
Schon lange freue ich mich darauf, Simone Garlands Herbst- und Winterfotos zu zeigen und dazu etwas zu schreiben. Schade, dass ich mich nicht einfach mal schnell mit meiner Kamera zu ihr nach Kanada beamen kann, denn hier in Köln findet man so stimmungsvolle Motive natürlich nicht. Ich würde bestimmt sofort in den absoluten Kürbisrausch verfallen. Ganze Felder, Vorgärten und Karren voller pumkins hat Simone auf ihren Bildern eingefangen, herbstlich geschmückte Verandastufen, grinsende Kürbiskerle mit Holzfällerhemden, alte Schindelhäuser unter bunten Bäumen und lodernde Laubfeuer im kanadischen Indian Summer. Im Kleinen habe ich es dieses Jahr endlich auch selbst mal geschafft, eine Veranda nach Herzenslust zu bestücken, denn ich habe meinen Mäusen eine amerikanische Mini-Veranda gebaut. Aber das ist natürlich nicht dasselbe.

Keine Ahnung, warum mich dieses Fest von Anfang an so fasziniert hat – lange, bevor es in Deutschland überhaupt bekannt war. Es muss die prickelnde Mischung aus Melancholie, Farbrausch, Vergänglichkeit und Gruselschauer sein. Zum ersten Mal bestaunte ich die ausgehöhlten Kürbisse und die Hexen mit den schwarzen Spitzhüten als Kind in einem Donald Duck-Heft, das mir ein Handwerker schenkte, der in unserem Keller ein defektes Wasserrohr reparierte. Ich muss noch sehr jung gewesen sein, denn ich konnte noch nicht selbst lesen. Ich weiß noch, wie mir der freundliche junge Mann die Sprechblasen vorgelesen hat. Das Wort Halloween hat er falsch ausgesprochen, weil er es auch noch nicht kannte. Das Heft habe ich lange gehütet wie einen Schatz. An dem Nachmittag wurde ich gleich auch Donald Duck-Fan. Meine Kollegin Dr. Erika Fuchs, die Übersetzerin der Walt Disney-Hefte, war übrigens ein echtes Genie. Wem sonst wären Namen wie Gundel Gaukelei oder Fähnlein Fieselschweif eingefallen!

Später begegneten mir die grinsenden pumpkins in Büchern und Bilderbüchern wieder, auf ganzseitigen Fotos in Bildbänden, gezeichnet bei den Peanuts und auf den Herbst-Covern der Zeitschrift „The New Yorker“. Ich versuche seit einiger Zeit, die Cover-Klassiker (z.B. die von Chas Addams, dem Erfinder der Addams Family) zusammenzutragen, denn jedes Jahr Ende Oktober hänge ich voller Vorfreude meine Halloweenbilder auf. Darüber habe ich ja auch schon im vorigen Herbst geschrieben.

Ganzjährig gibt es eine kleine Wechselausstellung mit Covern hier im Haus, denn seit ich vor etlichen Monden einen Reiseführer über New York übersetzt habe, bin ich treue Abonnentin von „The New Yorker“ und erwarte jede Woche gespannt die neue Ausgabe. Auch wenn sich der Preis im letzten Jahr leider aus mir unerklärlichen Gründen verdoppelt hat. Möglicherweise ist daran auch nur wieder der derzeitige POTUS schuld. Ich habe lange überlegt, ob ich mir die Hefte weiter leisten kann und soll, aber am Ende konnte ich doch nicht widerstehen. So ist das eben, wenn man papiersüchtig ist.

Jetzt ziehe ich auch wieder „The Halloween Tree“ (auf Deutsch „Halloween“) von Ray Bradbury aus dem Regal und tauche begeistert ab in die Geschichte von Pipkin und seinen Freunden. Es ist ein ungewöhnliches Buch, poetisch, gut übersetzt und jedes Mal wieder neu spannend. Wer genug Englisch kann, sollte es unbedingt auch in der Originalsprache lesen. Halloween ist eben kein Tag wie jeder andere. Die Jungen, die zunächst in ihren Kostümen unterwegs sind, um Süßigkeiten zu sammeln, begegnen in einem Spukhaus einem geheimnisvollen Mann (es ist der Tod persönlich), der sie mitnimmt auf eine Wirbelreise durch Zeit und Raum und ihnen bei der Suche nach ihrem verschwundenen Freund Pipkin hilft, der in höchster Gefahr schwebt und nur von ihnen gerettet werden kann.

Getragen werden sie auf ihrer abenteuerlichen Reise von einem riesigen Drachen aus lebendigem Herbstlaub, der sie unter anderem zu den Feuern der Steinzeitmenschen fliegt, zu den Hexen im Mittelalter, den Wasserspeiern hoch oben auf das Dach von Notre Dame und nach Mexiko, mitten hinein in das bunte, quirlige Treiben am Tag der Toten (über dieses Fest habe ich im vorigen Jahr schon ausführlich geschrieben). Es ist Ray Bradbury at his best: überaus wortgewaltig, sehr amerikanisch, ziemlich unheimlich und wunderschön, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Aber Bradbury gehört ohnehin seit langem zu meinen Lieblingsautoren.

Alle Fotos in diesem Beitrag stammen von meiner Bilderfreundin Simone Garland.


















Gefehlt hat mir in allen Klassenräumen der Geruch von Kreide, nassem Schwamm und feuchtem Tafellappen. Komisch, dass einem ausgerechnet so was fehlen kann. Aber zu meiner Schulzeit gehört dieser nicht mal besonders angenehme Geruch einfach dazu. Überhaupt riecht die Schule komplett anders, jedenfalls für meine Nase. Der vertraute und sehr angenehme Klosterschulenduft ist verschwunden. Jammerschade. Vielleicht gibt es ihn noch in der Kapelle, aber die konnte ich diesmal nicht besuchen, weil dort gerade eine Messe gefeiert wurde.

Ich trug ein langes weißes Flattergewand mit goldenem Feenstaub und hielt meinen Zauberstab fest umklammert. Unsere Lehrerin war jung, nett und überaus englisch. Sie hieß Schwester Philomena und merkte rasch, dass die weißgewandete Fairy Godmother keinen guten Tag hatte. Es war nur der eine Satz, aber ausgerechnet der verschwand schlagartig aus dem kleinen Feenhirn. Mich ereilte mein erster veritabler Blackout, der mich jahrzehntelang verfolgen sollte. Als die Stille einfach nicht enden wollte, griff Schwester Philomena zum Äußersten und soufflierte der Fee vor der (gefühlt) ganzen Schule. Auffallend laut, denn akustisch ist so ein Park leider für Theateraufführungen nicht sonderlich geeignet. Die Bäume raschelten mitfühlend mit ihren Blättern, besonders der große alte Baum, unter dem die kleine Fee gerade stand. Doch die (gefühlt) ganze Schule starrte. Wie höllenpeinlich! Ich rief meinen Satz so laut ich konnte hinaus in den Park, aber das war nicht laut genug, daher musste ich ihn wiederholen und die verwünschte Prinzessin ein zweites Mal umtanzen. Die Glückliche durfte schweigen und gleich doppelt mitsamt Hofstaat in ihren hundertjährigen Entspannungsschlaf versinken. Nur die Rosenheckenkinder waren leicht irritiert, denn sie mussten doppelt los laufen. Ich wäre so gern auch versunken. In ein besonders tiefes Mauseloch. Und eindeutig auf Nimmerwiedersehen.

