Als Stellaluna sich von ihrer Kastration erholt hatte, war endlich Hathaway an der Reihe. Es war höchste Zeit. Sein Urin roch bereits katerig streng, er war dabei, einen Fettschwanz zu entwickeln (beste Therapie: Kastration) und die freundlichen Deckversuche bei seiner Schwester hatten ihn hormonell offenbar in ziemliches Chaos versetzt. Ich hatte ehrlich gesagt leichte Bedenken, dass er vor lauter Testosteron womöglich anfangen könnte zu markieren, das kannte ich schon von Ben, aber Hathaway blieb zum Glück „brav“.
Alles wie gehabt. Jetzt zum dritten Mal. Hauptpraxis anrufen, Termin zur Voruntersuchung in Nebenpraxis machen (die junge Tierärztin war aus dem Urlaub zurück) und an einem Januarmittwoch mein Riesenkaterbaby in die Nebenpraxis zur Voruntersuchung bringen. Aber wie? Längere Strecken tragen kann ich ihn schon nicht mehr, dazu ist er zu schwer. Eine Nacht lang grübelte ich, wie ich ihn ohne fremde Hilfe am besten verfrachten könnte, denn meinem Mann, sonst ein hervorragender freiwilliger Kennelträger, ging es rückenmäßig gar nicht gut. Für die kurze Strecke ein Taxi bemühen? Der Fahrer hätte mich ausgelacht. Einen starken Nachbarn fragen? Mir fiel keiner ein. Ich grübelte weiter. Alles eine Frage der Logistik, und Nächte sind bekanntlich lang und bieten Schriftstellerinnen viel Gedankenspielraum, besonders in Richtung Katzastrophen und deren Bewältigung und Vorbeugung. Die Visionen, in denen mein Kater aus dem Kennel sprang oder stürzte, weil der Boden das Gewicht nicht aushielt oder die Tür nicht richtig zu war, machten mich ziemlich nervös. Genau wie die Aussicht auf eine katzengewichtinduzierte Wirbelsäulenverzerrung. Help!
Als der Morgen graute, hatte ich endlich, endlich die rettende Erleuchtung und konnte einschlafen. Außer dem Kennel brauchte ich nur noch einen stabilen Koffergurt und die rote Sackkarre aus der Garage. Die Generalprobe sollte nach dem Frühstück stattfinden, ohnehin für alles die beste Zeit. Es klappte tatsächlich, auch wenn mein Mann beim Anblick der Karrenkonstruktion ungläubig fragte: „WAS MACHST DU DENN DA? Das klappt doch nie?“ Sogar besser als gehofft, weil der abenteuerlustige und stets gechillte Hathaway sofort begeistert mitspielte. Er ist erstaunlich angstfrei und inspiziert alles, was ihm vor die Nase kommt, auch wenn es noch so eng ist.
Die Sackkarre (aufwändig gesäubert, man will ja einen guten Eindruck machen) nebst festgezurrtem Kennel stand einladend an der Treppe. Hathaway kletterte gleich hinein, drehte sich einmal um sich selbst und machte ein Nickerchen. Dass er dabei leicht schräg lag, störte ihn nicht. Ich hätte nur die bereits eingehängte Gittertür verschließen müssen, aber noch war ja Zeit. Krispin und Stellaluna machten sich leider bald daran, die Konstruktion samt Hathaway im Gehäus umzukippen, und mussten abgelenkt werden. Das ist einfach, man muss nur eins der vielen Spielzeuge durch die Gegend zu werfen. Sofort sprinten sie los und apportieren begeistert wie Jagdhunde. Maine Coons können das offenbar automatisch, allerdings apportieren sie jeweils unterschiedliche Objekte, Stellaluna Piepsmäuse und Stofftierchen, Krispin kleine weiche Fellmäuse, Hathaway flache runde Gegenstände (wie Frisbees) und alles, was da raschelt und knistert.
Ich benutze zum Transport immer denselben Kennel. Er steht jahraus jahrein im Wohnzimmer neben dem Sofa und hat all meinen Katzen als Lieblingsbett und Rückzugsort gedient. Mir ist wichtig, dass meine Katzen sich vor ihrem Kennel nicht fürchten, auch nicht nach unangenehmen Aktionen, sonst werden sie schon beim Anblick nervös und man muss sie mit Gewalt hineinsetzen. Es gibt Katzen, die fliehen schon, wenn sie das Objekt des Grauens nur von ferne sehen, meine Katzen steigen immer freiwillig hinein. Ich habe im Haus gleich mehrere gemütliche Kennel. Da sie aus Kunststoff sind, kann man sie problemlos säubern, falls mal ein Malheur passiert. Ist aber noch nie eins passiert.
Kurz vor dem Termin schloss ich den Kennel, was Hathaway dann doch etwas überraschte, und rumpelte ihn vorsichtig über die stark befahrene Straße zur Tierarztpraxis. Er saß schräg, aber gefasst. Die Tierärztin begrüßte mich wie eine alte Bekannte. „Das ist also der dritte! Meine Güte, ist der riesig!“ Ja, das ist er. Und außerdem sauschwer. Ich hoffte inständig, dass er nicht traumatisiert war von der rumpeligen Fahrt. Aber nein, der Transport hatte ihm nichts ausgemacht, er stieg aus, war entspannt und neugierig und ließ sich sogar ohne Gegenwehr an empfindlichen männlichen Stellen untersuchen. Er legte nicht mal die Ohren an.
„Gut, dass Sie es schon selbst gemerkt haben, meistens fällt es erst auf, wenn uns die Tiere vorgestellt werden.“ Sie tastete seinen Bauch ab und meinte: „Ich glaube, ich kann da was fühlen. Wenn wir Glück haben, sitzt das Ding in der Leistenspalte, dann braucht er nur einen Hautschnitt.“ Ich flehte zu allen Katzengöttern, dass sie recht haben möge. „Einen Body braucht er nicht, aber er muss zwei Wochen lang eine Halskrause tragen. Wie lange hat Krispin seinen Kragen denn getragen?“ Ich bin ein ehrlicher Mensch. „Nicht sehr lange.“ Sie wirkte nicht wirklich begeistert: „Letztendlich ist es ja Ihre Entscheidung. Wir Tierärzte können nur sagen, was wir für das Beste halten.“ Zum Glück fragte sie nicht auch noch nach Stellalunas rotem Anzug.