Maine Coons sind Spätentwickler – Stellaluna

Besonders meinem Katzenmädchen hätte ich gern mehr Zeit zur Spätentwicklung gelassen, doch wieder kam alles anders als geplant. Als ich am 29. Dezember wach wurde, hörte im Flur heftiges Gurren und Zirpen. Stella war rollig. Man konnte es auch sehen, denn sie rollte und wälzte sich auf dem Boden, rieb ihr Köpfchen an Teppichen, Möbeln und Wänden, reckte ihr Hinterteil hoch und schob sich munter durch die Zimmer wie ein silberroter Schneepflug mit weißen Pfötchen. Krispin beobachtete das Treiben aus sicherer Entfernung, während Hathaway das machte, was Kater nun mal machen müssen. Allerdings wirkte er dabei reichlich gestresst.

Stella Schulterkatze

Was tun? Was für ein saublöder Zeitpunkt, unmittelbar vor Silvester und Neujahr und vor allem so kurz vor den diversen wichtigen Arztterminen meines Mannes. „Katzen auf gar keinen Fall in der Rolligkeit kastrieren lassen!“ hallte es durch meinen Kopf, und ich fühlte mich abgrundtief schuldig. Wieder zu lange gewartet! Schon wieder hatte ich mich vom zierlichen Körperbau einer Kätzin täuschen lassen und nicht damit gerechnet, dass sie mitten im Winter rollen würde. Aber diesmal hatte ich leider erstmals auch noch einen potenten Kater im Haus, was alles noch schlimmer machte. Vielleicht war es ja nicht so wild, weil die Raunze gerade erst angefangen hatte? Die Katerbrüder wirkten jedenfalls beide verstört.

Voruntersuchung und OP

Nach dem Frühstück machte ich in der Hauptpraxis einen Termin bei der neuen Tierärztin (zur Voruntersuchung). Ich hatte Glück, es klappte noch am Nachmittag. Die Zeiten, in denen man während der Sprechzeiten einfach mal schnell in die (für mich fußläufige) Praxis gehen und sich ins Wartezimmer setzen konnte, sind leider dahin. Jetzt geht das nur noch mit Termin. Leider gibt es auch keine Hausbesuche mehr. Meine alte Tierärztin war ab und an nach der Sprechstunde vorbeigekommen, damit ich die Katzen nicht alle schleppen musste, vor allem fürs Impfen. Auch die jetzigen Drei hat sie hier gechippt und geimpft und meine betagte Alice am Ende ihres Lebens fast nur noch hier behandelt, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Aber vielleicht hat sie das auch nur getan, weil wir uns ewig kannten und sie auf der anderen Straßenseite praktizierte.

Kleine Küchenfee

Seufzend packte ich Stella in den Kennel, wobei mich ihre Brüder von der Treppe aus kritisch beobachteten. Auf dem Untersuchungstisch wirkte Stellaluna überhaupt nicht mehr rollig, und zum Glück war auch alles mit ihr in Ordnung (kein Herzfehler, muss man abklären, Tiere werden nur kastriert, wenn sie vorher untersucht worden sind). Ich hatte wieder Glück und bekam einen OP-Termin schon für den nächsten Tag, diesmal um 10. Aber Stella würde in der Hauptpraxis operiert werden, die eine halbe Stunde Autofahrt entfernt war, insgesamt also zwei Stunden Fahrt für uns. Ob die Katze die Fahrt vertragen und die OP gut wegstecken würde? In der Nacht lag ich lange wach und fand nur unruhigen Schlaf.

Die Vorbereitungen zur Kastration kannte ich ja. Ab Mitternacht  bzw. 10 Stunden vor dem Eingriff kein Fressen mehr, also sammelte ich gewissenhaft alles ein, was im Haus herumstand, auch etwaige Leckerchen in den Regalen mussten weg, denn Hathaway hat lange Arme und Stella kann gut springen. Der Wassernapf durfte stehen bleiben, das arme Tier soll ja nicht austrocknen. Stellaluna war das alles ohnehin herzlich egal, denn sie rollte immer noch eifrig herum, war allerdings in der Nacht still. Im Vergleich zu meinen früheren Kätzinnen, die meistens wie exzentrische Operndiven klangen, war sie extrem leise, ihre Rufe erinnerten eher an freundliches Zirpen und leises Gezwitscher. Hathaway wirkte hibbelig und angeschlagen, war wohl doch etwas viel für ihn. Für mich auch! Er war übrigens in letzter Zeit stark gewachsen und hatte Krispin deutlich überholt, was Gewicht und Größe betraf.

Stella Schrankkatze

Wie beim letzten Mal füllte ich ein Kostenvoranschlag-Formular aus, alles in allem lagen wir diesmal dank der neuen GOT knapp unter 400 Euro,  und man riet mir dringend, Stella nach der OP einen Body als Leckschutz tragen zu lassen, damit sie die Wunde ja in Ruhe ließ. Von Katzenbodys hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört. Aber man lernt ja dazu. Einen Kragen würde sie nicht tolerieren, das war klar. Also kreuzte ich brav „Body“ an (Größe: klein).

Stella war stoisch wie all meine Coone (außer Alice in jungen Jahren), gab während der Fahrt keinen Mucks von sich, lag im Kennel und schaute mich aus goldgelben Augen vertrauensvoll an. Die Kleine in der fremden Praxis zu lassen und katzenlos nach Hause zu fahren, weckte sofort traurige Erinnerungen, und ich war den Tränen nahe. Die Wartezeit zog sich zäh dahin, ich konnte mich einfach nicht beschäftigen, der kleine silberrote Wirbelwind fehlte. Auch die Kater wirkten reduziert und wollten nicht mal fressen.

Um 12 rief die Praxis an, alles in Ordnung, wir könnten die Kleine jetzt abholen. Den Moment, als mir eine freundliche Fremde den Kennel überreichten, werde ich nie vergessen. Stellaluna, die in einem eng anliegenden roten Anzug steckte, in dem sie dünn und sehr niedlich aussah, hatte mich offenbar an der Stimme erkannt und streckte mir leise maunzend ihre Ärmchen durch das Kennelgitter entgegen.

Es war einmal …. ein roter Katzenbody

Stella mit Body

„Den Body muss sie jetzt zwei Wochen tragen.“ Leckschutz muss sein! Wie bitte? Zwei Wochen? Genau wie all meine Kater hatten auch meine Katzen nach der Kastration nie irgendetwas tragen müssen, meine früheren Tierärzte hatten mir auch nie so viel Angst vor dem potentiellen Belecken von OP-Wunden gemacht. Offenbar sah man das inzwischen nicht mehr so locker wie früher. Nur gut, dass sich wenigstens die Fäden nach wie vor von selbst auflösen würden (Catgut heißt das resorbierbare Nahtmaterial, das hatte sich offenbar nicht geändert). Aber vielleicht war ein warmer Body ja auch ganz praktisch im Winter? Immerhin war Stellas Bauch kahl rasiert. Mit der Rolligkeit war es jetzt jedenfalls vorbei. Ich hoffte, dass sie nicht zu gestresst war, der Spuk hatte ja nur einen einzigen Tag gedauert.

Postoperative Freßorgie

Stellaluna war nach der OP deutlich matter als Krispin und verschlief den größten Teil der nächsten Tage, was verständlich war, denn sie hatte ja einen richtigen Bauchschnitt.

Das erste Fressen nach der OP

Doch auch sie wollte sofort fressen, nachdem sie zum ersten Mal nach der Heimkehr den Kennel verlassen hatte. Sie vertilgte sogar noch mehr als ihr Bruder und schlug sich heißhungrig drei Portionen in den frisch operierten Bauch. Ich habe diese eher mäkelige Katze noch nie so viel und so hastig fressen sehen.

Nach der ersten Mahlzeit legte sie sich in den Kennel und zitterte plötzlich am ganzen Körper. Dabei schnurrte sie laut, aber es klang völlig anders als sonst. Ob sie Schmerzen hatte? Katzen schnurren auch, um sich selbst zu beruhigen. Manche Katzen schnurren sogar, wenn sie sterben. Das Zittern hörte nach einiger Zeit zum Glück wieder ganz von selbst auf. Auch Stella zeigte kaum Nachwirkungen von der offenbar wirklich eindrucksvollen Narkose, sie war orientiert, ihre Augen waren klar, und sie war auch recht sicher auf den Beinen. Nicht ganz so sicher wie Krispin, aber sie war ja auch gewandmäßig gehandicapt.

Sie schaffte es in dem dekorativen roten Body, der hinten für meine Augen reichlich komisch saß (total viele Druckknöpfe), auch mühelos und ohne Malheur regelmäßig ins Katzenklo. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Während der Body-Zeit hat sie sich kein Mal eingenäßt, wie ich insgeheim befürchtet hatte.

Liebe Wachkater

Ihre Brüder waren wie erwartet ausgesprochen zärtlich, beschnupperten sie freundlich, leckten ihr abwechselnd das Köpfchen, verwandelten sich in geduldige sphinxartige Wachkater und wichen ihr nicht von der Seite. Als Stella nach zwei Stunden erneut aus dem Kennel stieg, legte sie sich sofort auf den eisigen Fliesenboden im Flur und war von dort nicht mehr fortzubewegen. Ich traute mich kaum, sie hochzunehmen, aus Angst ihr weh zu tun, weil ich die Wunde ja nicht mal sehen konnte.

Kleeblatt

„Wenn sie sich gar nicht bewegt“, hatte man mir in der Praxis eingeschärft, „ziehen Sie ihr bitte den Body aus. Es gibt Katzen, die werden davon komplett unbeweglich, und das darf natürlich nicht sein.“ Unbeweglich war sie nicht, aber ungewohnt ruhig und passiv. Bequem war das dünne weiche Teil wohl nicht, auch wenn es locker saß. Irgendwie wirkten Stellas Hinterläufe unkomfortabel, denn sobald sie aufstand, streckte sie auffallend und ganz anders als sonst die Hinterbeine lang. Außerdem lief sie damit komisch. Wahrscheinlich saß er nicht richtig. Ich versuchte mein Bestes, um ihr zu helfen. Aber ich hatte ja leider bodymäßig so gar keine Erfahrung. Die plötzliche Ruhe war unheimlich. Sogar das Haus schien den Atem anzuhalten, weil die quirlige Stellaluna nicht wie sonst überall herumtobte.

Wie entfernt man ein OP-Pflaster?

Zwei Wochen würde Stella den Body nie im Leben tragen. Das war mir klar, als sie nach vier Tagen jämmerlich zu schnattern begann, eine Lautäußerung, die ich von ihr noch nie gehört hatte, wenn man ihren Rücken und die Hinterläufe berührte, und den Po nicht mehr richtig hochbekam. Irgendetwas schien ihr weh zu tun. Ob die Hinterläufe abgeschnürt waren? Irgendwas mit der Wunde nicht stimmte? Was tun? Am besten nachschauen. Ich knöpfte unter ziemlichem Herzklopfen vorsichtig den Anzug auf, was sie sichtlich erfreute. Sie begann sofort, sich das ungewohnt platt anliegende Fell auf dem Rücken zu lecken, bis es wieder schön plüschig war. Für den Bauch interessierte sie sich zum Glück nicht. Ganz im Gegensatz zu mir.

rot gewandet

Zu meinem Schrecken bemerkte ich, dass ein Pflaster über der OP-Wunde klebte und Stella einen ordentlichen Bluterguss am Bauch hatte. Leicht panisch rief ich in der Praxis an und erfuhr, dass ich das Pflaster schon am zweiten Tag hätte entfernen sollen. „Hat man Ihnen das nicht gesagt?“ Das hatte ich irgendwie nicht mitbekommen und war ja zudem davon ausgegangen, dass sie den Body vierzehn Tage lang (an einem Stück) tragen müsse. Das Pflaster war an einer Stelle mit dem Fell verklebt und Stella ließ es sich partout nicht freiwillig entfernen. Sie raste sofort panisch weg und versteckte sich an den unzugänglichsten Stellen, wenn ich ihr zu nahe kam. Wegen des Blutergusses traute ich mich auch nicht, den Bauch zu berühren. Den Body konnte ich ihr nur mit Mühe und tatkräftiger Hilfe meines Mannes wieder anziehen. Die Katze wehrte sich dagegen mit allem, was sie aufzubieten hatte, und sie besitzt nadelscharfe Krallen. Was für ein Glück, dass sie keine Poly ist!

Wir fuhren notgedrungen erneut mit ihr in die große Praxis, denn die Tierärztin hier im Stadtviertel war inzwischen in Urlaub. Das Pflaster wurde mühelos entfernt. Einer hielt die Katze lang gestreckt hoch, der andere löste das Pflaster, so haben wir es danach auch mit Hathaway gemacht, aber das muss man ja erst mal wissen. Danach landete Stella wieder in ihrem roten Body, was sie nicht gut fand. „Zwei Wochen mindestens!“ wiederholte die Ärztin. Den Bluterguss konnte man sich nicht erklären, aber die Wunde sah sehr gut aus und wurde fotografiert. War ich schuld an dem blauen Fleck? War es bei der OP passiert? Hatte sie sich hier irgendwo verletzt? Ich machte mir bittere Vorwürfe. „Auf gar keinen Fall in der Rolligkeit kastrieren!“ hallte es durch meinen Kopf. Das Hämatom verschwand zum Glück blitzschnell, man konnte ihm dabei förmlich zusehen. Stella nahm brav ihr Schmerzmittel (5-7 Tage, hatte man mir gesagt, aber am sechsten Tag begann sie dabei zu würgen und ich gab es ihr danach nicht weiter), wenn auch weniger begeistert als der verfressene Krispin. Dass sie in den ersten Tagen so viel auf den kalten Fliesen lag, war möglicherweise ihre Art der Schmerzbekämpfung. Kühle tut sicher gut bei Wundschmerzen.

Wohl dem, der hilfreiche Brüder hat

Stella Bücherkatze

Stella ist längst wieder die alte und hat ihren Body wie erwartet keine zwei Wochen getragen. Mitnichten. Was nicht an mir lag. Von dem roten Ding haben sie ihre geschickten Brüder noch in der Nacht nach der Pflasterentfernung auf für mich völlig mysteriöse Weise befreit. Morgens lag der Body leer und untadelig zugeknöpft wie eine Trophäe vor unserer Schlafzimmertür, als hätte nie eine Stella darin gesteckt, und drei Coone saßen aufgereiht dahinter und (ich kann es nicht anders ausdrücken) grinsten überaus stolz. Wahrscheinlich sollte das rote Teil ein Geschenk für mich sein. Ich musste beim Anblick des Trios lachen. „Okay, das Ding bleibt aus“, versprach ich, und schon raste ein glücklicher silberroter  Wirbelwind an mir vorbei ins Zimmer. Stella sollte natürlich nicht springen, aber sie hat es trotzdem gemacht. Zum Glück ist nichts passiert.

Sie hat sich übrigens während der ganzen Zeit nicht die Bohne für die OP-Wunde interessiert. So viel zum Thema Leckschutz. Als zum Schluß nur noch ein kleiner harter Fädchenknoten auf ihrem Bauch prangte, konnte ich ihn problemlos mit zarten Fingern ziehen.

Stellaluna vom Body befreit

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