Süchtig nach Schneeglöckchen (Simone Garland)

Little Darlings  (Simone Garland)

In Ontario ist der Frühling in diesem Jahr zwar zeitig, doch es ist immer noch kalt. Heute, am Ostermontag, sind dort  -6°, und nachts fallen die Temperatur leicht bis zu -14°. Kein Wunder, dass die Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) dort später blühen als bei uns, obwohl sie inzwischen auch in Kanada anderen Frühlingsboten Platz gemacht haben. Der Gattungsname Galanthus stammt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet Milchblume (abgeleitet von gala, Milch und anthos, Blüte). Nivalis  bedeutet schneeweiß und bezieht sich daher gleich doppelt auf die Blütenfarbe. Meine Freundin Simone schreibt, dass die kleinen Glöckchen in Kanada gerade erst abgeblüht sind und jetzt die Scilla (Blausterne) und Hyazinthen blühen.

Ich mag Schneeglöckchen sehr gern. Ich habe eine uralte Hasenvase aus feinem Porzellan, in der ich die ersten aus unserem Garten immer hier ins Wohnzimmer hole. Sie verströmen einen angenehm zarten, an Honig erinnernden Duft, welken aber leider sehr schnell, so dass ich jedesmal ein schlechtes Gewissen habe, weil ich sie nicht draußen gelassen habe. Auch Schneeglöckchen sind giftig. Das in ihnen enthaltene Alkaloid Galanthamin wird sogar als Medikament gegen Demenzerkrankungen eingesetzt und soll vor allem im frühen Stadium die Krankheit verlangsamen und die Gehirnleistung verbessern, auch wenn die Nebenwirkungen oft nicht angenehm sind.

Snowdrops (Simone Garland)

Hier in Deutschland sind die bekannten „Nettetaler Schneeglöckchentage“ inzwischen umgezogen und finden seit 2019 Mitte Februar in Knechtsteden statt. Eine Bekannte von mir wünscht sich jedes Jahr ein besonderes Galanthus-Exemplar zum Geburtstag. Das kann dann durchaus (natürlich pro Stück!) 50 Euro kosten, doch weil es ihr ausdrücklicher Geburtstagswunsch ist, sieht man es ihr nach. Sie ist halt ein bisschen verrückt, wenn es um Schneeglöckchen und Gartenpflanzen geht. Dabei ist sie nur eine überaus vorsichtige Sammlerin, kein Vergleich zu den wirklich Süchtigen! Ich kann sie gut verstehen und bleibe den „Schneeglöckchen Tagen“ daher aus Kostengründen lieber fern.

Besonders in England gibt es zahlreiche „Galanthophile“, die sich ihre Liebe zu den unscheinbaren Blühern einiges kosten lassen. Auf einer „Galanthus-Gala“ bezahlen Sammler für ein Exemplar der Sorte „Flacon de Neige“ ohne mit der Wimper zu zucken 260 Euro, für „E.A. Bowles“ um die 350 Euro, und ein einziges Exemplar von „Elizabeth Harrison“ hat sich ein Hardcore Fan 2012 sogar stolze 1.000 Euro kosten lassen. Wer hätte gedacht, dass die unscheinbaren Winzlinge so wertvoll sind! Man kauft sie allerdings besser im blühenden Zustand, damit man nicht etwa die Katze im Sack oder das Glöckchen in der Zwiebel kauft.

Schneeglöckchen an Osterei (Simone Garland)

Ich muss gestehen, dass ich (noch) wenig Ahnung von den verschiedenen Galanthus-Sorten habe, obwohl ich immerhin drei Varianten im Garten beherberge (aber es gibt an die Tausend!). Ich habe dummerweise vergessen, welche wo steht, und erkenne sie nur daran, dass sie verschieden hoch sind und zu unterschiedlichen Zeiten blühen. Daher nenne ich sie einfach „normales“, „großes“ und „spätes“ Schneeglöckchen, und alle drei dürfen sich natürlich frei verwildern, so dass wir schon früh im Jahr überall kleine und große Tuffs bewundern können.

Spezialisten können die kleinen Blüher natürlich auf einen Blick unterscheiden, etwa an der Färbung (es gibt sogar welche mit Gelbtönen!), den Zeichnungen und Markierungen (es gibt auch welche ganz ohne), der Größe (zwischen 5 und 25 cm), der Anzahl, Anordnung und Form der „Röckchen“ (rund oder spitz, verschieden weit abstehend bis hin zu reiner Tropfenform). Gefüllte Varianten und herbstblühende gibt es auch. Eine der frühesten Sorten trägt den lustigen Namen „Ding Dong“. Das Schneeglöckchen, das viele Namen hat (u.a. Schneedurchstecher, Schneeblümlein, Schneetröpfli, Frostglöckchen, Frühlingsglöckchen, Weiße Jungfrau) ist auf vielen Gemälden und Zeichnungen, in der Literatur und in Liedern und Musikstücken verewigt. In einer Vertonung von Schubert heißt es „das schöne blasse Kind“.

Naturbelassen (Simone Garland)

Möglicherweise spielt das Blümchen sogar in der „Odyssee“ eine kleine, aber wichtige Rolle. So soll Odysseus seine Männer mit einem Schneeglöckchen-Trank vom Zauber der Circe befreit haben. Doch möglicherweise war damit auch eine ganz andere Blume, nämlich die Zierlauchart Allium Moly, gemeint. Der Text ist da etwas widersprüchlich. Homer nennt sie zwar Moly, doch Moly blüht gelb. Im Text steht aber ausdrücklich, dass sie milchweiß blüht, daher weiß man es nicht so genau. Mir gefällt natürlich die Schneeglöckchenversion besser. So ein winziges Pflänzchen liefert das Gegengift zu einem so mächtigen Zauber!

Es gibt auch Legenden, die sich um diese Blume ranken. Als Gott den Schnee erschuf, gab er ihm keine Farbe, was den Schnee betrübte, daher fragte er bei den Blumen an, ob sie ihm von ihrer Farbe abgeben würden. Nur das Schneeglöckchen war bereit, mit ihm zu teilen. Daher kommt es, dass der Schnee nur das Schneeglöckchen in seiner Nähe duldet. Eine andere Legende erzählt, daß Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies während eines harten Winters in einer Schneelandschaft weinten und Gott einen Engel schickte, der die Flocken in winzige Blüten verwandelte. In einer weiteren Version weinte Eva Tränen der Reue, und aus ihren Tränen entstanden Schneeglöckchen.

Ein weiterer alter Name der  Blume lautet Lichtmess-Glöckchen, was auf ein längst vergessenes Ritual zurückgeht. Früher wurden in den katholischen Kirchen zu „Maria Lichtmess“ im Februar Schneeglöckchen als Sinnbild der Reinheit auf den Altar gestreut. Ich mag das Fest. An diesem Tag ging meine Oma mit mir in die Kirche, und wir ließen für die ganze Familie die Kerzen segnen. Darüber habe ich auch schon in diesem Blog geschrieben. Damals pflegten noch viele Familien Kerzen anzuzünden, für Unwetter und Gewitter gab es sogar eine ganz besondere, schwarze Kerze. Heute sind diese Gewitterkerzen nur noch schwer zu bekommen, aber ich habe voriges Jahr in Kevelaer welche gesehen.

Gewächshaus mit Gärtnern und Glöckchen (Simone Garland)

Das kleine Gewächshaus, in dem am Frühlingsanfang auch immer ein Töpfchen mit Schneeglöckchen steht, bekommt in Simones Haus jedes Jahr einen Ehrenplatz am Eingang und wird mit den Blumen bestückt, die gerade blühen. Als erstes kommen natürlich die Snowdrops, wie sie auf Englisch heißen. Zu den Holzfiguren aus dem Erzgebirge hat Simone einen ganz besonderen Bezug, denn die hat ihr Opa selbst auf einer Drehbank gemacht und auch selbst bemalt. Dargestellt sind Oma und Opa als Gärtnerin und Gärtner. Simone bekam sie als Erinnerung von ihm, als sie 1986 aus der DDR nach Kanada auswanderte. Die Großeltern hat sie danach leider nur noch wenige Male wiedergesehen, aber die schöne Erinnerung bleibt. In Opas Garten hatte die kleine Simone ein eigenes Beet, auf dem sie anpflanzen durfte, was sie wollte. Vielleicht wurzelt ja dort ihre große Liebe zu den Blumen und zur Natur?

Schneetröpfchen (Simone Garland)

 

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