Dieser Winter gehört sicher zu meinen bisher produktivsten, denn ich habe viel Neues geschrieben, und den Roman, an dem ich schon so lange „poliere“ endlich los gelassen und in die noch eisige Welt hinaus geschickt. Nun muss die kleine Marigard allein bestehen, ohne mich. Ein bisschen einsam fühle ich mich ohne die ständige Nähe meiner Figuren, aber in jedem Abschied liegt auch ein Neubeginn. Jetzt ist mein Kopf endlich wieder frei für ein anderes Buch, für eine andere Geschichte. Ich wünsche meinem jüngsten Romankind, dass ihm recht bald starke Flügel wachsen, die ihn zu seinen Lesern tragen. Alles, was in meiner Macht steht, habe ich getan.
Außerdem habe ich mich schon die ganze Zeit darauf gefreut, wieder einige von Simone Garlands stimmungsvollen Schneebildern zeigen zu können und meiner Fantasie beim Betrachten und bei der Titelfindung freien Lauf zu lassen. In Kanada war es diesmal wieder besonders frostig, genau wie in den USA, wo ein Jahrhundertwinter die Menschen das Fürchten lehrt. (Schon komisch, dass der derzeitige US-Präsident so gar nicht versteht, dass auch die extreme Kälte mit der zunehmenden Erderwärmung zu tun hat. Aber das hatte ich, ehrlich gesagt, auch nicht anders erwartet.) Selbst die Niagara Fälle sind teilweise wieder zu eiskalter Pracht erstarrt. Wie gern würde ich sie selbst einmal sehen, doch ich habe es bisher immer nur an die Westküste der Vereinigten Staaten geschafft.
Es macht mich ein wenig traurig, dass ich nicht mehr freudig nach draußen laufen kann, sobald ich vor den Fenstern die Schneeflocken tanzen sehe. Mit zunehmendem Alter kommt leider auch die Angst, auszugleiten und zu fallen. Zu genau kann ich mich daran erinnern, dass genau dies meinen Eltern passierte – mehrmals und zum Schluß immer häufiger. Meine Mutter stürzte einmal sogar an Heiligabend und musste Weihnachten mit gebrochenem Oberschenkel im Krankenhaus verbringen. Im Grunde hat sie sich von diesem Fall nie richtig erholt. Die Angst hat sich daher dauerhaft in meinem Gehirn eingenistet. Nein, fallen möchte ich auf keinen Fall. Auch Simone war die kalte kanadische Pracht nach einem bösen Treppensturz in diesem Jahr übrigens so leid, dass sie davonflog in die Wärme, aber wunderbare neue Fotos hat sie trotzdem gemacht.
Mir gefällt der Winterhimmel sehr. Meine Oma sagte früher immer „Die Engelchen backen“, wenn der Himmel leicht bis schwer errötete, und bis heute fällt mir der Satz beim Anblick der frostigen Abendröte jedes Mal ein. Genau wie ein Satz meines Opas beim sommerlichen Zusammentreffen von Regen und Sonne: „Jetzt kommt ein Schneider in den Himmel!“ Er war übrigens selbst Schneider. Und wenn es unerwartet an der Tür klopfte, pflegte er lachend zu sagen: „Nur herein! Wenn’s kein Schneider ist!“ Schon merkwürdig, welche Sätze im Gedächtnis eines Kindes hängen bleiben. Ich habe viel an meine Oma gedacht in den letzten Wochen, vor allem bei meinem vorigen Beitrag über „Mariä Lichtmess“. Wie viele Jahrzehnte hatte ich unseren Besuch der Kirche zum „Kerzenweihen“ vergessen! Die wiedergefundene Erinnerung war ein richtiges Geschenk.
Da ich schon seit vielen Jahren Porzellan bemale und wir unsere Farben immer selbst aus Pigmentpulver anmischen, fallen mir beim Anblick der zarten Winterwolken und Winterfarben natürlich auch gleich die vielen kleinen Gläser in allen Farben ein, aus denen wir mit Dicköl und Terpentin unsere Lasuren zaubern. Es gibt gleich mehrere Sorten Purpur, und wenn ich das Bild oben farblich nachmalen müsste, würde ich als erstes zu den Gläsern mit Rosenpurpur, Mittelpurpur und Hellviolett greifen. Ich muss mir morgen unbedingt die anderen Gläschen ansehen, deren Namen mir grade nicht einfallen wollen. Gerade die alten Meissener Porzellanfarben haben zum Teil sehr poetische Namen.
Dieses Bild von Simone erinnert mich spontan an zotteliges Tierfell, ein wenig sieht es nämlich aus, als stünden hier mehrere Eisbären nebeneinander, zwei große und viele kleine. Richtige Eiszapfen habe ich hier schon lange keine mehr gesehen. Früher hingen sie an den Regenrinnen der Häuser, manchmal auch an den Fenstern. Und Gucklöcher in gefrostete Scheiben habe ich auch schon ewig nicht mehr gemacht. Das ging sehr gut mit einer angewärmten Münze, aber auch mit kräftigem Hauchen. Man musste nur aufpassen, dass einem die Lippen dabei nicht am Eis kleben blieben. Genau das ist mir als Kind mal passiert, und es war alles andere als angenehm!
Immerhin habe ich vorige Woche eine winzige Schneefrau gebaut. Der Schnee war dazu nicht ideal, aber es musste einfach sein. Sie stand ein paar Tage auf dem Tisch und veränderte jeden Tag ihr Aussehen, weil ihre Augen partout nicht an Ort und Stelle bleiben wollten. Die ersten Augen waren kleine Perlen, danach bekam sie Trockenfutteraugen. Ich fürchte die Mäuse, die sich hier jeden Abend ihre Käsestückchen holen, haben sie gefressen. Es sei ihnen gegönnt, denn die kleine Schneefrau hat ja zumindest als Foto alles heil überstanden. Ich muss bei ihrem Anblick an den Zeichentrickfilm „Der Schneemann“ denken, in dem ein dicker großer Schneemann mit einem kleinen englischen Jungen hoch über die Felder und Wälder fliegt – direkt zum Weihnachtsmann. Dazu hört man im Film ein Lied, das ich dazu auch gleich im Kopf habe: „We’re walking in the Air“. Das werde ich mir jetzt gleich mal anhören.