Sadako und die tausend Kraniche

Michans Sadako (BFL)

Im Moment denke ich besonders oft an Sadako, denn das Mädchen Michan in meinem nächsten Roman hat japanische Wurzeln. Für ihre Schulzeitung hat sie gerade einen Beitrag über das „Kranichmädchen“ geschrieben. Sadako gehört zu den wohl bekanntesten Opfern der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Beim Abwurf der Bombe im August 1945 war sie zweieinhalb Jahre alt. Am 25. Oktober 1955 starb sie an Leukämie. Meine Michan hat mehrere japanische Puppen, und drei davon tragen Namen aus Sadakos Geschichte: Sadako, Chizuke und Mashahiro. Beim Schreiben umgebe ich mich immer gern mit Dingen, die im Buch vorkommen, daher ist mein Zimmer im Moment auch an einigen Stellen ziemlich japanisch.

Sadako – ein Wunsch aus tausend Kranichen

Sadako-Buch

Gerade ist die Geschichte vom berühmten Kranichmädchen in einem neuen Buch für Kinder beim Aladin Verlag in Hamburg erschienen. Es trägt den Titel „Sadako – Ein Wunsch aus tausend Kranichen“ und hat mir sehr gut gefallen. Geschrieben wurde es von Johanna Hohnhold und ist mit den federleichten Zeichnungen von Gerda Raidt illustriert. Zuerst begegnen wir Sadako und ihrer besten Freundin Chizuko in der Schule. Sadako ist ein außerordentlich sportliches Mädchen und wird bald bei einem Wettrennen im Staffelteam laufen. Nach und nach lernen wir auch ihre Lehrer, ihre Eltern und Geschwister kennen, begleiten die Familie zur Friedenszeremonie am 6. August. Nach ihrem ersten Schwächeanfall erhält Sadako von Chizuko einen Daruma, einen Glücksbringer aus Pappmaché.

Wunscherfüller  (BFL)

Die dicken roten Kerlchen haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich, denn sie sind so geschickt konstruiert, dass sie nicht umfallen. Das soll wohl auch dem Besitzer Mut und Zuversicht in schwierigen Situationen verleihen. Doch das ist nicht ihre wichtigste Eigenschaft. Wenn man sie kauft oder geschenkt bekommt, haben sie noch große runde „leere“ Augen. Der Daruma ist nämlich ein Wunscherfüller. Man bittet ihn um Hilfe, indem man den Wunsch in Worte fasst und eins seiner Augen ausmalt, das andere lässt man so lange „leer“, bis sich der Wunsch erfüllt hat. Ich habe mehrere, und die meisten haben inzwischen zwei Augen.

Sadako – Ein Wunsch aus tausend Kranichen

Johanna Hohnhold erzählt vom gewonnenen Staffellauf, vom plötzlichen Ausbruch der Krankheit, von der niederschmetternden Diagnose, von Krankenhausaufenthalten, von Sadakos Mut und Chizukos unerschütterlicher Freundschaft, vom ersten goldenen Kranich, den Chizuki für ihre Freundin faltet, und vom sanften Nachbarsjungen Natsuki, der ihr unerwartet ein Päckchen mit Origamipapier schenkt, als er erfährt, dass sie schwer krank ist und auf ein Wunder hofft. Wer tausend Kraniche faltet, so sagt eine alte japanische Legende, dem erfüllen die Götter einen Wunsch. Sadoko faltet unermüdlich, doch die Zeit läuft ihr davon. Sie wird immer schwächer. Umgeben von ihren Kranichen und ihrer Familie schließt sie für immer die Augen. Wie viele Kraniche sie wirklich gefaltet hat, weiß man nicht genau, die Angaben dazu sind sehr unterschiedlich. Die Autorin musste sich für eine der Zahlen entscheiden.

721 Kraniche gaben Sadoko das letzte Geleit, während der Himmel in der Farbe der Kirschblüten leuchtete. Unter dem Rascheln der Papierflügel sprach Sadakos Mutter kaum hörbar ein altes japanisches Gebet, das sie seit der Geburt ihrer Tochter jeden Tag gesprochen hat: „Du Schwarm aus himmlischen Kranichen, behüte mein Kind mit deinen Schwingen.“

Michans Chizuke (BFL)

Doch ihre Freunde geben nicht auf. Der „Papierkranich-Club“, den ihre Klassenkameraden im Gedenken an sie gründen, hat bald genug Geld für ein Ehrenmal gesammelt. In den Büchern und auch in dieser Geschichte ist es vor allem die beste Freundin Chizuku, die sich dafür einsetzt, dass Sadako nicht vergessen wir. Und diesen Wunsch haben die Götter tatsächlich erfüllt: Im Friedenspark von Hiroshima steht heute ein Denkmal für den Weltkinderfrieden, dessen Spitze eine kleine Gestalt krönt. Es ist Sadako, und auf ihren ausgestreckten Armen trägt sie einen Kranich. „This is our Cry. This is our Prayer. Peace in the World“ steht auf der Plakette am Fuße des Denkmals. Auch im Friedenspark von Seattle findet man Sadako, hier allerdings als lebensgroße Bronzefigur, über und über mit Kranichketten bedeckt. Und im Hiroshima-Nagasaki-Park in Köln gibt es ebenfalls etwas, das an sie erinnert.

Michans Setsuko mit Glossar (BFL)

Erzählt wird Sadokos Geschichte als kurzer Roman, und am Ende gibt gleich mehrere informative Anhänge. Den Anmerkungen der Autorin folgt ein kleiner Text zum historischen Hintergrund, dem Atombombenabwurf auf Hiroshima im August 1945, bei dem etwa 80 000 Menschen ums Leben kamen und die Stadt zu 80 Prozent zerstört wurde. Durch die Stahlenbelastung starben in den Folgejahren leider noch sehr viel mehr Menschen, und selbst heute, 72 Jahre später, gibt es noch Spätfolgen der grausamen Vernichtungswaffe, die damals den zynischen Codenamen „Little Boy“ erhielt. Eine kleine Biografie von Sadako mit Foto und ein informatives Glossar, in dem japanische Begriffe aus dem Text erklärt werden, folgen.

Faltanleitung (BFL)

Den Schluss des Buchs bildet eine Faltanleitung für Papierkraniche, die mich ermutigte, mich endlich einmal selbst ans Falten zu wagen. Leider war die Anleitung (für mich!) nicht klar genug, aber ich habe auch keine Ahnung von Origami. Schnelle Hilfe fand ich in einem Video im Internet. Danach brachte ich zu meiner eigenen Verwunderung einen gelungenen Kranich nach dem anderen zustande. Inzwischen sind es schon acht, aber da ich vorhabe, dieses Jahr zu Weihnachten alle Menschen mit einem Papierkranich zu beschenken, werden es sicher bald mehr. Kraniche gelten als Glücksbringer und gehören schon seit langem zu meinen Lieblingsvögeln. Dass sie außerdem Symbole des Widerstandes gegen Atomkrieg und Atomwaffen und Symbole der Liebe und Freundschaft sind, gefällt mir sehr. Ich weiß noch genau, wann ich meinen ersten Kranich bekommen habe. Damals war ich noch Dozentin für Deutsch für Ausländer. Ein japanischer Student schenkte ihn mir, und ich habe ihn immer noch, es ist der rote Kranich auf den Fotos.

Kraniche (BFL)

Es macht mich stolz und glücklich, dass man Sadakos Kranichen auch in „meiner“ Stadt ein kleines Denkmal gesetzt hat. Es befindet sich in der Nähe des Aachener Weihers und des Museums für Ostasiatische Kunst im Kölner Hiroshima-Nagasaki-Park. Köln ist schon seit 1985 Mitglied im Hiroshima-Nagasaki-Bündnis, einem internationalen Städtebündnis gegen Atomwaffen. Der Park wurde auf Initiative des Kölner Friedensforums hin an einem geschichtsträchtigen Ort angelegt. Unter den sanften Hügeln, auf denen ich als Studentin so oft Entspannung gesucht habe, befinden sich nämlich die Trümmer des Zweiten Weltkriegs. 2007 wurde das kleine Mahnmal Atomwaffen abschaffen mit dem Symbol des Origami-Kranichs enthüllt. Es ist umgeben von drei Bäumen, einem Gingko für Hiroshima, einer japanischen Kirsche für Nagasaki und einer Schwarzpappel für Köln.

Sadako – Ein Wunsch aus tausend Kranichen von Johanna Hohnhold, illustriert von Gerda Raidt, ist im Aladin Verlag erschienen und kostet 11,95 Euro

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