Bunt sind schon die Wälder

„Reineke auf der Pirsch“ von Ulla Genzel

Mein Vater liebte den Sommer. Hitze und Sonne taten ihm gut, während sie mich sofort außer Gefecht setzen. Im Gegensatz zu mir mochte er auch keinen Regen. An nasskalten Tagen, an denen ich es mir an meinem Schreibtisch mit einer Tasse Tee richtig gemütlich mache und meiner Fantasie freien Lauf lasse, wurde er richtig depressiv, weil er sich nicht in seinem geliebten Garten zurückziehen konnte. Doch an klaren Herbsttagen genoß auch er die bunten Wälder und zeigte mir, selbst als ich schon lange in Köln wohnte, bei meinen Besuchen am Wochenende seine Lieblingsplätze rund um unser Dorf. „Bring am besten den Fotoapparat mit, Kind. Damit du das alles bewahren kannst.“ Meine Eltern fotografierten so gut wie nie und hatten eine tiefe Abneigung gegen alles „Technische“. Sie bekamen schon Panik, wenn sie nur einen neuen Film in ihren uralten Agfa Fotoapparat einlegen mussten. Die Abneigung hatte ich zunächst auch, aber mein Bedürfnis, Eindrücke einzufangen und festzuhalten, waren viel, viel stärker. Unter den staunenden Blicken meiner Eltern wechselte ich mühelos Objektive und Filmspulen und holte mit meinem Zoom sogar weit entfernte Motive ganz nah heran. Einen Fotoapparat hatte ich mir schon als Kind sehnlichst gewünscht und immer bedauert, dass es von mir und meiner Schwester so gut wie keine Kinderfotos gibt. Von meinem ersten Honorar als Übersetzerin kaufte ich mir daher sofort eine Spiegelreflexkamera, und von da an war ich nicht mehr zu stoppen.

„Herbstwald“ von Ulla Genzel

Leider sind meine Fotos aus dieser Zeit fast ausnahmslos Dias, weil ich damals fand, dass die Farben in dieser Form am schönsten strahlten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es eines Tages digitale Bilder geben würde, die man selbst bearbeiten und ausdrucken kann. Auch meine Aufnahmen von den Laternenumzügen und Martinsfeuern in meinem Heimatort stecken in grauen Dia-Kästchen oben im Schrank, weil ich bisher noch keine Möglichkeit gefunden habe, sie in ihrer ganzen Strahlkraft auf den Computer zu holen. Doch glücklicherweise hat meine Freundin Ulla Genzel einen Riesenschatz von Niederrhein-Herbstbildern, die ich mir ausleihen darf.

„Geheimnis der Bäume“ von Ulla Genzel

In den Wäldern rund ums Dorf zeigte mir mein Vater, wo bei Dämmerung die Rehe ästen, wo die Füchse am liebsten schnürten, wo die Eulen nisteten und wo man am besten die Eichhörnchen beobachten konnte. Die Luft war schwer vom intensiven Waldgeruch. Damals wußte ich noch nicht, dass ich „hochsensibel“ bin (ich mag das Wort immer noch nicht), aber mir war durchaus bewußt, dass meine Sinne sich „beim Wahrnehmen“ häufig geradezu überschlugen. Meist blieb ich bei unseren Spaziergängen irgendwann einfach stehen, überwältigt vor Farbrausch, Herbstduft und Glück, und konnte gar nicht tief genug einatmen, um alles in mich aufzunehmen. Die Ehrfurcht vor der Natur hat mein Vater wohl genauso gespürt, denn oft genug nahm er genau im richtigen Moment wortlos meine Hand. Der sinnliche Gefühlsüberschwang war etwas, das nur uns beiden gehörte.

„Herbstspaziergang“ von Ulla Genzel

Meine herbstlichen Kindheitserinnerungen duften bis heute intensiv nach feuchtem Laub, rauchigen Kartoffelfeuern und gerösteten Kastanien, nach rotem Hagebuttentee, heißer Schokolade, Bratäpfeln und rosinengespickten Krapfen, die bei uns Püfferkes hießen, nach Vanillekipferln und kleinen ovalen Mutzemandeln, die mit Zimt und Rum gebacken und noch warm in Puderzucker gewälzt wurden. Sie schmecken nach würzigem Pflaumenmus, süßem gelbem und rosa Apfelkompott, nach Schwarzbrot mit klebrigdunklem Rübenkraut, nach mit Zucker bestreuten Butterbroten, rotem und schwarzem Johannisbeergelee und goldgelbem, dickflüssigem Eierlikör, den wir als Kinder an besonderen Feiertagen aus flachen kleinen Gläsern lecken durften. Sie schmecken nach frischem, ofenwarmen Weißbrot mit Knusperkruste, nach luftigem Rosinenbrot, dicken Eintöpfen, Hühnersuppe mit Eierstich oder Griesknödeln, nach Kohlrouladen und Reibekuchen. Manchmal gab es Weihnachtsplätzchen bei uns schon im Herbst, daher schmecken manche Novembererinnerungen auch schon nach Spritzgebäck und Heidesand.

„Das Tor in meine Welt“ von Ulla Genzel

Eins von Ullas Herbstbildern weckt ganz besondere Erinnerungen in mir. Es ist „Das Tor in meine Welt“. Ein ganz ähnliches Tor führte in mein erstes verlorenes Paradies, den alten verfallenen Friedhof, auf dem ich mit meiner Freundin Winnie so oft war und die wilden Katzen fütterte. Riesige Kastanien wachten an beiden Seiten. Das rostige Tor war mit einer dicken Kette verschlossen, aber wir kannten einen Geheimeingang. In der Eibenhecke, die unseren Kirchhofgarten umgab, war nämlich ein Loch, das mit einem dicken Brett verschlossen war. Es war groß genug für Kinder, aber viel zu klein für Erwachsene. Durch unser Heckenloch schlängelten wir uns auf den abgesperrten verfallenen Friedhof. Hier gab es nur uns, die steinernen Engel, viele Vögel und Kaninchen und die wilden Katzen.

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Altweibersommer

„Septembermorgen“ von Ulla Genzel

Im Herbst geschahen am Niederrhein lauter kleine Wunder. Die Vogelscheuchen sahen plötzlich aus wie Spukgestalten, ihre Kleider hingen in Fetzen von ihren Holzgerippen, und auf den Feldern tummelten sich heiser krächzende Saatkrähen, riesige glänzende Kolkraben und flinke grauschwarze Dohlen mit hellen Augen. Sie schienen aus einer anderen Welt zu kommen. Abends flogen sie lärmend zu ihren Schlafbäumen und Sammelplätzen. Manchmal hörte man merkwürdig traurige Schreie in der Luft, wenn die Wildgänse und Kraniche in großen Schwärmen in ihre Winterquartiere zogen, und am Krickenbecker See trafen die ersten gefiederten Wintergäste ein.

„Kraniche im Nebel“ von Ulla Genzel

Wenn der Nebel richtig dick war und wie eine riesige weiße Wattekatze über die Flüsse strich, konnte man draußen auf den Weiden ein merkwürdiges Schauspiel beobachten. Zuerst nahm mein Vater uns mit und ließ uns staunen, später gingen Winnie und ich allein in die Felder und konnten uns nicht satt sehen.

Die schwarzweißen Kühe hatten plötzlich keine Beine mehr. Der untere Teil ihres Körpers wurde vom Nebel verschluckt, nur Kopf und Rücken ragten noch aus dem dicken Weiß. Die Luft war feucht, unsere Wimpern waren nass, und überall flogen feine, mit Tröpfchen besetzte Fäden

„Diese Jahreszeit nennt man Altweibersommer“, erklärte mein Vater. „Warum dat denn?“  fragten wir. „Vielleicht, weil die Fäden so grau und weiß sind und wie die Haare von alten Frauen aussehen“, meinte mein Vater. Das leuchtete uns sofort ein. Die halben Kühe schienen sich auch ohne Beine wohl zu fühlen, fast hätte man glauben können, sie wären verzaubert.

(aus: „Mit Winnie in Kattendonk“)

„Verwunschen“ von Ulla Genzel

Meine Freundin Ulla Genzel und ihre Bilder habe ich bereits im März in einem eigenen Blogbeitrag vorgestellt. Da der Herbst auch ihre Lieblingsjahreszeit ist, freue ich mich sehr, dass ich auch Texte aus meinen beiden Winnie-Bänden mit ihren stimmungsvollen Niederrheinbildern untermalen darf .

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Halloween mit Nancy Michalak

„Haunted House“ von Nancy Michalak

Meine Liebe zu Scherenschnitten begann bereits in der Kindheit. Während meiner Volksschulzeit hatten meine Eltern noch keinen Fernseher, so dass mich die beiden Schwarzweißfilme, die wir in der Schule sahen, tief beeindruckten. Wir marschierten aufgeregt in die große Aula, wo bereits ein surrendes Vorführgerät auf uns wartete. An die Silhouetten-Animationsfilme „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ und „Dornröschen“, beide von Lotte Reiniger, kann ich mich gut erinnern. Leider währte die Freude an „Prinz Achmed“ nur sehr kurz, denn das Gerät lief bald heiß und brachte den Film brutal zum Schmelzen. Sekundenschnell verschlang der schwarze Rand zu unserem Schrecken das schöne Filmbild, das Deckenlicht flammte auf, und wir mussten wieder zurück ins Klassenzimmer. Eine Riesenenttäuschung! Aber wenigstens hatten wir den bösen Zauberer auf dem fliegenden Pferd noch gesehen. Eine Woche später konnten wir den Film dann ohne Schmelzeinlage genießen. Es war wundervoll!

„At the Gate“ von Nancy Michalak

Eigentlich ist meine Lieblingsfarbe ruhiges, kühles Blau in allen Schattierungen. Das ändert sich erst im Herbst, wenn ich mit der Natur in meinen alljährlichen Farbrausch verfalle. Dann liebe ich sogar feurig loderndes Rot, am meisten jedoch die warmen Orange- und Gelbtöne, die in Kombination mit Schwarz auch die klassischen Halloween-Farben sind.

Die amerikanische Künstlerin Nancy Michalak lebt in Maine, an der Ostküste der Vereinigten Staaten, wo sie den „Indian Summer“ hautnah miterleben und genießen kann. Als ich ihre leuchtenden „Paper Cuttings“ entdeckte, habe ich mich sofort verliebt und mir gleich einen kleinen Kartenvorrat zugelegt.

Nancys Hexen haben nichts Bedrohliches oder Unheimliches, sie sind stille kindliche Zauberinnen und „Trick or Treaters“, kleine Heischegänger, die beinahe ehrfürchtig mit ihren Kürbistaschen ins Dunkel des Halloween-Abends zu den Spukhäusern und Friedhofstoren ziehen. Die Gestaltung und Farbgebung von Nancys leuchtenden „Paper Cuttings“ fängt die Stimmung dieses ganz besonderen magischen Herbsttages perfekt ein. Man kann sie auch sehr schön rahmen und das ganze Jahr lang genießen.

Nancys Karten kann man hier in ihrem Etsy-Shop kaufen.

„Witches with Cauldron“ von Nancy Michalak

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Kürbiszeit

Kennengelernt habe ich Kürbisse und Halloween durch meine Comics. Mit freundlicher Unterstützung von Donald Duck und den Peanuts. Tick, Trick und Track hatten tolle Pumpkins, und der kleine Linus van Pelt saß jedes Jahr pünktlich im Herbst mit seiner Schmusedecke mitten im Kürbisfeld und wartet geduldig darauf, dass der Great Pumpkin kam und den Kindern Geschenke brachte. Leider kam er nie. Linus glaubte trotzdem unbeirrt weiter und probierte es im nächsten Jahr aufs Neue. Irgendwann würde der Great Pumpkin schon kommen! Sein Idealismus und seine Unerschütterlichkeit haben mich schon als Kind beeindruckt. So sieht wahrer Glaube aus! Voller Zuversicht. Egal, was die anderen sagen. Irgendwann kommt der Great Pumpkin bestimmt. Santa Claus und Father Christmas kommen ja schließlich auch. Ganz zu schweigen vom Heiligen Nikolaus und dem Christkind.

Echte Kürbisse kannte ich ansonsten nur von Fotos, aber die Vielfalt der Formen und Farben hatte es mir auf den ersten Blick angetan. Mich faszinierten die riesigen Kürbisse auf den Feldern und auf den amerikanischen Treppenstufen, auf denen es so herrlich  teuflisch orangenrot grinste. Die Generation meiner Eltern mochte Kürbisse überhaupt nicht, sie erinnerten sie offenbar zu sehr an den Krieg. Genau wie Rüben. Etwas anderes hatten sie auf dem Land nicht zu essen gehabt in den Hungerwintern. Niemals wären bei uns Rüben oder Kürbisse auf den Tisch gekommen! Schade. Vor allem Kürbissuppe ist wirklich köstlich. Irgendwann stand ganz oben auf meiner langen to do-Liste: RICHTIG Halloween feiern, großen HEXENHUT kaufen und MINDESTENS einen Kürbis aushöhlen und schnitzen. Doch es sollte noch lange dauern, bis sich mein Wunsch erfüllte. Linus ist nicht umsonst mein Liebling. Auch ich kann warten. Wenn es sein muss, sehr lange. Irgendwann kommt der richtige Moment. Kairos. Und dann muss man nur die Hand ausstrecken und zugreifen, damit das Glück nicht davonfliegt.

Als ich in England lebte, kam ich den gruseligen Herbsttraditionen um einiges näher. Hier gab es zwar keinen St Martin wie bei uns am Niederrhein (auch eins meiner Lieblingsfeste), dafür aber einen eindrucksvollen Guy Fawkes Abend am 5. November, mit Verkleidungen, bonfire und dem Guy, einer meist lebensgroßen Puppengestalt, die am Abend unter Johlen und Knallkörpergeknattere auf einem kleinen Scheiterhaufen verbrannt wurde. Mancherorts feierte man Ende der 1970er in England auch schon ein wenig Halloween. Nicht so schön wie bei den Peanuts, aber immerhin. Vielleicht kam das Fest den Engländern damals noch zu amerikanisch vor, dabei war es doch ursprünglich aus Irland in die USA exportiert wurden. Späterer kam es dann als Re-Import wieder zurück über den Großen Teich. Allerdings steckten die Kerzen nun nicht mehr in ausgehöhlten Rüben, sondern weit dekorativer in großen Kürbissen. Die Hexen waren ohnehin nie amerikanisch, sondern zutiefst britisch. Wo sonst haben sie so schöne schwarze spitze Hüte? Bei uns in Deutschland wurden Hexen immer nur als alte Frauen dargestellt, meist krumm und mit Kopftuch. In England konnten sie jedes Alter haben und sogar wunderschön aussehen. Und wo sonst gibt es so viele Coven, ein veritables Museum of Witchcraft and Magic (in Boscastle in Cornwall, und ich war natürlich schon mehrmals dort) und (zumindest seit J.K. Rowling) eine Schule für Hexen und Zauberer? Hogwarts! Wie gern hätte ich dort eine ordentliche Ausbildung gemacht. Vorzugsweise bei Prof. Sprout und Madame Pomfrey. Ich liebe Alraunen und Fliegenpilze.

Bei einem Urlaub in Wales, in einem Ort mit einem unaussprechlichen Namen, sah ich im Foyer des B&B Fotos von alten walisischen Frauen, die rabenschwarz gewandet und angetan mit komischen Hüten auf einer Bank saßen und den Betrachter unheimlich ansstarrten. Die Frau in der Mitte war die Uroma des B&B Landlords. Es waren Welsh Ladies, und sie sahen verblüffend aus wie die Hexen in englischen Kinderbüchern. Ich fragte vorsichtig nach. „Well“, sagte der Landlord. „I am sure you are right there. She really was a very strange woman.“ Er fand, dass ich auch ein bisschen etwas von einer Hexe hätte, was mir sehr gefiel. Endlich hatte es jemand gemerkt, auch wenn meine Zauberkünste äußerst erweiterungsbedürftig waren. Immerhin war das erste Buch, das ich mit sieben Jahren allein gelesen hatte, sicher nicht von ungefähr „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler gewesen. Und eins der wenigen Dinge, die ich in meinem Leben geklaut habe, war eine arg zerfledderte Ausgabe des The New Yorker mit einem wunderschönen Halloween Cover von Chas Addams. Es passierte in einem amerikanischen Motel und ist mir immer noch peinlich, aber ich konnte nicht anders. Ich glaube nicht, dass die Besitzer es vermißt haben. Es war schon alt, und es lagen Unmengen von Magazinen auf dem Tisch. Inzwischen bekomme ich The New Yorker längst im Abonnement. Damit mir so etwas nur ja nicht wieder passiert. Die Magazin Cover hängen bei mir an mehreren  Wänden, und ich zelebriere jeden Monat meine kleine Wechselausstellung. An Halloween hänge ich selbstverständlich auch immer das stibitzte Cover aus dem Motel auf.

Übrigens gab es in dem walisischen Haus mit den Welsh Ladies einen veritablen Geist. Eine bleiche junge Frau, die mit Vorliebe durch die Wände ging und den erschrockenen Gästen nachts im Treppenhaus erschien. Ich stand mehrfach auf, um sie zu treffen, aber leider kam sie nicht. Ganz wie der Great Pumpkin. „You have to come back, you know!“ meinte der Landlord. Ganz bestimmt. Irgendwann. Dann wird sie mir sicher auch erscheinen. Am letzten Tag erwarb ich in dem Ort mit dem unaussprechlichen Namen (er hatte mindestens 7 Konsonanten hintereinander) in einem merkwürdigen Antiquitätenladen eine kleine Glocke in Form einer Welsh Lady. Es ist eindeutig eine magische Glocke. Wenn sie richtig aufgelegt ist, läutet sie nachts von ganz allein. Allerdings nur sehr selten. Und ausschließlich Ende Oktober. Wann sonst?

In Deutschland versuchte ich alles, was in meiner Macht stand, um die Kölner für mein Lieblingsfest zu begeistern. Wahrscheinlich habe ich enorm dazu beigetragen, dass sie inzwischen das Fest mit Begeisterung feiern. Generationen von VHS-Kursteilnehmern erfuhren von mir alljährlich in gleich zwei Doppelstunden (mit freundlicher Unterstützung der Peanuts und Donald Duck) alles Wissenswerte über Pumpkins, Cupcakes und Halloween. Ob sie wollten oder nicht. Die meisten wollten. Hoffe ich jedenfalls. Meine erste Pumpkin Pie aß ich trotzdem erst Mitte der 1980er Jahre, als ein amerikanischer Freund von meiner Passion erfuhr und mir etwas Gutes tun wollte. Die ersten Kürbisse schnitzte ich erst 1998. Im selben Jahr kochte ich auch meine erste Kürbissuppe. Mit viel Ingwer. Es war wirklich ein wunderbares Jahr, nicht nur was die Herbstfreuden betraf. Vielleicht war es sogar das glücklichste Jahr in meinem Leben, aber das lag nicht an Halloween. Seitdem feiern wir Halloween jedes Jahr. Und der Great Pumpkin bringt sogar Geschenke. Beim Schnitzen sind immer meine Katzen dabei. Vor allem Alice. Sie hat kürbisfarbene Flecken, einen höchst dekorativ mitten auf der Stirn, und daher eine ganz besondere Affinität für dieses Fest. Aber dazu mehr im nächsten Eintrag.

Die wunderbaren Fotos zu diesem Beitrag stammen von SIMONE GARLAND, die in Kanada lebt und genau so ein Kürbisfan ist wie ich.

 

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Oktoberland

Den Herbst mit seinen kräftigen, glühenden Farben habe ich schon als Kind geliebt. Es war die Zeit  der geheimnisvollen Nebel, der taubedeckten Spinnennetze, der fern am Himmel dahinziehenden Zugvögel, der knallbunten Dahlien, zarten Astern und saftigen Chrysanthemen. Ganze Arme voller Herbstblumen brachte mein Vater aus seinem Nutzgarten mit nach Hause. Sie standen wochenlang in den Vasen und erfreuten uns. Zum Schluss bekamen sie sogar noch zarte weiße Wurzeln und wurden vorsichtig wieder ausgepflanzt, auf dass im nächsten Jahr noch ein Busch mehr in unserem alten Kirchhofsgarten stand. Ich mochte die kleinblütigen lilafarbenen Astern ganz besonders. Seit einigen Jahren wachsen sie endlich auch hier in meinem Kölner Garten. Allerdings wage ich nie sie abzuschneiden. Zu schön sehen sie aus als letzter großer Farbfleck im Beet. Um diese Zeit begann mein Vater, noch mehr Vogelfutter als sonst ins Futterhäuschen zu streuen, damit die Vögel auch genau wussten, wo man in der kalten Zeit für sie sorgte. Bald fanden sich auch seltenere Besucher wie der Specht ein. Er bekam sein Futter an einer besonderen Stelle, denn er fraß weder im Futterhaus noch auf dem Boden. Er hängte sich lieber an die großen Meisenknödel, die in der Birke baumelten. Einmal kam sogar ein Käuzchen in unseren Garten und erschreckte mich fast zu Tode, als ich abends aus meinem Kinderzimmerfenster genau in seine runden leuchtenden Augen sah. Vielleicht war es ja auch gar kein Käuzchen, sondern ein echter Vampir?

Herbstblumen verströmen einen ganz eigenen Duft, genau wie das Laub, das den Boden wie ein weicher Teppich bedeckt, und wie die Pilze, die plötzlich über Nacht unter den Bäumen und Büschen erscheinen. Der Busch an unserer Garage roch wie das feuchte Fell von Onkel Günters Schäferhund, das Holz vom Perückenstrauch duftete beim Abschneiden nach Gewürzen. Und sogar unser alter Efeu roch angenehm. Als Kind sah ich überall die Spuren von Zwergen und Hexen. Guck mal, da, hinter dem großen Baumstamm! Da war doch eine rote Mütze! Da vorn, neben dem grauen Stein, siehst du den kleinen Laurin nicht, Papa? Aber du musst ganz genau hinsehen! Mein Vater ließ mich erzählen. Er wußte, dass meine Geschichten nur für ihn bestimmt waren. Einmal fanden wir sogar den Fußabdruck eines Riesen hinten in den Feldern. Was er wohl am Niederrhein zu suchen hatte? Vielleicht die schöne Melisande? Ein anderes Mal flog ein Uhu direkt auf uns zu. Fast hätte uns sein rechter Flügel gestreift! An den Seen gab es plötzlich Enten und Gänse mit besonderen Namen, die ich mir alle merkte. Wir sammelten Eicheln und Kastanien, bunte Blätter, die wir auf dünne Schnüre zogen, und suchten nach giftigen Fliegenpilzen. Ich hatte meine Märchenwelt draußen im Wald hinter dem Dorf, und sie gehörte nur mir und meinem Vater. Und die kleinen Löcher in den Nüssen waren die Türen zu den Elfenwohnungen, da war ich mir ganz sicher.

Die Blätter des Essigbaums neben dem Haus standen in glühenden Flammen, und abends kamen die Igel in den Garten und machten sich über das Katzenfutter her. Wenn der Frost kam, zogen sie sich zum Winterschlaf unter den dicken Laubhaufen an der Garage zurück. Ihre Anwesenheit war nicht zu überhören, sie schmatzen und schnauften, „pufften“ einander laut an und saßen gelegentlich mitten im Teller statt ordentlich davor. Topsi die Katze bekam ihr Futter nun in der Küche, damit sie auch satt wurde. Eichhörnchen sausten durch die Bäume, und an den Krickenbecker Seen fielen immer mehr gefiederten Wintergäste ein. Nachts flogen Hexen auf ihren Besen über unser Haus. Ziemlich viele. Aber nur wenige Menschen konnten sie sehen. Auf jeden Fall flogen sie, wenn Vollmond war. Dann sah man sie auch am besten. Und dann verschwanden auch die Warzen auf den Fingern. Mann musste nur sanft darüber streichen und leise die Namen der Großen Göttin murmeln, die auch die Herrin des Mondes war. Oder die drei Niersmatronen zu Hilfe rufen. Dann ging es ganz leicht.

Oktober ist nicht nur ein Monat, er ist Lebensgefühl, Zauberreich, Vaterzeit. Im Herbst fühle ich mich am wohlsten und habe die meisten Ideen für meine Bücher. Es ist auch die Zeit, in der ich am traurigsten bin, aber in dieser Stimmung schreibt man ja bekanntlich am besten. Ich mag die Melancholie, die Magie, die Geheimnisse. Den trüben Altweibersommer. Die feuchten Spinnweben, die durch die Luft wehen wie weiche Feenfäden und kühl in den Wimpern hängen bleiben. Die schwarzweißen Kühe, die am Niederrhein morgens manchmal halb vom Nebel verschluckt werden und plötzlich keine Beine mehr haben und seltsam unwirklich in der Luft schweben.

Ich mag die Herbstgedichte, in denen Blätter wie von weit fallen, als welkten in den Himmeln ferne Gärten. Die Gedichte, in denen Wanderer einsam in Alleen wandern, den heiseren Schreien der Krähen und Raben lauschen und mit den Schuhspitzen raschelnde Blätter aufwirbeln. Ich mag die Laubfeuer in den Schrebergärten meiner Vergangenheit, den Rauch der Kartoffelfeuer auf den Stoppelfeldern, die Papierdrachen mit den langen Schweifen, den Geruch zarter Fäulnis und kommender Vergänglichkeit, die leise Melancholie, die überall zu spüren ist. Es ist sicher kein Zufall, das mein nächstes Buch eine Liebeserklärung an den Herbst ist. Es spielt hier in Köln, und die Geschichte beginnt an Halloween und endet an Halloween. Ein Fest nach meinem Geschmack, traurig, unheimlich, lebenssprühend und übermütig zugleich. Bunt wie die tanzenden Blätter, gelborange wie Ringelblumen und reife Kürbisse, rotgrün wie die letzten Äpfel, dunkel wie die Nacht und die Anderswelt, weiß wie die Geister und Gespenster, ausgelassen wie die Kinder in ihren gruseligen und lustigen Kostümen. Es riecht nach Pumpkin Pie und Karamell, nach ausgehöhlten Kürbissen und knusprigen Keksen. Und nach heißer Schokolade.

Halloween bekommt in den nächsten Tagen noch eine eigene Liebeserklärung. Genau wie Ray Bradbury, one of my favourites. In seinen Büchern ist immer Halloween und forever October Country.

Die Bilder in diesem Beitrag stammen von SIMONE GARLAND, die das Glück hat, in Kanada zu leben, wo man meine liebste Jahreszeit richtig genießen kann: als wunderbar leuchtenden Indian Summer.

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