlächeln würden, statt wortlos auf Smartphones zu starren. Obwohl: Hier in Weiden habe ich an „meiner“ Haltestelle schon etliche nette Leute kennengelernt im Laufe der Jahre.

Völlig am Ende (Jasmin Sessler/unsplash)

Es gibt auch Personen, die nur laut maulend durch die Gegend laufen. Wenn ich so jemanden treffe (wie gestern im Center), versuche ich mir vorzustellen, dass die Person vielleicht in Wirklichkeit Angst hat und sich im Moment nicht anders zu helfen weiß. Aggression und Wut setzen Angst nämlich temporär höchst erfolgreich außer Kraft. Wer sich lautstark aufregt, spürt seine Angst nicht mehr und wirkt nach außen stark und aggressiv. Das ist besonders bei Kontrollverlust wichtig. Das Muster kenne ich bestens aus meiner Ursprungsfamilie, mein Vater hat auf diese Weise lebenslang versucht, mit seinem Kriegstrauma fertig zu werden. Für die Umwelt ist ärgerliches Schimpfen nicht sehr prickelnd.  Auf meine freundliche Ansprache hin haben die Damen gestern übrigens gleich zu maulen aufgehört. Sie ärgerten sich, wie sollte es anders sein, über das Fehlen unseres momentanen Weltlieblings. Klopapier!!!!

Milde Gabe (Martin Sanchez/unsplash)

Was mir an mir selbst auffällt: Ich beobachte mich noch stärker als ohnehin schon. Diese erhöhte Selbstbeobachtung ist bei mir leider einprogramiert, ich habe meinen Körper schon als Kleinkind störend genau wahrgenommen. Seit ich weiß, dass es zur sogenannten „Hochsensibilität“ dazugehört, kann ich damit umgehen. Aber als Kleinkind hat mir das Schlagen und Wummern des eigenen Herzens solche Angst gemacht (ich kann auch nicht gut auf der linken Seite schlafen, weil die Empfindung dann zu stark ist), dass ich dachte, ich würde jeden Moment tot umfallen (was das Herz erst recht zur Raserei brachte!). Auch jetzt muss ich wieder vermehrt gegensteuern, wenn es los geht: Leichte Kopfschmerzen? Halskratzen? Irgendwie kurzatmig? Ist das Heuschnupfen? Oder etwa …..? Nase zu und juckende Augenwinkel? Das ist eindeutig Heuschnupfen! Aber fliegen die Birkenpollen überhaupt schon? Ich registriere auch genau, wann ich mir ins Gesicht fasse (fast gar nicht mehr), und versuche auch das zu unterlassen, was man bei Heuschnupfensymptomen fast automatisch macht: Nase reiben. Es gibt dafür sogar eine eigene Bezeichnung „Allergikergruß“.  Auch juckende Augenwinkel kann man nur schwer in Ruhe lassen. Eine Sonnenbrille mit möglichst dunklen Gläsernd wirkt Wunder und reduziert Augenstress und Polleneinfall gleich um 50 Prozent (bei mir jedenfalls), daher trage ich meine jetzt auch konsequent. Besonders gut sind Polarisationsgläser, sie beruhigen die Augen sozusagen sofort.

Eben war ich Punkt zwölf (High Noon!) draußen, um eventuell den Glocken aus der Ferne zuzuhören (manchmal höre ich sie bis in den Garten), aber ich habe leider keinen Ton gehört. Vielleicht läuten sie hier in Köln oder bei uns in Weiden um diese Zeit auch gar nicht, aber vielleicht waren heute auch die Autos zu laut. Es gab leider auch niemandem, dem ich zuwinken konnte. So stand ich nur einsam am Zaun. Schade. Vielleicht wirken die Autos auch nur lauter, weil ich sie anders wahrnehme. Gestern war es ja vergleichsweise still. Morgen versuche ich es wieder! Vor allem beim Abendläuten um 19:30 Uhr.

Englische Enkel (BFL)

Letzte Nacht hatte ich einen Traum, der mich traurig macht. Unsere englischen Enkel waren mit ihren Eltern bei uns zu Besuch (eigentlich wollten sie wie jedes Jahr zu Ostern kommen). Wir befanden uns alle im selben Zimmer, merkwürdigerweise war es das Wohnzimmer meiner verstorbenen Eltern am Niederrhein und nicht unser Wohnzimmer hier in Köln. Die Kinder standen auf der anderen Seite des Raums, direkt an der Tür und sahen aus, als würden sie am liebsten weglaufen. „Wie am Notausgang“, schoss es mir durch den Kopf. Mein Mann und ich saßen auf dem Sofa. Keiner sprach, wir schauten uns nur an. Unsere beiden Enkel waren sehr viel jünger als sie in Wirklichkeit sind, fast noch Kleinkinder, das Mädchen hatte sogar wieder die süße Zahnlücke (ich weiß noch, wie schlimm es damals für sie war, in einen Apfel zu beißen, denn es fehlten ihr gleich beide oberen Schneidezähne!). Die Kinder wirkten verwirrt und verlegen. Offenbar hatten sie Angst, uns zu nahe zu kommen. Vielleicht fürchteten sie, uns anzustecken und in Gefahr zu bringen, aber vielleicht  hatten sie auch Angst vor uns. Auf jeden Fall waren sie überaus verstört. Es tat mir in der Seele weh, und ich wollte gleich zu ihnen laufen und sie in die Arme schließen, sie auf den Schoß nehmen, leise und beruhigend mit ihnen sprechen. Sagen, dass alles in Ordnung ist, dass sie keine Angst haben müssen, dass es nur ein blöder Traum ist und Corona rubbish. Aber ich saß nur wie gelähmt da und hätte am liebsten geheult.

Ein Bett voller Katzen (BFL)

Mit dem Gefühl trauriger Hilflosigkeit wachte ich auf und konnte zunächst nicht wieder einschlafen. Also nahm ich mein Handy und las die neuesten Artikel in der „New York Times“. Nicht wirklich erhebend, denn das eine Thema hält weiterhin die Welt in Atem, aber irgendwas musste ich tun. Die Berichte über den klügsten Präsidenten aller Zeiten schafften es dann aber doch wieder, mich zum Lachen zu bringen. Seine alternative facts sind einfach unschlagbar! Merkwürdigerweise beruhigt mich Zeitunglesen (vor allem über die neuesten Äußerungen von Sie wissen schon) in so einer Situation mehr als stundenlang mit klopfendem Herzen im Bett zu liegen. Wenn ich schon nichts tun kann, dann bin ich wenigstens informiert. (Wie im Flugzeug: Ich sitze auch bei Nachtflügen am liebsten am Fenster und schaue hinaus ins Dunkel, obwohl ich nicht das Geringste sehen kann.) Irgendwann kam meine Katze Alice zum Kuscheln und dann kam ich auch wieder zur Ruhe. Kehliges Katzenschnurren ist eine der besten Einschlafhilfen. Wie schade, dass wir nur noch eine Katze haben. Als es noch vier waren, lag ich nachts in einer wohligen Schnurrwolke, Stereo am Kopf und an den Füßen (ich konnte mich dabei allerdings nicht mehr wirklich gut bewegen). Allein die Erinnerung stimmt mich gerade heiter. Es sah mit Sicherheit total bescheurt aus. Mein Cisco ringelte sich meistens um meinen Kopf wie eine gigantische silbergraue Fellmütze. Gelegentlich biss er mich in die Haare, nie hart, nur ein bisschen. Bei Katzen nennt man das „Liebesbiss“.

Die erzwungene Trennung von Enkeln und Großeltern kann extrem schmerzhaft für alle Beteiligten sein und ist für viele sicher kaum erträglich. Ich weiß noch, wie schlimm ich es fand, als meine Oma, die lange meine wichtigste Bezugsperson war, plötzlich nicht mehr da war. Sie war gestorben, hat mir unendlich gefehlt, und ich konnte nicht begreifen, warum sie nicht mehr da war. Das passiert hier im Moment – zumindest vorübergehend – millionenfach. So viele Kinder werden gerade von ihre Großeltern getrennt und verstehen die Welt nicht mehr! So viele Großeltern vermissen ihre Enkel, dass es weh tut, und würden sie so gern in diesen schweren Zeiten einfach nur in den Arm nehmen und sich um sie „kümmern“. Das alles ist einfach nur grausam, und manch einer würde sich wohl am liebsten hinsetzen und „den Kopf dick heulen“, wie meine Oma das früher so treffend nannte. Vielleicht tun das einige auch, denn Weinen kann hilfreich sein. Social Distancing ist knallhart und brutal, selbst wenn man damit seine Liebsten nur schützen will. Hoffen wir, dass der Spuk bald vorüber sein wird. Hoffen darf man. Muss man. Immer.

Seifentrostbild

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Kölner Westen: „Radio Days“

Aachener Str. (BFL)

Inzwischen ist die Aachener Straße tatsächlich um einiges ruhiger, manchmal sogar völlig still, und selbst die Autobahn röhrt nicht mehr in der Ferne. Ich war ein paar Mal draußen, und jedes Mal war die Straße bis auf die parkenden Autos fast oder gänzlich leer. Genau wie die KVB-Haltestellen, sogar am Center. Das passiert normalerweise nur bei der Fußballweltmeisterschaft.

Stadtauswärts (BFL)

Das kleine Päckchen, das ich heute morgen bekam, wurde mir im Gegensatz zu sonst mit extrem langem Arm gereicht, nicht mal unterschreiben war nötig, denn in Krisenzeiten gelten andere Vorgaben. Im Stadtanzeiger fallen mir jetzt vermehrt die neuen Zusätze bei den Todesanzeigen auf und machen mich traurig. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie die winzigen Beerdigungen in diesen Tagen aussehen, ich habe in den letzten Jahren viele Verwandte verloren. Ich sehe die wenigen Trauernden verloren und ungetröstet am Grab stehen. Auf dem Weidener Friedhof war ein riesiger Bagger mit lautem Getöse zugange. Mir schoss ein völlig abgedrehter schrecklicher Gedanke durch den Kopf, als ich das riesige Loch sah, doch die Männer hatten einfach nur das Fundament des Strommasts entfernt, der dort bis vor kurzem noch stand. Das war mir glatt entgangen, dabei habe ich ihn schon so oft surren hören. Ein Glück, dachte ich erleichtert. Wie gut, dass ich gefragt habe. Es ist nur der Strommast!

die neuen Weltstars (unsplash)

Im Center sind tatsächlich noch ein paar Geschäfte geöffnet, aber richtig einladend wirkt das nicht. An den geschlossenen Läden kleben kleine Plakate, vor einigen geöffneten stehen Warnschilder. In der Apotheke trugen heute alle Mundschutz und der  Sicherheitsabstand zwischen den Kunden war sehr groß. Bei Rewe und im DM fehlen tatsächlich immer noch unsere momentan weltweit kollektiven Lieblingsprodukte (Nur so eine Idee: man kann notfalls auch liebevoll zugeschnittene Küchenrollen zweckentfremden). Ein Psychologe meinte gestern, durch das Horten von Klopapier würden die Menschen ihren Ekel vor dem Coronavirus ausdrücken. Interessante Theorie, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber vielleicht ist Klopapier im Moment auch nur eine Art Beruhigungsmittel gegen die Angst? Eine Variante des magischen Denkens: Wenn du nur genug Klopapier zu Hause hast, kann dir nichts passieren! Dass alle anderen das auch zu denken scheinen (wenn alle das meinen, muss es ja stimmen! Darum gibt es auch all die leeren Regale!), bestätigt die eigene Wahrnehmung. Interessant ist diese Fixierung irgendwie schon. Nudelhorten verstehe ich bestens. Nudeln sind lecker und halten sehr lange. Sie sind gut für das körperliche Wohl. Klopapier bietet offenbar eine ganz andere Sicherheit. Damit schützt sich der Mensch an seiner verwundbarsten Stelle, dem Intimbereich. Ich hatte schon immer genug Klopapier für einige Wochen im Schrank (genau wie Katzenstreu) und habe auch wegen Corona nicht aufgestockt. Aber vielleicht habe ich auch eine ganz andere Art Angst als die Klopapierhorter. Wir kennen uns halt schon sehr, sehr lange, die Angst und ich. Damit hat Klopapier nichts zu tun.

Stopp! (BFL)

Zwei Frauen suchten heute morgen im DM verzweifelt nach Desinfektionsmitteln und eilten panisch und hektisch durch die Gänge. Ich gab ihnen den Tipp (aus der „New York Times“), dass man stattdessen auch sehr gut (verdünntes) Geschirrspülmittel verwenden könne, denn Coronaviren vertragen ja keine Fettlöser, was die beiden sichtlich beruhigte und mir ein gutes Gefühl gab. Spülmittel gibt es zum Glück noch genug, offenbar haben die Menschen diese Geheimwaffe noch nicht auf dem Schirm. Sogar meine Lieblingsmarke gab es, kam also auch gleich in den Einkaufskorb. Ich habe schon immer Spülmittel und Seife geliebt! Auch bei Gummihandschuhen gibt es erstaunlicherweise noch keinen Engpaß (wohl aber bei Einweghandschuhen, die sind nicht mehr zu kriegen).

Zur Säuberung von Oberflächen gab es eine gute Empfehlung in der „New York Times“: Gummihandschuhe anziehen und 1 x am Tag folgende Gegenstände mit einem feuchten Tuch (Desinfektionsmittel oder verdünntes Spülmittel) abreiben: Türklinken, Schubladengriffe, Fernbedienungen, Telefon, Tastatur und Handy (besonders wichtig, weil man es dauernd in der Hand hat!), Wasserhähne, Toilettenspülungstaste, Lichtschalter, Kühlschranktür, Microwellentür. Danach Handschuhe gut mit Seife waschen und trocknen lassen, danach noch mal Hände waschen, ebenfalls mit Seife und nach bewährter Manier. Also gründlich. Mindestens 20 Sekunden. (Für die Hände braucht man eigentlich gar kein Desinfektionsmittel, da reicht Seife!!!!) Ob ich die neue Handhygiene je vergessen werde? Wenn das noch monatelang so weiter geht, sicher nicht. Irgendwie ist es mir jetzt schon in Fleisch und Blut übergegangen. Mache ich ja auch schon seit sechs Wochen.

Radio Days (pixabay)

Übrigens bemerke ich mehrere auffällige Veränderungen in meinem Leben: Ich höre plötzlich Radio. Normalerweise tue ich das sonst nur im Auto, weil mich fremde Stimmen von unsichtbaren Leuten im täglichen Leben und bei meiner Arbeit am Schreibtisch stark irritieren (ich bin ein ausgesprochener Augenmensch), aber jetzt verbringe ich praktisch mehrere Stunden am Tag neben dem Radio. Es ist nicht nur der Podcast von Professor Drosten, es ist noch viel mehr. Wenn ich tief in mich hineinhorche, verstehe ich sogar, warum. Radiohören erinnert mich an meine Kindheit, an die Zeit, als wir noch keinen Fernseher hatten und mit dem Radio den Tag begannen und beendeten. „Komm, wir hören schnell noch die Nachrichten“, sagte meine Mutter. Dann waren kurz alle leise, und zum Schluss kam die Wettervorhersage. Und später „Die großen Acht“ von Radio Luxemburg mit Frank Elsner. Bei mir erlebt das Radio gerade eine echte Renaissance. Irgendwie fühle ich mich dadurch beruhigt und behütet. Wie war das noch früher? Morgens beim Frühstück, bevor mein Vater zur Arbeit fuhr, lief das Radio, auch später noch, wenn ich zur Schule ging, und außerdem immer, wenn ich krank im Bett lag. Aber dann war es nicht der große Kasten, sondern ein Transisterradio. Das entführte mich in die Welt des Kinderfunks. „Was meinst du dazu?“ fällt mir ein. Und „Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv“ (da kann ich sogar noch die Erkennungsmelodie singen!). Und die Stimme von Peter René Körner! An den habe ich schon ewig nicht mehr gedacht.

Mein Mann hört immer viel Radio, für ihn ist das jetzt nichts Besonderes, aber ich schaue eigentlich viel lieber fern. Ich bin ein echter Film-Junkie. Auch ein echter Serien-Junkie, seufz. Jetzt stelle ich mit einem Mal erstaunt fest, wie gut und interessant das Radioprogramm ist! Und wie sehr ich mich im Moment genau dort unmittelbar und gut informiert fühle. So höre ich nicht nur täglich im NDR den informativen Drosten-Podcast, sondern habe rein zufällig auch im WDR etliche gute Sendungen gefunden, z. B. eine ausgezeichnete Sendung über Hermann van Veen. Bei KiRaKa. Ich hatte glatt vergessen, wie angenehm seine Stimme ist. Und wie schön seine Lieder. Danke, WDR! Auch die Nachrichten höre ich jetzt alle paar Stunden. Komischerweise fühlt sich das sehr viel unmittelbarer an als das Fernsehen, und die „Tagesthemen“ und das „Heute Journal“ kommen ja erst so spät. Die schaue ich mir auch beide an. Schade, dass die „Heute Show“ nicht jeden Abend den Abschluss bildet, dann hätte ich wenigstens was zu lachen. So liest mir mein Mann (er hat eine wunderbare Stimme, eigentlich hätte er Radiosprecher werden sollen) im Moment „Winnie the Pooh“ vor. Das brauche ich, um runterzukommen. Vorher hatten wir „Karlsson vom Dach“.

Auch die Ansprache von Angela Merkel habe ich mir gestern bewußt zuerst im Radio angehört und erst dann „richtig“ im Fernsehen. Meine Gefühle waren dabei so ähnlich wie bei „The King’s Speech“. Es war ein historischer Moment. Das hat sie noch nie zuvor getan. Sie sprach einfühlsam, unaufgeregt, klar und für ihre Verhältnisse erstaunlich emotional. Ich war und bin beeindruckt. Leider werden viele Menschen ihren dringenden Appell nicht befolgen. Auch heute haben sich wieder hunderte Jugendliche am Rheinufer versammelt und Coronafeiern abgehalten. Es ist einfach nur noch zum Heulen und wird zu Ausgangssperren führen. Wir sind offenbar immer noch nicht reif und mündig genug, um in dieser historischen Ausnahmesituation Vernunft walten zu lassen und Rücksicht aufeinander zu nehmen. Ich wünsche mir, die „Partymacher“ würden den verzweifelten Bericht der jungen New Yorker Ärztin lesen, den ich heute gefunden habe: „The Sky is falling!“ Doch antiphobisches Verhalten ist nicht neu. Es gab auch schon wilde Feste währen der Pestepidemien. Aber das waren eher Totentänze. Tanzen auf dem Vulkan muss ein ganz besonderer Thrill sein, den ich nicht nachvollziehen kann.

Wie im Rest von Köln und in vielen anderen Städten (besonders eindrucksvoll schafft man das in Italien!) gab und gibt es auch hier im Westen abendliche „Klatschaktionen“ als Dank an die Menschen, die „den Laden am Laufen halten“, immer um 21:00 Uhr. Von der ersten habe ich zu spät erfahren, die zweite habe ich durch einen wichtigen Anruf verpaßt. Aber an der breiten Aachener Straße hätte sich mein Klatschen ohnehin sekundenschnell „versendet“. Für Sonntag, den 22. März ist um 18:00 Uhr eine Art kollektives Musikkonzert geplant, doch selbst dazu werde ich an der Aachener Straße nicht viel beitragen können. Kein Instrument wäre hier laut genug. Damit man mich irgendwie bemerkt, müsste ich wohl riesige Leuchtkugeln in den Himmel schießen. Mal sehen, wie es heute Abend wird. Noch ist nicht 21:00 Uhr.

Seifenblasen (pixabay)

In diesen Tagen fällt es mir schwer, mich beim Schreiben auf „Unpandemisches“ zu konzentrieren. Mein Roman pausiert daher erst mal. Merkwürdigerweise habe ich während der SARS-Krise (2003) ein ganzes Buch geschafft, in dem meine Romanfamilie im Belgischen Viertel sogar eine Woche in Quarantäne verbringen musste. Sie hatten damit argen Stress, denn der Vater hatte im selben Flieger gesessen wie der SARS-infizierte Arzt, und seine beiden Töchter fürchteten, dass er sich angesteckt haben könnte. Ich habe mir schon überlegt, ob ich meine Familie nicht einfach wiederaufleben lassen soll, denn sie fehlt mir schon seit langem und ich würde gern wieder mehr Zeit mit ihr verbringen (außerdem hege ich insgeheim tiefe Gefühle für Martin, den amerikanischen Vater). Vielleicht versuche ich in den nächsten Tagen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Wenn sie Lust dazu haben, was ich sehr hoffe.

Aber zuerst möchte ich mir noch die verpassten Podcasts von Christian Drosten anhören. Ich habe erst bei Folge 10 angefangen, heute war Folge 17. Inzwischen kann man sich auch die Scripts herunterladen oder im Computer lesen, und die NDR-App schickt mir morgens und abends die neuesten Meldungen aufs Handy. Genau wie der Newsletter des Kölner Stadtanzeigers speziell für die Lage vor Ort (Stadt mit K). Heute habe ich auch zum ersten Mal von der wohl aktuellsten Infoseite über die Corona Verbreitung gelesen. Sie heißt ncov2019live und wird von einem hochbegabten 17jährigen namens Avi Schiffmann in Seattle betrieben, der schon in einem Alter zu programmieren begonnen hat, in dem andere gerade erst anfangen zu lesen. (Sein Name klingt ein bisschen, als wäre er aus dem Roman „Die Lügnerin“, dem letzten Buch für die Stadt. Hab ich damals ausführlich im Literaturkreis besprochen. (der Literaturkreis fällt jetzt leider aus.)

Hummelchen (pixabay)

Draußen bleibt es frühlingshaft mild. Die ersten Hummeln habe ich im Garten gesichtet, die Vögel scheinen schon mit ihrem Nestbau zu beginnen, gestern habe ich den Rasen gemäht (natürlich ganz hoch eingestellt, damit er nur ja keinen Mähschock bekommt). Auch einen wirklich magischen Moment habe ich erlebt: Heute flogen schreiende Wildgänse hoch am Himmel über mich hinweg. Ihr Anblick rührt mich sowohl im Frühjahr als auch im Herbst zu Tränen. Irgendwie wecken diese Vogelzüge ein uraltes archaisches Bild in mir auf. Wie viele Generationen von Menschen haben diese eindrucksvollen Züge wohl schon beobachtet? Und sehr wahrscheinlich sind ihnen dabei auch Schauern über den Rücken gelaufen. Auch mit Fischfüttern habe ich jetzt angefangen, denn es gibt viele neue Fischbabys.  Hoffentlich kommt der Reiher nicht und frißt sie sie mir alle an einem Tag weg. Es gibt einen gewissen Reiher, der auf den Kölner Westen spezialisiert ist. Meine Freundin in der Bahnstraße kennt ihn auch bestens. Er hat uns beiden schon mehrfach den Teich leer gefischt, und ich habe ihn auch schon mal ganz aus der Nähe fotografiert. Er ist riesig! Sehr schön eigentlich, aber auch sehr hungrig.

Kirchenglocke (RoyBuri/pixabay)

Übrigens läuten jetzt täglich um 12:00 in Köln die Glocken zum kurzen Gebet, ebenfalls um 19:30. Auch das erinnert mich an etwas. Früher läutete in unserem Dorf die Kirchenglocke, wenn jemand gestorben war. Dann hielten die Menschen kurz inne, und meistens wußten sie auch, wer da gerade gestorben war. Es war ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kannte. Die alten Frauen begannen dann, zu Maria zu beten. Glockenläuten ist für mich immer noch extrem emotional besetzt. Vielleicht gehe ich morgen Mittag und Abend kurz nach draußen und höre den Glocken zu. Schade, dass ich nicht mehr gegenüber von St. Michael im Belgischen Viertel wohne. Wie meine Buchfamilie, die mir gerade so fehlt, dass es fast schon weh tut. Vielleicht gehe ich morgen um 12 und 19:30 kurz an die Straße. Das Glockengeläut müsste ich eigentlich hören. Und vielleicht kommen noch mehr Menschen an die Straße und wir können uns zuwinken.

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Kölner Westen trifft Corona

Seifentrost

Ich mache mir grade wieder selbst eine Freude und schaue mir Seifenbilder an. Das finde ich überaus beruhigend in Zeiten der Pandemie.

Draußen ist es heute bis auf den normalen Puls des Kölner Westens (möglicherweise ist die Aachener Straße gerade ein wenig leiser als sonst, aber noch fällt es nicht auf) und einige frühlingsschmetternde Vögel ziemlich still. Mir fehlen die Stimmen der vielen Kinder, die um diese Zeit normalerweise draußen den Schulhof bevölkern. Manche sind ganz schön laut, ein Mädchen kann täuschend echt wiehern, und etliche nerven mich auch gelegentlich, weil sie so laut kreischen, dass mir die Haare zu Berge stehen, aber alles in allem erinnert mich die quicklebendige Geräuschkulisse immer an meine Kindheit und das Haus meiner geliebten Oma. Sie wohnte unmittelbar neben einer Schule, und da war es vor 60 Jahren schon genau so laut.  Die Stimmen von spielenden Kindern sind offenbar immer gleich. Herumtollende Kinder sind etwas Vertrautes. Wenn sie nach der Pausenglocke alle gleichzeitig auf den Schulhof strömen, ist das eine Szene voller Lebenslust und Übermut. Jetzt sind die Kinder fort. Nur der Rasenmäher und der Hausmeister sind noch da. Und die Schulglocke. Pünktlich. Als wäre alles wie sonst.

Spielen (Robert Collins/unsplash)

In Köln sind ab heute nicht nur alle Kitas und Schulen, sondern auch alle Restaurants, Kinos, Spielplätze, Schwimmbäder und Bordelle (die Stimme der meisten Nachrichtensprecher verändert sich bei diesem Wort sehr subtil, und jedesmal muss ich lächeln) geschlossen. Nun ist auch der Zoo zu, der noch am Wochenende (bis auf die Tierhäuser) geöffnet war und die Kölner und ihre Kindern erfreute.

noch mehr Seife

Es ist so schön draußen, die ersten Blätter sprießen, Bäume blühen, Narzissen und Tulpen stehen im Blust, sogar der jährliche Heuschnupfen ist im Anflug. Trotzdem ist alles anders. Ab heute sind fast alle Geschäfte zu, bis auf Apotheken, Tankstellen, Banken und Lebensmittelläden, in denen die Angestellten (es ist bewundernswert, dass sie immer noch so freundlich sind!) zu Stoßzeiten bis an die Grenze ihrer Kraft (oft sicher auch oft darüber hinaus) arbeiten und dabei auch noch ständig unterhalb des empfohlenen Sicherheitsabstands bleiben müssen. Eine Kassiererin klagte darüber, dass rücksichtslose Kunden einfach in die Hand husten und ihr dann mit genau dieser Hand das Geld reichen. Wenn man sie darauf anspricht, reagieren sie sauer und gereizt. Nach wie vor gibt es den Super-Run auf Nudeln und Klopapier. Nudeln kann ich gut verstehen, aber ich frage mich, warum die Menschen scharf auf Toilettenpapier sind. Ist Klopapiersucht ansteckend? Triggert sie der Anblick der leeren Regale? Oder ist Klopapier irgendwie das Symbol für „Keine Sorge, alles ist gut“?

Das Einkaufscenter glich gestern einer Geisterwelt. Die Gänge, die meisten Läden und die Rolltreppen waren leer, im Kaufhof musste man ähnlich wie im Flughafen erst mal Slalom laufen, um zur Kasse zu kommen. In der Konfektionsabteilung waren wir die einzigen Kunden, was mich normalerweise erfreut hätte, denn ich mag keine Warteschlangen, aber unter den gegebenen Umständen war es unheimlich und bedrückend. Die Kassiererinnen trugen Handschuhe und machten ernste Gesichter. Leider bekam ich nicht mal das, was ich suchte. „Lieferstopp. Ham wir nicht im Moment.“ Ich hatte schon seit einigen Tagen meine Vorahnungen und habe mich daher vorige Woche einfach bei der Verkäuferin meines Vertrauens direkt erkundigt. „Wir wissen auch noch nichts“, meinte sie. „Das kommt immer ganz plötzlich. Aber ich gehe mal davon aus, dass hier nächste Woche zu ist.“ Ob wirklich zu ist? Ich muss es selbst sehen, um es zu glauben.

Klopapierhorter von Heather Anthony, @mousesprouts (Foto: Paul Anthony)

Irgendwie bizzar, aber es ist überall auf der Welt dasselbe, sogar das Horten von Klopapier ist gleich, wie ich täglich aus den sozialen Medien erfahre. Auf instagram beschäftigen sich sogar die Miniaturisten mit dem Thema. Auf höchst humorvolle Weise. Überhaupt ist instagram im Moment eine wahre Wohltat, hier wünschen Menschen aus aller Welt einander täglich Kraft, schicken sich virtuelle Umarmungen, liebe Worte und Ratschläge und finden sogar unerwartet Seelenverwandte (so bin ich seit kurzem auf die Ferne richtig gut mit Künstlerinnen in New York, Texas, Australien, England und  Norwegen befreundet, alles „Mausfrauen“). Wir posten spöttische, selbstironische und mitfühlende Bilder. Aber vielleicht habe ich auch nur Glück und „folge“ den (für mich) richtigen Personen. Oder gehen Künstler in aller Welt besonders feinfühlig und kreativ mit diesen einschneidenden, furchterregenden Veränderungen um?

Mausbuchladen „Mouse Tales“  (BFL)

Auch meine eigenen instagram Bilder sind „eingestimmt“. Bei mir in Mouseland (@cheddarandmozzarella) sind zum Glück alle Läden geöffnet und werden das auch bleiben, sofern mich die Coronaviren nicht vom Stuhl fegen. Auch das gemeinsame üppige Schmausen darf selbstverständlich weitergehen. Mäuse sind äußerst soziale Wesen und dürfen sich zum Glück auch bei Menschencorona noch fest in den Arm nehmen und nach Herzenslust beschmusen. Ich freue mich immer, wenn ich lese, dass meine Mäuse andere trösten und zum Lächeln bringen. Genau das sollen sie ja! Ich verkaufe dort nichts, ich brauche keine Werbung,  ich poste meine Bilder, weil es Freude macht und weil ich meine Mäuse liebe. Es tut gut, dieser bedrohlichen Dunkelheit einfach jeden Tag ihre kleine heile Welt entgegenzusetzen. Ohne Viren, Einschränkungen, Verbrechen und Gefahr.

Tina, Chester und Mimolette (BFL)

Auch die vielen hilfsbereiten Menschen, denen ich hier im Westen seit einigen Wochen real wie virtuell (vor allem bei facebook und nebenan.de) begegne, beeindrucken mich. Das „Viertel“ hält zusammen, formiert sich vielleicht gerade erst richtig, die Jungen helfen den Alten, überall herrscht große Solidarität. Auch der Kölner Westen verändert sich. Die Menschen werden zwar gezwungen, einander zu meiden, doch sie rücken gleichzeitig auch enger zusammen, lernen sich vielleicht jetzt erst kennen. Wir sitzen tatsächlich alle im selben Boot, weltweit, stadtweit, straßenweit, alle sind wir von dieser Katastrophe betroffen. Danach werden wir vielleicht anders miteinander umgehen. Köln zeigt sich hier gerade von seiner besten Seite, und mir wird das Herz weit.

trauriger Anblick (BFL)

Was mich traurig macht: Dass am Sonntag die Gläubigen ungetröstet zurück nach Hause geschickt werden mussten, weil auch die Gottesdienste verboten sind. Dass man sie nicht mal beruhigend in den Arm nehmen konnte. Dabei war alles so liebevoll vorbereitet, auf den Stühlen waren die Sitzkissen so verteilt, dass genug Abstand zwischen den Menschen bestanden hätte, die Gesangbücher lagen schon auf den Plätzen (und wären auch dort liegen geblieben), am Ausgang stand eine große Flasche mit Desinfektionsmittel, auf dem Altar standen frische Frühlingsblumen, zwei Türen wären einladend weit geöffnet worden. Die Gemeinde hätte nicht gesungen (denn dabei verteilt man natürlich auch Viren), sondern gemeinsam gesummt. Alle hatten sich auf diesen Abendgottesdienst in Krisenzeiten gefreut und auf die beruhigenden Worte ihres Pfarrer gehofft. Die gewohnte innere Nähe, die vertrauten Menschen, der gemeinsame Glaube hätten die Anwesenden, von denen viele betagt und einsam sind, sicher trösten können. Doch die unsichtbare Bedrohung verlangt, dass die Menschen einander meiden. Sie dürfen einander nicht mehr berühren, sich nicht mehr nah sein, nicht mal in Sprechnähe stehen. Auch die Beerdigungen werden von nun an eine Zeitlang anders sein. Nur Angehörige ersten Grades dürfen am Grab stehen und müssen auch in ihrem Schmerz allein bleiben. Gerade bei Trauerfeiern bekommt man normalerweise so viel dringend benötigte Zuwendung und Trost. Alles dahin. In Italien bleiben inzwischen auch die Sterbenden allein. Vorübergehend brechen uns alle inneren und äußeren Haltestrukturen weg.

Einsamer Mose (BFL)

Die Welt ist in Aufruhr. Möglicherweise werden viele Menschen aus dieser Phase traumatisiert hervorgehen. Wenn die Pandemie vorbei ist, hat sich das Leben tiefgreifend verändert. Wir befinden uns in einem globalen Kampf mit einer unberechenbaren neuen Krankheit. Die Zustände in Italien sind unvorstellbar (wie es auch in China der Fall war), ich lese darüber täglich in der „New York Times“ und hoffe immer noch, dass uns diese  Wucht erspart bleibt. Ärzte kämpfen dort nicht nur um das Leben ihrer Patienten, sie sind auch selbst in höchster Gefahr. Viele trennen sich jetzt von ihren Familien, um sie nicht zu infizieren. Alle Länder wappnen sich. In Frankreich gibt es ab jetzt eine Ausgangssperre, und selbst der intelligenteste Präsident aller Zeiten (he whose name must not be mentioned, also Voldetrump) und sein ruppiger Brexitfreund rudern jetzt nach großen Tönen heftig zurück.

Was mir gerade akut zu schaffen macht: In Köln wurden an der Uniklinik sozusagen über Nacht 50.000 Atemschutzmasken gestohlen, was  hier in der Stadt möglicherweise etliche Leben in Gefahr bringt oder sogar kosten wird (aber wie kann jemand nur so viel Zeug ungesehen fort schaffen?).

Außerdem gibt es schon wieder Trickbetrüger, die bei hilflosen Senioren klingeln und sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamts ausgeben. Angeblich wollen sie einen Rachenabstrich nehmen, haben es aber in Wirklichkeit nur auf das Geld und den Schmuck ihrer betagten Opfer abgesehen. Während Täter 1 ablenkt, räumt Täter 2 die Wohnung leer. Mir fehlen für so ein Verhalten die Worte.

Lavendelduft

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Mülhausen revisited, März 2020

Bibliothek (BFL)

Nach fast zwei Jahren war ich wieder zu einer Lesung aus meinen Büchern „Mit Winnie in Kattendonk“ und „Mit Winnie in Niersbeck“ an meiner alten Schule, diesmal las ich allerdings vor Schülern und Schülerinnen. Für mich eine echte Premiere und entsprechend spannend. Normalerweise kann ich davon ausgehen, dass mein Publikum sich an zahlreiche Personen, Orte, Lieder und Gegenstände in meinen Büchern erinnert, was bei dieser sehr jungen Generation natürlich nicht der Fall war. Daher hatte ich vorgesorgt und eine kleine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Es funktionierte. Die Kinder waren wunderbar, sie staunten, amüsierten sich, gingen mit, stellten kluge und interessierte Fragen, brachten auch ihre eigenen Erfahrungen und Ideen ein und überraschten mich immer wieder. Die Doppelstunde verging wie im Flug. Wie bei meiner ersten Lesung saßen wir in der alten Bibliothek mit den langen Fenstern, die immer noch einen Hauch von Hogwarts ausstrahlt, vor allem, wenn man noch weiß, wie es hier früher aussah. Bloß der Literaturgeruch ist inzwischen ein anderer, und der Raum wirkt jetzt auch viel heller und großzügiger. Trotzdem!

Paradiese hinter Hecken (antranias/pixabay)

Und so begaben wir uns gemeinsam auf eine kleine Zeitreise in die 1960er Jahre, nach „Niersbeck“ und „Kattendonk“, damals ein großes Dorf, mitten hinein in das verschlungene Gässchen-Labyrinth  mit den gepachteten Kirchgärten hinter hohen Heckenwänden, morschen Holztüren und rostigen „Törchen“, krochen durch das Loch in der Eibenhecke auf den verfallenen, längst eingeebneten alten Friedhof, von dem nur noch wenige Reste übrig sind (wohl aber der Straßenname „Am alten Friedhof“), saßen in den warmen, dunklen Wohnzimmern meiner Großtanten, betraten die ehrwürdigen alten Schulgebäude und schlenderten durch den riesigen wilden Park der Klosterschule, den es bis auf einige der alten Bäume heute nicht mehr gibt.

Elfenreigen an der Wand (BFL)

Dass uns die strengen und damals noch schwarz-gewandeten Ordensschwestern mit ihren wehenden Schleiern stark an die Lehrerschaft von Harry Potter erinnerten (sie konnten eindeutig auch apparieren und disapparieren, also sich auf magische Weise in Luft auflösen und an anderen Stellen plötzlich wieder auftauchen), konnten die Kinder wahrscheinlich kaum nachvollziehen, denn die Atmosphäre der alten und neuen Gebäude ist heute so gänzlich anders. Alles ist bunt, modern, offen, entspannt und quicklebendig, und die Kinder wirken sehr viel selbstsicherer und redegewandter als wir damals. Niemals hätten wir in kleinen Gruppen so munter im Flur „herumlungern“ dürfen, wurden wir doch am Anfang meiner Schulzeit sogar noch von einer gewissen Ordensschwester wie eine kichernde Gänseschar unter lautem Händeklatschen aus dem Park in die Aula getrieben und dort eingeschlossen, sobald sich zwischen den Bäumen Handwerker oder Gärtner zeigten. Die Gärtner und Handwerker hatten übrigens vor der gewissen Schwester einen Heidenrespekt. („Und getzt sofort rein, Mädchen! Es sind Männer im Park! Augen geradeaus!“)

Zu meiner Schulzeit gab es nicht mal Jungen an der Schule, und bis 1969 durften wir Mädchen keine langen Hosen tragen. Höchstens die blöden häßlichen Lastexhosen mit Reißverschluß an der Seite, unbedingt! Die Kinder staunten nicht schlecht. Und wir trugen sie auch nur auf dem Schulweg, wenn es richtig kalt war im Winter, und zwar ausschließlich unter dem Rock, was zu unschönen und überaus lästigen Stoffwülsten im Taillenbereich führte. Nicht mal Mittelscheitel und offenes Haar waren erlaubt! Als es dann endlich so weit war, erschienen wir am nächsten Tag natürlich alle in Jeans. Eine Erinnerung, bei der mir bis heute das Herz weit wird. Was für ein Tag! Endlich befreit!

Nach der Lesung machte ich auch diesmal eine kleine Tour durch die Flure, auf der Suche nach neuen und vertrauten Ecken. Dabei konnte ich gleich auch die ehemalige Josefshalle im neuem Gewand bestaunen. Früher standen hier Vitrinen mit ausgestopften Tieren und „eingemachten“ Schlangen und Fröschen, es roch intensiv nach Klosterschule und Bohnerwachs, und mit leisen und sehr unterschiedliche Wuuuschs bogen die sonst katzenleisen Schwestern um die Ecke. Die kleinen und großen KünstlerInnen, die jetzt überall die Wände gestalten dürfen, kann ich wirklich nur beneiden. Das hätte mir als Schülerin auch Riesenfreude gemacht (würde es sogar heute noch!). Immerhin war Kunst mein Lieblingsfach und der Zeichensaal für mich der schönste Raum in der gesamten Schule. Unser Paradies war natürlich der Park. Auch meine ehemalige Kunstlehrerin Frau Vogt wäre sicher von den Wandgemälden beeindruckt gewesen. Für die Kinder hatte ich einige der Bilder mitgebracht, die wir damals gemalt haben. Merkwürdige Themen fielen Frau Vogt ein, etwa „Verbrecherjagd im Treppenhaus“. Bis heute finde ich Stufen und Treppen äußerst schwer zu malen. Als Kind war es eine richtige Qual. Mein Treppen sahen leider eher aus wie Leitern. Natürlich war während der Lesung auch die ganze Zeit meine Freundin Winnie an meiner Seite. Die Kinder fragten nach ihr. Fünf Jahre ist sie nun schon tot, aber in Niersbeck kann man ihr immer noch im Park und auf den Fluren begegnen. Genau wie meinen anderen Freundinnen, die im Buch nicht vorkommen, sehr wohl aber in meinem Leben und in meinen Erinnerungen.

Bevor mein Mann und ich uns auf die Heimfahrt machten, hatte ich Gelegenheit, auch die Kapelle wiederzusehen, die sich ebenfalls stark verändert hatte. Kühl und weiß war sie immer noch, der helle Bogengang sah aus wie früher, auch die schönen Fenster, die warm in der Nachmittagssonne leuchteten, aber in der Kapelle sind Altar und Bänke jetzt anders arrangiert.

In der Nähe von Maria dufteten aber immer noch ganz vertraut die Lilien. In Gedanken spürte ich den harten Zeigefinger von Schwester Maria „Theosopha“ (sie hieß in Wirklichkeit anders) im Rücken. Sie mochte es gar nicht, wenn wir in der Kapelle flüsterten (schwätzten), husteten oder uns auch nur bewegten (zappelten), taten wir es doch, bohrte sie uns unbarmherzig ihren rechten Zeigefinger zwischen die Schulterblätter, wenn man das Pech hatten, genau vor ihr zu sitzen. Das versuchten wir daher auch tunlichst zu vermeiden.

Wie gut, dass die Schulen in NRW erst ab morgen geschlossen sein werden und meine Lesung gerade noch stattfinden konnte. Mit vielen frischen Eindrücken und noch mehr Erinnerungen kehrte ich zurück nach Köln.

Der kühle Bogengang neben der Kapelle (BFL)

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Hochsensible Angst trifft Corona (2)

Angst (Alexandra Gorn/unsplash)

Seit meinem letzten Beitrag hat sich leider eine Menge getan. Es geht meiner Angst nicht gut. Sie tut mir leid, und ich fühle mit ihr. Wir haben Probleme, weil sie sich chronisch überschwemmt fühlt, und leider ist im Moment noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Wie soll sie es schaffen, in Coronazeiten entspannt zu bleiben? In Köln ist die lit.cologne abgesagt worden, in Leipzig die Buchmesse. Veranstaltungen mit mehr als tausend Personen sind in Deutschland verboten. Schulen und Kitas schließen in vielen Orten, Krankenhäuser schränken Besuche stark ein, die Uni Köln verschiebt den Semesterstart, in den Drogeriemärkten sind die Desinfektionsmittel innerhalb von Minuten ausverkauft, die ersten wichtigen Medikamente werden knapp, bald vielleicht auch die Krankenhausbetten, es gibt keine Atemschutzmasken mehr, weil irgendwelche Leute (die sie wahrscheinlich nie im Leben brauchen werden) sie stapelweise bunkern, und jetzt fehlen sie dem medizinischen Personal. Die Börsen sind auf Talfahrt, die ersten Fluglinien melden Insolvenz an. Die evangelische Kirche im Rheinland rät, in den Kirchen keine Gesangbücher mehr auszugeben und Liedtexte an die Wand zu projizieren, selbst das Abendmahl soll ausgesetzt werden, die Konfigottesdienste werden wohl ans Ende des Jahres verlegt. Sorge und Unruhe überall. (In Australien haben sich übrigens vor ein paar Tagen drei Frauen kreischend um eine Klopapierrolle geprügelt und mussten mit Gewalt getrennt werden. Das fanden wir beide lustig.)

Nebenbei läßt die Klimakatastrophe grüßen, was auch unruhig macht. Der letzte Winter war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, der nächste Sommer wird höchstwahrscheinlich genauso qualvoll wie der letzte. Our House is on Fire. Because it is.

Corona trifft Westminster (Hello I’m Nick/unsplash)

Unsicher blickt meine Angst in die Welt. Überall ernste Mienen. Möglicherweise haben es auch die Journalisten nicht leicht im Moment. Irgendwie müssen sie es schaffen, informativ und sachlich zu bleiben. In den Talk Shows geht es hoch her, und nach den Diskussionsrunden ist man noch verwirrter als zuvor. Meist schalte ich ab, es sei denn der ruhige und kundige Prof. Drosten ist dabei (er hat übrigens einen eigenen NDR-Podcast, den ich nur empfehlen kann). Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich nicht ganz aufhören soll, mir die Nachrichten anzusehen oder meine geliebte „New York Times“ zu lesen. Ich habe mich mit der Angst beraten, und die Antwort ist NEIN. Wir möchten weiterhin gut informiert sein, doch ich habe ihr versprochen, (noch) mehr Rücksicht auf sie zu nehmen und uns die Quellen (noch) sorgsamer aussuchen. Ich möchte wissen, was um mich herum passiert!

Über den Wolken (Sacha Verheij/unsplash)

Ich sitze auch im Flugzeug am liebsten am Fenster und schaue mir die Landschaften und Wolken an, die wir überfliegen, obwohl ich das Flugzeug nicht selbst steuere und keinen Einfluss darauf habe, wie die Landung wird, wie wir aus den Turbulenzen herausfinden oder ob wir in einen Orkan geraten. (Nein, ich habe keine Flugangst, das ist so ungefähr die einzige Phobie, die in meiner eindrucksvollen Sammlung noch fehlt. Aber wenn ich nicht am Fenster sitze, geht es mir gar nicht gut.) „Blind fliegen“ funktioniert bei mir nicht, und „blind leben“ auch nicht. Ich muss sehen und wissen, wo ich mich befinde.

Aber was ist denn jetzt mit Corona? fragt die Angst. Der wortgewaltigste Präsident aller Zeiten mit dem (nach eigener Einschätzung) höchsten IQ der Welt hielt die neue Seuche bis vor kurzem noch für einen „Hoax“, eine Erfindung der Demokraten oder der Chinesen (was ihn hoffentlich bald viele  Wählerstimmen kosten wird!). Aber als absoluter Fachmann, was das Corona-Thema betrifft (ebenfalls nach eigner Selbsteinschätzung), hat er in seiner großen Weisheit gestern beschlossen, ab sofort keine Europäer mehr in die USA zu lassen, weil die ja besonders infektiös sind. Bis auf Briten, aber die sind ja keine Europäer (mehr) und haben außerdem Boris Johnson (Great guy, good friend of mine!). Und das („ausländische“!) Virus „will go away“. Übrigens finde ich diesen Einreisestopp gar nicht so schlimm, denn die USA haben ja noch nicht mal genug Testkits! (Aber das ist nur Barack Obama schuld.) Ganz in unserer Nähe versinkt Italien gerade im Chaos, und meine Angst fragt, ob uns das wohl auch noch droht. Wahrscheinlich nicht. Hoffentlich nicht. Aber wer weiß das schon? „Ruhig, ganz ruhig!“, würde Karlsson vom Dach jetzt sagen. Vor Karlsson vom Dach hat meine Angst Respekt, denn sie findet ihn toll. Wohl weil er so angstfrei und durch nichts zu erschüttern ist. Aber ein bisschen erinnert er mich allerdings an den Präsidenten mit dem höchsten IQ aller Zeiten. Doch davon will sie nichts hören.

Ich bin nicht allein mit meiner Angst. Viele Menschen fürchten sich vor der „neuen Naturkatastrophe“. Verständlich. Die WHO wertet die Ausbreitung des Coronavirus (Stand vom 11.3.2020, gerade als ich anfing, diesen Beitrag zu schreiben) inzwischen als Pandemie. Der WHO-Generaldirektor äußerte, er sei tief besorgt über das „alarmierende Niveau der Untätigkeit“ im Kampf gegen das Virus. Was genau er damit meint, erläuterte er nicht. Aber es klang irgendwie schlimm, und meine Angst zuckte sofort schmerzhaft zusammen. Wie soll ich sie nach so was wieder ruhig kriegen?

Neues an der Wand (BFL)

Inzwischen gibt es etwa 120.000 Fälle in 114 Ländern (aber das war vorgestern, ich sitze schon seit drei Tagen an diesem Beitrag, allerdings nicht ununterbrochen, auch wenn es sich so anfühlt). Wahrscheinlich werden es immer mehr, während ich hier still schreibe und versuche, nicht dauernd die Statistiken zu checken (wozu die Angst leider tendiert). Ich messe mir schließlich auch nicht alle fünf Minuten den Blutdruck, tadele ich sie, weil ich weiß, dass das nichts bringt und die Messwerte dadurch nur verfälscht werden. Aber über 4.200 Menschen sind bereits an der Erkrankung gestorben. Hier in Köln gibt es (wieder nur Stand vom 11.3.) auch schon 54 Krankheitsfälle (leider sind es heute 15 mehr, aber das weiß die Angst noch nicht), und 164 Kölner befanden sich vorgestern in Quarantäne. Mit sichtbaren Konsequenzen: In der VHS hingen gestern morgen überall Zettel an den Wänden, und eine Frau in der Bahn trug Mundschutz. Bei all den Zahlen bin ich im Moment fast dankbar dafür, dass ich Dyskalkulie habe und die Zahlen eh sofort wieder vergesse.

In Köln bleibt die Lanxess Arena bis auf weiteres zu, der Circus Roncalli gibt keine Vorstellungen mehr, und die KVB öffnet jetzt an allen Haltestellen automatisch sämtliche Türen, damit man nicht mehr mit dem Finger auf den Halteknopf drücken muss. Gern fahre ich im Moment nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich versuche, möglichst meine Jackenärmel einzusetzen und nicht meine Hände. Manchmal muss ich allerdings über die Angst grinsen. So schrillte mein hochsensibles Alarmsystem vorgestern schon los, als wir mit dem Auto (!) an Heinsberg vorbei fuhren. Soweit ist es schon gekommen!

zartblaue (Vogelgrippe)Viren (CDC/unsplash)

Als wenn das alles nicht schon genug wäre, rauscht auch immer noch die Influenza-Welle durchs Land, nach der aber irgendwie kein Hahn kräht. Schnupfen, Grippe, grippaler Infekt, echte Virusgrippe, alles dasselbe. Oder? „Die Grippe“ bringt keinen mehr aus der Ruhe, dabei wurden bis zum 6. März in Deutschland 145.258 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das Robert Koch-Institut übermittelt, davon waren immerhin 23.276 so schwer krank, dass sie ins Krankenhaus mussten, und 247 Menschen sind bisher daran gestorben (Stand gestern, 11.3.) Aber gegen Influenza kann man sich auch jetzt noch impfen lassen. Zum Glück.

Und was passiert, wenn COVID-19 und Influenza aufeinanderprallen? Genau das versucht man gerade zu vermeiden. Daher auch die vielen Vorsichtsmaßnahmen. Noch haben wir einen kleinen Zeitvorsprung. Und wir haben im Vergleich zu anderen Ländern auch recht viele Intensivbetten und schon sehr früh angefangen zu testen. Gegen die echte Virusgrippe bin ich geimpft, und hoffe, dass mein Körper nach all den vielen Impfungen gelernt hat, zumindest diese Viren zuverlässig zu erkennen.

In meiner Familie (übrigens lauter Ärzte) sind alle gegen Influenza geimpft. Sogar unsere Enkel, von Opa höchstpersönlich. Das erledigen wir traditionell an Halloween, nach dem Hauptgang und vor dem Nachtisch. Bei uns gibt es nicht nur „Trick or Treat“, sondern auch „Prick and Treat.“ Tut mir leid, aber für Impfgegner (komischerweise ein rein deutsches Phänomen) habe ich wenig Verständnis. Ich hatte die Grippe schon zweimal und weiß nur, dass ich das auf keinen Fall noch mal durchmachen möchte.

Gegen die neuen Coronaviren gibt es leider (noch) keine Impfung, aber ich wäre bestimmt eine der ersten, die begeistert den Arm hinhalten würde. Ich habe mich seinerzeit auch sofort gegen die Schweinegrippe impfen lassen, als es den Impfstoff gab. Zum Glück verlief die Schweinegrippe glimpflich, was aber zu dem Zeitpunkt noch nicht vorherzusehen war. Gut für die Bevölkerung, Pech für das NRW-Gesundheitsministerium, das vorsorglich genügend Impfdosen zum Schutz der Bevölkerung bestellt hatte. Damals (und leider auch heute noch) hat man das hier nur als Geldverschwendung gegeißelt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Schweinegrippe damals so explodiert wäre wie gerade Covid-19 und dann nicht genug Impfstoff zur Verfügung gestanden hätte! Sollte der  Corona-Impfstoff zufällig erst fertig werden, wenn die Pandemie bereits abgeflaut ist, wird man ihn wahrscheinlich genauso vernichten müssen wie damals den gegen die Schweinegrippe.

Man kann und sollte sich auch immer noch schnell gegen Pneumokokken impfen lassen. Allerdings wird der Impfstoff knapp.

Angstkind (ambermb/pixabay)

Die Schlagzeile „70% der Deutschen werden Corona bekommen!“, die gerade viele aufschreckte, bedeutet eigentlich nur: Bevor die Pandemie abklingt (wann immer das sein mag), muss ein Großteil der Bevölkerung Kontakt mit den Coronaviren gehabt haben (und dadurch immun werden). Die Katastrophenmeldungen werden uns weiter anspringen. Meine Angst reagiert empfindlich, was ich ihr kaum verübeln kann, und gelegentlich reagiert sie echt über, und dann muss ich ihr helfen. Mit Ablenkung, guten Worten, Eisklümpchen und anderen  bewährten „Beruhigungsmitteln“. Ich vertraue weiterhin der Seite des Robert Koch-Instituts, dem Podcast von Prof. Drosten und der „New York Times“. Tagsüber hält sich die Angst wacker und achtet darauf,  dass ich mir sorgfältig die Hände wasche. Mit Wasser und Seife. Die empfindliche Lipid-Hülle der Coronaviren löst sich nämlich bei Kontakt mit Seife auf! Dazu braucht es gar kein Desinfektionsmittel auf der Haut.

Seifenfreude (thomas despeyroux/unsplash)

Nachts erwischt es mich aber dann doch ab und zu. Schlafstörungen und Alpträume (auch mit maskentragenden Wesen und Krankenhäusern). Die Schreckensbilder des Tages wecken offenbar Urängste. Manchmal habe ich den Eindruck, dass mir die vererbten Lazarett- und Kriegsbilder meines Vaters im Kopf herum spuken. Es reicht schon, wenn ich das Wort Lazarett nur in der Zeitung lese.

Wenn Stress, Sorge und Angst massiv und gleichzeitig auftreten, sind diese Reaktionen bei angstanfälligen Menschen wohl ganz normal.  Erst recht in unruhigen Pandemie-Zeiten, wenn man neben der eigenen Angst und dem eigenen Stress auch noch die fremde Angst und Panik (ungewollt) massiv mitfühlt. Das weckt in mir Erinnerungen an meine schweren Panikanfälle als Kind, wenn meine traumatisierten Eltern Probleme hatten, von denen ich damals nicht mal etwas wußte! Für fremde Angst und fremden Stress besitzen viele hochsensible Menschen offenbar einen doppelten Verstärker in ihrer inneren Alarmanlage. Er läßt sich kaum regulieren, daher muss man (möglichst ruhig) abwarten, bis sich alles wieder einpendelt.

„Keep calm and wash your hands“ klebt weiter tröstlich über meinem Schreibtisch. Ich versuche möglichst ruhig, alles zu tun, was ich tun kann: mir häufig die Hände zu waschen, mein Gesicht möglichst nicht zu berühren, keine Hände zu schütteln, in die Armbeuge zu niesen oder zu husten, Abstand zu halten, eher mal zu Hause zu bleiben, nett zu mir selbst zu sein und meiner Angst beruhigend und verständnisvoll zuzureden. Besonders nachts. Meistens bekrabbeln wir uns schnell wieder. Wir haben es schwer miteinander, aber wir haben schon schlimmere Krisen überstanden.

Also: „Keep calm and carry on!“ Oder, mit Karlsson vom Dach: „Ruhig, ganz ruhig!“  Oder auch: „Wir schaffen das!“ Because we will.

Seifentrost (monika1607)

Veröffentlicht unter Angst, Hasenherz und Sorgenketten, von wegen Mimose | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar