Kölner Westen – zum Tod von Dieter Höss

Am Samstag fand ich im Kölner Stadt-Anzeiger die Todesanzeige des Schriftstellers Dieter Höss, der am 11. März verstorben ist, und war einfach nur traurig. Wie bei allen Todesanzeigen in diesen Tagen las ich auch hier den schrecklichen Satz „Die Trauerfeier in Köln kann wegen des Coronavirus nicht stattfinden“. In der jetzigen Ausnahmezeit können Verstorbene nicht mehr gemeinsam betrauert werden. Auch Dieter nicht. Wir waren nicht nur Kollegen, sondern auch gute Bekannte. Dieter war ein bemerkenswerter Mensch, witzig, klug, freundlich und überaus warmherzig. Ursprünglich stammte er aus dem Allgäu und wurde am 9. September 1935 in Immenstadt geboren. Nun ist er dorthin zurückgekehrt, zurück ins Land seiner Väter („Zurückgekehrt ins Land meiner Väter? Dass ich nicht lache. Das ganze Land zwischen Iller und Immach hat immer Baronen und Grafen gehört“).

Wie oft hat er mich im Laufe der Jahre abgeholt, und wir sind gemeinsam zu den Treffen des Kölner Schriftstellerverbands gefahren. Auf der Fahrt haben wir meistens über Schottland und England geplaudert, manchmal hat er auch lustige Geschichten über seinen Hund erzählt. Bei den Treffen saßen wir stets nebeneinander und anschließend unterhielten wir uns über den Abend und über gemeinsame Bekannte, während Dieter mich durchs dunkle Köln sicher zurück nach Hause fuhr. Er wohnte in Junkersdorf, also eigentlich nur um die Ecke, und trotzdem haben wir uns nie richtig besucht, obwohl wir es immer vorhatten. Jetzt ist es zu spät. Wie erschreckend schnell das geht, wird mir wieder einmal mehr bewußt. Wenn wir uns trafen, haben wir viel miteinander gelacht, und sein feiner, spöttischer (ziemlich britischer) Humor, seine subtile Schlagfertigkeit sowie seine unverwechselbare Stimme werden mir und ganz sicher vielen Menschen fehlen. Von seinen liebevoll gestalteten Büchern habe ich natürlich etliche, ganz besonders mag ich die lustigen „Hai-Kuhs“ und den Rückblick auf seine Kindheit. Wir waren verblüfft, als wir feststellten, dass wir beide als Kinder „Les Preludes“ von Liszt mochten. Ich fand die Musik damals so schön, dass ich sie sie ganz laut abspielte und mich von den Klängen begeistert davontragen ließ. Plötzlich stürzte meine Mutter ins Zimmer und schrie: „Mach das sofort aus! Das haben die Nazis immer gespielt!“ Ich war entsetzt, und das Stück war danach nie mehr dasselbe. 

Schottland (BFL)

Vielen Kölnern ist Dieter Höss wohl noch als „King of Limericks“ bekannt, denn Limericks waren seine ganz besondere Spezialität, und viele Jahre lang erschienen seine kleinen Kunstwerke wöchentlich im Kölner Stadt-Anzeiger. Seine Bücher hat er mit feinem Strich selbst illustriert, denn er war von Hause aus Grafiker. Seine Gedichte erschienen in zahlreichen Zeitschriften, u.a. „Stern“, „Die Zeit“ und „Pardon“. Für meinen Köln-Roman hat Dieter der kleinen Hauptperson, die ein echter Fan von ihm ist, sogar extra zwei Haikus gedichtet. Marigard hat sich wahnsinnig gefreut und ist sehr stolz auf ihre eigenen Gedichte. Noch zu Weihnachten hat Dieter mir geschrieben, und nie hätte ich damit gerechnet, dass er so schnell für immer fort sein würde. Jetzt ist er plötzlich und unerwartet gestorben. Er wird mir fehlen.

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Kölner Westen – Wenn am Himmel die Stääne danze

Nachthimmel (pixel2013/pixabay)

Gestern Abend um 21:00 Uhr sang (fast) ganz Weiden „In unserm Veedel“, und diesmal habe ich endlich auch etwas gehört an der überbreiten Aachener Strasse, denn es gibt zum Glück immer mehr Weidener, die mitmachen, jetzt auch in meiner Nähe. Dazu beigetragen hat, dass der Hausmeister der Schule in unserer Nachbarschaft mit seiner Übertragungsanlage geholfen hat. Vielen Dank! Eine Nacht vorher war hier noch NICHTS zu hören und wir haben uns sehr einsam gefühlt.

Auch beim Glockenläuten (um 19:30 Uhr) hat sich die Reaktion gestern verbessert, denn diesmal stand ich nicht allein mit meinem Mann an der Straße. Auf der anderen Seite erschien eine Nachbarin, öffnete ihr Fenster und versuchte ebenfalls, den Glocken zuzuhören, und zwischendurch haben wir uns zugewunken. Leider lärmten ausgerechnet zur Glockenzeit besonders viele Autos vorbei, die alles übertönten. Ich bin mir nicht sicher, ob hier auch die Glocke der Evangelische Kirche schon mitläutet.

St. Michael, Belgisches Viertel (BFL)

Der Moment, in dem die Glocken zu läuten anfangen, berührt mich jedesmal. Es fühlt sich archaisch an, uralt, tröstlich, vertraut, heimatlich, kinderzeitlich. Schade, dass meine „Seelenkirche“ St. Michael nicht hier in Weiden steht. Als ich noch im Belgischen Viertel wohnte (immerhin 14 Jahre), war das Läuten ein fester Bestandteil meines Tages. Wenn die Autos doch nur kurz stehen bleiben würden, wenn die Glocken läuten. Vielleicht gehe ich heute Abend in den Garten, denn unsere Büsche filtern den Straßenkrach. Aber dann kann ich der Nachbarin nicht zuwinken, falls sie wieder ans Fenster kommt. Jammerschade, dass man den Dom nicht bis zu uns hören kann. Ob es eine Übertragung im Radio oder online gibt? Dann könnte ich mein Laptop vor die Haustür stellen und richtig aufdrehen.

Fenster in Kevelaer (BFL)

Heute Abend um 18:00 Uhr spielen hier in Köln übrigens viele Musiker von ihren Fenstern oder Balkonen aus „Freude schöner Götterfunke“. Aber ob ich davon etwas mitbekomme? Vielleicht stellt ja anschließend jemand auf fb ein Video ein, so wie gestern mit „In unserm Veedel“.

Später, diesmal um 20:00 Uhr (aktuelle Terminänderung),  singen wir „Stääne“, und darin kommen auch Glocken vor. Das wird bestimmt wieder emotional, aber Kölner haben kein Problem damit,  Gefühle zu zeigen, und wir haben hier so viele schöne Lieder und tolle Gruppen, dass man damit auch eine längere Quarantäne durchstehen kann. Das Lied heute Abend ist von den Klüngelköpp.

 „Wenn am Himmel die Stääne danze
Un dr Dom sing Jlocke spillt
Jo dann weiß ich dat ich doheim bin
Jo doheim bin heh am Ring“

Um 21:00 Uhr folgt dann Radio Köln mit „In unserm Veedel“, da hat Weiden vor, ebenfalls mitzumachen. Also ein gesangvoller Sonntag.

Ich bin “nur“ ein Immi, gleich nach der Schule hergezogen, aber viele meiner Vorfahren kamen aus Köln, und etliche Verwandte wohnten hier. Mir war immer klar, dass ich eines Tages nach Köln ziehen würde. Seit langem bin ich hier zu Hause. Wenn ich von irgendwoher zurückkomme und in der Ferne den Dom sehe, atme ich tief durch und bin froh. Auch nach so vielen Jahrzehnten noch. Jo dann weiß ich, dat ich doheim bin, jo doheim bin heh am Ring.

Coronaleere Evangelische Kirche Weiden (BFL)

Heute ist Sonntag. Viele Weidener wären heute morgen in ihren Kirchen gewesen. Das ist jetzt leider nicht mehr möglich. Noch vor wenigen Wochen hätte ich mir das nicht vorstellen können. Keinen Menschen mehr sehen! Keinen mehr treffen! Solidarität zeigen, indem man sich voneinander fernhält! Social Distancing als lebensrettende Maßnahme!

Doch die Kirchen lassen ihre Gläubigen auch jetzt nicht allein, nicht nur das Glockenläuten erinnert daran. Seit dem 15. März sind alle Gottesdienste abgesagt. Wie kann man da noch Gemeinde sein und gemeinsam Gottes Wort hören, Trost finden und trösten? Der Pfarrer unserer evangelischen Gemeinde hatte da eine schöne Idee: die „Oasen-Worte in Wüsten-Tagen“. Wer mitmachen möchte, kann einen kurzen Text mit seinen Gedanken aus dem eigenen Corona-Alltag und einem „guten Wort“ als Audio-Datei auf der Website der Gemeinde (ev-kirche-weiden.de) einstellen. So können wir auch in dieser schweren Zeit verbunden bleiben und einander hören und uns gegenseitig Mut zusprechen.

Schmuckmadonna im Dom (BFL)

Vielleicht haben ja die katholischen Gemeinden hier in Weiden auch Wege zueinander gefunden? Ich selbst bin katholisch aufgewachsen, war lange kirchenlos und bin jetzt evangelisch, ich bin also „bi-religiös“ und froh, dass ich auch die alten katholischen Rituale kenne. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Frauen in meiner Familie bei Problemen, Unwettern und in Zeiten großer Krisen „zu Maria gingen“ und Kerzen anzündeten. Vor allem, wenn geliebte Menschen krank waren, im Sterben lagen oder gerade verstorben waren. Hier in Köln gibt es gleich zwei berühmte Marien-Kraftorte, die Schmuckmadonna im Dom und die Schwarze Madonna in St. Maria in der Kupfergasse.

Vor der Schmuckmadonna (BFL)

Beide sind alte Pilgerorte, nicht nur in Zeiten der Not, und es hat in der Tat etwas Tröstliches, für sich selbst oder für liebe Menschen in Gefahr eine Kerze dort zu entzünden und sich still auf eine der Bänke zu setzen, die flackernden Lichter zu betrachten und denen, um die man sich sorgt, gute Gedanken zu schicken. Es ist aber auch schön, dorthin zu gehen, um sich zu bedanken, wenn alles gut gegangen ist, oder Trost zu finden, wenn man Schlimmes erfahren hat oder die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind. Am Niederrhein hatte damals so gut wie jede Familie eine Marienstatue, meist in Form der Schutzmantelmadonna. Ich habe die alte Statue meiner Eltern geerbt, die ein Holzschnitzer in den Dolomiten vor vielen Jahren eigens für meinen Vater gemacht hat.

Der Dom bietet auf seiner offiziellen fb-Seite die schöne Möglichkeit, auch aus der Ferne eine Kerze anzuzünden. Jeden Morgen werden die vielen Gebete und Bitten der Menschen mitgenommen. In den Dom, zu den Kerzen, zu Maria. Es ist bewegend, die Gedanken der Menschen zu lesen. Menschen aus aller Welt haben dort geschrieben, was sie bekümmert in diesen Tagen.

Schwarze Madonna, Köln (BFL)

Ob man auch bei der Schwarzen Madonna aus der Ferne Kerzen anzünden kann, weiß ich nicht. Ihre Kerzen sind noch „wie früher“, lang und weiß, und man kann sie vor dem kleinen Raum, in dem sich die Statue befindet, anzünden. Schwarze Madonnen oder Schwarze Göttinnen gelten als etwas Besonderes, und ich habe dies noch nie so stark gespürt wie in der dämmrigen, unheimlichen Grotte der Schwarzen Sara im französischen Saintes Maries de la Mèr. Ich kann gut verstehen, dass die Frauen in meiner Kindheit zu Maria beteten. Wie oft ging Oma (die selbst Maria hieß) mit mir „ein Kerzken anmachen“. Ich durfte dann den Docht an einer anderen Kerze entzünden und unsere Kerze vorsichtig in einen der vielen schwarzen Ständer stellen. Und im August pilgerte der ganze Ort nach Kevelaer. Zu Fuß. Mit Blasen unter den Füßen. Ich fand es ziemlich beschwerlich, aber ich liebe Kevelaer.

Kerzen bei der Schwarzen Madonna (BFL)

 

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Kölner Westen – Frühling in Weiden

Auf dem Weidener Friedhof (BFL)

Nach der harten letzten Woche voller Live Ticker, Schreckensmeldungen und sich überschlagender Corona-Updates habe ich heute einfach nur noch das Bedürfnis, nach draußen in den Garten und hinaus in unser blühendes Veedel  zu schauen.

Auf den ersten Blick sieht alles aus wie immer, friedlich und freundlich, nur dass es heute kälter ist als in den letzten Tagen. Es ist windig, und es soll sogar Frost geben. Die Magnolie am Emil- Schreiterer-Platz blüht genau so üppig wie jedes Jahr, auch meine kleine Sternmagnolie im Garten gibt sich richtig viel Mühe, obwohl sie aus Platzmangel nur in einem Kübel steht. An der Weidener Kirche sprießen eindrucksvoll die leuchtend roten Blätter der Glanzmispeln wie kleine Feuerspieße in die Höhe, und überall entdeckt man pralle Knospen und junges Laub. Doch die Menschen sind ernst, und fast alle bleiben hier in Weiden in ihren Wohnungen und Häusern. Heute hat zu meinem Kummer kaum jemand zurückgelächelt. Vielleicht stimmt meine Theorie vom freundlicheren Miteinander doch nicht. Wäre schade.

bei „Garten Müller“ (BFL)

Ganz habe ich gestern das Zuhausebleiben nicht geschafft, zu groß war das Bedürfnis, schnell noch etwas Blühendes ins Haus und in den Garten zu holen, und den Büschen vor dem Haus, die das ganze Jahr lang die Abgase der Aachener Straße ertragen müssen, einen ordentlichen Dünger zu spendieren. Eine meiner Glanzmispeln hat viele dunkle Flecken auf ihren Blättern und verlangt dringend nach einer kleinen Frühlingskur. Die Garten Center sind ja zum Glück noch geöffnet, doch wenn die Ausgangsbeschränkungen weiter zunehmen, ist es für einen Besuch zu spät.

Also waren wir kurz bei „Garten Müller“. Ich habe etliche Fotos gemacht, wollte die ganze Frühlingspracht irgendwie festhalten und mit nach Hause nehmen. Am großen Teich lärmten die weißen Gänse, und überall standen und hingen blühende Pflanzen. Ein bisschen hat es sich wie Abschied angefühlt. Aber das Gefühl hatte ich auch schon, als wir auf dem Friedhof waren und die Narzissentuffs bewundert haben. Wie würde die kleine Anna in dem Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ sagen? „Aufwiedersehen, Narzissen! Aufwiedersehen, Bäume! Aufwiedersehen, kleines Eichhörnchen!“ Die Bäume an der Igny-Straße waren bunt vor Gießkannen. „Aufwiedersehen, ihr Bäume mit den Gießkannen!“ Alles wirkte fröhlich und beschwingt. Nur die Menschen nicht.

bei „Garten Müller“ (BFL)

Am liebsten hatte ich bei „Garten Müller“ einen ganzen Lieferwagen voller Blumen mitgenommen, doch aus Vernunftgründen kaufte ich dann doch nur ganz gezielt die Blumen, mit denen ich die Lücken in den Kästen vorübergehend schließen kann. Es tut mir gut, dem Elend der Welt jetzt etwas Buntes und Lebendiges entgegenzusetzen. Wahrscheinlich würde ich auch noch am allerletzten Tag ein Bäumchen pflanzen. Ganz bestimmt würde ich das!

Danach war ich einige Stunden draußen im Garten, habe gekehrt und die Beete etwas aufgeräumt. Die ersten Clematisknospen sind schon zu sehen, leider auch die riesige Giersch-Monokultur, die sich in unserem Garten immer breiter macht und alles erstickt und durchwuchert. Aber egal, der Giersch ist jung und grün, und notfalls kann man ihn als Salat essen. Ansonsten sind wir keine Selbstversorger, was mir im Moment fast leid tut. Vielleicht kaufe ich, wenn es wärmer wird und dann noch möglich ist, ein paar Tomaten- und Gurkenpflanzen? Der Reiher, der unseren Teich schon so oft leergefischt hat, soll tot sein, hat mir jemand auf Facebook mitgeteilt.

Gestern Abend war hier bei uns vom Kölner Klatschen nichts zu hören, nur auf der Gartenseite erklangen fußballfeldartige „Töne“, wohl aus den hohen Häusern gegenüber vom Einkaufscenter. Vielleicht wird es ja heute Abend etwas lebendiger? Vielleicht sogar schon beim Glockenläuten um 19:30 Uhr? Oder igeln sich die Leute direkt an der Aachener Straße besonders ein? Früher gab es genau gegenüber eine nette alte Dame, die mir immer zugewunken hat, wenn sie mich am Fenster meines Arbeitszimmer sah. Sie saß viel am Fenster und hatte ein wenig Ähnlichkeit mit meiner Oma, doch das ist schon lange her. Ich glaube, sie hieß Frau Blücher, aber sicher bin ich mir nicht.

Robin (BFL)

Auf der offiziellen Dom-Seite habe ich eben entdeckt, dass man von zu Hause aus und sogar aus aller Welt an einem der für mich mächtigsten Kraftorte Kölns, bei der Schutzmantelmadonna, eine Kerze anzünden kann. Wie gut, dass ich voriges Jahr in Kevelaer war (dort hatte ich eine Lesung) und Fotos gemacht habe. Ich habe auch Bilder von der Schutzmantelmadonna. Als Kind hat meine Oma mich immer mit in die Marienandachten genommen und wir haben die schönen Lieder gesungen. Vor allem im Mai. Dann bekam Maria bei mir im Kinderzimmer sogar einen kleinen Altar. Und vor den Mathematikarbeiten (ich bin mathematisch tiefbegabt) habe ich immer zu ihr gebetet und hatte sogar eine Karte mit ihrem Bild unter meinem Heft liegen. Die Mathe-Schwester dachte natürlich, ich würde pfuschen, aber als sie sah, wer da unter meinem Heft lag, strich sie mir nur mitleidig übers Haar und ließ mich fortan in Ruhe. Bei der Kölner „Schmuckmadonna“ habe ich schon häufig gesessen und nachgedacht. Nicht nur, wenn ich Probleme hatte. Eigentlich immer, wenn ich vorbei kam. Ich habe vor ein paar Jahren auch Bilder von der Schwarzen Madonna in Köln gemacht. Aber nicht heute. Vielleicht morgen. Morgen ist Sonntag. Mein heutiger Beitrag soll vor allem den Blumen und Blüten gehören.

Schade, dass man darin die Vögel nicht singen hören kann. Vorn an der Straße tschilpen die Spatzen, eine ganze Familie hat sich da versammelt, und sie schreien, dass man fast Kopfschmerzen bekommt. Hinten schmettert neuerdings frühmorgens ein Zaunkönig und etwas später die Amsel. Das Rotkehlchen ist momentan leise, kommt aber regelmäßig ans Futterhaus, und auch die Mönchsgrasmücke, die sonst immer für mich singt, wenn ich draußen bin, hält momentan den Schnabel. Leider. Die Vögel haben es gut. Sie können fliegen, wohin sie wollen. Sie wissen nichts von den momentanen Nöten der Welt. Ob ihnen auffällt, dass Köln ruhiger und leerer ist als sonst? Vielleicht singt die Mönchsgrasmücke morgen wieder für mich. Morgen ist ja Sonntag.

Bei „Garten Müller“ (BFL)

 

 

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Kölner Westen – Ausgangssperre und Social Distancing

Evangelische Kirche Weiden  (BFL)

Ein neuer Begriff, doch schön ist er nicht: Social Distancing. Ich hoffe, wir sind in Köln reif und altruistisch genug, um jetzt gemeinsam stark zu sein, Distanz zu wahren und die Schwächsten unter uns zu schützen, auch wenn es noch so weh tut. Hier in Weiden habe ich bisher zum Glück noch keine grillenden Gruppen entdeckt, die ausgelassene Corona Partys feiern, aber ich bin auch die meiste Zeit zu Hause und weiß es daher nicht wirklich genau. Wir bleiben vermehrt drinnen, und draußen müssen wir Abstand halten. Sehr ungewohnt in einer Großstadt, in der Menschen sonst wie Ölsardinen aufeinander hocken.

Weiden „Römergrab“ (JL)

Schon in der Bahn fängt es normalerweise an, und oft genug ist es laut und lästig. Aber jetzt sind die Straßen wie ausgestorben, die Bahnen leer, und man wagt nicht mal mehr, sich an den Stangen festzuhalten oder den Halteknopf zu drücken. Unser öffentliches Leben kommt allmählich zum Erliegen. Köln wird zur Ghost Town. In einigen Teilen Deutschlands treten bereits stärkere Einschränkungen in Kraft. Aber noch gibt es keine „Ausgangssperre“.

Warum erinnert mich das Wort jetzt sofort an meine Mutter und an „Stubenarrest“ und „Hausarrest“? Meine Mutter hat das damals in der Nachkriegszeit tatsächlich so genannt. (Sorry, Mama, ich hab dir das alles längst verziehen.)  „Ausgangssperre“ habe ich gehaßt, weil ich dann meine Freundinnen und später leider auch meinen ersten Freund nicht sehen durfte. Es war so demütigend! Da standen sie unten erwartungsvoll an der Haustür, um mich abzuholen, und ich saß brav und stinksauer oben in meinem Zimmer, kämpfte mit den Tränen und fühlte nur stolzen Trotz und hilflose Wut, konnte aber gegen den mütterlichen „Befehl“ nichts machen.

Shelfie (BFL)

Meine Schwester war weniger kooperativ und hat sogar mal den Glaseinsatz ihrer Zimmertür eingetreten, um einfach abzuhauen, aber wir waren vom Temperament her auch extrem unterschiedlich. Bei ihr zog „Ausgangssperre“ nicht. Ich habe sie dafür sehr bewundert. Zum Glück war ich eine Leseratte und hatte schon damals Regale voller Bücher in meinem Zimmer, daher hat mir die Isolation im Grunde wenig ausgemacht. Das hat wiederum meine Mutter extrem geärgert, was mich gefreut hat. Auf die Idee, meine Regale leer zu räumen, ist sie zum Glück nie gekommen. Wäre wohl auch zu viel Arbeit gewesen. Heute habe ich noch viel, viel mehr Bücher. Sie reichen für zehn Jahre „Ausgangssperre“, und danach wäre ich dann ein Ausbund an Weisheit und Belesenheit. Übrigens höre ich plötzlich auch wieder Wörter, die Väter in der Nachkriegszeit oft benutzten. Begriffe wie „Lazarett“ und „Triage“. Schlimme Wörter. Angstbesetzt, jedenfalls bei mir.

Was mir angenehm auffällt: Die Menschen schauen sich plötzlich wieder an, lächeln einander häufiger zu, sprechen miteinander. Auch wenn es nur „Schlimme Zeiten, finden Sie nicht?“ ist. Dann nickt man dem anderen zu, lächelt und geht weiter. Wir sind im Moment höflicher miteinander, würdigen endlich Menschen, an denen wir sonst nur achtlos vorübergehen. Gestern in den Läden habe ich mich jedenfalls bewußt bei allen Kassierinnen dafür bedankt, dass sie jetzt in der Not für uns da sind und für uns arbeiten, denn sie haben im Moment enorm viel Stress und sind, wie ich schon gestern schrieb, auch gesundheitlich gänzlich ungeschützt. Ob man sie nicht doch besser abschirmen sollte? Ich habe gestern auch überall mit Karte bezahlt, damit sie mein Geld nicht anzufassen brauchten. Ach, es wäre schön, wenn die Menschen sich auch in Nach-Corona-Zeiten häufiger anlächeln würden, statt wortlos auf Smartphones zu starren. Obwohl: Hier in Weiden habe ich an „meiner“ Haltestelle schon etliche nette Leute kennengelernt im Laufe der Jahre.

Völlig am Ende (Jasmin Sessler/unsplash)

Es gibt auch Personen, die nur laut maulend durch die Gegend laufen. Wenn ich so jemanden treffe (wie gestern im Center), versuche ich mir vorzustellen, dass die Person vielleicht in Wirklichkeit Angst hat und sich im Moment nicht anders zu helfen weiß. Aggression und Wut setzen Angst nämlich temporär höchst erfolgreich außer Kraft. Wer sich lautstark aufregt, spürt seine Angst nicht mehr und wirkt nach außen stark und aggressiv. Das ist besonders bei Kontrollverlust wichtig. Das Muster kenne ich bestens aus meiner Ursprungsfamilie, mein Vater hat auf diese Weise lebenslang versucht, mit seinem Kriegstrauma fertig zu werden. Für die Umwelt ist ärgerliches Schimpfen nicht sehr prickelnd.  Auf meine freundliche Ansprache hin haben die Damen gestern übrigens gleich zu maulen aufgehört. Sie ärgerten sich, wie sollte es anders sein, über das Fehlen unseres momentanen Weltlieblings. Klopapier!!!!

Milde Gabe (Martin Sanchez/unsplash)

Was mir an mir selbst auffällt: Ich beobachte mich noch stärker als ohnehin schon. Diese erhöhte Selbstbeobachtung ist bei mir leider einprogramiert, ich habe meinen Körper schon als Kleinkind störend genau wahrgenommen. Seit ich weiß, dass es zur sogenannten „Hochsensibilität“ dazugehört, kann ich damit umgehen. Aber als Kleinkind hat mir das Schlagen und Wummern des eigenen Herzens solche Angst gemacht (ich kann auch nicht gut auf der linken Seite schlafen, weil die Empfindung dann zu stark ist), dass ich dachte, ich würde jeden Moment tot umfallen (was das Herz erst recht zur Raserei brachte!). Auch jetzt muss ich wieder vermehrt gegensteuern, wenn es los geht: Leichte Kopfschmerzen? Halskratzen? Irgendwie kurzatmig? Ist das Heuschnupfen? Oder etwa …..? Nase zu und juckende Augenwinkel? Das ist eindeutig Heuschnupfen! Aber fliegen die Birkenpollen überhaupt schon? Ich registriere auch genau, wann ich mir ins Gesicht fasse (fast gar nicht mehr), und versuche auch das zu unterlassen, was man bei Heuschnupfensymptomen fast automatisch macht: Nase reiben. Es gibt dafür sogar eine eigene Bezeichnung „Allergikergruß“.  Auch juckende Augenwinkel kann man nur schwer in Ruhe lassen. Eine Sonnenbrille mit möglichst dunklen Gläsernd wirkt Wunder und reduziert Augenstress und Polleneinfall gleich um 50 Prozent (bei mir jedenfalls), daher trage ich meine jetzt auch konsequent. Besonders gut sind Polarisationsgläser, sie beruhigen die Augen sozusagen sofort.

Eben war ich Punkt zwölf (High Noon!) draußen, um eventuell den Glocken aus der Ferne zuzuhören (manchmal höre ich sie bis in den Garten), aber ich habe leider keinen Ton gehört. Vielleicht läuten sie hier in Köln oder bei uns in Weiden um diese Zeit auch gar nicht, aber vielleicht waren heute auch die Autos zu laut. Es gab leider auch niemandem, dem ich zuwinken konnte. So stand ich nur einsam am Zaun. Schade. Vielleicht wirken die Autos auch nur lauter, weil ich sie anders wahrnehme. Gestern war es ja vergleichsweise still. Morgen versuche ich es wieder! Vor allem beim Abendläuten um 19:30 Uhr.

Englische Enkel (BFL)

Letzte Nacht hatte ich einen Traum, der mich traurig macht. Unsere englischen Enkel waren mit ihren Eltern bei uns zu Besuch (eigentlich wollten sie wie jedes Jahr zu Ostern kommen). Wir befanden uns alle im selben Zimmer, merkwürdigerweise war es das Wohnzimmer meiner verstorbenen Eltern am Niederrhein und nicht unser Wohnzimmer hier in Köln. Die Kinder standen auf der anderen Seite des Raums, direkt an der Tür und sahen aus, als würden sie am liebsten weglaufen. „Wie am Notausgang“, schoss es mir durch den Kopf. Mein Mann und ich saßen auf dem Sofa. Keiner sprach, wir schauten uns nur an. Unsere beiden Enkel waren sehr viel jünger als sie in Wirklichkeit sind, fast noch Kleinkinder, das Mädchen hatte sogar wieder die süße Zahnlücke (ich weiß noch, wie schlimm es damals für sie war, in einen Apfel zu beißen, denn es fehlten ihr gleich beide oberen Schneidezähne!). Die Kinder wirkten verwirrt und verlegen. Offenbar hatten sie Angst, uns zu nahe zu kommen. Vielleicht fürchteten sie, uns anzustecken und in Gefahr zu bringen, aber vielleicht  hatten sie auch Angst vor uns. Auf jeden Fall waren sie überaus verstört. Es tat mir in der Seele weh, und ich wollte gleich zu ihnen laufen und sie in die Arme schließen, sie auf den Schoß nehmen, leise und beruhigend mit ihnen sprechen. Sagen, dass alles in Ordnung ist, dass sie keine Angst haben müssen, dass es nur ein blöder Traum ist und Corona rubbish. Aber ich saß nur wie gelähmt da und hätte am liebsten geheult.

Ein Bett voller Katzen (BFL)

Mit dem Gefühl trauriger Hilflosigkeit wachte ich auf und konnte zunächst nicht wieder einschlafen. Also nahm ich mein Handy und las die neuesten Artikel in der „New York Times“. Nicht wirklich erhebend, denn das eine Thema hält weiterhin die Welt in Atem, aber irgendwas musste ich tun. Die Berichte über den klügsten Präsidenten aller Zeiten schafften es dann aber doch wieder, mich zum Lachen zu bringen. Seine alternative facts sind einfach unschlagbar! Merkwürdigerweise beruhigt mich Zeitunglesen (vor allem über die neuesten Äußerungen von Sie wissen schon) in so einer Situation mehr als stundenlang mit klopfendem Herzen im Bett zu liegen. Wenn ich schon nichts tun kann, dann bin ich wenigstens informiert. (Wie im Flugzeug: Ich sitze auch bei Nachtflügen am liebsten am Fenster und schaue hinaus ins Dunkel, obwohl ich nicht das Geringste sehen kann.) Irgendwann kam meine Katze Alice zum Kuscheln und dann kam ich auch wieder zur Ruhe. Kehliges Katzenschnurren ist eine der besten Einschlafhilfen. Wie schade, dass wir nur noch eine Katze haben. Als es noch vier waren, lag ich nachts in einer wohligen Schnurrwolke, Stereo am Kopf und an den Füßen (ich konnte mich dabei allerdings nicht mehr wirklich gut bewegen). Allein die Erinnerung stimmt mich gerade heiter. Es sah mit Sicherheit total bescheurt aus. Mein Cisco ringelte sich meistens um meinen Kopf wie eine gigantische silbergraue Fellmütze. Gelegentlich biss er mich in die Haare, nie hart, nur ein bisschen. Bei Katzen nennt man das „Liebesbiss“.

Die erzwungene Trennung von Enkeln und Großeltern kann extrem schmerzhaft für alle Beteiligten sein und ist für viele sicher kaum erträglich. Ich weiß noch, wie schlimm ich es fand, als meine Oma, die lange meine wichtigste Bezugsperson war, plötzlich nicht mehr da war. Sie war gestorben, hat mir unendlich gefehlt, und ich konnte nicht begreifen, warum sie nicht mehr da war. Das passiert hier im Moment – zumindest vorübergehend – millionenfach. So viele Kinder werden gerade von ihre Großeltern getrennt und verstehen die Welt nicht mehr! So viele Großeltern vermissen ihre Enkel, dass es weh tut, und würden sie so gern in diesen schweren Zeiten einfach nur in den Arm nehmen und sich um sie „kümmern“. Das alles ist einfach nur grausam, und manch einer würde sich wohl am liebsten hinsetzen und „den Kopf dick heulen“, wie meine Oma das früher so treffend nannte. Vielleicht tun das einige auch, denn Weinen kann hilfreich sein. Social Distancing ist knallhart und brutal, selbst wenn man damit seine Liebsten nur schützen will. Hoffen wir, dass der Spuk bald vorüber sein wird. Hoffen darf man. Muss man. Immer.

Seifentrostbild

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Kölner Westen: „Radio Days“

Aachener Str. (BFL)

Inzwischen ist die Aachener Straße tatsächlich um einiges ruhiger, manchmal sogar völlig still, und selbst die Autobahn röhrt nicht mehr in der Ferne. Ich war ein paar Mal draußen, und jedes Mal war die Straße bis auf die parkenden Autos fast oder gänzlich leer. Genau wie die KVB-Haltestellen, sogar am Center. Das passiert normalerweise nur bei der Fußballweltmeisterschaft.

Stadtauswärts (BFL)

Das kleine Päckchen, das ich heute morgen bekam, wurde mir im Gegensatz zu sonst mit extrem langem Arm gereicht, nicht mal unterschreiben war nötig, denn in Krisenzeiten gelten andere Vorgaben. Im Stadtanzeiger fallen mir jetzt vermehrt die neuen Zusätze bei den Todesanzeigen auf und machen mich traurig. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie die winzigen Beerdigungen in diesen Tagen aussehen, ich habe in den letzten Jahren viele Verwandte verloren. Ich sehe die wenigen Trauernden verloren und ungetröstet am Grab stehen. Auf dem Weidener Friedhof war ein riesiger Bagger mit lautem Getöse zugange. Mir schoss ein völlig abgedrehter schrecklicher Gedanke durch den Kopf, als ich das riesige Loch sah, doch die Männer hatten einfach nur das Fundament des Strommasts entfernt, der dort bis vor kurzem noch stand. Das war mir glatt entgangen, dabei habe ich ihn schon so oft surren hören. Ein Glück, dachte ich erleichtert. Wie gut, dass ich gefragt habe. Es ist nur der Strommast!

die neuen Weltstars (unsplash)

Im Center sind tatsächlich noch ein paar Geschäfte geöffnet, aber richtig einladend wirkt das nicht. An den geschlossenen Läden kleben kleine Plakate, vor einigen geöffneten stehen Warnschilder. In der Apotheke trugen heute alle Mundschutz und der  Sicherheitsabstand zwischen den Kunden war sehr groß. Bei Rewe und im DM fehlen tatsächlich immer noch unsere momentan weltweit kollektiven Lieblingsprodukte (Nur so eine Idee: man kann notfalls auch liebevoll zugeschnittene Küchenrollen zweckentfremden). Ein Psychologe meinte gestern, durch das Horten von Klopapier würden die Menschen ihren Ekel vor dem Coronavirus ausdrücken. Interessante Theorie, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber vielleicht ist Klopapier im Moment auch nur eine Art Beruhigungsmittel gegen die Angst? Eine Variante des magischen Denkens: Wenn du nur genug Klopapier zu Hause hast, kann dir nichts passieren! Dass alle anderen das auch zu denken scheinen (wenn alle das meinen, muss es ja stimmen! Darum gibt es auch all die leeren Regale!), bestätigt die eigene Wahrnehmung. Interessant ist diese Fixierung irgendwie schon. Nudelhorten verstehe ich bestens. Nudeln sind lecker und halten sehr lange. Sie sind gut für das körperliche Wohl. Klopapier bietet offenbar eine ganz andere Sicherheit. Damit schützt sich der Mensch an seiner verwundbarsten Stelle, dem Intimbereich. Ich hatte schon immer genug Klopapier für einige Wochen im Schrank (genau wie Katzenstreu) und habe auch wegen Corona nicht aufgestockt. Aber vielleicht habe ich auch eine ganz andere Art Angst als die Klopapierhorter. Wir kennen uns halt schon sehr, sehr lange, die Angst und ich. Damit hat Klopapier nichts zu tun.

Stopp! (BFL)

Zwei Frauen suchten heute morgen im DM verzweifelt nach Desinfektionsmitteln und eilten panisch und hektisch durch die Gänge. Ich gab ihnen den Tipp (aus der „New York Times“), dass man stattdessen auch sehr gut (verdünntes) Geschirrspülmittel verwenden könne, denn Coronaviren vertragen ja keine Fettlöser, was die beiden sichtlich beruhigte und mir ein gutes Gefühl gab. Spülmittel gibt es zum Glück noch genug, offenbar haben die Menschen diese Geheimwaffe noch nicht auf dem Schirm. Sogar meine Lieblingsmarke gab es, kam also auch gleich in den Einkaufskorb. Ich habe schon immer Spülmittel und Seife geliebt! Auch bei Gummihandschuhen gibt es erstaunlicherweise noch keinen Engpaß (wohl aber bei Einweghandschuhen, die sind nicht mehr zu kriegen).

Zur Säuberung von Oberflächen gab es eine gute Empfehlung in der „New York Times“: Gummihandschuhe anziehen und 1 x am Tag folgende Gegenstände mit einem feuchten Tuch (Desinfektionsmittel oder verdünntes Spülmittel) abreiben: Türklinken, Schubladengriffe, Fernbedienungen, Telefon, Tastatur und Handy (besonders wichtig, weil man es dauernd in der Hand hat!), Wasserhähne, Toilettenspülungstaste, Lichtschalter, Kühlschranktür, Microwellentür. Danach Handschuhe gut mit Seife waschen und trocknen lassen, danach noch mal Hände waschen, ebenfalls mit Seife und nach bewährter Manier. Also gründlich. Mindestens 20 Sekunden. (Für die Hände braucht man eigentlich gar kein Desinfektionsmittel, da reicht Seife!!!!) Ob ich die neue Handhygiene je vergessen werde? Wenn das noch monatelang so weiter geht, sicher nicht. Irgendwie ist es mir jetzt schon in Fleisch und Blut übergegangen. Mache ich ja auch schon seit sechs Wochen.

Radio Days (pixabay)

Übrigens bemerke ich mehrere auffällige Veränderungen in meinem Leben: Ich höre plötzlich Radio. Normalerweise tue ich das sonst nur im Auto, weil mich fremde Stimmen von unsichtbaren Leuten im täglichen Leben und bei meiner Arbeit am Schreibtisch stark irritieren (ich bin ein ausgesprochener Augenmensch), aber jetzt verbringe ich praktisch mehrere Stunden am Tag neben dem Radio. Es ist nicht nur der Podcast von Professor Drosten, es ist noch viel mehr. Wenn ich tief in mich hineinhorche, verstehe ich sogar, warum. Radiohören erinnert mich an meine Kindheit, an die Zeit, als wir noch keinen Fernseher hatten und mit dem Radio den Tag begannen und beendeten. „Komm, wir hören schnell noch die Nachrichten“, sagte meine Mutter. Dann waren kurz alle leise, und zum Schluss kam die Wettervorhersage. Und später „Die großen Acht“ von Radio Luxemburg mit Frank Elsner. Bei mir erlebt das Radio gerade eine echte Renaissance. Irgendwie fühle ich mich dadurch beruhigt und behütet. Wie war das noch früher? Morgens beim Frühstück, bevor mein Vater zur Arbeit fuhr, lief das Radio, auch später noch, wenn ich zur Schule ging, und außerdem immer, wenn ich krank im Bett lag. Aber dann war es nicht der große Kasten, sondern ein Transisterradio. Das entführte mich in die Welt des Kinderfunks. „Was meinst du dazu?“ fällt mir ein. Und „Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv“ (da kann ich sogar noch die Erkennungsmelodie singen!). Und die Stimme von Peter René Körner! An den habe ich schon ewig nicht mehr gedacht.

Mein Mann hört immer viel Radio, für ihn ist das jetzt nichts Besonderes, aber ich schaue eigentlich viel lieber fern. Ich bin ein echter Film-Junkie. Auch ein echter Serien-Junkie, seufz. Jetzt stelle ich mit einem Mal erstaunt fest, wie gut und interessant das Radioprogramm ist! Und wie sehr ich mich im Moment genau dort unmittelbar und gut informiert fühle. So höre ich nicht nur täglich im NDR den informativen Drosten-Podcast, sondern habe rein zufällig auch im WDR etliche gute Sendungen gefunden, z. B. eine ausgezeichnete Sendung über Hermann van Veen. Bei KiRaKa. Ich hatte glatt vergessen, wie angenehm seine Stimme ist. Und wie schön seine Lieder. Danke, WDR! Auch die Nachrichten höre ich jetzt alle paar Stunden. Komischerweise fühlt sich das sehr viel unmittelbarer an als das Fernsehen, und die „Tagesthemen“ und das „Heute Journal“ kommen ja erst so spät. Die schaue ich mir auch beide an. Schade, dass die „Heute Show“ nicht jeden Abend den Abschluss bildet, dann hätte ich wenigstens was zu lachen. So liest mir mein Mann (er hat eine wunderbare Stimme, eigentlich hätte er Radiosprecher werden sollen) im Moment „Winnie the Pooh“ vor. Das brauche ich, um runterzukommen. Vorher hatten wir „Karlsson vom Dach“.

Auch die Ansprache von Angela Merkel habe ich mir gestern bewußt zuerst im Radio angehört und erst dann „richtig“ im Fernsehen. Meine Gefühle waren dabei so ähnlich wie bei „The King’s Speech“. Es war ein historischer Moment. Das hat sie noch nie zuvor getan. Sie sprach einfühlsam, unaufgeregt, klar und für ihre Verhältnisse erstaunlich emotional. Ich war und bin beeindruckt. Leider werden viele Menschen ihren dringenden Appell nicht befolgen. Auch heute haben sich wieder hunderte Jugendliche am Rheinufer versammelt und Coronafeiern abgehalten. Es ist einfach nur noch zum Heulen und wird zu Ausgangssperren führen. Wir sind offenbar immer noch nicht reif und mündig genug, um in dieser historischen Ausnahmesituation Vernunft walten zu lassen und Rücksicht aufeinander zu nehmen. Ich wünsche mir, die „Partymacher“ würden den verzweifelten Bericht der jungen New Yorker Ärztin lesen, den ich heute gefunden habe: „The Sky is falling!“ Doch antiphobisches Verhalten ist nicht neu. Es gab auch schon wilde Feste währen der Pestepidemien. Aber das waren eher Totentänze. Tanzen auf dem Vulkan muss ein ganz besonderer Thrill sein, den ich nicht nachvollziehen kann.

Wie im Rest von Köln und in vielen anderen Städten (besonders eindrucksvoll schafft man das in Italien!) gab und gibt es auch hier im Westen abendliche „Klatschaktionen“ als Dank an die Menschen, die „den Laden am Laufen halten“, immer um 21:00 Uhr. Von der ersten habe ich zu spät erfahren, die zweite habe ich durch einen wichtigen Anruf verpaßt. Aber an der breiten Aachener Straße hätte sich mein Klatschen ohnehin sekundenschnell „versendet“. Für Sonntag, den 22. März ist um 18:00 Uhr eine Art kollektives Musikkonzert geplant, doch selbst dazu werde ich an der Aachener Straße nicht viel beitragen können. Kein Instrument wäre hier laut genug. Damit man mich irgendwie bemerkt, müsste ich wohl riesige Leuchtkugeln in den Himmel schießen. Mal sehen, wie es heute Abend wird. Noch ist nicht 21:00 Uhr.

Seifenblasen (pixabay)

In diesen Tagen fällt es mir schwer, mich beim Schreiben auf „Unpandemisches“ zu konzentrieren. Mein Roman pausiert daher erst mal. Merkwürdigerweise habe ich während der SARS-Krise (2003) ein ganzes Buch geschafft, in dem meine Romanfamilie im Belgischen Viertel sogar eine Woche in Quarantäne verbringen musste. Sie hatten damit argen Stress, denn der Vater hatte im selben Flieger gesessen wie der SARS-infizierte Arzt, und seine beiden Töchter fürchteten, dass er sich angesteckt haben könnte. Ich habe mir schon überlegt, ob ich meine Familie nicht einfach wiederaufleben lassen soll, denn sie fehlt mir schon seit langem und ich würde gern wieder mehr Zeit mit ihr verbringen (außerdem hege ich insgeheim tiefe Gefühle für Martin, den amerikanischen Vater). Vielleicht versuche ich in den nächsten Tagen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Wenn sie Lust dazu haben, was ich sehr hoffe.

Aber zuerst möchte ich mir noch die verpassten Podcasts von Christian Drosten anhören. Ich habe erst bei Folge 10 angefangen, heute war Folge 17. Inzwischen kann man sich auch die Scripts herunterladen oder im Computer lesen, und die NDR-App schickt mir morgens und abends die neuesten Meldungen aufs Handy. Genau wie der Newsletter des Kölner Stadtanzeigers speziell für die Lage vor Ort (Stadt mit K). Heute habe ich auch zum ersten Mal von der wohl aktuellsten Infoseite über die Corona Verbreitung gelesen. Sie heißt ncov2019live und wird von einem hochbegabten 17jährigen namens Avi Schiffmann in Seattle betrieben, der schon in einem Alter zu programmieren begonnen hat, in dem andere gerade erst anfangen zu lesen. (Sein Name klingt ein bisschen, als wäre er aus dem Roman „Die Lügnerin“, dem letzten Buch für die Stadt. Hab ich damals ausführlich im Literaturkreis besprochen. (der Literaturkreis fällt jetzt leider aus.)

Hummelchen (pixabay)

Draußen bleibt es frühlingshaft mild. Die ersten Hummeln habe ich im Garten gesichtet, die Vögel scheinen schon mit ihrem Nestbau zu beginnen, gestern habe ich den Rasen gemäht (natürlich ganz hoch eingestellt, damit er nur ja keinen Mähschock bekommt). Auch einen wirklich magischen Moment habe ich erlebt: Heute flogen schreiende Wildgänse hoch am Himmel über mich hinweg. Ihr Anblick rührt mich sowohl im Frühjahr als auch im Herbst zu Tränen. Irgendwie wecken diese Vogelzüge ein uraltes archaisches Bild in mir auf. Wie viele Generationen von Menschen haben diese eindrucksvollen Züge wohl schon beobachtet? Und sehr wahrscheinlich sind ihnen dabei auch Schauern über den Rücken gelaufen. Auch mit Fischfüttern habe ich jetzt angefangen, denn es gibt viele neue Fischbabys.  Hoffentlich kommt der Reiher nicht und frißt sie sie mir alle an einem Tag weg. Es gibt einen gewissen Reiher, der auf den Kölner Westen spezialisiert ist. Meine Freundin in der Bahnstraße kennt ihn auch bestens. Er hat uns beiden schon mehrfach den Teich leer gefischt, und ich habe ihn auch schon mal ganz aus der Nähe fotografiert. Er ist riesig! Sehr schön eigentlich, aber auch sehr hungrig.

Kirchenglocke (RoyBuri/pixabay)

Übrigens läuten jetzt täglich um 12:00 in Köln die Glocken zum kurzen Gebet, ebenfalls um 19:30. Auch das erinnert mich an etwas. Früher läutete in unserem Dorf die Kirchenglocke, wenn jemand gestorben war. Dann hielten die Menschen kurz inne, und meistens wußten sie auch, wer da gerade gestorben war. Es war ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kannte. Die alten Frauen begannen dann, zu Maria zu beten. Glockenläuten ist für mich immer noch extrem emotional besetzt. Vielleicht gehe ich morgen Mittag und Abend kurz nach draußen und höre den Glocken zu. Schade, dass ich nicht mehr gegenüber von St. Michael im Belgischen Viertel wohne. Wie meine Buchfamilie, die mir gerade so fehlt, dass es fast schon weh tut. Vielleicht gehe ich morgen um 12 und 19:30 kurz an die Straße. Das Glockengeläut müsste ich eigentlich hören. Und vielleicht kommen noch mehr Menschen an die Straße und wir können uns zuwinken.

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