Ausstellungen
Als das Landesmuseum Koblenz im Jahr 2000 die Ausstellung „Das gestaltete Jahrhundert“ mit Exponaten aus der Sammlung Hermann Götting präsentierte, stand im Vorwort zum Begleitband: „Das Herzstück seiner Sammlung ist Hermann Götting selbst: Er lebt inmitten seiner Schätze, pflegt sie liebevoll und bietet seinen Gästen ein einzigartiges Ambiente, wenn er sie zu Festen einlädt, die weit über die Stadtgrenzen von Köln bekannt sind.“ Auch die Ausstellung „Mannequins“ in Gera (1996/97) war ein voller Erfolg. Hans-Peter Jakobson, der Direktor des Museums für Angewandte Kunst schreibt im Begleitband: „Ohne Zweifel darf man den Kölner zu den wichtigsten zeitgenössischen Sammlern in Deutschland zählen.“ Aber was ist hier in seiner Stadt von all seinen Schätzen geblieben? Bestand daran in Köln wirklich kein Interesse? Dabei war es doch vor allem Kölner Alltagskultur, die Hermann Götting gesammelt hat! Die Kölner Bürger hat man damals leider nicht gefragt, sie hätten bestimmt anders entschieden.
Immerhin war die Ausstellung, die der Kölnische Kunstverein 1985/86 unter dem Titel „Von Maurice Chevalier bis zum Nierentisch“ mit Göttings Objekten veranstaltete, ein wahrer Publikumsmagnet und erreichte in den sechs Wochen Laufzeit die stolze Anzahl von 35 000 Besuchern. Mitten darin saß das Herzstück der Ausstellung, der Sammler höchstpersönlich. Hermann hat fest damit gerechnet, dass „die Stadt“ (wer immer das auch sein mag) seine Sammlung irgendwann angemessen würdigen würde, doch er hat nicht damit gerechnet, dass ihn der Tod so plötzlich mitten aus dem Leben reißen würde. Er hatte keine Vorkehrungen getroffen, und ohne seine schützende Hand waren seine Schätze hilflos. Es gab kein Testament, und die Erben waren wahrscheinlich überfordert. Zum Glück fand ein Teil der Sammlung in Gera ein neues Zuhause, hoffentlich auch viele seiner „stummen Freunde“ (Schaufensterpuppen). Fünfzig seiner seltenen Trachten wurden 2006 vom Thüringer Landestrachtenverband erworben, doch soweit ich in Erfahrung bringen konnte, werden sie dort nicht ausgestellt. Etliche Gewänder und Kostüme sind angeblich hier „beim Theater“ gelandet, berichten Hermanns Freunde. Einige alte Werbetafeln und die Kataloge zu den Ausstellungen werden ab und an noch bei Ebay angeboten. Aber wo sind all die schönen kompletten Laden- und Caféeinrichtungen geblieben?
Beerdigung auf Melaten
In diesem Jahr wäre Hermann Götting achtzig geworden, und vielleicht hätte auch ich wieder eine großformatige Einladung (Absender: von Hermes dem Götterboten) zu seinem Fünfzigsten bekommen. Doch leider ist er schon fünfzehn Jahre tot. Ich erinnere mich noch gut an die Beerdigung auf Melaten. Wenn ich die Notizen lese, die ich gleich nach der Trauerfeier geschrieben habe, sehe ich sie wieder vor mir, die vielen Kölner, die Nachbarn aus dem Belgischen Viertel, mit denen ich (lange) vor der Trauerkapelle auf die eindrucksvolle Pferdekutsche und den (langen) Trauerzug wartete, der ihr vom Bestattungshaus in der Südstadt bis vor die Friedhofstore folgte. Es ist ein weiter Weg von der Friesenstraße bis zur Piusstraße, und es waren viele extravagante, weniger extravagante und kein bisschen extravagante Weggefährten, Freunde, Bekannte und Bewunderer von Hermann dabei. Einige hatten ihre Hunde mitgebracht, was den großen Tierfreund, der sich zum Geburtstag nie Geschenke wünschte, sondern Geldspenden für seine Tiere (und heimlich auf dem Brüsseler Platz sogar eine bestimmte Ratte fütterte, die sofort kam, wenn er sie rief), bestimmt gefreut hätte. Touristen habe ich nur wenige gesehen, obwohl die Beerdigung wahrlich sehenswert war. Auf dem Weg spielte eine Dixieland-Band, und während der Feier gab es unter anderem einen Auszug aus Wagners „Götterdammerung“, das „Largo“ von Händel und zum Abschluss „Thank you for the music“ von Abba. Keine Ahnung, wer die Musik zusammengestellt hat.
Die Wartenden vor der Trauerhalle wirkten fassungslos und ratlos. Jemand wie Hermann Götting konnte unmöglich einfach verschwinden! Das konnte nur ein Irrtum sein, war hoffentlich bloß einer seiner spektakulären Auftritte? Gleich würde er lachend hinter den Säulen hervortreten, auf seinem Roller über die Wege von Melaten fahren. So ein starker, wuchtiger Mensch, so ein Fels in der Brandung, war doch nicht von heute auf morgen weg! „Er hat unsere Stadt so schön bunt gemacht. Was wird denn jetzt bloß aus all seinen Sachen?“ „Köln braucht Menschen wie den Götting, so jemanden finden wir nie wieder. Der war ein Paradiesvogel, un so wat jit es doch hück ja net mih!“ (Ich hoffe, mein Kölsch stimmt.) Der besorgte alte Herr, der dies sagte, wohnte auch im Belgischen Viertel und hatte Tränen in den Augen. „Der verdient ein Museum! Und wenn die Stadt nix macht, dann müssen wir an den Schramma schreiben! Sonst tut sich da nix!“ (Kurt Schramma war damals unser Oberbürgermeister.) Einvernehmliches Nicken. „Dafür hat der Hermann immer gekämpft. Jetzt sind wir dran! Wir müssen für ihn weiterkämpfen!“ Wollten wir ja! Aber wie? Das wussten wir auch nicht. Eine Unterschriftensammlung? Tatsächlich an den Oberbürgermeister schreiben? Persönlich vorsprechen? Oder lieber gleich die Museumsdirektoren aufsuchen? Einen Protestmarsch organisieren? Wir waren damals leider gar nicht gut vernetzt, kein bisschen organisiert und ziemlich überfordert, daher ist dann leider auch nichts passiert. Wenn man es weiß, kann man Hermann hier noch an der U-Bahn-Haltestelle Appellhof Platz sehen, als Kölner Kopf auf der Wand, aber ich bezweifle, dass ihn noch viele kennen – oder erkennen. Er wirkt auf dem Porträt fremd. Jedenfalls für mich. Vielleicht liegt es an den Farben. Oder daran, dass er nicht lächelt. Oder daran, dass er einen nicht ansieht.
„Ich dachte immer, den Hermann könnte nichts umhauen“, sagte eine andere Anwohnerin. „Woran ist er bloß gestorben? Hat den etwa jemand umgebracht?“ Erschrockene Blicke, dann Kopfschütteln. „In der Zeitung stand was von verschleppter Lungenentzündung.“ „Wat soll dat denn bedeuten? Verschleppt! Dat is doch keine Diagnose!“ Einvernehmliches Nicken. „Das Belgische Viertel wird anders sein ohne ihn.“ Stimmt. Das war es. Leerer. Leiser. Farbloser. Er fehlte uns damals sehr, und einigen fehlt er noch heute.
Kurz zuvor war Hermann zum fünfzehnten Mal fünfzig geworden. Jetzt lag er in dem bemalten Sarg, auf dem er selbst mit seinem weißen Tempelhund und der roten Katze Wunderkätzchen abgebildet war, was mich dann doch ziemlich aus der Fassung brachte, als ich meine Blumen ins offene Grab warf. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Mach et joot, Hermännsche!“ riefen ihm zwei Freundinnen nach. Weinende Männer lagen sich vor dem Grab in den Armen. Es gab viel Prominenz aus der Szene. Die Trauerfeier hätte Hermann gefallen, auch die Ansprache von Bert van der Post (der merkwürdigerweise im „Programm“ nur als Hermann und Bernd, aber nie als Bert aufgeführt wird), und auch die überwältigende Anteilnahme (geschätzte 800 Trauergäste!), die Musik und das muntere Hundegebell. Wohl auch der Grabstein, eine Säule, umschlungen von einem steinernen Schal.
Neben mir in der Trauerkapelle stand eine betagte kleine Dame mit Schmetterlingsbrille und Blumenhut („Extra für Hermann angezogen, den mochte er immer so gern!“), die in jeder Manteltasche Unmengen von Leckerchen hatte und die unruhigen Vierbeiner in ihrer Nähe damit beruhigte, wenn sie auf die musikalische Untermalung allzu heftig reagierten („Hab ich immer dabei, für alle Fälle. Ich kenn doch so viele Hundemenschen!“). Amour, der zwei Tage lang neben seinem toten Herrchen gewacht hatte, überlebte ihn offenbar nicht lange, wie ich vor kurzem erfuhr. „Vor Trauer gestorben“, sagte meine Bekannte.