Als Schriftstellerin und Übersetzerin beobachte ich seit Anfang des Jahres mit Interesse die zunehmende Coronisierung meiner Muttersprache und bin schon gespannt, welche der vielen neuen Begriffe aus der aktuellen Pandemiefülle es in den Duden schaffen werden. Alle drei bis fünf Jahre kommt eine Neuauflage, und bei der letzten (2017) wurden 5.000 neue Wörter aufgenommen (unter anderem Brexit). Als ich vorige Woche (wieder mal) bei der Duden-Sprachberatung anrufen musste (leider kostenpflichtig), weil ich eine knifflige Rechtschreibfrage hatte, die ich allein unmöglich bewältigen konnte (die nette Mitarbeiterin konnte das natürlich sofort und befand sich offenbar im Home Office, denn die Verbindung war anders als sonst grottenschlecht), kam mir spontan die Idee, die Pandemie mal ein bisschen auf sprachlicher Ebene zu erforschen. Offenbar bin ich nicht die einzige Sprachinteressierte, die auf diese Idee gekommen ist. Googeln Sie mal „Corona und Sprache“!
Vorbemerkung: Als Katzenfrau kenne ich „Corona“ schon lange. Eine besonders grässliche Variante davon verursacht nämlich bei Katzen die gefürchtete und nach Ausbruch immer tödliche Krankheit FIP (Feline infektiöse Peritonitis) und gehört zu den heimtückischsten Viren überhaupt (wenn man Viren denn eine derartige Eigenschaft zuschreiben kann). Das feline Coronavirus (FCoV) bleibt in der Umgebung wochenlang infektiös, wird über den Kot ausgeschieden und von anderen Katzen oronasal (über den Mund und die Nase, klingt gefährlich vertraut, oder?) aufgenommen, ist höchst mutationsfreudig, kommt weltweit vor und gehört wohl zu den häufigsten infektiösen Todesursachen bei Katzen. Sehr, sehr viele Katzen kommen damit in Kontakt, ohne dass sie schwer erkranken. Leider mutiert das Virus immer wieder unvorhersehbar, scheinbar willkürlich und spontan in bestimmten Katzen, und man weiß nie, warum und in welchen. Besonders Kitten (auch wenn sie zunächst noch so gesund und entspannt wirken und man sie so lieb hat, dass es einem schier das Herz bricht, wenn man sie verliert) und gestresste oder kranke ältere Tieren sind davon betroffen. Einzelheiten erspare ich Ihnen lieber, aber mir wird schon bei der Erinnerung schlecht. Das klinische Erscheinungsbild ist äußerst vielfältig, und ich habe mehrmals bei geschockten Verwandten und Freunden miterleben müssen, wie ihre Katzenkinder qualvoll an FIP starben. Es kann alle Katzen treffen, ob aus dem Tierheim, aus liebevoller Familienhaltung, von erfahrenen Züchtern oder vom Bauernhof. Meine eigenen Tiere sind bisher zum Glück davon verschont geblieben, aber ich hatte jedes Mal, wenn ich Kitten aufgezogen habe, Riesenangst vor FIP und habe mich erst beruhigt, wenn die Kleinen mehrere Monate bei mir und „über den Berg“ waren. Es gibt einen Impfstoff, aber der wirkt (wenn überhaupt) nur bei Tieren, die nie Kontakt zu den Viren hatten (sehr selten), kann die Krankheit mitunter sogar auslösen (also nur Katzen ohne Antikörper impfen) und umstritten ist er auch. Die Wirksamkeitseinschätzung schwankt je nach Tierarzt zwischen „vergiss es“ und 80%. Schon das Wort Corona ist für mich daher katzenbedingt erschreckend besetzt, auch wenn ich weiß, dass unter den vielen „harmlosen“ Schnupfenviren auch Coronaviren sind. Ich hoffe inständig, dass Sars-CoV-2 nicht auch eines Tages anfängt, spontan zu mutieren. Als ich las, dass sich sowohl Großkatzen als auch Hauskatzen mit dem neuen Virus bei Menschen angesteckt haben, wurde mir extrem mulmig. Das nur zur Einstimmung. Ich wollte, ich würde FIP nicht so gut kennen. Es stimmt wirklich: Ignorance is bliss.
Flooding – In den letzten Monaten habe ich das Wort Corona so oft gehört, dass es bei mir einen gewissen Voldemort-Efffekt auslöst, was sich aber möglicherweise durch ein extremes „Flooding“ wieder ins Lot bringen lässt. Einen Versuch ist es wert. Bei der Therapie von Phobien ist „Flooding“ oft erfolgreich: Wer Angst vor Spinnen hat, wird den Viechern so lange und so massiv ausgesetzt, bis seine oder ihre Angst aufhört. Vielleicht klappt das verbal bei Corona ja auch und dann fühlt man sich besser und ist auf Dauer richtig schön gegen das Wort abgestumpft. Die Kombinationen, die dauernd auf uns einprasseln, kann man ohnehin kaum noch zählen. Allein in den kurzen WDR-Nachrichten waren es heute morgen bereits sieben, aber die standen alle schon auf meiner Liste.
Meine kleinen Sprachbetrachtungen beginnen also heute mit den Corona-Combis (sorry, Duden-Redaktion, aber es sieht mit C einfach schöner aus). Eine Woche lang habe ich mir eifrig C-Begriffe notiert – alle, die ich in unserer Tageszeitung, den Nachrichten, im Internet und in meinem Sprachgedächtnis so gefunden habe. Dass es so viele sein würden, hätte ich allerdings nicht erwartet, daher ist meine Sammlung aus Zeitmangel (oder doch eher aus Faulheit) weder vollständig noch alphabetisch, wofür ich um Nachsicht bitte. Als ich gerade fertig war (typisch!), entdeckte ich den lesenswerten Artikel von Christine Möhrs „Ein Wortnetz entspinnt sich um Corona“ (mit Mindmap und „Wortbildungsprodukten“). Dr. Möhrs ist eine Mitarbeiterin des Leibnitz-Instituts für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Die IDS-Seite war für mich übrigens eine echte Entdeckung und die erste Belohnung für meine fleißige Sammelarbeit.
Hier kommt meine (durchaus noch ausbaufähige) Sammlung, bei der sich gleich auch einige Fragen auftun: Corona-Virus (kennen wir inzwischen zu Genüge), Corona-Ausbruch (klar, Wuhan), Corona-Welle (die erste legt sich grade, die zweite wird bestimmt noch schlimmer), Corona-Krise (weltweit, mitten drin), Corona-Party (wie früher die Masern-Partys, beides ganz und gar nicht zu empfehlen), Corona-Babys (vielleicht auch nicht zu empfehlen? aber sind das nun Kinder von Corona-Müttern oder Babys, die im Lockdown gezeugt wurden? ob es davon wohl mal viele geben wird? sinken Reproduktionsraten und Vermehrungsgelüste in Pandemien oder nehmen sie zu?), Corona-Ferien (für Kinder sicher vor allem langweilig?), Corona-Maßnahmen (heiß diskutiert), Corona-Tests (auch in den Varianten C-Antikörpertest und C-Schnelltest zu haben), Corona-Ticker (nervt jeden Abend, vor allem der Fanfarenstoß und die blöden Stachelkugeln), Corona-Abitur (die armen Schüler) Corona-Update (im NDR mit Prof. Drosten, leider nur noch zweimal die Woche), „Kekulés Corona-Kompass“ (im MRD, montags bis samstags; optisches Pech, dass Corona kein K am Anfang hat), Corona-Sprechstunde (klar, worüber die da sprechen), Corona-Briefing (mein Favorit: NDR), Corona-Mythen (viele, z.B. „gegen die Krankheit helfen heiße Bäder“, übrigens auch Sonnenbäder, außerdem Knoblauch, Ingwer, Meditieren mit Lungenkraut, hochprozentiger Alkohol sowie Spritzen und Trinken von Desinfektionsmitteln und Haushaltsreinigern à la Donald Trump.), Corona-Lügen (z.B. „Mundschutzmasken gefährden die Menschen“, „Wir sind längst am Ende der Pandemie“), Corona-Leugner („Es gibt gar keine Viren!“), Corona-Verweigerer (ja, gibt es auch, sehr gelungen fand ich die Überschrift „Corona-Verweigerer attackieren Corona-Streife“). Es folgt eine kleine leserfreundliche Corona-Verschnaufpause mit Abschnitt, also tief durchatmen, gleich geht es weiter und wird dann auch noch persönlicher.
Corona-Angst (leider, siehe FIP), Corona-Fatigue (ja, echt ausgeprägt), Corona-Alpträume (auch, wird besser, wenn man die Träume aufschreibt), Corona-Lockerungen (Hoffnungsfunke), Corona-Frisur (gut, dass mich keiner sieht), Corona-Schnitt (nur den Pony, sonst fällt es auf), Corona-Mattheit (s. oben), Corona-Stress (ditto), Corona-Bonds (übersteigt mein schwach ausgeprägtes Zahlenverständnis.), Corona-Anleihen (ebenso), Corona-Neuverschuldung (schlimm), Corona-Hilfen (dringend notwendig), Corona-Bonus (längst fällig, vor allem bei Pflegekräften), Corona-Verordnung (kompliziert und überall anders, ein „Flickenteppich“ halt, auch so ein nerviges Corona-Wort, dabei sind die Dinger eigentlich ganz schön und sehr gut waschbar, zum Beispiel die von IKEA), Corona-Bußgeldkatalog (auch kompliziert und überall anders), Corona-Berichterstattung (mitunter wirklich ätzend, vor allem die Talk Shows, in denen alle schlecht gelaunt durcheinander und gegeneinander reden, und die vielen Sondersendungen, die jeden Abend das Programm derart aufmischen, dass alles, was man eigentlich sehen will, später kommt als angekündigt und das Aufnehmen nicht mehr funktioniert – oder ist das bloß bei unserem blöden Recorder so?), Corona-Verdacht (stressig), Corona-Nachweis (wie kriegt man den eigentlich mitgeteilt? per Mail? per Anruf?), Corona-Opfer (noch stressiger), Corona-Notfall (lieber nicht dran denken), Corona-Abstrich (tut angeblich weh, da sehr tief), Corona-Selbstabstrich (funktioniert das überhaupt?), Corona-Hotspot (ich sage nur: Heinsberg, und zwar schon wieder!), Corona-Tracking-App (ob es die wohl irgendwann gibt?), Corona-Letalität (absolut tödlich!), coronafreie Zone (aber wo?), Corona-Rezession (schon merkbar), Corona-Star (eindeutig Andrew Cuomo), Corona-Disaster (eindeutig der derzeitige POTUS).
Ob es wohl eines Tages Menschen gibt, die Corona so schwer traumatisiert hat, dass sie selbst als Corona-Überlebende (mit Corona-PTBS) und ihre Kinder als Corona-Kinder in die Geschichte der Psychiatrie oder Psychologie eingehen? Denkbar wären auch noch Nachcorona-Kinder (analog zu Nachkriegskindern, also zwar von Corona-Eltern, jedoch nicht während der Pandemie geboren, beides äußerst suboptimale Begriffe) und Corona-Enkel (eindeutig griffiger). Langsam geht mir jetzt die Corona-Puste aus, Corona-Überdruss und Corona-Allergie flauen ab, und nun kommt auch endlich, endlich das erhoffte erlösende Corona-Flooding. Es scheint tatsächlich zu funktionieren. Die Coronisierung der Sprache verschwimmt angenehm vor meinen Augen und Corona ist mir plötzlich sowas von egal! Schluss mit Corona! Fürs erste jedenfalls. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen: BSg (soll es angeblich schon als Kurzformel unter Mails geben, weil MfG in Pandemiezeiten nicht mehr reicht).