Hochsensible Mäusewelt

der extrem schüchterne Nocturne (Foto: BFL)

Es begann damit, dass ich mich bei etsy Hals über Kopf in ein Mäusepärchen der jungen Filzkünstlerin Johana Molina aus Chile verliebte. Es dauerte fast einen Monat, bis die  beiden endlich hier eintrafen. Ich sah sie an – und nannte sie Cheddar und Mozzarella. Aber zwei Mäuse kommen selten allein, und die Mäuse fühlten sich einsam, daher geschah, was geschehen musste. Sie vermehrten sich rasant. Das ist nun vier Jahre her, und in der Zwischenzeit haben die Mäuse mein Leben ziemlich umgekrempelt. Ich hätte selbst nicht für möglich gehalten, dass ich eines Tages selbst Häuser, Läden und Möbel konstruieren und mich an fitzeligste Kleinarbeiten mit Holz, Papier und Fimo wagen würde. Im letzten Sommer haben die Mäuse auch noch einen reich bestückten Bücherladen bekommen, sogar die Erkerfenster und Regale sind selbst gebastelt.  Allein an den Büchern und Kleinstdekorationen saß ich tagelang.

Dante, Marisa und die hochbegabte Mila (Foto: BFL)

Inzwischen bevölkert eine wahre Mäusesschar unser Haus, und ihre Behausungen nehmen immer mehr Raum ein. Zum Glück habe ich einen geduldigen Mann, der sogar Mäusevillen m Schlafzimmer toleriert (solange sie nicht mitten im Bett stehen).

Da meine Schreibmotivation bei heißem Wetter arg leidet, konzentriere ich mich vor allem im Sommer auf meine Mausarbeit. Vielleicht wird ja eines Tages ein Buch daraus? Oder ein Kalender? In der letzten Zeit  sind gleich zwei neue kleine Läden entstanden: die rote Konditorei und der zartgrüne Gemüse- und Blumenladen. Dazu noch ein Halloweenmarktstand mit selbstgemachten Kürbissen und ein griechisch anmutendes Häuschen für die Schriftstellermaus Marco Polo, das aber noch nicht ganz fertig ist.

Hexenmaus Kashta (Foto: BFL)

Manchmal brauche ich ziemlich lange, bis ich verstehe, was die jeweiligen Mäuse sich wünschen oder was sie mir unbedingt mitteilen wollen. Jede Maus hat natürlich ihre eigene Biografie  und ihre eigenen Stärken und Schwächen. Der Liebling der Fangemeinde ist offenbar der schüchterne Nocturne, der nur auftaut, wenn er sich um Babys oder Tiere kümmern kann. Ansonsten traut er sich nicht aus dem Haus und ist sich selbst im Weg.

Mimolette, Lupinchen, Mila, Olga, Lunetta und Marisa (Foto: BFL)

Momentan arbeite ich an einem Zimmer für die große Hexenmaus Kashta, die eindeutig eine unheimliche Seite und eine ausgeprägte Vorliebe für Alraunen und sprechende Fliegenpilze hat. Und für Drachen und kleine Monsterchen. Zauberhaften Nachschub an magischen Kleinstwesen finden wir seit kurzem bei der bemerkenswerten Künstlerin Georgia Marfels.

Marisa, Olga und Chelsea (Foto:BFL)

Dann gibt es noch Chelsea, die Kleine mit der gelben Jacke und der bunten Schleife. Sie ist eine ideale Kuchenmaus mit hochsensiblen Geschmacksknospen und träumt schon seit einem halben Jahr von einem eigenen Café. Das hat sie mir erst im März eröffnet, und jetzt gehört ihr das „Chelsea’s Cherry On Top“, in dem vor allem Kuchen mit Kirschen verkauft und serviert werden. Der Grünladen „Parsly Sage Rosemary & Thyme“ gehört jetzt Toscanello, der Riesenspitzmaus mit der Supernase, und seinem Freund Bloomsdale, der sich gern um Pflanzen kümmert.

Bloomsdale und Minouche (Foto: BFL)

Schon die Namensfindung macht unglaublich Spaß, und ich suche unter all den Hunderten von Käsesorten genau den passenden Namen für die jeweilige Maus, oder unter all den vielen möglichen Wortspielen genau den richtigen Namen für den jeweiligen Laden aus. Dabei hilft mir, dass ich vor Jahren mal ein Buch mit dem Titel „Käsesorten der Welt“ übersetzt habe. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich damals beim Übersetzen so einen Heißhunger auf Käse bekam, dass ich einen Sommer lang zum Dauerkunden im „Käsehaus Wingenfeld“ wurde, das nur fünf Minuten von meiner damaligen Wohnung entfernt lag. Ich war durchaus experimentierfreudig und futterte mich langsam durch alle möglichen (mir bis dahin unbekannten) Sorten. Die profunde Käsekenntnis kommt heute meinen Mäusen zugute.

Hexenmaus Caerphilly auf ihrer Veranda (Foto: BFL)

Bei den Ladentaufen und im täglichen Mausleben sind die vielen treuen Fans meiner fb-Seite „Cheddar & Mozzarella“ äußerst hilfreich. Sie  beflügeln meine Fantasie und die der Kleinen immer wieder aufs Neue. Ohne sie gäbe es die Geschichten gar nicht. Die fb-Seite besteht übrigens grade seit genau drei Jahren.

Also: Herzlichen Glückwunsch, meine kleinen Mäuse! Und vielen Dank, liebe Mausfans!

 

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Wieder online!

Manchmal ist es sehr hilfreich, wenn man einfach eine Hotline anrufen kann und tatsächlich das Glück hat, einen freundlichen, kompetenten Menschen am anderen Ende der Leitung zu haben, so wie ich heute bei Serverprofis. Jedenfalls ist mein Homepage Fehler jetzt behoben, und ich bin nach über einer Woche wieder online. Etliche Tage Stress und viele E-Mails hin und her, dabei war alles ganz einfach, und der „fatal error“ und die „technischen Probleme“ ließen sich rasch beseitigen. Man muss nur den richtigen Moment erwischen und einen netten Helfer haben. Aber heute ist ja auch ein besonderer Tag: Sommersonnenwende! Heute vor 21 Jahren habe ich zum ersten Mal meinen Garten betreten, das möchte ich nachher noch gebührend „feiern“. Und ab morgen gibt es wieder „richtige“ Beiträge. Morgen ist nämlich auch ein ganz besonderer Tag. Aber heute freue ich mich einfach nur! Seid alle herzlich gegrüßt!

mein kleiner Fuchs, gemalt von Ulla Genzel (BFL)

Mein Füchslein (gemalt von Ulla Genzel) (BFL)

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Ein Museum der Gefühle

Fensterecke (BFL)

Wie könnte ein Museum mit Hermann Göttings Schätzen wohl aussehen? Er selbst wünschte sich ein „Museum der Liebe zu den Dingen“, und ich kann mir vorstellen, was er damit meinte. Ich kannte ja seine Wohnung! Präsentiert wird vor allem die Zeit zwischen 1920 und 1960, und mein Fantasie-Museum ist randvoll mit nahen und fernen Erinnerungen, Alltagskultur, Kitsch und Kunst (und erinnert von der Stimmung her ein bisschen an das nordenglische „Beamish“). Es befindet sich vor den Toren Kölns (für das Belgische Viertel ist es zu groß) und besteht aus einem kleinen Platz mit Bänken, Tischen, Laubbäumen und einem Karussell, umgeben von hohen Stadthäusern. Alles liebevoll wieder aufgebaut, mit Giebeln, Treppenhäusern, Erkern und Balkonen, so ähnlich wie die Häuser am Brüsseler Platz und am Stadtgarten.

Lachende Frau (BFL)

Alles ist da, um die vielen Wohnungen bis hinauf in den Speicher zu bestücken (da kann man zum Beispiel die Wäsche aufhängen oder in geheimnisvollen abgeschabten Kartons mit Fotos und Kleidungsstücken herumstöbern), und ich bediene mich aus Hermanns riesigen Fundus an Möbeln, Teppichen, Kronleuchtern, Lampenschirmen, Kleidung, Kinderwagen, Türen, Fenstern, Schildern, Laternen, Reklametafeln, Schaufenstern – und vergesse auch die vielen nützlichen und überflüssigen Kleinigkeiten nicht, die den Menschen lieb und vertraut waren.

Zum Schluss besitzt jedes Haus seinen ureigenen Duft und seinen ganz besonderen Charakter. Die Zimmer sehen aus, als wären die Bewohner nur kurz hinaus gegangen und würden jeden Moment zurückkehren. Noch besser: Die Häuser sind richtig bewohnt! Die Besucher können durch die Räume streifen, mit den Bewohnern plaudern und sich nach Herzenslust umsehen. Menschen in zeitgenössischer Kleidung geben Auskunft oder gehen einfach ruhig ihren alltäglichen Aufgaben nach. Vielleicht stammen sie sogar aus alten Zeiten? In der Fantasie ist zum Glück alles möglich. Gern würde ich Familienmitglieder, die ich schon immer gern kennenlernen wollte, hier wohnen lassen. Zum Beispiel die kleine Ida.

Alle Bewohner haben eigene Biografien, Berufe, Vorlieben, Hobbys und Haustiere. Es gibt Wissensdurstige (mit Regalen voller Bücher), Künstler (mit Atelier oder chaotischem Schreibtisch), abgedrehte Außenseiter  (mit eindrucksvoller Uhren- oder Lampensammlung) und die unterschiedlichsten Paarkombinationen mit und ohne Kinder. Ein junger Mann sieht aus wie Martin W., den ich nur von Fotos kenne. (Er war Arzt, mit der Großmutter meines Mannes verlobt und starb im Ersten Weltkrieg.) Handwerker gibt es hier auch.

Zum Schuster gehe ich besonders gern, weil ich den Geruch nach Leder und Leim liebe. Mein Urgroßvater Xaver D. war Schuster (Hermanns Großvater übrigens auch). Vielleicht hat Hermann die kleine Werkstatt aus der Apostelstraße ja noch retten können? Als Studentin mit chronischem Geldmangel hat mir der freundliche Schuster dort immer Sonderpreise gemacht und keinen Ton über meine abgetragenen Schuhe verloren. Er reparierte und besohlte sie, und danach sahen sie (fast) aus wie neu.

Da ich schon immer eine Caféschreiberin war, gibt es gleich mehrere plüschige Cafés, in denen man sitzen und seinen Kaffee mit Sahnehaube trinken und dazu altmodischen Kuchen essen kann, der gleich Erinnerungen weckt. Buttercremetorte, Bienenstich, Kalter Hund, Grillagetorte, Holländer Kirsch. Hier sitze ich mit Notizbuch und Füllfederhalter und erfinde Geschichten. Nebenan gibt es einen schummrigen Nachtclub, doch der öffnet erst viel später, und der Conferencier sieht (kein Zufall) aus wie Hermann.

Brotbacken (Pexels/pixabay)

Wie üblich schaue ich kurz in die nach frischem Brot duftende Bäckerei mit eigener Backstube und kaufe mir ein knuspriges, noch ofenwarmes Steinofenbrot. Gleich nebenan befindet sich ein Eiscafé mit hausgemachtem Eis. Hier gibt es vor allem Klassiker, die ziemlich so schmecken wie im Eiscafé „Van der Put“ am Südfriedhof, einem sehr beliebten alten Kölner Familienbetrieb mit Sinn für Tradition.

Und dann ist da noch der Laden mit buntem Allerlei. Vor Ostern und Weihnachten ist es hier besonders schön. So alte Schätze findet man tatsächlich auch heute noch, etwa bei MAROLIN, wo nach wie vor mit Papiermachémasse und alten Formen gearbeitet wird. Hier bekommt man noch Osterhasen, Christbaumschmuck und Weihnachtsmänner aus den 20er Jahren, Krippenfiguren, Tiere, Märchenfiguren aus den 50ern, alten Glasschmuck für den Christbaum und auch die Märchenwüfel (aus Holz, beklebt mit bunten Bildern), mit denen ich als Kind gespielt habe.

Lädchen in Beamish (BFL)

Schokoladenmädchen (BFL)

Am liebsten würde ich ewig weiter durch mein Fantasiemuseum wandern, doch für heute soll es genügen. Außerdem muss ich langsam Abschied von Hermann Götting und seiner Welt nehmen. Also setze ich mich in mein Lieblingscafé (das mit dem Schokoladenmädchen), bestelle mir eine Kanne Tee (oder doch eine Riesentasse heiße Schokolade?) und einen Teller mit ganz besonderem Gebäck.  Und träume und schreibe ….

 

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Hermann Götting – Erinnerungen an einen Lebenskünstler (4)

Ausstellungen

Hermann Götting am Zirkus (Foto: Helga Pisters)

Als das Landesmuseum Koblenz im Jahr 2000 die Ausstellung „Das gestaltete Jahrhundert“ mit Exponaten aus der Sammlung Hermann Götting präsentierte, stand im Vorwort zum Begleitband: „Das Herzstück seiner Sammlung ist Hermann Götting selbst: Er lebt inmitten seiner Schätze, pflegt sie liebevoll und bietet seinen Gästen ein einzigartiges Ambiente, wenn er sie zu Festen einlädt, die weit über die Stadtgrenzen von Köln bekannt sind.“ Auch die Ausstellung „Mannequins“ in Gera (1996/97) war ein voller Erfolg. Hans-Peter Jakobson, der Direktor des Museums für Angewandte Kunst schreibt im Begleitband: „Ohne Zweifel darf man den Kölner zu den wichtigsten zeitgenössischen Sammlern in Deutschland zählen.“ Aber was ist hier in seiner Stadt von all seinen Schätzen geblieben? Bestand daran in Köln wirklich kein Interesse? Dabei war es doch vor allem Kölner Alltagskultur, die Hermann Götting gesammelt hat! Die Kölner Bürger hat man damals leider nicht gefragt, sie hätten bestimmt anders entschieden.

Hermann Götting, ausnahmsweise motorisiert (Foto: Helga Pisters)

Immerhin war die Ausstellung, die der Kölnische Kunstverein 1985/86 unter dem Titel „Von Maurice Chevalier bis zum Nierentisch“ mit Göttings Objekten veranstaltete, ein wahrer Publikumsmagnet und erreichte in den sechs Wochen Laufzeit die stolze Anzahl von 35 000 Besuchern. Mitten darin saß das Herzstück der Ausstellung, der Sammler höchstpersönlich. Hermann hat fest damit gerechnet, dass „die Stadt“ (wer immer das auch sein mag) seine Sammlung irgendwann angemessen würdigen würde, doch er hat nicht damit gerechnet, dass ihn der Tod so plötzlich mitten aus dem Leben reißen würde. Er hatte keine Vorkehrungen getroffen, und ohne seine schützende Hand waren seine Schätze hilflos. Es gab kein Testament, und die Erben waren wahrscheinlich überfordert. Zum Glück fand ein Teil der Sammlung in Gera ein neues Zuhause, hoffentlich auch viele seiner „stummen Freunde“ (Schaufensterpuppen). Fünfzig seiner seltenen Trachten wurden 2006 vom Thüringer Landestrachtenverband erworben, doch soweit ich in Erfahrung bringen konnte, werden sie dort nicht ausgestellt. Etliche Gewänder und Kostüme sind angeblich hier „beim Theater“ gelandet, berichten Hermanns Freunde. Einige alte Werbetafeln und die Kataloge zu den Ausstellungen werden ab und an noch bei Ebay angeboten. Aber wo sind all die schönen kompletten Laden- und Caféeinrichtungen geblieben?

Engel auf Melaten (Foto: BFL)

Beerdigung auf Melaten

Das „Programm“ zur Beerdigung

In diesem Jahr wäre Hermann Götting achtzig geworden, und vielleicht hätte auch ich wieder eine großformatige Einladung (Absender: von Hermes dem Götterboten) zu seinem Fünfzigsten bekommen. Doch leider ist er schon fünfzehn Jahre tot. Ich erinnere mich noch gut an die Beerdigung auf Melaten. Wenn ich die Notizen lese, die ich gleich nach der Trauerfeier geschrieben habe,  sehe ich sie wieder vor mir, die vielen Kölner, die Nachbarn aus dem Belgischen Viertel, mit denen ich (lange) vor der Trauerkapelle auf die eindrucksvolle Pferdekutsche und den (langen) Trauerzug wartete, der ihr vom Bestattungshaus in der Südstadt bis vor die Friedhofstore folgte. Es ist ein weiter Weg von der Friesenstraße bis zur Piusstraße, und es waren viele extravagante, weniger extravagante und kein bisschen extravagante Weggefährten, Freunde, Bekannte und Bewunderer von Hermann dabei. Einige hatten ihre Hunde mitgebracht, was den großen Tierfreund, der sich zum Geburtstag nie Geschenke wünschte, sondern Geldspenden für seine Tiere (und heimlich auf dem Brüsseler Platz sogar eine bestimmte Ratte fütterte, die sofort kam, wenn er sie rief), bestimmt gefreut hätte. Touristen habe ich nur wenige gesehen, obwohl die Beerdigung wahrlich sehenswert war. Auf dem Weg spielte eine Dixieland-Band, und während der Feier gab es unter anderem einen Auszug aus Wagners „Götterdammerung“, das „Largo“ von Händel und zum Abschluss „Thank you for the music“ von Abba. Keine Ahnung, wer die Musik zusammengestellt hat.

das „Programm“ zur Beerdigung

Die Wartenden vor der Trauerhalle wirkten fassungslos und ratlos. Jemand wie Hermann Götting konnte unmöglich einfach verschwinden! Das konnte nur ein Irrtum sein, war hoffentlich bloß einer seiner spektakulären Auftritte? Gleich würde er lachend hinter den Säulen hervortreten, auf seinem Roller über die Wege von Melaten fahren. So ein starker, wuchtiger Mensch, so ein Fels in der Brandung, war doch nicht von heute auf morgen weg! „Er hat unsere Stadt so schön bunt gemacht. Was wird denn jetzt bloß aus all seinen Sachen?“ „Köln braucht Menschen wie den Götting, so jemanden finden wir nie wieder. Der war ein Paradiesvogel, un so wat jit es doch hück ja net mih!“ (Ich hoffe, mein Kölsch stimmt.) Der besorgte alte Herr, der dies sagte, wohnte auch im Belgischen Viertel und hatte Tränen in den Augen. „Der verdient ein Museum! Und wenn die Stadt nix macht,  dann müssen wir an den Schramma schreiben! Sonst tut sich da nix!“ (Kurt Schramma war damals unser Oberbürgermeister.) Einvernehmliches Nicken. „Dafür hat der Hermann immer gekämpft. Jetzt sind wir dran! Wir müssen für ihn weiterkämpfen!“ Wollten wir ja! Aber wie? Das wussten wir auch nicht. Eine Unterschriftensammlung? Tatsächlich an den Oberbürgermeister schreiben? Persönlich vorsprechen? Oder lieber gleich die Museumsdirektoren aufsuchen? Einen Protestmarsch organisieren? Wir waren damals leider gar nicht gut vernetzt, kein bisschen organisiert und ziemlich überfordert, daher ist dann leider auch nichts passiert. Wenn man es weiß, kann man Hermann hier noch an der U-Bahn-Haltestelle Appellhof Platz sehen, als Kölner Kopf auf der Wand, aber ich bezweifle, dass ihn noch viele kennen – oder erkennen. Er wirkt auf dem Porträt fremd. Jedenfalls für mich. Vielleicht liegt es an den Farben. Oder daran, dass er nicht lächelt. Oder daran, dass er einen nicht ansieht.

Hermann Götting in der U-Bahn (Foto: BFL)

„Ich dachte immer, den Hermann könnte nichts umhauen“, sagte eine andere Anwohnerin. „Woran ist er bloß gestorben? Hat den etwa  jemand umgebracht?“ Erschrockene Blicke, dann Kopfschütteln. „In der Zeitung stand was von verschleppter Lungenentzündung.“ „Wat soll dat denn bedeuten? Verschleppt! Dat is doch keine Diagnose!“ Einvernehmliches Nicken. „Das Belgische Viertel wird anders sein ohne ihn.“ Stimmt. Das war es. Leerer. Leiser. Farbloser. Er fehlte uns damals sehr, und einigen fehlt er noch heute.

Kurz zuvor war Hermann zum fünfzehnten Mal fünfzig geworden. Jetzt lag er in dem bemalten Sarg, auf dem er selbst mit seinem weißen Tempelhund und der roten Katze Wunderkätzchen abgebildet war, was mich dann doch ziemlich aus der Fassung brachte, als ich meine Blumen ins offene Grab warf. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Mach et joot, Hermännsche!“ riefen ihm zwei Freundinnen nach. Weinende Männer lagen sich vor dem Grab in den Armen. Es gab viel Prominenz aus der Szene. Die Trauerfeier hätte Hermann gefallen, auch die Ansprache von Bert van der Post (der merkwürdigerweise im „Programm“ nur als Hermann und Bernd, aber nie als Bert aufgeführt wird), und auch die überwältigende Anteilnahme (geschätzte 800 Trauergäste!), die Musik und das muntere Hundegebell. Wohl auch der Grabstein, eine Säule, umschlungen von einem steinernen Schal.

Neben mir in der Trauerkapelle stand eine betagte kleine Dame mit Schmetterlingsbrille und Blumenhut („Extra für Hermann angezogen, den mochte er immer so gern!“), die in jeder Manteltasche Unmengen von Leckerchen hatte und die unruhigen Vierbeiner in ihrer Nähe damit beruhigte, wenn sie auf die musikalische Untermalung allzu heftig reagierten („Hab ich immer dabei, für alle Fälle. Ich kenn doch so viele Hundemenschen!“). Amour, der zwei Tage lang neben seinem toten Herrchen gewacht hatte, überlebte ihn offenbar nicht lange, wie ich vor kurzem erfuhr. „Vor Trauer gestorben“, sagte meine Bekannte.

 

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Hermann Götting – Erinnerungen an einen Lebenskünstler (3)

Hermann Götting und das Elektromobil SINCLAIR

Hermann Götting als stolzer SINCLAIR Fahrer  (Foto: Franta)

Georg Franta, der Inhaber des von mir sehr geschätzten „FRANTA“ in der Maastrichter Straße, erinnert sich:

„Wir hatten das Elektromobil, ich glaube, das war Anfang der 1990er Jahre, in unserem Geschäft ausgestellt. Hermann, den ich aus früherer Zeit sehr gut persönlich kannte, interessierte sich sofort für dieses „Unikum“, wie er es nannte. Hermann wollte unbedingt auffallen und fiel ja auch immer auf, und das schien ihm wieder genau das richtige Objekt dafür zu sein.

Hermann Götting (Foto: Georg Franta)

Seine Freundin MA (Braungart, Urgestein der Kölner Frauenbewegung) fuhr zu dieser Zeit mit einem verkappten Roller durch Köln, und das war schon ein Hingucker. Die Beiden überboten sich, wenn möglich, immer wieder in ihren „Auftritten“, sei es bekleidungstechnisch oder mit anderen außergewöhnlichen Dingen. Da kam Hermann das SINCLAIR natürlich gerade recht, denn so konnte er seine Freundin MA toppen, elektrotechnisch war sie ja noch nicht unterwegs.

Ich wies Hermann in die Bedienung des sehr innovativen Elektromobils ein. Ich wies Ihn natürlich auch darauf hin, dass die Fortbewegung mittels Druckknopf nur eine Tretunterstützung zu den vorhandenen Pedalen sei, erklärte ihm, dass dies bei Dauernutzung viel Batterie-Energie koste und dass die Batterie dann natürlich irgendwann schlapp machen würde.

Hermann Götting (Foto: Georg Franta)

Aber Herman war eher der bequeme Typ und fuhr natürlich per Knopfdruck los (sieht ja auch viel cooler aus!) – und zwar gleich über die Deutzer Brücke auf die andere Rheinseite, was zu viel Bewunderung bei den übrigen Verkehrsteilnehmern führte. Hermann hatte also seine Aufmerksamkeit…

Irgendwann am Abend kam er mitsamt SINCLAIR zurück in die Maastrichter Straße zu unserem Geschäft – fix und fertig und nass geschwitzt. Die Deutzer Brücke von der linken Rheinseite aus war (per Knopfdruck) kein Problem gewesen. Aber die Rückfahrt! Hier musste Hermann leider mangels Batterie-Energie kräftig trampeln, und das hat ihn dann doch sehr aufgewühlt.

Danach waren wir zum Glück immer noch befreundet…“

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