Als im Februar der Krieg in der Ukraine begann, strömten mit einem Schlag viele alte Ängste in mein Leben zurück. Darunter auch solche, die ursprünglich meinem Vater gehört hatten, der im zweiten Weltkrieg traumatisiert wurde und seinen grausamen Erinnerungen nie zu entrinnen vermochte. In seinen letzten Lebenswochen litt er an Halluzinationen und hielt das Krankenhaus, in dem er nach einem Sturz behandelt wurde, für ein Partisanenlager, in dem man ihn fesselte, folterte und hinrichten wollte. Er starb verzweifelt kämpfend, von der eigenen Tochter verraten, die ihn nicht befreite und ihm seine Waffe nicht brachte. Ein rasender alter Mann. Ein panischer junger Soldat. Umzingelt von Feinden. Mitten im Krieg. Allein und verlassen. Vor meinen Augen. Die Szenen in der Intensivstation haben mich so erschüttert, dass ich danach selbst eine Traumatherapie machen musste, um die unerträglichen Bilder bewältigen zu können. Es tat gut, professionelle Hilfe zu finden, nicht mehr allein zu sein mit den Erinnerungen. Damals glaubte ich noch, der Krieg meines Vaters, der auch mein Leben geprägt hatte und mich am Ende gar mit in die Tiefe zu reißen drohte, wäre vorbei. Dachte, ich wäre nach all der Zeit endlich in Sicherheit.
Mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine brach alles wieder auf. Ich war wie versteinert, Alpträume und Flashbacks kehrten zurück. Es gibt so unendlich viele Trigger. Ortsnamen, Wörter, Geräusche. Bilder von Panzern, Flugzeugen, Kriegsgefangenen, jungen Soldaten, Leichen auf Straßen, rauchenden Trümmern. Manchmal sind es Wörter. Russe. Partisanen. Schützengraben. Vergewaltigung. Folter. Massengrab. Die Bilder in den Nachrichten kenne ich. So sahen die Bilder im Kopf meines Vaters aus. Ganz zum Schluss sprangen sie in meinen Kopf über und nisteten sich für immer ein.
Über den Tagen hängt wieder der alte bedrohliche Schatten. Als Kind hat er mir Panikanfälle gemacht. Ich habe versucht, ihn zu bannen, habe mich schon mit den „vererbten Ängsten“ befaßt, als mein Vater noch lebte, habe darüber in meinen Büchern geschrieben und auch den Artikel „Im Schatten fremder Ängste“ für die Deutsche Angst-Hilfe.
Katharina Altemeier, selbst hochsensible Angstspezialistin und Buchautorin, fand und las den Artikel, nahm Kontakt zu mir auf und fragte, ob ich mir vorstellen könne, im Rahmen ihres Podcasts „Hallo Angst“ über die unheimlichen fremden Ängste zu reden.
Ich hatte etliche Bedenken und Sorgen. Ein echtes Interview, bei dem man sich gegenüber sitzt, konnte ich mir vorstellen. Aber ein Zoom-Interview? Schaffe ich das überhaupt? Also schon rein „technisch“? Wo ich doch Online-Konferenzen so hasse! Da sieht man doch die ganze Zeit sein eigenes Gesicht auf dem Bildschirm! Und dann muss ich das lange Gespräch auch noch gleichzeitig mit dem Handy aufzeichnen und anschließend die Riesendatei verschicken! Was, wenn alles schief geht? Wenn die Aufnahme nicht klappt? So was kann man doch nicht wiederholen! Katharina beruhigte mich. Das schaffst du! Ich helfe dir! Aber kann ich überhaupt über dieses aufwühlende Thema sprechen, ohne dass mir die Worte wegbleiben? Ich kenne ja die Fragen gar nicht, die sie mir stellen wird, denn es soll ja ein spontanes, authentisches Gespräch werden. Kann ich ihr vertrauen? Katharina hat all meine Zweifel ernst genommen und mich auf ihre feinfühlige und emphatische Art so gut aufgefangen, dass ich mich schließlich auf das gemeinsame Abenteuer eingelassen habe. Vielleicht hätte ich das zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr gewagt oder geschafft, denn das Jahr nahm danach für mich noch einige weitere schlimme Wendungen, die mich völlig verstummen ließen. Aber das wußte ich damals zum Glück noch nicht.
Zur Vorbereitung hörte ich alle Folgen ihres Podcasts „Hallo Angst“, besonders faszinierend fand ich Katharinas eigene Angsterfahrungen. Wie schade, dass sie so weit weg wohnt und wir uns nicht „richtig“ treffen konnten. Es wurde ein intensives, sehr persönliches Gespräch. Den Beitrag (#16) finden Sie hier auf Katharinas Seite, man kann ihn aber auch über Spotify hören.