Alarmanlage auf Hochtouren: Überraschungsgewürz

Öfter mal was Neues!

Mein Mann liebt Überraschungen und probiert in der Küche gern neue Zutaten und kreative Ideen aus. Zum Beispiel letzten Samstag. Es gab Lachs. Ich muss gestehen, dass ich nicht sonderlich gern Fisch esse. Es sei denn, er wurde von meinem Mann zubereitet. Im Restaurant würde ich nie Fisch bestellen, weil er mir von vornherein verdächtig ist. Mit zwanzig hatte ich mal eine üble Fischvergiftung. So was prägt. Danach habe ich zehn Jahre lang keinen Fisch angerührt. Aber mein Mann ist ein wahrer Kochkünstler und weiß genau, welche Gewürze ich liebe. Zum Beispiel Pfeffer, Koriander, Muskat und Zimt. Er weiß außerdem, dass ich Saucen mag. Besonders Sahnesaucen.

Zickige Geschmacksknospen

Für zickige hochsensible Geschmacksknopsen zu kochen ist gar nicht so einfach. Da ich extrem auf Salz reagiere, sind meine Portionen kaum gesalzen, und so kann ich nach Belieben nachsalzen. Was für andere normal schmeckt, finden meine Geschmacksknospen meistens schon versalzen. Nur Pfeffer mögen die Knospen und ich richtig gern. Davon können wir gar nicht genug bekommen. Alle Arten. Schwarzen, weißen. Kerala, Belem, Malabar. Egal. Wir lieben schon den Duft! Schärfe macht mir und den Knospen nichts aus. Wir mögen auch Chili und Ingwer.

Würde ich den Mut aufbringen, meine vielen kapriziösen HS-Knospen-Sonderwünsche ehrlich und laut zu äußern, könnte man sich glatt an Sally aus „Harry und Sally“ erinnert fühlen. Natürlich würde ich das im Restaurant nie tun. Aber ich könnte: „Zwiebeln nur gedünstet, nie roh, am liebsten klein geschnitten, nicht in Ringen oder Scheiben. Bitte auf keinen Fall süßen Senf. Essig wirklich nur in homöopathischer Dosierung, das ist mein absoluter Ernst! Kein Estragon. Keine Senfsaat. Und auf gar keinen Fall Sellerie!“ Ich HASSE Sellerie. Schon der Geruch ist ekelhaft. Genau wie Essig. Ich VERABSCHEUE Essig. Ich mag ihn weder riechen noch schmecken. Es schüttelt mich schon beim Schreiben. Ausnahmen sind Himbeeressig und sehr guter Balsamico.

Lachsfilet

Doch zurück zum samstäglichen Fischmenu. Das Lachsfilet, das auf dem liebevoll dekorierten Teller vor mir lag („Das Auge isst schließlich mit“, sagt mein Mann) war mit zarten Dillstängelchen garniert und sah äußerst lecker aus. Schöne Farbe. Angenehmer Geruch, kein bisschen fischig oder tranig. Genau richtig lang gebraten. Ich mag Fisch nicht, wenn er glibberig ist, und ich mag auch nicht, wenn er zu trocken ist, und gekochten Fisch esse ich sowieso überhaupt nicht! Direkt daneben lag ein kleines appetitliches Hügelchen aus frisch in der Pfanne zubereitetem und trotzdem schön grün gebliebenen Babyspinat. Braunstichig geht gar nicht, aber ein Spritzer Zitrone und genau die richtige Pfannenverweildauer lösen das Problem.

Vergiftet? Verdorben? Hochsensibel?

Da der Küchenchef mir eine besondere Freude machen wollte, hatte er extra für mich eine neue Pfeffervariante mitgebracht. Zumindest dachte er, dass es sich um Pfeffer handeln müsse, denn immerhin hieß das Gewürz ja so. So weit, so gut. Ich steckte mir das erste Stückchen Lachs in den Mund – und erschrak! Was war denn mit dem Fisch los? War er verdorben? Warum prickelte und kribbelte es plötzlich so unangenehm auf der Zunge und auf der Mundschleimhaut? Vor allem das vordere Drittel der Zunge und die Mundschleimhaut an den vorderen Seiten und ganz vorn bis zur Lippe waren betroffen. Und wie! Es kribbelte und prickelte wie wild und dann fühlte es sich plötzlich irgendwie an, als hätte ich mehrere Tropfen pures japanisches Pfefferminzöl darauf verrieben. Vielleicht erinnerte es auch ein bisschen an Kampfer. Es wurde auch nicht besser, als ich mir zur Ablöschung und Neutralisierung eine Gabel Babyspinatblätter in den Mund steckte. Es wurde noch schlimmer! Auch der Spinat war offenbar verdorben und in perlige Gärung übergegangen! War ich jetzt vergiftet? Zu allem Übel fing ich auch noch an wie verrückt zu speicheln, und dann begann mein Mund auf einmal taub zu werden. Er fühlte sich an wie anästhesiert! Der Gesamteffekt erinnerte mich erschreckend an „Zahnarztstuhl nach Betäubungsspritze“! Die Alarmanlage lief inzwischen auf Hochtouren. Langsam sprangen auch die Panikmelder an. Trotzdem wollte ich vor dem kompletten Ausrasten ganz sicher gehen. Schnell ein Schluck Mineralwasser. Vielleicht war das ja alles nur Einbildung? Mein Mann zeigte schließlich keinerlei Reaktion, er schob sich gerade das dritte Lachsstück in den Mund.

Da ich extrem mutig bin, wagte ich noch einen Versuch. Mal sehen! Leider hoffnungslos. Ungenießbar prickelnd. Beides. Lachs und Spinat. Nach dem zweiten Testgang MUSSTE ich die heikle Frage stellen, auch wenn ich meine Lieblingskoch damit möglicherweise tief verletzen würde. Entweder war der Fisch verdorben und gesundheitsgefährdend oder meine hochsensiblen Geschmacksknospen zeigten mir wieder mal eindrucksvoll, dass der kreative Küchenchef meines Vertrauens mich mit einer lukullischen Neuerung zu erfreuen suchte.

Zanthoxylum Piperitum

Ich gab mir also einen Ruck und fragte. „Hast du zufällig ein neues Gewürz ausprobiert?“ Mein Mann blickte mich erschrocken an. Er spricht zwar kein „Hochsensibel“, aber er versteht es recht gut und hörte daher gleich, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Ja, hab ich. Szechuan Pfeffer. Schmeckt es dir nicht?“ Er wirkte enttäuscht.

Erleichterung machte sich in meinem Alarmsystem breit und verwandelte den Stress auf der Stelle in belustigte Neugier. Die blinkenden Signallampen waren schon nicht mehr ganz so bedrohlich, und die Sirenen verstummten langsam. Es war NUR ein neues Gewürz!

„Merkst du denn nichts?“ erkundigte ich mich interessiert. Nein, er merkte GAR nichts. Ihm schmeckte der Lachs hervorragend. Keinerlei perlige Prickelei. Das neue Gewürz war nur nicht sonderlich scharf, da hätte er echt mehr erwartet.„Was ist es denn?“ wollte ich wissen.

„Szechuanpfeffer.“ Das Zeug war auch am Spinat, daher meine heftige Doppelreaktion.Ich schilderte ihm eindrucksvoll und unmittelbar meine Zahnarztstuhlreaktion. Er wirkte tief beeindruckt. „DAS spürst du alles? Kaum zu glauben!“

Zum Glück sind wir stolze Besitzer eines sehr guten Gewürzbuchs. Es heißt „Workshop Würzen“ und ist von Bettina Matthei, die auch einen eigenen Gewürzversand betreibt, bei dem ich mir schon oft tolle Mischungen bestellt habe. Auf Seite 201 steht er: der Szechuanpfeffer. Zanthoxylum Piperitum. Was ich da las, führte zu absoluter Beruhigung und machte den Rest der Mahlzeit zu einem Genuss der ganz besonderen Art. Es war wirklich alles in Ordnung mit dem Lachs. Eigentlich war er perfekt. Alles gut. Es lag nur an mir und meinen hochsensiblen zickigen Geschmacksknospen. Szechuanpfeffer ist kein Pfeffer. Die Pflanze gehört zur Familie der Rautengewächse. Die Prickelwirkung kann intensiv und langanhaltend sein. So wie bei mir. Irgendwann können wir das Gewürz gern wieder benutzen, ich muss es nur vorher wissen und darauf vorbereitet sein, damit es mich nicht noch mal kalt erwischt. Wenn man Angst hat, kann man sein Essen wirklich nicht genießen.

Ach ja, heute hat der beste Ehemann von allen mir wunderbar duftenden Malabar Pfeffer mitgebracht. Gleich gibt es Gnocchetti. Mit Pilzen. Und Broccoli in Sahnesauce. Mit frisch gemahlenem Malabar Pfeffer. Völlig ohne Zanthoxylum Piperitum. Trotzdem: Ich muss die Wirkung unbedingt möglichst bald mal bei nichtsahnenden Gästen testen. Ob sie wohl auch so extrem reagieren?

Daria-Yakoleva/pixabay

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„Das Treffen“

rain

Eins meiner frühen Kölner Gedichte

Das Treffen

Großstadtwohnung Moltkestraße
gebohnertes Treppenhaus
Lebensmittelgeschäft nebenan
dritter Stock und Herzklopfen
eine durchnässte Frau klingelt
ein junger Mann steht in der Tür
beide suchen nach Worten
„was für eine Überraschung“
bist ja ganz außer Atem“
„vom Treppensteigen weißt du“
„komm doch rein“
„willst du die Tür nicht zumachen“
„leg den Mantel ab bitte
hast eine andere Frisur“
„wo soll ich denn den Schirm“
„ich bring ihn schnell ins Bad“
„werd auch nicht lange bleiben
nur sehen wie es dir geht
hast doch versprochen zu schreiben“
der Mann lächelt verlegen
„stimmt aber ich hatte keine Zeit“
„bist du jetzt glücklich“
„ja wir sind glücklich“ sagt er
sehr schnell und schaut zur Seite
„und wie geht es dir so“
sie streicht sich hastig den Rock glatt
„schön bist du und lachen tust du wie früher“
der Ring an seiner linken Hand
„hast du dich verlobt“
„weißt du denn nicht schon im August
aber jetzt erzähl mal von dir“
sie hat nichts zu erzählen
„ich lebe auch nicht mehr allein“
lügt sie mit offenen Augen
er wird immer nervöser
„du ich will dich nicht rauswerfen
aber sie kommt gleich zurück“
„versteh schon kommst du
noch mit nach unten“
die Treppe riecht nach Bohnerwachs
vor der Haustür ein flüchtiger Stirnkuss
sie versucht nicht zu zittern
spannt draußen den grünen Schirm auf
dunkle Punkte auf hellgrünem Grund
obwohl es zu regnen aufgehört hat
geht blind in die falsche Richtung
sorgsam darauf bedacht sich auf
keinen Fall nach ihm umzudrehen

(Beate Felten-Leidel, 1975)

umbrella

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„Avenidas“

Meine ganz persönlichen Assoziationen zu „dem“ Gedicht von Eugen Gomringer

Avenidas

avenidas y flores

Alleen und Blumen

flores
flores y mujeres

Blumen und Frauen

avenidas
avenidas y mujeres

Alleen und Blumen und Frauen

avenidas y flores y mujeres y
un admirador

ein Bewunderer

 

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Hochsensible Alarmanlage

wenn die Alarmglocken schrillen…. (Bild: Iculig/123rf.com)

Wie erklärt man Hochsensibilität?

Wie erklärt man jemandem, der noch nie etwas von Hochsensibilität gehört hat, diese Eigenart? Man kann sie sich gut wie eine komplizierte, mit allen Raffinessen ausgestattete innere Alarmanlage vorstellen.

Individuelle Krisenmelder

„normale“ Alarmanlage (Bild:Boiko Illia/123rf.com)

Jeder Mensch wird sozusagen mit einem individuellen Krisenmelder geboren, der vor Bedrohungen warnt. Die Normalversion ist solide, stabil und zuverlässig, reagiert nur bei Gefahr und ist wenig störanfällig. Wenn sie Alarm schlägt, steht ein Einbrecher vor der Tür, droht ein Herzinfarkt, steckt man in einer Beziehungskrise oder hat Megastress im Büro.

Hochsensible Alarmanlage

Die empfindliche Hochleistungsversion dagegen ist mit unzähligen komplizierten Zusatzsensoren, Rauchmeldern, Fühlern, Mikrofonen und Kameras ausgestattet. Die Sirenen schrillen bereits, wenn ein Mäuschen vorbeihuscht, das Herz zu schnell schlägt, der Partner ein falsches Wort sagt oder die Chefin komisch guckt. Manchmal reicht es sogar schon, wenn jemand in der Nähe lediglich hörbar kaut oder atmet. Die Riesenanlage macht unglaublich viel Lärm um nichts, und kaum jemand kommt auf Anhieb mit ihr klar.

meine HS Alarmanlage (Detail 1)

Wie zum Teufel funktioniert das Ding bloß?

Irgendwann hadert der überforderte Anlagebesitzer mit sich und der Welt. Warum bin ausgerechnet ich mit diesem Ungetüm geschlagen? Warum kann ich damit nicht umgehen? Alle anderen schaffen es doch mit ihren Anlagen auch. Warum springen all meine vielen Konvertoren und Transformatoren nicht an? Wie kann ich sie in Gang setzen? Wie kann ich Angst in Neugierde oder Stress in Eu-Stress verwandeln? Wie kann ich den ständigen Hintergrund-Scan zumindest kurzzeitig ausstellen? Den Entspannungsmodus aktivieren? Den Panikmodus verlassen? Was muss ich beachten, wenn ich einen Neustart durchführen möchte?

meine HS Alarmanlage (Detail2 – und so geht das endlos weiter… )

Keiner versteht mich…..

Auf Verständnis kann man nicht hoffen. »Stell das Ding doch ab! Hör nicht hin, wenn die Sirenen heulen. Markerschütternd? Ohrenbetäubend? Komisch, ich höre nichts. Leg dir doch eine andere Anlage zu!« Wenn es nur so einfach wäre. Man hat sich das zickige Supermodell schließlich nicht selbst ausgesucht! Früher oder später schämt sich der arme Besitzer nur noch in Grund und Boden und kann sich selbst nicht mehr leiden. Fatal! Für Schwankungen des Selbstwertgefühls gibt es einen Zusatzsensor, der mit hochgiftigen Stressdämpfen reagiert. Was tun?

„perfect bliss“ – so nenne ich ganz besondere Wohlfühlmomente (Bild: Erik Reis/123rf.com)

Gebrauchsanweisungen

Hoffnung naht! Seit einigen Jahren gibt es nämlich »Gebrauchsanweisungen« für die komplizierte Anlage, die genau erklären, wie sie funktioniert und wie man sie warten, umprogrammieren oder zumindest so einstellen kann, dass sie nicht ständig stört. Bereits das Lesen führt zu sofortiger Entspannung. Es hilft, wenn man endlich versteht, dass sie bestimmten Mustern folgt, die allerdings bei jedem anders sein können. Vielleicht reagiert sie besonders heftig, wenn man ein Kaufhaus betritt, Hunger verspürt, oder das Thermometer 30 Grad übersteigt? (Bei mir liegt die Wohlfühltemperatur bei 20-24°, ab 30 schrillt bei mir unüberhörbar die Alarmglocke und hatte früher sogar einen direkten Draht zum Panikmodus.)

Schlüssel zum Glück (Bild: Zimmytws/123rf.com)

Lebensverfeinerungssystem

Aber das Beste kommt noch. Wenn man sich liebevoll mit ihr beschäftigt, offenbart die Anlage ihre wahren Qualitäten, und schon hat man das faszinierendste Lebensverfeinerungssystem, das man sich vorstellen kann: eine Anlage, die sämtliche Sinneseindrücke und Gefühle genau aufzeichnet und verstärkt, eindrucksvolle Bilder, Erinnerungen und Träume produziert und über ein riesiges Kreativitätsarchiv  verfügt. Wenn man den richtigen Knopf gefunden hat, kann man unglaublich schöne kleine Wohlfühlmomente erleben, die ich bei mir „perfect bliss“ nenne. Die Anlage schafft es manchmal sogar, dass man die Welt um sich herum komplett vergisst und ganz in dem aufgeht, was man gerade erlebt oder tut. Diesen wunderbaren Zustand frei von Stress und Angst nennt man »Flow«.

(aus: „Von wegen Mimose“, meiner eigenen hochsensiblen „Gebrauchsanweisung“)

so fühlt sich bei mir ein Flow an …… (Bild: delcreations/123rf.com)

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„Wenn et Fasteloavend es….“

Fasteloavend (BFL)

Als Kinder gingen wir am Niederrhein an Fasteloavend immer die „Vuu jaare“. Dazu zogen wir kostümiert von Haus zu Haus, sangen ein altes plattdeutsches Lied und sammelten so viele Süßigkeiten, wie wir nur tragen konnten. Wer trotz intensiver Beschallung die Tür nicht öffnete, wurde als „Jitshols“ beschimpft.

„Wän et Fasteloavend es, dann jaare we di Vuu! Aier Aier in dä Koref, Leäwerwuersch detuu!
 Lot dat Mätske sengke, duer de vätte Schengke, Abrams Käthe, der Moon es duet, di Vrau es duet, Jef die Vrau jet vöer di Schnuut!“

Wir hatten sogar beim Heischegang mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen, denn unsere Mütter hatten bei der Kostümwahl leider das letzte Wort. Ich wäre liebend gern wenigstens ein Mal Cowboy gewesen, aber das schickte sich nicht für Mädchen. Auch Winnie durfte nicht Häuptling sein, aber immerhin Indianerin. Mit langen, blauschwarzen Zöpfen und rabenschwarzen Augenbrauen. Darauf hatte ihre Mutter bestanden. Sie trug ein sackartiges Gewand mit Fransen, braune Mokassins und ein gestreiftes Stirnband, das mit einer einzigen giftgrünen Feder geschmückt war.

„Schon wieder kein richtijer Kopfschmuck“, maulte sie. „Bloß die blöden Zöpfe und die ömmelige Feder. So’n Mist.“ Sie überlegte. „Machste mir die Zöpfe mal auf?“

Danach sah sie richtig wild aus. Ihre neuen Haare waren blauschwarz und wellig und reichten ihr fast bis auf die Brust. Die Feder saß jetzt nicht mehr ordentlich hinten am Kopf, sondern schön schief an der Seite. Winnie hatte noch mehr Federn mitgebracht, die wir zusätzlich in ihrer eindrucksvollen Mähne verteilten.

„Rotweiß“ (BFL)

Mich hatte es diesmal wieder besonders schlimm erwischt. Mein Kostüm war bunt mit Rauten. Gelben, grünen, blauen, roten und weißen. Auch die roten und gelben Zacken mit den vielen Glöckchen an Ärmeln und Knöcheln gefielen mir gar nicht. Ich sah wirklich kein bisschen cowboymäßig aus. Notfalls wäre ich auch gern als Pirat gegangen. Mit Augenklappe und Säbel. Aber leider gehörte sich auch das nicht für Mädchen. Am schlimmsten war mein Narrenhut mit den beiden großen Glöckchen, die bei jeder Bewegung fröhlich bimmelten. Angeblich das Markenzeichen meiner Figur, aber leider viel zu eng und viel zu warm. Vorn sah die Schellenkappe aus wie Micky Maus, denn ich hatte ein schwarzes „V“ mitten auf der Stirn, das wie verrückt juckte.

„Schon wieder so wat Komisches!“ wunderte sich Winnie. „Wat biste denn diesmal?“ – „Till Eulenspiegel“, antwortete ich bedrückt. – „Kenn’ ich nich’“, sagte Winnie. – „Meine Mutter sagt, der is’ richtig berühmt“, verteidigte ich ihn. – „Kenn’ ich trotzdem nich’“, meinte Winnie. „Na ja, wenigstens haste Jlöckchen. Un’ zwar ziemlich viele.“ – „Aber die Hörner!“ – „Ja, die Hörner sind wirklich Scheiße!“, musste Winnie zustimmen.

Besonders scheußlich fanden wir unsere knallroten Lippen, auch eine Idee unserer Mütter, und den ekelhaften Schönheitsfleck, der mitten auf meiner rechten Wange prangte. Wieso hatte dieser Till Eulenspiegel eigentlich einen Schönheitsfleck? Er war doch ein Mann! Als ich versuchte, ihn abzuwischen, gab es eine Riesenschmiererei. Winnie griff tatkräftig ein. Mit einem nicht ganz sauberen Taschentuch und ziemlich viel Spucke. „Ich krieg’ dat auch nicht ab“, resignierte sie schließlich. „Jetzt siehste noch schlimmer aus als vorher. Die Backe is’ knallrot.“ – „So’n Mist“, maulte Till Eulenspiegel, während die Glöckchen lustig an seinen Knöcheln und seiner Schellenkappe bimmelten. „Dann bin ich ja total verschangeliert!“ – „Aber et passt jut zum Lippenstift“, tröstete mich Winnie. „Von der Farbe her, mein’ ich.“

„Clown“ (BFL)

Axel Brökskes von gegenüber durfte natürlich Häuptling sein und wusste sein Glück nicht mal zu würdigen. Er raste nur wild ballernd durch die Gegend, brüllte „A-a-a-a!“ und schlug sich dabei mit der Hand vor den Mund. Als er Winnie sah, grinste er blöd und sagte: „Huck! Da kommt ja meine Squaw!“

„Wenn de nich’ sofort die Schnauze hältst“, ranzte Winnie ihn an, „kriechste eins aufs Maul. Außerdem find’ ich deine Kriegsbemalung bescheuert.“

Axel zögerte. Die bunten Streifen auf seinem Gesicht begannen unsicher zu zucken. „Aber die Marlies, die sieht wirklich Scheiße aus!“, rief er schnell, schwang ein letztes Mal drohend sein Kriegsbeil und ritt auf seinem imaginären Hengst davon. Wir waren stinksauer. Warum ließen Eltern einen nicht mal an Karneval das sein, was man wirklich wollte? Dann hätten wir es dem blöden Axel zeigen und ihn kurz und klein hauen können. Oder ihn wenigstens an den Marterpfahl binden und um ihn herumtanzen können. „So schlimm siehste auch wieder nich’ aus“, tröstete mich Winnie. „Dat Kostüm is’ schon irjenswie interessant, find’ ich.“

Mit unseren Körben bewaffnet marschierten wir auch diesmal mutig von Haus zu Haus und sangen, was das Zeug hielt. Was der Liedtext bedeutete, wussten wir nicht. Es war eben echte Kattendonker Tradition und uralt. Das genügte. Das hatten schon unsere Großeltern gesungen.

„Dreeimol öm di Flööt, dreeimoel öm di Tööt, dreeimol öm dä Schtüüver Schtüüver,
 Moon lot ons net te lang waute
, We mode noch en Hüske wier joan. Jäf mich en Ai, dann jon ich verbai
. Jäf mich ene Tsänt, dann bin ich kontänt.“

(aus: „Mit Winnie in Kattendonk“)

„Feder“ (BFL)

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