Mit Winnie in Niersbeck – Rezension

Kleine Rezension zu „Winnie Two“

„Das Buch führt die Leser und Leserinnen mitten hinein in die 1960er Jahre am Niederrhein. Man begleitet die Erzählerin und ihre engste Freundin bei ihren jugendlichen Abenteuern, Mädchenträumen, wilden Diskussionen und hartnäckigen Fragen, die sie sich selbst und den oft nicht wenig geplagten Erwachsenen stellen (anders als heute können sich diese jedoch nicht hinter einem Smartphone oder einem Rechner in Sicherheit bringen).

Dabei erfährt man viel Skurriles und Wunderbares – so besonders, dass es einfach wahr sein muss –, etwa über die so energische wie unglaublich gefräßige kleine Schwester der Erzählerin, die Lehrerinnen in der Klosterschule (die an eine weibliche Version der „Feuerzangenbowle“ denken lassen), den Großvater, dessen Weisheit, Zuneigung, Geduld und plötzliches Sterben seine Enkelin nachhaltig prägen, und natürlich die durch nichts zu erschütternde Freundschaft der beiden „Blutsschwestern“, die einander ewige Treue geschworen haben.

Marlies ist leider nicht so reitbegabt wie Winnie…. Illustration von Caroline Riedel

Das Schöne an dieser sehr persönlichen Geschichte ist, dass man nicht nur alte Bekannte trifft – „Flipper“, „Winnetou“, „Bravo“ und viele andere –, sondern dass man unmittelbar teilhat an der Spannung zwischen dörflich-katholischer Enge und strenger Schulzeit einerseits und der Geborgenheit einer Kindheit andererseits, die sich noch weitgehend draußen abspielte und geprägt war von engen familiären Banden. Mit schönen Zeichnungen von Caroline Riedel illustriert und wirklich sehr lesenswert!“

(Susanne Schulten)

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Hochsensible „Supersinne“: Luchsohren

Neulich beim Ohrenarzt

Vor einigen Wochen war ich beim HNO-Arzt (rechtes Ohr „verstopft“) und fasste den mutigen Entschluss, bei der Gelegenheit gleich auch meine Hörfähigkeit testen zu lassen, weil ich subjektiv schon länger das Gefühl habe, nicht mehr so gut zu hören wie früher. Außerdem habe ich große Angst, schwerhörig zu werden wie meine Eltern. Sie waren beide im Alter so gut wie taub, und das war für alle äußerst stressig. Das dringend nötige Hörgerät haben sie sich natürlich viel zu spät zugelegt und auch nur äußerst selten und höchst ungern getragen. So weit will ich es auf keinen Fall kommen lassen. Beim Test, der von der freundlichen Arztgattin an einer Art Mischpult durchgeführt wurde, hatte ich zu meinem Horror auch noch das unerwartete Riesenproblem, dass ich mein Herz (oder war es vor allem mein Blut?) so laut wummern und peitschen hörte (oder war das Rauschen am schlimmsten?), dass die unglaublich leisen und weit entfernten Töne aus den Kopfhörern für mich kaum hörbar waren, denn sie mussten ja erst noch durch meine Körpergeräusche dringen. Ich war daher auf das Schlimmste gefasst und entsprechend nervös.

Der Arzt setzte sich und warf einen ungläubigen Blick in die Testergebnisse. Dann sah er mich an. Ich holte schon mal tief Luft. „Sie machen sich also Sorgen, dass Sie nicht gut hören?“ Ich nickte. Er schaute erneut auf den Zettel und hob die Brauen. „Wirklich erstaunlich. So was sehe ich hier wirklich nur äußerst selten.“ War ich bereits ertaubt und hatte es nur noch nicht richtig gemerkt? Der Arzt grinste. „Sie sind ein Phänomen. Sie hören nämlich ALLES. Tiefe Töne, hohe Töne, einfach alles. Auf beiden Seiten. Sie brauchen sich also wirklich keine Sorgen zu machen.“ Den Zusatz „und das in Ihrem Alter!“ schenkte er sich, denn er ist ein höflicher Mann. Ich habe ihn mit meinem feinen Gehör dennoch gehört. Kann schon sein, dachte ich, aber früher habe ich trotzdem besser gehört. VIEL besser!

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Kleine Töpfe, große Ohren

„Das Kind hat Ohren wie ein Luchs“, pflegte mein Vater zu sagen.  Doch noch häufiger hörte ich andere Sätze. „Kleine Töpfe haben große Ohren“, „Das Kind kriegt aber auch alles mit“ (es gibt da wirkliche einige peinliche Anekdoten – zumindest für die Erwachsenen) und „Das Mädchen hört echt die Flühe husten.“ Stimmt. Fast jedenfalls. Ich höre bis heute (und das in meinem Alter!) draußen im Garten die Mäuse. Vor allem die Spitzmäuse, denn sie sind unglaublich laut und wispern die ganze Zeit miteinander. Und den Igel höre ich auch, denn er kratzt sich regelmäßig irgendwo im Gebüsch. Ich bin allerdings die einzige hier, die ihn hört. Eine Mücke im nächtlichen Schlafzimmer treibt mich in den Wahnsinn (das Gesurre dringt meistens sogar durch die Ohrstöpsel) und wenn jemand in meinem Beisein Kartoffelchips isst, ein Bonbon zerknirscht oder in einen Apfel beißt, gehe ich innerlich sofort steil an die Decke. Nur gut, dass ich mich so gut beherrschen kann. Ein Vorteil des Alters, hat ja alles auch sein Gutes. Sogar Atmen und Schlucken und Kauen höre ich wie durch einen Verstärker und muss an mich halten, um nicht gepeinigt aufzuschreien. Trotzdem mag ich meine feinen Ohren.

Wobei: Nicht alles hören zu müssen hat für ein hochsensibles Gehör wahrscheinlich durchaus Vorteile, denn dadurch ist man besser vor all den akustischen Überflutungen geschützt, die einen immer so nerven. Sie passieren vor allem in der Bahn, wenn man die vielen fremden Stimmen einfach nicht abstellen kann und sich ungewollt Endlosmonologe über Beziehungsstress oder Kindererziehung, langweilige Kundengespräche, aggressive Streitereien oder pausenloses Teenagergeschnatter anhören muss. Dabei ist nicht mal wichtig, ob man die Sprache versteht oder nicht, es nervt einfach nur!

Hilfsmittel

Inzwischen weiß ich glücklicherweise damit umzugehen und übe mich im „Wegzoomen“. Selbsthypnose und Meditation sind hier äußerst hilfreich. Sich von allem sanft zu lösen und sich geduldig wieder und wieder auf den eigenen Atem zu konzentrieren, klappt bei mir ganz gut. Meistens jedenfalls. Auch bei hochsensibler Ohrenpein ist das „nicht Bewerten“ oder „positiv Bewerten“ wichtig. In meiner Lieblingspizzeria ist es schließlich auch laut, und doch stört es mich dort kaum. Für die Fahrt in Bussen, Straßenbahnen oder Zügen gibt es zudem gute Hilfsmittel. Kopfhörer lassen einen in angenehme Musik oder Hörbücher abtauchen. Wenn man dazu noch eine richtig schön dunkle Sonnenbrille trägt, hat man gleich zwei Schutzfilter. Bei besonders quälenden Pegeln stecke ich mir notfalls sogar Ohrstöpsel in die Ohren. Neuerdings habe ich ganz hervorragende, die sogar über eine Art „Kabel“ miteinander verbunden sind und todsicher nicht rausfallen, wenn ich sie dringend nötig habe. Ich trage sie im Moment auch in unserem Garten, denn nebenan ist eine lärmende Baustelle. Blöd ist nur, dass ich manchmal sehr laut höre, wie sie auf meinen Schultern scheuern oder knistern. Aber das ist nur ein Nebeneffekt. Ansonsten sind sie toll.

Im Café

„Hochsensible Ohren sind zu echten Hochleistungen fähig. Wenn ich in einem gemütlichen Café sitze und zu lesen versuche, höre ich neben all den üblichen für mich durchaus angenehmen Cafégeräuschen ungewollt auch die Stimmen an den Nachbartischen, als würde ich damit aus einem Lautsprecher beschallt. Mein Mann genießt derweil Kaffee und Kuchen, liest ein wenig in seinem Krimi, plaudert mit mir und schaut in seine Mails. Er kann Störendes ausblenden. Ich kann es nicht und muss mitanhören, wie sich das Ehepaar am Nebentisch über den frustrierenden Besuch bei seinen Schwiegereltern unterhält und mit dem zappelnden Sohn schimpft, der Florian heißt und in der Schule nicht mitkommt, wie das Liebespaar hinter mir sich streitet, weil Pascal eine Geliebte namens Lisa hat, wie die beiden Kellnerinnen über die Erkrankung einer Kollegin tuscheln, die sich momentan in der Reha an der Ostsee befindet, und wie der junge Mann vorn rechts seiner Freundin zu erklären versucht, wie man Ente mit Orangensauce zubereitet. Ich will das nicht hören, aber mir bleibt nichts anderes übrig! Auf meine eigenen Gedanken konzentrieren kann ich mich so auch nicht mehr. Mein Mann ist nach einer Stunde frisch und erholt, ich bin gerädert, weil mir der Kopf schwirrt vor fremden Geschichten.

»Diese Caro tut mir echt leid.«
»Welche Caro? Ist das jemand aus deinem Malkurs?«
»Nein, das Mädchen am Tisch hinter uns. Deren Freund sie mit dieser Lisa betrügt. Und der hibbelige Florian ist wirklich eine totale Nervensäge, findest du nicht?« Er hat keine Ahnung, wovon ich rede.
Für eine Schriftstellerin und Übersetzerin ist das Feingehör natürlich ein Geschenk, denn man bekommt dadurch ein gutes Gespür für Dialekte und Sprachebenen.“ (aus: Von wegen Mimose“)

Da tropft was!

Manchmal nehmen empfindliche Ohren auch Dinge wahr, die einfach nur »komisch« sind. So habe ich sämtliche Rohrbrüche in unserem alten Haus bereits erlauscht, als vom Wasser noch nichts zu sehen war. Eines Morgens fing es an.

»Da tropft was«, konstatierte ich besorgt.
Mein Mann blickte von der Zeitung auf, lauschte und gab freundlich Entwarnung: »Du hörst offenbar das Gras wachsen.« Auch diesen Satz kannte ich. Dasselbe hatten meine Eltern auch gesagt. Nichts als Spott und Hohn! Doch ich blieb hart.
»Da tropft wirklich was, auch wenn du es nicht hörst.« Zugegeben, es war sehr weit entfernt und äußerst dezent.
Es tropfte auch am Mittag und am Abend noch. Vielleicht ein winziges bisschen schneller. Ich untersuchte den Kühlschrank. Nichts. Die Wände. Nichts. Schaute hoch zur Decke. Nichts. Wahrscheinlich war es wirklich nur Einbildung. Ich hörte es auch am nächsten Tag noch, nur etwas schneller und näher. Erst am dritten Tag glaubte mir mein Mann. Da troff das Wasser nämlich aus der Glühbirnenfassung in unserem bis an die Decke vollge- packten Küchenspind, und die Hauptsicherung sprang heraus. Wir räumten den Spind leer und riefen den Notdienst.

Als ich es einige Wochen später wieder aus der Ferne tropfen hörte, sah mein Mann mich unsicher an. »Meinst du wirklich? Ich höre nichts. Aber das will ja nichts heißen.«

Wir hatten inzwischen eine Revisionsklappe in der Decke. Wir räumten aus und schauten nach. Ja, es tropfte wieder. Diesmal kamen wir dem Riesenrohrbruch zuvor.

Ausgerechnet an Heiligabend passierte es erneut. »Jan, da tropft was.«
Mein Mann stöhnte nur: »Sag das bitte, bitte nicht!«
Dann stellten wir das Wasser ab, räumten den Spind leer, schauten in die Revisionsklappe und riefen den Notdienst. Im vergan- genen Winter haben wir die Wasserrohre generalsanieren lassen. Seitdem hat nichts mehr getropft.

Königliches Highlight

Ab und zu erleben meine hochsensiblen Ohren wahre akustische Sternstunden. Im Pergamonmuseum in Berlin gab es eine Zeit lang einen Audioguide mit einer Männerstimme, die mich schon beim ersten Ton erbeben ließ. Beim ersten Mal traf sie mich völlig unvorbereitet. Ich hatte mir wie üblich die englische Guideversion ausgesucht, die Kopfhörer aufgesetzt und das Gerät eingeschaltet.

»I am Nebuchadnezzar, King of Babylon«, sagte die samtweiche Stimme eines Engländers, und schon überlief nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Gehirn eine Gänsehaut, wie sie selbst einer hochsensiblen Person nur selten vergönnt ist. Man sah es mir offenbar an.

»Ist dir nicht gut?«, fragte mein Mann besorgt.

»Doch, alles in Ordnung, aber hör dir das mal an!«

Mit größter Selbstbeherrschung trennte ich meine Ohren von der sinnlichen Stimme. Mein Mann lauschte und sah mich fragend an. Bei ihm hatte der König von Babylon null Wirkung. Unfassbar. Zu weiteren Ausführungen war ich nicht in der Lage. Ich wollte die Stimme so schnell wie möglich zurück und wankte zusammen mit Nebuchadnezzar hinter ihm her durch die Ausstellung.

Jedes Mal, wenn wir danach ins Pergamonmuseum gingen, war ich vorher aufgeregt. Würde die Wahnsinnsstimme wieder so berauschend sein? Sie war. Und auch der doppelte Gänsehauteffekt blieb.Wie mochte der Besitzer dieser unglaublichen Stimme wohl aussehen? Vielleicht wie eine Mischung aus Richard Burton und James Mason, die auch beide wunderbare Stimmen hatten?

Bei unserem letzten Besuch hatte man meinen Nebuchadnezzar tragischerweise durch einen anderen Sprecher ersetzt. Seitdem war ich nicht mehr im Pergamonmuseum. Die Erinnerung schmerzt einfach zu sehr.

Löwe an der Prozessionsstraße von Babylon (Pergamon Museum, Berlin)

(Die Idee, einen Beitrag über die positive Seite der hochsensiblen Supersinne zu schreiben, stammt von Monika Richrath, die Spezialistin für EFT für hochsensible Menschen ist, und ich freue mich sehr, dass sie mich eingeladen hat, an ihrer Blogparade teilzunehmen.)

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Veröffentlicht unter Hochsensibel, Kindheit, von wegen Mimose | Verschlagwortet mit | 4 Kommentare

Die Sache mit dem Geschenkpapier

Bei Lesungen aus meinem Buch „Hasenherz und Sorgenketten“ ist die folgende (für mich ein wenig peinliche) Geschichte stets ein kleines Highlight für die erheiterten Ohren meiner ZuhörerInnen, weil man daran so deutlich sieht, wie irrational und hilflos sich eine hochsensible zu Ängsten neigende Person zuweilen verhält, wenn sie sich überrumpelt und gestresst fühlt. Schlimmstenfalls kann sie sich einfach nicht wehren, merkt es selbst überdeutlich und schämt sich dafür natürlich in Grund und Boden. Besonders, wenn sie an einer schweren „Ladenhemmung“ leidet wie ich. Besagte Hemmung wird allerdings in Läden mit Spielzeug oder Büchern (sowie in Gartenzentren, auch wenn sie riesig und voller Menschen sind) bereits beim Eintritt ins Geschäft komplett außer Kraft gesetzt – es gibt halt immer Ausnahmen. Glücklicherweise. Lustig fand ich übrigens, dass mein nicht-ängstliche und nicht-hochsensible Lektorin beim Korrigieren meine schöne Eigenschöpfung jedes Mal penibel in „Ladehemmung“ umwandelte, obwohl das nun gar nicht zum Text passte, weil sie das Wortspiel einfach nicht verstand.  Die meisten Frauen shoppen ja offenbar ausgesprochen gern und können sich daher nicht vorstellen, wie schrecklich das für unsereins ist. Meine Lektorin hat jedenfalls todsicher keine „Ladenhemmung“.

Zufallsfund

An die Sache mit dem Geschenkpapier wurde ich akut erinnert, als ich vorige Woche nach geeigneten Dekorationen für mein neuestes selbstgebautes Maushaus suchte und dabei zwischen all meinen Papierschätzen (ich bin eine bekennende Papier-Sammlerin und sammle so gut wie alles, sofern es schöne Bilder hat) ausgerechnet die beiden peinlichen schweineteuren Bögen fand, die ich bisher nie angerührt hatte. Natürlich ganz hinten in der Schublade, weil sie schließlich immer noch irgendwie tabu sind und nur ja nicht angefaßt werden dürfen. Ich entrollte sie trotzdem kühn und musste plötzlich ziemlich lachen. Bis dahin hatte ich nämlich gar nicht bemerkt, dass auf dem einem ein kleines Piratenschiff voller Mäuse dargestellt ist! Was für ein Zufall! Mein architektonisches Wunderwerk ist ja ein kleines Mauspiratenhaus! Vielleicht war zumindest dieser blöde Bogen das ganze Geld ja doch wert…..  Ich habe ihn jetzt mutig und mit einer gewissen Genugtuung zerschnippelt. Die anderen Details sind nämlich auch ganz nett für meine Mäuse. Es gibt sogar eine Maus, die einer Königin Angst macht! An den bösen Hexenbogen traue ich mich sicher auch bald ran.

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Das kleine Schiff im Mauspiratenhaus (an Katze)

Aber lesen Sie selbst:

Good old Ladenhemmung

„Menschen mit Sozialen Ängsten fürchten auch, angesprochen zu werden, zu telefonieren, am Schalter Geld abzuheben oder Tickets zu kaufen oder sich mit Fremden zu unterhalten. Entspannter Small Talk? Unmöglich! Als Kind und junges Mädchen hatte ich damit Riesenprobleme. Telefonate und Einkäufe erledigte immer meine Mutter. Sie hat sich sogar einmal erfolgreich telefonisch für mich als Dozentin beworben, weil ich mich selbst nicht anzurufen traute. Mit Fremden zu reden vermied ich, wo ich nur konnte. Das führte natürlich dazu, dass ich nie richtig üben konnte. Übung macht hier nämlich wirklich den Meister, also tapfer weitermachen, notfalls auch mal blamieren.

In Läden kaufte ich früher oft Kleidungsstücke, die mir nicht gefielen oder nicht passten, bloß weil ich es nicht schaffte, der Verkäuferin zu sagen, dass ich den teuren Pullover lieber doch nicht wollte. Ich fand es so peinlich, nichts zu kaufen, dass ich lieber mein Geld für ein hässliches Kleidungsstück ausgab. Ich habe mich deswegen sehr geschämt. Das Kauf-Problem hatte ich sehr lange, vor allem wenn es um Schuhe ging. Erst eisernes Training brachte Besserung. Wochenlang zwang ich mich immer wieder in verschiedene Läden, ließ mich eingehend beraten, hielt den Stress tapfer aus und sagte zum Schluss: »Das muss ich mir noch mal überlegen« oder »Das passt mir leider doch nicht«. Manchmal nahm ich eine Freundin mit, und gab vor, Engländerin zu sein. Karla dolmetschte, und ich merkte mir, wie sie es anstellte, sich höflich ich aus der Affäre zu ziehen, und versuchte es danach selbst. Rückfälle habe ich selten.

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es ist der zweite Bogen von oben…..

Nur im vorigen Jahr passierte es doch wieder. In einem kleinen Laden in Hessen, der von einer merkwürdigen alten Dame geführt wurde, wollte ich zwei hübsche Bögen Geschenkpapier kaufen. (Das Papier war dummerweise nicht mit einem Preisschildchen ausgezeichnet, sonst wäre mir das alles erspart geblieben – im doppelten Wortsinn.) An der Kasse verlangte die besagte Dame dreist 32 (!) Euro. Ich hatte höchstens mit sechs Euro gerechnet, schaffte es aber nicht, ihr zu sagen, wo sie sich ihr Papier hinstecken sollte. Ich wurde tomatenrot, nahm allen Mut zusammen und murmelte zaghaft: »Das ist aber teuer!«. Woraufhin sie fein lächelnd »Ja, ja!« sagte. Da war meine Gegenwehr gebrochen und ich blätterte ihr beschämt das Geld hin. Nachdem ich mich im Café von dem Schock erholt hatte, überlegte ich, warum mir das passiert war.

Hochsensibler Erklärungsversuch

Offenbar kamen mehrere Stresspunkte zusammen: Es war ein enger, voller Laden, mir war heiß, hinter mir scharrten ungeduldige Kunden mit den Hufen, die Frau hatte die Bögen mühsam aus einem Stapel herausgesucht, ich wollte mich nicht vor ihr und den anderen Kunden blamieren. Das Allerschlimmste war, dass mein inneres Kind Angst hatte. Die Alte sah nämlich aus wie aus dem Märchenbuch. Rabenschwarze Haare, Bienenkorbfrisur und eine Warze auf der Nase. Sie hatte sogar einen Stock. Bestimmt hätte sie mich verzaubert! Zu allem Übel waren Märchenmotive auf dem einen Bogen: Hexen! Ich brauchte Tage, bis ich meinem Mann davon erzählte. Wenn ich den Schock endgültig überwunden habe, lasse ich die Bögen rahmen.“

So steht es im Buch (allerdings ohne die Kommentare). Ganz unter uns: Rahmen lassen werde ich mir die Dinger bestimmt nie, dazu sind sie zu groß, aber heute würde ich beim Schreiben einen kleinen alternativen Zusatz einbauen: …. oder benutze sie als hübsche Dekoration für mein Maushaus. Damals hatte ich noch keine Mäuse. Leider.

So fällt irgendwann alles an den richtigen Platz. Man muss nur geduldig genug sein  – und süße kleine Mäuse haben, die einen lieben. Inzwischen zerbreche ich mir den Kopf, ob ich das Schiff nun lieber im Haus oder doch besser draußen auf dem kleinen Giebel anbringen soll. Wo es auch wirklich jeder sehen kann! Den Mäusen ist es egal. Sie finden einfach alles gut, was ich mache. Und genau das weiß man als hochsensibler Mensch sehr zu schätzen.

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Kevelaer – wo Maria wohnt

Als Kind hoffte ich inständig, Maria in Kevelaer irgendwann selbst einmal anzutreffen, denn sie wußte ja todsicher, wie wichtig sie für meine Freundin und mich war. Sie war unsere Große Göttin.

Vierfaltigkeit

Ihretwegen waren wir  kurz vor der Firmung sogar beim Herrn Pastor, um ihn darüber aufzuklären, dass wir nicht an den Heiligen Geist glauben konnten, weil wir ihn uns nicht mal vorstellen konnten, und machten den irritierten Geistlichen mit kindlicher Begeisterung darauf aufmerksam, dass man Maria bei der Dreifaltigkeit tragischerweise jahrhundertelang vergessen hatte. Vor uns war das offenbar noch nie jemandem aufgefallen! Ein wirklich fataler Fehler, die ganze Christenheit war Opfer eines schrecklichen Irrtums! In Wirklichkeit gab es nämlich eine Vierfaltigkeit (MIT Maria) oder zumindest eine richtige Dreifaltigkeit (MIT Maria, aber OHNE den Heiligen Geist, denn der war sozusagen ein Fremdkörper). So war es dann auch eine richtige Familie: Vater, MUTTER, Kind. Was der Heilige Geist in der Dreieinigkeit zu suchen hatte, verstanden wir überhaupt nicht, und keiner konnte es uns überzeugend erklären. Nicht mal Tante Pia, Tante Finchen und Oma Südstraße. Für meine Verwandten waren unsere tief empfundenen Zweifel bereits ketzerisch. „Maaseskenger nää, dat is ja Jodeslästerung!“ Wir befanden uns im Zustand der Todsünde, und das unmittelbar vor der Heiligen Firmung!

Für den Herrn Pastor waren wir weniger ketzerisch als irritierend, und er versuchte sein Bestes, um uns vom Gegenteil zu überzeugen, aber er schaffte es trotzdem nicht, unsere Zweifel auch nur annähernd auszuräumen. Als wir ihn zutiefst frustriert verließen, war Winnie stinksauer. Auf die konkrete Frage „Wenn dat keine Familie is‘ un‘ Maria nich‘ unsere Mutter is‘, wer ist dat denn dann?“ hatte er lediglich ausweichend „Die heilige Kirche“ geantwortet. Uns war klar, warum. Er war schließlich auch nur ein Mann, und das alles war ein uraltes männliches Komplott gegen die große Mutter und Göttin. Ärgerlich, dass sich nicht mal die Frauen dagegen wehrten. Wir waren nur Kinder, wir hatten keine Chance, keiner nahm uns ernst. Ketzerinnen sind wir geblieben.

Natürlich habe ich vorige Woche aus meinem neuen Buch genau dieses Kapitel mit der peinlichen Pastorenbefragung („Maria und der Heilige Geist“) in Kevelaer vorgelesen. Wenn nicht hier, wo sonst? Irgendwie war sie bei der Lesung tatsächlich fühlbar präsent, schließlich las ich draußen in einem Garten zwischen ihren Bäumen und ihren Blumen. Und ich meine sogar gespürt zu haben, wie sie mir aus dem Baumschatten bei einer ganz bestimmten Textstelle freundlich zulächelte.

Anna Selbdritt

Besonders gefreut hat mich die Entdeckung eines mir bis dahin unbekannten Kunstwerks, ausgerechnet in der Kevelaer Basilika, hinten links neben dem Altarraum.

Anna selbdritt

Winnie und Marlies hätten laut gejubelt: Es ist eine Dreifaltigkeit der ganz besonderen Art: Mutter, Tochter und Enkelsohn. Eine späte Genugtuung für die kleinen Ketzerinnen. Auch die Erkenntnis, dass es in vielen Religionen und auch im Christentum etliche rein weibliche Dreiheiten und vor allem Göttinnen gibt, hat nicht nur Winnie und Marlies richtig beglückt. Da wären die drei Parzen, die drei Bethen, die drei Moiren, die drei Nornen, die drei Matronen ….. es gab sogar echte Niersmatronen, die ganz in der Nähe meines Heimatortes einen Tempel hatten.

Niersmatronen

Ich habe eine phantastische Erzählung über sie geschrieben („Nebel über der Niers“). Warum wußte das mit den Göttinnen bloß außer Opa Südstraße kein Mensch?  Der Matronenstein am Niederrhein hatte leider keine figürliche Darstellung der drei Göttinnen, aber die drei Nettersheimer Matronen stehen heute in meinem Arbeitszimmer.

Wallfahrten

Gläubige aus unserem Dorf machten einmal im Jahr eine kräftezehrende Fußprozession nach Kevelaer, dazu trafen sie sich in aller Herrgottsfrühe an der Kirche und liefen sich danach stundenlang Blasen unter die Füße (das weiß ich aus leidvoller Erfahrung, aber meine Motivation war hoch, denn der attraktive Vorbeter, an den ich damals mein Herz verloren hatte, pilgerte auch mit), und die meisten fuhren außerdem mehrfach im Jahr mit dem Auto oder Fahrrad dorthin, zum Beichten, zum Beten, zum Flanieren, zum Besuch der Messe. Interessante Geschäfte gibt es dort, voller kitschiger Kerzen, Figuren, Fähnchen, Bildchen und Bücher. Dicke Weihrauchschwaden hingen auch diesmal wie Nebel in der Kerzenkapelle und in der Basilika, als ich sie am vorigen Wochenende nach meiner Lesung aus „Mit Winnie in Niersbeck“ besuchte. Ich konnte nicht genug davon bekommen. Es duftete so vertraut, auch wenn ich es ewig nicht mehr gerochen hatte, es klang so vertraut (ein Kinderchor übte gerade mit hellen Stimmen ein Marienlied), und wie immer sahen die abgebrannten Kerzen draußen äußerst gruselig aus.

Maialtar und Abiturwunder

Der linke Niederrhein ist Marienkernland. Im Mai hatten wir als Kinder einen hübsch geschmückten Maialtar mit Marias Bild, jeden Morgen und Abend wurde davor gebetet, jeden Tag das Blumenwasser gegen frisches ausgetauscht, wunderbar duftete das Kinderzimmer abwechselnd oder auch als kräftige Melange nach Flieder und Maiglöckchen, nach Rosen und Nelken. Bei Problemen riefen alle Familienmitglieder IMMER Maria an, und selbst wenn man erstaunt oder geschockt war, fehlte sie nicht. „Jesus, Maria und Josef!“ murmelten meine Großtanten und auch meine Oma in diesen Situationen. Nicht von ungefähr waren die Ordensschwestern an unserer Klosterschule „Schwestern unserer Lieben Frau“. Nicht von ungefähr hieß meine Oma Maria und meine Mutter Anna. In unserer Kindheit war Maria omnipräsent. Ihr Bild lag sogar bei Mathematikarbeiten unter meinem Heft, damit sie mir helfend beistehen konnte. Ohne sie wäre ich sicher noch schlechter gewesen. Im Abitur hat sie das absolute Wunder geschafft, dass ich mit meiner Dyskalkulie im Zeugnis ein „gut“ stehen habe, was keiner so richtig begreifen konnte. Ich schon! Es war Maria!

In unserem Wohnzimmer hing sie zierlich und schlank, eins der wenigen echten Kunstwerke, die sich meine Eltern geleistet haben, liebevoll handgeschnitzt von einem Holzschnitzer in den Dolomiten. Heute hängt sie hier bei uns, und es stört mich gar nicht, dass sie in den letzten Jahren mehrfach unfachmännisch geklebt wurde, weil sie meinen betagten Eltern beim Abstauben aus den Händen glitt. Mein Vater hat sie mir geschenkt, als er merkte, dass ihn seine Kräfte verließen. „Nimm sie mit, Kind, bei dir ist sie gut aufgehoben. Und sie war dir doch immer so wichtig.“ Sie lächelt tatsächlich heute noch genau so lieblich wie damals.

Sprachgenie

In „Mit Winnie in Kattendonk“ gibt es ein Kapitel, in dem Tante Pia den beiden Mädchen in der für sie typischen Ausführlichkeit mit frommer Stimme die Legende von Kevelaer erzählt. Sie war Spezialistin für Heilige und Kevelaer. Auch für schlimme Krankheiten und grausame Todesfälle, aber das ist eine andere Geschichte. Die beiden konnten sie bei diesen Monologen immer hervorragend auf die Palme bringen, indem sie den Redefluß dauernd mit naiven Zwischenfragen unterbrachen. „Wat is‘ denn eijentlich ’n Hagelkreuz?“; „Warum hat der Busmann dat Bild denn nich‘ sofort jekauft?“ und vor allem als letzten Trumpf: „Warum hat die Maria denn Platt jesprochen?“ Spätestens dann verlor selbst die redselige Tante Pia die Geduld, rief verärgert „Ach, lott joan!“ und presste die schmalen Lippen zusammen, während die Mädchen entzückt kicherten und Onkel Hermann amüsiert wieder hinter seiner Zeitung auftauchte. Tatsächlich hat uns nie eingeleuchtet, dass Maria jedes Mal breites Kavelaer Platt sprach, wenn sie dem Kaufmann Henrik Busmann anno dazumal an dem Platz erschien, wo heute die Gnadenkapelle mit dem kleinen Bildchen steht. Wir erklärten es uns schließlich so: Wahrscheinlich beherrschte sie alle Sprachen und Dialekte der Welt, und da Herr Busmann leider bloß Platt verstand, blieb ihr bei den Begegnungen mit ihm einfach keine andere Wahl. Kattendonker Platt konnte sie bestimmt auch, aber leider, leider ist sie uns nie erschienen.

Umso schöner war es, meine erste öffentliche Lesung aus dem neuen Buch ausgerechnet in Kevelaer haben zu dürfen. Der Großen Göttin sei Dank.

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Sommer-Garten-Lesung aus der Winnie 2

Lesung am Sonntag, den 11. Juni, um 11:00 Uhr

lese ich zum ersten Mal aus meinem neuen Buch, und zwar in Kevelaer im Rahmen der „Landpartie am Niederrhein“ im Teil  „Garten(t)räume“ bei Dorothea und Jörg von der Höh, Koxheidestraße 104, 47623 Kevelaer

Ich werde aus der zweiten Winnie lesen und freue mich schon sehr!

Hier ist sind die Termine der Garten(t)räume im Programm der Landpartie

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