Ein Museum der Gefühle

Fensterecke (BFL)

Wie könnte ein Museum mit Hermann Göttings Schätzen wohl aussehen? Er selbst wünschte sich ein „Museum der Liebe zu den Dingen“, und ich kann mir vorstellen, was er damit meinte. Ich kannte ja seine Wohnung! Präsentiert wird vor allem die Zeit zwischen 1920 und 1960, und mein Fantasie-Museum ist randvoll mit nahen und fernen Erinnerungen, Alltagskultur, Kitsch und Kunst (und erinnert von der Stimmung her ein bisschen an das nordenglische „Beamish“). Es befindet sich vor den Toren Kölns (für das Belgische Viertel ist es zu groß) und besteht aus einem kleinen Platz mit Bänken, Tischen, Laubbäumen und einem Karussell, umgeben von hohen Stadthäusern. Alles liebevoll wieder aufgebaut, mit Giebeln, Treppenhäusern, Erkern und Balkonen, so ähnlich wie die Häuser am Brüsseler Platz und am Stadtgarten.

Lachende Frau (BFL)

Alles ist da, um die vielen Wohnungen bis hinauf in den Speicher zu bestücken (da kann man zum Beispiel die Wäsche aufhängen oder in geheimnisvollen abgeschabten Kartons mit Fotos und Kleidungsstücken herumstöbern), und ich bediene mich aus Hermanns riesigen Fundus an Möbeln, Teppichen, Kronleuchtern, Lampenschirmen, Kleidung, Kinderwagen, Türen, Fenstern, Schildern, Laternen, Reklametafeln, Schaufenstern – und vergesse auch die vielen nützlichen und überflüssigen Kleinigkeiten nicht, die den Menschen lieb und vertraut waren.

Zum Schluss besitzt jedes Haus seinen ureigenen Duft und seinen ganz besonderen Charakter. Die Zimmer sehen aus, als wären die Bewohner nur kurz hinaus gegangen und würden jeden Moment zurückkehren. Noch besser: Die Häuser sind richtig bewohnt! Die Besucher können durch die Räume streifen, mit den Bewohnern plaudern und sich nach Herzenslust umsehen. Menschen in zeitgenössischer Kleidung geben Auskunft oder gehen einfach ruhig ihren alltäglichen Aufgaben nach. Vielleicht stammen sie sogar aus alten Zeiten? In der Fantasie ist zum Glück alles möglich. Gern würde ich Familienmitglieder, die ich schon immer gern kennenlernen wollte, hier wohnen lassen. Zum Beispiel die kleine Ida.

Alle Bewohner haben eigene Biografien, Berufe, Vorlieben, Hobbys und Haustiere. Es gibt Wissensdurstige (mit Regalen voller Bücher), Künstler (mit Atelier oder chaotischem Schreibtisch), abgedrehte Außenseiter  (mit eindrucksvoller Uhren- oder Lampensammlung) und die unterschiedlichsten Paarkombinationen mit und ohne Kinder. Ein junger Mann sieht aus wie Martin W., den ich nur von Fotos kenne. (Er war Arzt, mit der Großmutter meines Mannes verlobt und starb im Ersten Weltkrieg.) Handwerker gibt es hier auch.

Zum Schuster gehe ich besonders gern, weil ich den Geruch nach Leder und Leim liebe. Mein Urgroßvater Xaver D. war Schuster (Hermanns Großvater übrigens auch). Vielleicht hat Hermann die kleine Werkstatt aus der Apostelstraße ja noch retten können? Als Studentin mit chronischem Geldmangel hat mir der freundliche Schuster dort immer Sonderpreise gemacht und keinen Ton über meine abgetragenen Schuhe verloren. Er reparierte und besohlte sie, und danach sahen sie (fast) aus wie neu.

Da ich schon immer eine Caféschreiberin war, gibt es gleich mehrere plüschige Cafés, in denen man sitzen und seinen Kaffee mit Sahnehaube trinken und dazu altmodischen Kuchen essen kann, der gleich Erinnerungen weckt. Buttercremetorte, Bienenstich, Kalter Hund, Grillagetorte, Holländer Kirsch. Hier sitze ich mit Notizbuch und Füllfederhalter und erfinde Geschichten. Nebenan gibt es einen schummrigen Nachtclub, doch der öffnet erst viel später, und der Conferencier sieht (kein Zufall) aus wie Hermann.

Brotbacken (Pexels/pixabay)

Wie üblich schaue ich kurz in die nach frischem Brot duftende Bäckerei mit eigener Backstube und kaufe mir ein knuspriges, noch ofenwarmes Steinofenbrot. Gleich nebenan befindet sich ein Eiscafé mit hausgemachtem Eis. Hier gibt es vor allem Klassiker, die ziemlich so schmecken wie im Eiscafé „Van der Put“ am Südfriedhof, einem sehr beliebten alten Kölner Familienbetrieb mit Sinn für Tradition.

Und dann ist da noch der Laden mit buntem Allerlei. Vor Ostern und Weihnachten ist es hier besonders schön. So alte Schätze findet man tatsächlich auch heute noch, etwa bei MAROLIN, wo nach wie vor mit Papiermachémasse und alten Formen gearbeitet wird. Hier bekommt man noch Osterhasen, Christbaumschmuck und Weihnachtsmänner aus den 20er Jahren, Krippenfiguren, Tiere, Märchenfiguren aus den 50ern, alten Glasschmuck für den Christbaum und auch die Märchenwüfel (aus Holz, beklebt mit bunten Bildern), mit denen ich als Kind gespielt habe.

Lädchen in Beamish (BFL)

Schokoladenmädchen (BFL)

Am liebsten würde ich ewig weiter durch mein Fantasiemuseum wandern, doch für heute soll es genügen. Außerdem muss ich langsam Abschied von Hermann Götting und seiner Welt nehmen. Also setze ich mich in mein Lieblingscafé (das mit dem Schokoladenmädchen), bestelle mir eine Kanne Tee (oder doch eine Riesentasse heiße Schokolade?) und einen Teller mit ganz besonderem Gebäck.  Und träume und schreibe ….

 

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