Wie Stellaluna zu ihrem Namen kam

Stellaluna

Schon T.S. Eliot wußte, wie schwer es ist, den richtigen Namen für eine Katze zu finden, und hat darüber sogar ein Gedicht geschrieben („The Naming of Cats“), genial übersetzt von Erich Kästner („Wie heißen die Katzen“). Seiner Meinung nach hat jede Katze übrigens mindestens drei Namen, einen gewöhnlichen, einen besonderen und einen ganz geheimen, den sie nur selbst kennt. Ich glaube, Katzen haben noch viel mehr Namen….

Am einfachsten ist die Namensgebung natürlich, wenn man eine noch unbenannte (zugelaufene oder geschenkte) Katze vor sich hat, die sich ihren Namen selbst aussuchen darf. Oder einen Wurf, den man von Geburt an kennt und bei dem man die Kleinen vom Temperament her gut einschätzen kann, was heutzutage eher selten ist, es sei denn man ist Züchter. Aber Züchter sind bei Katzentaufen (vorsichtig ausgedrückt) sehr „speziell“.

Als ich Kind war, hat unsere Topsi viele Kitten bekommen, und ich saß stundenlang im Keller neben der Wurfkiste und überlegte mir, wie ich die Kleinen taufen sollte. Dasselbe galt für meine (sehr fruchtbaren) Kaninchen. Meine Fantasie war natürlich begrenzt, denn ich hatte damals noch nicht viel gelesen, aber es gab an jedem Kaninchenstall ein Diagramm mit Stammbaum. Fipsi, Molly, Mohrle, Schnucki und Möhrchen fallen mir spontan wieder ein, aber es waren auch kompliziertere indianisch klingende Namen wie Schwarzohr und Weißfüßchen darunter. Meine Goldhamster hießen Maxim (nach Maxim de Winter) und Knopfauge. Schon damals habe ich übrigens gern ausprobiert, auf welche Lautfolgen meine Kitten am besten reagierten.

Jimmy Jinkins  aus dem ersten Wurf war leider das einzige Kitten, das ich behalten durfte, alle anderen musste ich verschenken, und es waren im Laufe der Jahre sehr, sehr viele. Sie landeten bei Klassenkameradinnen oder Bauern in der Nähe und bekamen schnell neue Namen, meistens Susi, Mimi, Felix oder Miezi. Bei Jimmy kamen irgendwann ganz von selbst Jinkins und Jinx dazu, weil wir merkten, dass er sie mochte. Auf Jinkins hat er auch noch besser gehört. Als Freigänger war es wichtig, dass er zuverlässig angelaufen kam, wenn man nach ihm rief. Jinkins ließ sich einfach besser rufen.

Stellaluna Wäschekatze (BFL)

Topsi fand Kittetops am schönsten, wie wir bald feststellten. Bei Rassekatzen wie Maine Coons wird das Namensproblem dadurch erschwert, dass die meisten Züchter sich höchst eigenwillige Namen für ihre Katzenkinder ausdenken. Ich glaube nicht, dass sie ernsthaft erwarten, dass man die Katzen später so nennt (das tun sie meist selbst nicht), weil die Namen doch oft arg sperrig oder lang sind. Züchter orientieren sich nicht nur am Anfangsbuchstaben der jeweiligen Würfe (einige setzen sich darüber auch hinweg), sondern müssen notgedrungen auch möglichst seltene, exotische Namen finden, denn vielleicht wird aus dem Kitten ja mal eine berühmte Zuchtkatze, deren Namen später in unzähligen Stammbäumen auftauchen wird, und da ist ein wohlklingender oder eingängiger Name, der zum Namen der Cattery paßt, enorm wichtig. Gelegentlich wählen sie auch Namen aus bestimmten Themenbereichen (Getränke, Filmstars, Filmtitel, Buch- oder Filmhelden, Schriftsteller, Landschaften, Städtenamen, you name it). Sie geben sich bei der Suche eindeutig extrem viel Mühe, daher finde ich es unfair, ihre Namen komplett zu übergehen, selbst wenn sie zum Teil unaussprechlich sind und zur betreffenden Katze so gar nicht passen. Wenn man sein Kitten früh genug findet, lassen sie aber durchaus mit sich reden und setzen auch gern den „neuen“ Namen mit in den Stammbaum.

Als Schriftstellerin wähle ich die Namen der Figuren in meinen Büchern und die meiner Tiere mit Bedacht und Sorgfalt. Buchpersonen werden bei mir erst „real“, wenn ich ihren richtigen Namen gefunden habe. Dann macht es Klick, und die Person steht urplötzlich quicklebendig vor einem und beginnt zu reden und sich zu bewegen. Wenn man Glück hat, erzählt sie einem dann auch immer mehr von sich und wehrt sich mit Händen und Füßen, wenn man sie zu Dingen zwingen will, die ihr nicht behagen. Buchfiguren sind erst lebendig, wenn sie ihren eigenen Kopf  haben und selbst entscheiden. Für mich ist das eine der schönsten Erfahrungen überhaupt beim Schreiben.

Krispin (BFL)

Bei (Kurt) Krispin war ich mir ziemlich sicher, dass mein Vorschlag dem kleinen grünäugigen Kater mit dem lustigen Gesicht gefallen würde. Die meisten Katzen mögen Namen mit I und S und Krispin hat einen sehr ähnlichen Gesichtsausdruck (erstaunter, leicht konsternierter Eulenblick) wie mein silbergrauer Liebling Cisco, der seinen Namen total liebte. Sobald man ihn mehrfach hintereinander rief – mit etwas höherer Stimme als normal (macht man ja meistens, wenn man mit Katzen oder Kindern spricht), klang es fast wie ein Vogelruf (Kuckuck, Kuckuck!). Ich habe damit die Kinder auf dem benachbarten Schulhof öfters sehr verwirrt. „Hörst du das? Was ist das? Wie unheimlich! Meinst du, das ist ein MENSCH?“ Den Namen hatte man hervorragend im Garten rufen können, und Cisco kam jedesmal aus den Tiefen der Gebüsche und Beete eifrig angetrabt. Das wünsche ich mir auch für Krispin. Bisher waren die drei übrigens noch gar nicht draußen.

Crispinus ist ein lateinischer Vorname, der zurückgeht auf  das Adjektiv crispus, das gelockt, lockig bedeutet, was jetzt nicht so richtig zu meinem Krispin passt, weil er ja schließlich kein Devon Rex, sondern ein Maine Coon ist. Aber es gibt auch noch eine weitere Bedeutung, nämlich heiter, unbeschwert. Das wiederum passt sehr gut zu dem verschmitzten gutmütigen kleinen Kerl. Ich lag offenbar richtig mit meinem Taufnamen. Krispin (das erste I lang, das zweite kurz) hörte vom ersten Moment an bereitwillig auf seinen Namen. Zur engeren Auswahl standen bei ihm auch Siskin, Whisky, Christie und Frisbee. Inzwischen hört er auch sehr gut auf Crispy, Krispino (Betonung auf dem zweiten I), Krispinetto (Betonung auf dem E), Krispinello (Betonung auf dem E) und Krispelino (Betonung auf dem zweiten I). Übrigens kommt er auch sofort, wenn ich die anderen beiden rufe, aber nur weil er denkt, sie könnten ihm vielleicht was wegfressen. Er ist nämlich ein klein wenig (na ja, eigentlich sehr!)  futterneidisch.

Hathaway und Krispin (BFL)

Bei (Kingsley) Hathaway lag die Sache völlig anders, er reagierte überhaupt nicht auf den Namen. Null. Nada. Forget it. Ich verbrachte Stunden damit, ihm andere Namen vorzuschlagen, aber er reagierte auf keinen einzigen. Tagelang. Wochenlang. Unsere Enkel erkundigten sich schon: „Hört der immer noch nicht auf Hathaway?“ Nein. Er hörte nicht. Leider.

Er reagierte ohnehin nicht, wenn man ihn ansprach. Vielleicht war er schwerhörig oder gar taub? Er sitzt schließlich auch mit Vorliebe auf dem laufenden Staubsauger, was nun wirklich nicht sehr katzentypisch ist. Taub ist er nicht, aber so richtig gut hört er wohl auch nicht, denn er ist im Gegensatz zu allen Katzen, die ich je kannte, ungewöhnlich geräuschliebend und genießt leider alles, was ordentlich bis ohrenbetäubend Krach, Schepper, Klirr und Rumms macht (so ähnlich wie Karlsson vom Dach, aber so wollte er auch nicht heißen. Kann ich sogar verstehen). Inzwischen weiß ich aber, dass er kommt, wenn ich Hathy-Hathaway rufe (Hathy kurz, beim zweiten Wort erste Silbe betont und sämtliche Silben lang gezogen, ganz besonders die letzte).

Er hat auch einen zweiten Namen, auf den hört er zwar nicht immer, aber er passt wie Faust aufs Katzenauge.  Hideaway. Weil er sich extrem gut verstecken kann. Einige seiner geheimen Rückzugsorte habe ich bis heute nicht identifiziert. Hathaway verschwindet einfach spurlos und taucht dann aus dem Nichts wieder auf. Offenbar kann er apparieren wie die Hexen in Harry Potter. Ich hab mal zwei geschlagene Stunden nach ihm gesucht, da schlief er tief und fest bis zur Unkenntlichkeit zusammengerollt in einem Papierkorb. Da hatte ich natürlich nicht nachgeschaut. Jetzt ist er dazu zum Glück zu groß. Und noch einen dritten Namen hat er, auf den er sogar gelegentlich hört. Pranko. Wegen seiner geschickten, eisenharten, extrem destruktiven rechten Pfote – mit Krallen, vor denen einfach nichts sicher ist. Doch das ist eine andere Geschichte.

Hathaway (BFL)

Hathaway klingt einfach schön für meine Ohren. (Übersetzt heißt es „jemand, der an einem Heideweg oder in der Nähe einer Heide lebt“.) Anne Hathaway war die Frau von Shakespeare, es ist also eigentlich ein englischer Familienname, doch es gibt heute auch eine junge US-Schauspielerin und Oscarpreisträgerin, die so heißt (offenbar bewußt benannt nach Shakespeares Frau). Aber eigentlich hatte ich bei der Namensgebung vor allem den Sidekick von Inspector Lewis aus der Serie „Lewis“ im Kopf: Detective Inspector Sergeant James Hathaway. Sehr groß und schlank, nachdenklich, ernst, tiefgründig, dabei höchst ironisch, des Griechischen und Lateinischen mächtig, philosophisch, hochgebildet und ein eher ruhiger Vertreter und Eigenbrötler. Mit Züchternamen heißt mein Hathy übrigens „Kings Man Group“, aber Heike ließ sich netterweise dazu überreden, das im Stammbaum in Kingsley Hathaway zu ändern.

Unsere Tochter vermutete zunächst, dass Hathaway seinen Namen vielleicht ablehnte, weil der Schauspieler, der den Sergeanten darstellt, wirklich kein besonders sympathischer Zeitgenosse ist. Daran hatte ich dummerweise nicht gedacht und war darob gelinde gesagt ziemlich entsetzt, denn mein Vorbild war einzig und allein die Filmfigur. Philosophisch im kätzischen Sinne, intelligent und ein bisschen eigen ist mein Hathaway tatsächlich. Außerdem ist er schon jetzt auffallend lang und groß. Ich finde immer noch, dass der Name perfekt zu ihm passt.

In der engeren Auswahl waren bei ihm zunächst auch noch Monterey, Caraway, Faraday, Mandalay, Holiday, Beaujolais, Galloway, Yesterday, Mackeray, Shintoplay, Orlando und Sparrow. Sowie Faversham, Nevada, Washington, Brownie, Beamish, Colorado, Harper und Clover. Ich habe sie und noch etliche andere Namen stundenlang geduldig an ihm ausprobiert (bis zur Heiserkeit!), aber er wollte keinen einzigen davon. Bloß bei Sparrow spitzte er kurz die Ohren, aber auch hier ist der Schauspieler, der den Jack Sparrow darstellt, inzwischen ein echtes Problem. Irgendwann gab Hathy dann auf und akzeptierte den Namen. Zur Not berufe ich mich einfach nur auf Shakespeares Frau und schlabbere den Sergeanten, wenn mich jemand fragt. „Wie bist du denn auf den komischen Namen gekommen?“ Das haben mich tatsächlich schon einige Leute gefragt.

Stellaluna (BFL)

Blieb nur noch das silberrote Mädchen mit dem Künstlernamen Kallista Kabarett, der eigentlich gut passt, weil sie geschickt wie eine Zirkusakrobatin ist und zudem auch sehr lustig sein kann, aber leider klingt Kallista ähnlich wie Krispin und auch ein klein bisschen hart für meine sensiblen Ohren. Da ich die Kleine erst so spät auserwählt hatte, steht auch nur Kallista Kabarett im Stammbaum, aber braucht man als „Liebhaber“ überhaupt einen Stammbaum? (Das Studieren von Stammbäumen kann übrigens wirklich hochinteressant sein, aber davon ein andermal mehr.)

Zum Glück hatte ich in meinen schlaflosen Nächten für alle Fälle auch noch eine Liste mit Mädchennamen gemacht, vor allem in der Nacht vor der Abholung, als ich genau wußte, wenn ich zu benennen hatte. So ein helles Mädchen brauchte einen hellen Namen. Irgendetwas Leichtes, Elfenhaftes vielleicht? Ein Name mit L paßte sicher gut. Zum Beispiel Lametta, Lucinda, Lunabelle, Lumina, Lollipop, Loretta, Lantana oder Luna? Als die Kleine endlich hier war und nach Herzenslust gegessen und getrunken hatte, fing ich an, ihr meine (ziemlich lange und A-lastige) Liste vorzulesen.

Und dann geschah etwas Wunderbares: Sie suchte sich tatsächlich selbst ihren Namen aus und hört darauf absolut zuverlässig. Immer. Von Anfang an. Meistens gurrt oder zirpt sie sofort, wenn sie ihn hört. Sie redet eh gern und viel. Vor allem aber kommt sie sofort und springt einem auf den Schoß oder auf die Schulter.

Es war eine lange Liste. Hier ein Auszug: Ella, Cara, Tara, Lana, Fara, Sara, Lara, Amanda, Marmalade, Mandarina, Lada, Alba, Flora, Luna (hier maunzte sie und spitzte die Ohren), Ava, Mila, Alma, Hazel, Mela, Mala, Morgana, Galyna, Mokka, Creamy, Rosmerta, Akimba, Stella (hier gurrte sie, legte den Kopf schräg und kam einen Schritt auf mich zu). Ich probierte spontan die Kombination Stellaluna (mit langem, hohem U), und schon flog sie mir begeistert gurrend an den Hals, legte beide Ärmchen um meinen Nacken und „küsste“ mich auf den Mund. Wenn das nur immer so einfach wäre! Es war wirklich eine gute Wahl.

Stella ist das lateinische Wort für Stern, was hervorragend paßt, denn Callisto ist ja das Sternbild der großen Bärin. Und Luna ist das lateinische Wort für Mond. Zwar kein Stern, sondern ein Satellit, aber immerhin auch am Himmel. Perfekt. Ich habe ein schönes Bilderbuch, das Stellaluna heißt und von einer Fledermaus handelt. Der Einband ist so wunderbar blau, dass ich ihn auf dem Bilderbuchregal stets on display habe. Ich fand den Namen schon immer schön, aber erst durch meine Katze ist mir aufgegangen, wie schön er ist.

Kleeblatt Stellaluna, Hathaway und Krispin (BFL)

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Eine Antwort zu Wie Stellaluna zu ihrem Namen kam

  1. marion sagt:

    Das war ja eine herrliche Abendlektüre! ich staune über den Prozess der Namensgebung im Sinne der Geschöpfe. Bei Menschen geschieht das nicht im Einklang. Außerdem ist es mir unerklärlich, wie man so viele Versuchsnamen parat haben kann. die 3 Kätzchen sind eine Wonne, die mit den passenden Namen noch erhöht wird. Genießt euch gegenseitig.

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