Hochsensible Angst trifft Corona

Eigentlich ganz hübsch….  (Matthewafflecat/pixabay)

Im Moment ist es nicht nur für ängstliche Menschen sehr schwer, ruhig und gelassen zu bleiben, wenn sie die Zeitung aufschlagen, den Fernseher anschalten, aufs Handy  schauen oder die Radionachrichten hören. Oder wenn sie versuchen, panische Familienmitglieder und FreundInnen zu beruhigen oder verunsicherten Kindern die derzeitige Weltgesundheitslage zu erklären. Als Schriftstellerin und „Angstexpertin“ versuche ich, das Ganze positiv zu sehen: Gerade jetzt bietet mir die Angst wieder mal eine hervorragende Gelegenheit, sie unmittelbar und hautnah zu erforschen. Bei mir selbst und bei anderen.

Vielleicht sollte ich ein zweites Angstbuch schreiben, denn Corona, Klimawandel, Rechtsruck, skrupellose Politiker, Fake News und globale Weltuntergangsstimmung kamen in „Hasenherz und Sorgenketten“ nicht vor. Und wieder wird mir klar: Der Angst muss man zuhören, um sie erfolgreich beruhigen zu können. Es bringt nichts, sich von ihr überwältigen und mitreißen zu lassen, ihr blind zu folgen, wenn sie außer Kontrolle gerät, oder sie verächtlich niederzumachen, wenn sie einen quält, sie schönzureden, weil sie einem peinlich ist, sie zu verdrängen oder zu leugnen, weil sie einem lästig ist oder nicht ins eigene Weltbild paßt, oder sie zu verteufeln, aus welchem Grund auch immer.

Angst ist kein Stigma, keine Schwäche, keine Schande und auch keine „Seuche“, die schlimmer ist als die schlimmsten Viren, wie eine Tageszeitung es gestern ausdrückte. Klar ist Angst ansteckend! Aber das sind Gähnen und Lachen auch. Teil der Massenpanik wird die eigene Angst erst, wenn man zulässt, dass sie sich gemeinsam mit fremden Ängsten zur Stampede hochputscht. Angst ist nichts Abstraktes. Sie gehört zu uns wie das Atmen. Wenn man Glück hat, kann die unheimliche „Lady Angst“ sogar zur Freundin oder Schwester werden. Wenn man sich freundlich auf sie einlässt und sie Vertrauen fasst, kann man durchaus mit ihr reden. Dann ist sie auch bereit zu Kompromissen, gibt sich mit dem Vereinbarten (einigermaßen) zufrieden und lässt einen (mehr oder weniger) in Ruhe. Sie versucht es zumindest. Aber manchmal muss man sie eben auch eine Weile an die Hand nehmen und ihr gut zureden wie einem verstörten Kind. Zum Beispiel in Zeiten der Pandemie.

Gefühlte Bedrohung (freakwave/pixabay)

Es ist schrecklich bis unerträglich, wenn man als Angstmensch nachts im Bett liegt, die Horror-Bilder des Tages ungewollt an einem vorüberziehen und schließlich auch noch das Kopfkino mit all seinen Katastrophenszenen anspringt, daher sollte man zur Prophylaxe rechtzeitig einige Gegenmittel zur Hand haben. Meine Angst macht mir im Moment leider beträchtlich zu schaffen, weil ich ja schon in normalen Zeiten eine ausgewachsene Krankenhausphobie habe und nicht mal Filme mit dem Bergdoktor ertrage! Und dann diese Seuchenbilder jeden Tag!!!! Wenn ich das dräuende Nachttheater abwenden oder eindämmen will, muss ich mich daher nachhaltig um meine Angst kümmern.

Ein gutes (wenn auch etwas zeitaufwendiges) Mittel habe ich gefunden: Ich gönne uns möglichst zweimal am Tag eine halbe Therapiestunde mit der beruhigenden Stimme von Dr. Martin L. Rossman („Guided Imagery“). Von ihm gibt es CDs und Bücher sowohl gegen Stress als auch gegen Angst, und die Entspannungs- und Visualisierungsübungen (innere Bilder haben mir auch in der Therapie immer sehr geholfen) beruhigen meine Angst auch, wenn uns beiden nachts das Herz bis zum Hals schlägt und wir liebend gern endlich wieder einschlafen möchten. Die schlimmen Zeitungs- und Fernsehbilder schaffen es im Moment oft bis in meine Träume, und nachts war meine Angst schon immer besonders anfällig und trostbedürftig. Bevor sie also anfängt, völlig aus dem Ruder zu laufen und mir körperliche Beschwerden zu machen, erkundige ich mich erfahrungsgemäß am besten liebevoll nach ihren Bedürfnissen.

Problempunkt eins: Alice (BFL)

Die Liste – Das kennt sie schon, und bisher hat es immer geholfen. Ich nehme sie in den Arm und frage: „Was macht dir denn eigentlich am meisten zu schaffen? Lass uns mal eine Liste schreiben. Du sagst mir deine drei wichtigsten Probleme, und die gehen wir dann gemeinsam an. Ich komm dir entgegen, und du beruhigst dich wieder.“  Wie üblich hat sie mich auch diesmal verblüfft. Schon komisch, was meiner Angst bei Sars-CoV-2 (wer denkt sich bloß diese bescheuerten komplizierten politisch korrekten Namen aus, um nur ja kein Land und keine Tierart zu beleidigen?) die größte Furcht bereitet. Nicht etwa das Virus oder die Krankheit. Nein, Problempunkt eins ist die Katze! Alice könnte unversorgt bleiben, wenn ich erkranke und unheimliche Maskierte in Schutzanzügen mich in die Isolierstation verfrachten. Oder wenn mitten in der Quarantäne das Katzenfutter ausgeht. Oder wenn es plötzlich gar kein Katzenfutter mehr gibt, wenn Supermärkte und Futterhäuser schließen, weil sämtliche Mitarbeiter erkrankt oder in Quarantäne sind. Oder weil andere Katzenhalter alles leer gekauft haben. Es sprudelt nur so aus ihr heraus. „Katzenstreu hätten wir dann auch keins mehr!“ Bei der Vorstellung muss ich grinsen. Das wäre in der Tat übel. Aber das läßt sich ja ändern. Noch.

Das Riesenpaket (BFL)

Das Paket – Gemeinsam mit meinem kopfschüttelnden Mann schleppte ich noch am selben Tag eine Tasche voll Katzenfutter und fünf Säcke Katzenstreu an. Die stehen jetzt in unserer Garage. Zudem bestellte ich (heimlich, nur im Beisein von Alice und der Angst) im Internet ein Riesenpaket Katzenfutter. Wirklich ein Riesenpaket! Wahrscheinlich hat meine alte Alice damit für den Rest ihres Lebens ausgesorgt. Zum Glück ist der Inhalt bis Ende 2022 haltbar. Beunruhigend (für die Angst) war nur, dass GLS das Paket eine Woche lang nicht lieferte. Vielleicht weil es 24 Kilo wog? Der Angst ging gleich wieder die Fantasie durch. Hatte das Virus den GLS-Fahrer erwischt, in dessen Transportfahrzeug sich unser Paket befand? Täglich kamen Mails mit neuen Zustellterminen. „Sars ist überall“, kreischte die Angst hysterisch. „Immer mit der Ruhe,“ sagte ich, „das kommt schon noch.“ Ich hatte Recht. Heute morgen kam das Paket. Es war so schwer, dass der Bote es kaum tragen konnte. Mein Mann stand entgeistert auf der Treppe und meinte „So groß hatte ich mir das jetzt nicht vorgestellt.“ Ich hatte ihn (selbstverständlich) vorab über Größe und Gewicht des Pakets informiert, hätte ja sein können, dass er es zufällig hätte annehmen müssen. Offenbar hat er mir mal wieder nicht geglaubt. Ich übertreibe selten, aber das lernt er nie. „Du spinnst!“, meinte er. „Aber ich liebe dich trotzdem.“ Ein Glück.

Dummerweise quält sich meine Angst schon mit einer neuen unerwarteten Sorge: Die Viren könnten Haustiere befallen! Sie hat noch eine Horrormeldung entdeckt: „Erster Hund infiziert!“ „Und die Viren stammen ja von Tieren“, erklärt sie. Stimmt. Höchstwahrscheinlich von Fledermäusen, und auf dem Weg zu uns war offenbar eine Schleichkatzenart (der sogenannte Larvenroller!) der Zwischenwirt. Bis vor kurzem wussten weder meine Angst noch ich, dass es dieses Vieh überhaupt gibt. Eigentlich ganz sympathisch mit seiner dunklen Gesichtsmaske, wenn man denn ausblendet, welch üblen Gast er zwischenbewirtet. Apropos Gesichtsmaske: Die standen zu meiner Verwunderung nicht auf der Liste meiner Angst. Fiel mir gleich auf, daher hakte ich nach.

Mundschutz (Ani Kolleshi/unsplash)

„Soll ich auch Atemschutzmasken kaufen?“ Die Angst winkte verlegen ab. „Lieber nicht.“ Also kaufte ich keine, obwohl mein hochsensibles Alarmsystem mich bereits auf diese Möglichkeit aufmerksam machte, als  die Dinger noch haufenweise in den Apotheken lagen und von Hamsterkäufen keine Rede war. Jetzt sind sie nicht mehr lieferbar. Pech. Etliche Bekannte haben inzwischen eindrucksvolle Vorräte gebunkert und berichten stolz davon. Aber meine Angst kriegt unter so was Panikattacken, weil die Dinger ihr Klaustrophobie machen. „Außerdem sind sie nach 20 Minuten von der eigenen Atemluft so feucht, dass sie gar keine Viren mehr abhalten.“ Manchmal klingt sie geradezu vernünftig. Natürlich nur, wenn ihr Vernunft in den Kram passt. Das mit der feuchten Atemluft haben wir in der Zeitung gelesen und auch vom Arzt unseres Vertrauens bestätigt gehört. (Wir sind mit einem Virologen verheiratet.) „Man darf Atemschutzmasken auf keinen Fall anfassen und muss sie dauernd durch frische ersetzen. So viele hat kein Mensch“, doziert die Angst. „Außerdem sollten sie in Zeiten wie diesen dem medizinischem Personal vorbehalten sein, sonst geht denen am Ende der Atemschutz aus. Ohnehin dienen sie mehr dem Schutz der anderen als dem eigenen.“ Erst zum Schluss kommt die Wahrheit ans Licht. „Mich erinnern sie sofort an Zahnarzt“, gesteht die Angst. „Und das macht mich fertig.“ Kann ich verstehen. In Gedanken seh ich uns gleich wieder zusammen verspannt und verkrallt im Behandlungsstuhl sitzen. Das machen wir immer. Zahnarztphobie. Leider. Die Angst verzieht schmerzlich ihr Gesicht. Ich auch.

Punkt zwei auf der Liste waren Medikamente. Fand ich vernünftig. Daher begab ich mich mit den nötigen Rezepten und viel Geld zur Apotheke und deckte mich mit allem ein, was mein Mann, Alice, und ich für mindestens einen Monat brauchen. Für die Angst hab ich auch was geholt. Falls sie Panik bekommen sollte. „Du denkst wirklich an alles“, seufzte sie dankbar, und danach ging es ihr gleich besser. Fehlte also nur noch Punkt drei mit seinen diversen Unterpunkten.

Punkt drei waren Lebensmittel. „Aber übertreib bitte nicht“, sagte ich, „Wirklich nur ein paar Sachen. Wir haben echt genug Vorräte im Spind.“ Die Angst sah das ein, verlangte aber unbedingt mehr Schwarzbrot (hält ewig und lässt sich einfrieren), also kaufte ich vier Pakete, das müsste eigentlich reichen, eine weitere Riesenpackung Teebeutel (original englisch, unbedingt). Dazu noch etliche Behälter H-Milch, Philadelphia Käste und, zu meiner Verwunderung, eine ordentliche Ladung Almased. „Kann man notfalls sogar mit Wasser verdünnen und gut als vollständige Mahlzeit verwenden“, rechtfertigte sich die Angst. „Und dann auch noch Nudeln und Schokolade.“ Genug Nudeln haben wir, das konnte ich ihr ausreden, aber bei Schokolade hatte sie Recht. Ist ein gutes Angstberuhigungsmittel und wirklich sehr lecker. Kann man nie genug von haben. Der Riesenvorrat lagert in meinem Nachttisch. Wir ergatterten dabei auch gleich noch die letzte Packung Klopapier („Durchfall kommt bei Corona ziemlich oft vor“, behauptet die Angst), und das Regal war tatsächlich komplett leer gekauft. Seitdem ist meine Angst zufrieden und hält die Klappe, was Hamsterkäufe betrifft. Aber das war ja auch der Deal, die drei wichtigsten Punkte auf der Liste sind schließlich abgehakt. Fragt sich nur, wie lange die Ruhe anhält. Ich kenne ja meine Angst schon seit über einem halben Jahrhundert. Also echt lange.

Entspannen mit Steinen  (zdenek machacek/unsplash)

Sie bekam dann tatsächlich einen mäßigen Rückfall, als die ersten Corona-Fälle hier in Köln auftraten. „Das kommt mir jetzt aber doch irgendwie zu nah“, murmelte sie unruhig und sah gar nicht gut aus.“ Kannst du vielleicht noch was für mich tun?“ „Und was wäre das?“ „Desinfektionsmittel!“ „Oh Mann, warum hast du das nicht früher gesagt? Das ist jetzt echt schwierig. Morgen ist Sonntag, da sind die Läden zu. Und ich hab keine Lust, heute noch deswegen nach Köln rein zu fahren. Dazu müssten wir dann ja auch die Bahn nehmen. Also akute Virengefahr.“ Das konnte ich mir nicht verkneifen, denn ich war sauer (und faul). „Kannst du nicht wenigstens mal gucken?“ nervte sie weiter. „Nur gucken!“ Okay. Gucken ging. Ich versuchte es. Mein Mann auch. Aber Gucken war nicht. In sämtlichen Läden hier im Viertel (viele sind es zum Glück nicht) war das Zeug total ausverkauft. Wie erwartet. Derzeit nicht lieferbar. Liefertermin unbekannt. Die Angst wurde ob dieser Nachricht noch bleicher. „Vielleicht im Internet?“ Bei amazon genau dasselbe. Nur bei ebay gab es das Zeug noch. Ich verschob die Angelegenheit trotzdem auf Sonntag, weil mir das Ganze einfach zu blöd war. Aber nachts gab die Angst wieder mal keine Ruhe. „Bitte probier es noch mal! Sonst schleppt uns hier jemand die Viren rein! Aber es muss unbedingt viruzid sein. Und dann musst du sofort alle Klinken damit abwaschen.“ Hat sie auch wieder irgendwo gelesen. Sie liest eine Menge, weil sie ständig neben mir sitzt oder mir über die Schulter schaut. Manchmal liest sie auch zwischen den Zeilen und durch die Blume.

Sonntagmorgen, als mein Mann in der Kirche war („Hoffentlich schüttelt er da keinem die Hand!“ kommentierte die Angst besorgt.) und keiner uns beobachtete (außer Alice), hockten wir wieder vor dem Computer. Die Angst war reichlich aufgeregt. Das Zeug war bei ebay zwar extrem überteuert, aber was macht man nicht alles für seine Angst, vor allem, wenn sie plötzlich anfängt, wie Espenlaub zu zittern. „Sollen wir jetzt bieten oder was?“ „Bloß nicht, das dauert viel zu lange.“ „Okay. Wollte ja nur nachfragen.“

Ich war nicht die einzige, die in diesem Moment mit ihrer Angst in den Rechner starrte und scharf auf Desinfektionsmittel war. Bei den ersten Versuchen scheiterte ich kläglich, es blieb mir nicht mal genug Zeit, das angepeilte Mittel in den virtuellen Einkaufswagen zu legen, da war es bereits weggeschnappt. 20 Flaschen von 20 in der letzten Stunde verkauft! Angebot beendet! Langsam wurde auch mir mulmig. Das war in der Tat unheimlich. Erst beim fünften Versuch klappte es endlich, aber auch nur, weil ich Sofortkauf wählte. Ich sah die Angst vorwurfsvoll an. „Du weißt, wie bescheuert das ist. Völlig irrational! Wir wollten doch sparen! Nochmal mach ich das nicht. Das war jetzt wirklich schweineteuer. Außerdem kommt es per Post. Du musst also noch tagelang warten. Und vielleicht ist es auch schon verfallen oder gepantscht.“ „Oh Gott“, jammerte die Angst und fing schon wieder an, sich aufzuregen. „Vielleicht kriegt der Verkäufer ja vorher noch Sars und kann es dann gar nicht mehr schicken.“ Das hätte ich mir besser verkniffen, die Angst wurde ganz grün im Gesicht. Schnell ablenken!

(purpleshorts/pixabay)

Das Wichtigste! (purpleshorts/pixabay)

„Wir haben ja  Seife“, sagte ich. „Seife ist gut, und Händewaschen ist ohnehin das Beste. Besser als Desinfektion, auch für die Haut.“ (Meine Haut ist höchst hochsensibel.) „Aber wir haben keinen Seifenvorrat“, stöhnte die Angst. Allmählich ging sie mir voll auf den Senkel.  „Guck doch mal, ob du hier im Haus noch ein Desinfektionsmittel findest!“ Offenbar war ihr Druck so stark, dass sie sofortige Entlastung brauchte. „Aber dann ist wirklich Schluss!“ Das war mein voller Ernst, denn ich hatte noch anderes vor an diesem Tag, und das spürte sie natürlich, denn sie kennt mich ja genauso gut wie ich sie. „Versprochen! Ehrenwort!“ Also suchte ich, während sie hinter mir stand und nervös zitterte.

In irgendeinem Schrank in den Tiefen des Hauses wurde ich tatsächlich fündig, nachdem ich mir stundenlang fluchend einen Wolf gesucht und alles in Unordnung gebracht hatte. Ich fand sogar zwei Mittel. Beide schon ewig verfallen. Seit 2007. Aber sie waren mal viruzid, wie wir auf dem Etikett lesen konnten. „Besser als nichts!“ stöhnte die Angst. „Da ist ja vor allem Alkohol drin, der wird nicht schlecht, und den überleben die Viren dann vielleicht nicht.“ Jetzt reichte es mir endgültig. „Viren können gar nicht überleben“, wies ich sie zurecht, „die sind nämlich überhaupt nicht lebendig. Die sind irgendwas zwischen lebendig und tot. Nur verpacktes Genmaterial mit einer blöden Lipidhülle drum.“ Die Angst war nicht amused. „So was wie Zombies etwa?“ „Genau. So was wie Zombies!“ Manchmal kann ich erstaunlich hart sein. Man muss mich nur lang genug nerven. Danach hielt die Angst vor Schreck den ganzen Nachmittag den Mund.

Entspannen mit Seife (silviarita/pixabay)

Eigentlich halten wir uns wirklich wacker. Aber als ängstliche Hochsensible mit Neigung zu Angststörungen und Panikattacken kann man sich noch so tapfer gegen die Flut der Sätze und Bilder stemmen, irgendwann erwischt es die arme Angst doch wieder. Wenn es nicht unheimliche Desinfektionsmittel-Sprayer (sehen die nicht aus wie seelenlose Aliens oder Roboter?) oder zum Bersten volle Intensivstationen sind (vom Erschrecken über Flüchtlingsströme, hungernde Kinder, grausame Kriegsszenen, bildgewaltige Erinnerungen an KZs und Bomben auf Köln, Heuschreckenplagen in Ostafrika und schmelzende Polen ganz zu schweigen), verliert die Angst regelmäßig die Fassung, wenn sie die widersprüchlichen Meldungsfluten liest. (Ähnlich wie bei „Teile meiner Antwort könnten die Bevölkerung verunsichern.“)

Kein Grund zur Panik“ steht gleich neben „Coronavirus zehnmal so tödlich wie Influenza“ und „Minister sieht keinen Anlass für Hamsterkäufe“ direkt über „Diese Notvorräte empfiehlt die Bundesregierung“ (mit langer Liste). Unsere zaghafte Hoffnung „Es wird mich schon nicht erwischen“ zerschmettert schnell an Schlagzeilen wie „Tödliche Seuche auf dem Vormarsch“, „Virologe sicher: 70 Prozent der Deutschen bekommen das Virus“. „Außerdem sind die Louvre-Mitarbeiter im Corona-Streik“, sagt meine bestens informierte Angst. „Und der Papst hat bei seinem letzten Auftritt ganz schrecklich gehustet, dabei hat er nur noch eine Lunge, hoffentlich stirbt er jetzt nicht, und in Italien werden ab sofort keine Gottesdienste mehr gefeiert! In Italien! Also muss das echt schlimm sein! Und im Dom bleiben die Weihwasserbecken leer, und im Fernsehen gibt es eine Sondersendung zum Virus nach der anderen.“ Jetzt geht die Litanei schon wieder los! „Und Schweine haben Flügel“, sage ich trocken. „Hör endlich auf mit dem Mist.“ Tut sie aber nicht.

„Gestern stand da noch: Zahl der Coronavirus-Infektionen in Deutschland hat sich seit Freitag mehr als verdoppelt“, jammert sie. „117 nachgewiesene Infektionen in Deutschland stand da. Heute sind es schon 150!“ (Kleiner Nachtrag: heute sind es mehr als 170, und das hat sie leider auch schon wieder mitgelesen.) Sie starrt aufs Handy und liest laut vor: „Das Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich rasant aus. In Italien schnellt die Zahl der Toten nach oben. Robert-Koch-Institut und EU haben Risiko-Einschätzung angehoben. Wie soll ich da ruhig bleiben?“ „Influenza ist viel schlimmer“ sage ich, um sie zu beruhigen, auch wenn ich es besser weiß, denn es ist schließlich ein neues Virus. „Und dagegen sind wir geimpft. Sogar gegen Pneumokokken und Gürtelrose, nur weil du das wolltest. Mehr kann ich wirklich nicht tun.“ Die Angst sieht mich schuldbewußt an. „Ich mein ja auch nur.“ Die arme Angst.

„Weißt du was“, schlage ich vor, „Wir machen uns jetzt einen schönen starken Tee! Dann gucken wir uns ein paar ruhige Bilder an (am besten wirken bei ihr Steine, Strände und Wasser), und dann legen wir uns auf die Couch.“ Mit der wohltönende Stimme von Dr. Martin L. Rossman im Ohr. Er spricht Amerikanisch mit uns, und das allein wirkt Wunder. Selbst bei der Angst. Sie ist genau wie ich ziemlich anglophil. Britisches Englisch wäre zwar noch einen Tacken schöner (trotz Brexit), aber wir wollen nicht undankbar sein.

Entspannen mit Strand (Simon Rae/unsplash)

Apropos Englisch: Der Satz „Keep calm and wash your hands“ gehört zu den besten, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Ich habe ihn sofort der Angst gezeigt und auf Facebook geteilt. Besonders gelungen ist das große Stück Seife, das langsam durchs Bild flutscht. Seife ist so wunderbar! Das findet auch die Angst.

„Kannst du nicht noch mehr davon kaufen?“ „Das hatten wir doch schon“, sage ich. „Und Flüssigseife ist momentan ausverkauft, das weißt du doch. Leider auch die mit den Fischen drin.“ Fische findet sie auch gut. „Wir haben vielleicht noch was im Keller“, sagt die Angst. „Oder in der Garage. Da sind ja auch Waschbecken.“ „Weißt du was“, schlage ich vor, „wir laden dir jetzt noch ein paar neue Seifenbilder runter! Die kannst du dann angucken, so lange du willst. Das hilft dir bestimmt. Und jetzt trinken wir erst mal Tee. Und danach machen wir Guided Imagery mit Dr. Martin L. Rossman.“

Es wirkt! Ihr Atem wird ruhiger, sie starrt verzückt auf das Seifenbild und wird langsam tiefenentspannt. Zumindest für den Moment.

Entspannen mit Seife (silviarita/pixabay)

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6 Antworten zu Hochsensible Angst trifft Corona

  1. Frauke Echterhage sagt:

    Liebe Beate, Du sprichst mir aus der Seele. Deine niedergeschriebenen Gedanken könnten von mir sein … 😉😏🤔. Meine Angst lässt Deine herzlich grüßen …

  2. Karin Haberland sagt:

    Sehr gut geschrieben liebe Schriftstellerin Beate Felten-Leidel. Ich habe es in einem durch verschlungen. Eigentlich lese ich nicht gerne, muss ich gestehen. Muss an meiner peniblen „Ordentlichkeit“ liegen, denn ich muss Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort lesen, um nicht das Gefühl zu bekommen, etwas „überlesen“ zu haben und das macht das lesen von sehr langen Texten sehr anstrengend und zeitaufwändig. Und dein Text war sehr lang. Aber auch sehr gut!!! Besonders dein Beitrag zu Alice und dem riesigen Paket Katzenfutter hat mir gefallen. Hast du das wirklich gemacht? Du bist echt der Hammer! Kuß an Alice.

    • Bee sagt:

      Liebe Karin, danke fürs Lesen (der Beitrag ist ziemlich lang, das stimmt) und für die Rückmeldung. Ja, das Paket gibt es wirklich, du siehst es auf dem Foto. Herzlichen Gruß an dich und deine Katzenkinder, Beate

  3. Liebe Beate, wie immer habe ich beim Lesen sehr geschmunzelt.

    Da ich ja glaube, mein Todeszeitpunkt wird irgendwo anders festgelegt, habe ich nicht so sehr viel Angst krank zu werden. Tatsächlich habe ich auch ein paar kleine Vorräte angelegt, einfach nur, weil ich Sorge hatte, in eine Situation geraten zu können, mit der schwierig umzugehen sein könnte …

    Mich beruhigen englischsprachige Texte übrigens auch 😉

    Liebe Grüße und alles Gute für deine Angst
    Monika

    • Bee sagt:

      Liebe Monika, vor der Krankheit habe ich auch weniger Angst als vor den ganzen Drumherum. Dazu kommt wahrscheinlich auch noch die momentane Weltlage, ich hab mich in meinem Leben in keiner Zeit so unwohl gefühlt. Liebe Grüße von mir und meiner Angst

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