Schamanin und Hasenheilige
Auf einer meiner ausgedehnten Hasensuchen fand ich auf bei Etsy (einer Plattform, auf der Künstler aus aller Welt ihre eigenen Werke anbieten) die Bilder der walisischen Künstlerin Kay Leverton und wurde auf der Stelle ihr Fan. Mit einigen ihrer Bilder habe ich vorige Woche schon meinen Beitrag „Angsthase, Pfeffernase“ untermalt. Die Frau in „Shamanka’s Dream“ ist eine geheimnisvolle Schamanin, die von den Wanderungen der Rentiere und Vögel träumt. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man noch mehr Tiere, unten rechts springt ein Fuchs, und es gibt auch einen Schmetterling. Falter sind in vielen Kulturen Seelentiere. Entstanden ist dieses Bild tatsächlich aufgrund eines merkwürdigen „tiefen“ Traums während einer Krankheit, in dem Rentiere eine wichtige Rolle spielten.
Besonders angerührt hat mich das Bild von der walisischen Heiligen Melangell, die ich erst durch Kays Bilder kennengelernt habe. Sie ist nämlich die Schutzpatronin der Hasen! Sie war von vornehmer Herkunft und außergewöhnlich schön, wollte aber ihr Leben lieber Gott weihen als zu heiraten und lebte abgeschieden und allein als Eremitin. Bei einer Hasenjagd gewährte sie einem verfolgten Hasen Zuflucht unter ihrem Gewand und rettete ihn so vor den Jägern. Der junge Prinz, dem die Ländereien gehörten, war dem Hasen gefolgt und entdeckte die Jungfrau. Er sah, wie schön sie war und wie die Hunde und Jäger erschrocken zurückfuhren und keiner es wagte, sich ihr zu nähern. Daraufhin schenkte er ihr ein Stück Land, auf dem sie eine Abtei gründete. Jungfrau und Hase! Genau so ein Bild hatte ich gesucht! Kay hat Melangells Hasen noch ein zweites Mal dargestellt, wie er ruhig aus den Kleiderfalten seiner Beschützerin hervorschaut. Auch für Kay sind Hasen magische Wesen, denen sie gern nachspürt. Sie lässt sich bei ihren Bildern vor allem von der Natur und von ihrem Garten verzaubern und inspirieren und genießt es, durch die Hügel und Täler ihrer walisischen Heimat zu streifen, wo für sie „die Bäume flüstern und die Tiere sprechen“.
Vogelmutter und Nymphe
Zufällig habe ich eine Schwäche für Wales. Ich mag die walisische Landschaft und Literatur und finde auch die eigentümliche Sprache, Kymrisch oder Walisisch, hochinteressant – obwohl ich (noch) keinen Ton davon verstehe. Allein schon das Schriftbild springt einem förmlich ins Auge, manchmal mit schier endlos scheinenden Wörtern voller Konsonanten. Alle Schilder in Wales sind zweisprachig, und auch wenn Waliser Englisch sprechen, wirkt ihre Aussprache irgendwie singend und melodisch. Geheimnisvoll klingt diese Sprache, die zwar uralt, aber immer noch quicklebendig ist. „Dw yn dysgu cymraeg“, ich lerne Kymrisch, irgendwann, habe es mir fest vorgenommen, aber das dauert noch etwas. „Un gath wen“ heißt übrigens „eine weiße Katze“. Und ich liebe die Gedichte von Dylan Thomas und das „Mabinogion“, eine Sammlung von mittelalterlichen walisischen Manuskripten voll mit faszinierenden Gestalten und spannenden Geschichten, die zahlreiche Motive aus der vorchristlichen keltischen Mythologie enthalten. Es gibt sie auch in Romanform, geschrieben von der amerikanischen Schriftstellerin Evangeline Walton. Vor Jahren habe ich sie in einem Londoner Frauenbuchladen entdeckt und gleich mitgenommen. Fans von Tolkien dürften die drei Bände sicher gefallen. Aber es gibt auch das Original, u.a. in der ersten Übersetzung von Lady Charlotte Guest.
Bei einigen von Kays Bildern fühlte ich mich irgendwie an das „Mabinogion“ erinnert. Zum Beispiel an die uralte Göttin Rhiannon, zu deren Tieren nicht nur das weißes Pferd gehört, das sich immer weiter entfernt, je näher man ihm kommt, sondern auch drei magische Vögel, die „Adar Rhiannon“, und Singvögel im allgemeinen. Doch Kays „Mother of Birds“ ist eine starke, dunkle Gestalt, während die Jenseitskönigin Rhiannon stets hell und in goldenes Licht getaucht erscheint. Wenn ich einen Wunsch für die Anderswelt frei hätte, würde ich gern im Hain von Rhiannon leben und mich von Singvögeln umflattern lassen, deren lieblicher Gesang die Toten zum Leben erweckt und die Lebenden in Schlaf fallen läßt.
Die Idee für das schöne Bild mit der Wassernymphe, die erstaunlicherweise auch einen Hasen beschützend im Arm hält, obwohl Hasen wahrscheinlich ziemlich wasserscheu sind, kam Kay ganz spontan, als sie eines Mittags an einem Teich saß und den Wasservögeln beim Tauchen zwischen den Seerosen zuschaute. Die Auswahl aus Kays vielen Bilder fällt mir schwer, am liebsten würde ich sie alle zeigen, all die Katzen und Eulen, Füchse und Hasen, Rentiere und Raben, Pflanzen und Blumen.
Scraperboard Drawing (Scratch Art)
Zuerst hielt ich Kay Bilder für Radierungen oder Holzschnitte. Von Scraperboards oder Scratchboards (als Übersetzung fand ich im Deutschen nur die unschönen Bezeichnungen Schabkarton, Schabekarton und Kratzpapier) hatte ich bis dahin noch nie etwas gehört. Dabei handelt es sich um eine relativ alte Illustrationstechnik, die dem Tiefdruckverfahren ähnelt und bereits im 19. Jahrhundert genutzt wurde. Auf einen speziell für diese Technik mit weißer Kreide, Chinaton und Leim gestrichenen hochwertigen und nässebeständigen Trägerkarton, der nach dem Trocknen tiefschwarz überdruckt wird, lassen sich feinste Details und Schraffuren mit Hilfe von Nadeln (auch Radiernadeln), scharfen Spezialfedern, Cuttern oder anderen Werkzeugen durch Auskratzen herausarbeiten. Jeder Strich muss richtig gesetzt sein, da keine Korrekturen kaum möglich sind (es soll allerdings auch Reparaturtricks geben). Ähnlich wie bei Holzschnitten entsteht dabei ein Negativbild, auf dem sich feinste Haar- und Fellstrukturen wiedergeben lassen. Der Scratch Artist kann ausdrucksvolle Linien, Schraffuren und Flächen in Weiß schaffen. Die fertigen Zeichnungen stehen dann kontrastreich auf dem schwarzen Karton.
Kay Levertons Bild mit den Vögeln und dem alten Obstbaum hat es mir besonders angetan und wurzelt in einer frühen Kindheitserinnerung an den alten Garten ihrer Großeltern. Dort sammelten sich an einem uralten Obstbaum jeden Abend flügelschlagend und lärmend unzählige Krähen, während die kleine Kay am Fenster stand und dem magischen Schauspiel gebannt zusah.
Das fertige Scraperboard Bild kann man übrigens zusätzlich auch noch farbig ausgestalten – mit Stiften, Pastellfarben, Wasserfarben oder speziellen Scraperboardfarben. In Deutschland ist Scrape Art offenbar noch nicht (oder nicht mehr) sehr bekannt, jedenfalls finde ich im Netz nur englische Tutorials. Auf jeden Fall weiß ich jetzt schon, was ich mir dieses Jahr zum Geburtstag wünsche! Ich habe mir sagen lassen, dass Scraperboard Zeichnen süchtig macht und freue mich schon darauf.
Kay Leverton arbeitet schon seit vielen Jahren als Künstlerin und läßt sich und ihre Fantasie vor allem von der Landschaft und Tierwelt ihrer walisischen Heimat beflügeln. Früher malte sie vor allem Pastell- und Acrylbilder, seit 2010 arbeitet sie mit Scraperboard und experimentiert inzwischen auch dort mit Farben.
Wer neugierig geworden ist, sollte unbedingt Kays Homepage oder ihren Etsy Shop besuchen.
Das sind wunderbare Bilder. Danke für diesen Blick in die weite Welt der Kunst.
Danke, Karin. Bilder waren schon immer sehr wichtig für mich. Als Kind habe ich mir oft vorgestellt, wie es wäre, einfach hinein zu steigen…..