„Früher war alles besser“ (Printmedien)

„Früher war alles besser.“ Diesen Satz sagten die Erwachsenen, als ich klein war, und ich wusste genau, dass er nicht stimmen konnte. Denn „früher“ bedeutete Krieg und Holocaust, da konnte gar nichts besser gewesen sein! Es gab auch noch eine richtig schlimme Variante bei der Großelterngeneration, die „das hätte es bei Adolf nicht gegeben“ lautete und einem böse Schauern über den Rücken laufen ließ. Deshalb wurde der Satz auch eher hinter vorgehaltener Hand geäußert und wenn das Kind mit den Antennenohren nicht in Hörweite war.

Bald hörte ich den Früher-Satz noch öfter, und oft stimmte er auch. Ich lebte in einem Dorf, und früher war zum Beispiel der Käsemann jeden Freitag mit seinem Wagen gekommen und hatte Milch, Eier und Käse gebracht. Früher hatte der Bäcker jeden Morgen eine Tüte mit frischen Brötchen vor die Tür gestellt. Früher gab es noch die alten Damen in den gemütlichen, hochinteressant und wild durcheinander duftenden Tante Emma-Läden, die auch am Wochenende und abends ausnahmsweise öffneten, wenn man lieb an die Tür klopfte. Vielleicht war es früher für den Käsemann und den Bäcker und die Frau vom Tante Emma-Laden nicht so gut gewesen, aber für uns andere Dorfbewohner auf jeden Fall. Jetzt musste man seine Einkäufe alle selbst machen, da kam keiner mehr ans Haus und schwang die große Glocke.

In der Pubertät fing der Satz schließlich an, mich wirklich zu nerven, denn die Vergleiche und Vorwürfe betrafen plötzlich mich persönlich und waren nur noch vorwurfsvoll und kritisch. Früher hatten die Jugendlichen noch richtig schöne Haarschnitte, gute Manieren, hörten anständige Musik, hatten noch Anstand im Leib, waren ordentlich und fleißig, liefen nicht in unmöglichen Klamotten herum. „Als wir jung waren“, behandelte man seine Eltern und Lehrer noch mit Respekt, räumte ohne Widerworte sein Zimmer auf, aß alles, was auf den Tisch kam, püselte nicht mit seinem Freund in aller Öffentlichkeit herum …. Die Litaneien waren endlos. Ich glaubte den Erwachsenen kein Wort und schloss messerscharf, dass wahrscheinlich jede Elterngeneration mit Früher-Sätzen nur so um sich warf.

Offenbar ist es eine Frage des zunehmenden Alters, jedenfalls ertappe ich mich neuerdings zu meinem großen Entsetzen selbst immer öfter dabei, dass ich den ärgerlichen Satz sage. Wobei „früher“ bei mir vor allem „vor der Pandemie“, „bevor ich Covid hatte“, „vor dem Ukraine-Krieg“ und „als ich noch besser laufen konnte“ bedeutet. Aber manchmal auch „als noch nicht alles digitalisiert war“, „als noch nicht alle am Handy hingen“ oder „als es noch nicht so viele Pins und Tans und ID-Passwörter gab“, „als noch nicht alles so kompliziert war“. Für mich stimmen diese Frühersätze sogar. Immer mehr Läden schließen. Immer schwieriger wird es, einfache alltägliche Dinge „richtig“ zu kaufen statt einfach im Internet, und immer nerviger werden die Kontaktaufnahmen mit Behörden und Firmen.

Früher gab es nur echte Menschen am Telefon, heute gibt es immer mehr unerträgliches Gedudel mit nervigen Warteschleifen (Postbank, Vodafone, Telekom, Taxiruf, Hermes und DPD verdienen hier in meiner persönlichen Erfahrung eindeutig einen eigenen Beitrag, zu dem ich mich möglicherweise auch noch aufraffen werde), die einen auch nach stundenlanger Warterei („Die momentane Wartezeit beträgt länger als 40 Minuten“, bei der Postbank habe ich einmal am Telefon gehangen, bis der Akku leer war, nämlich vier geschlagene Stunden, aber es war auch echt dringend) noch gnadenlos rauskatapultieren. „Leider sind alle unsere Mitarbeiter gerade im Gespräch, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal“, „leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an, bitte versuchen Sie es später noch einmal“, dabei IST gerade Geschäftszeit! Oder sie schmeißen dich einfach nur so mit einem kurzen Knacks aus der Verbindung. Und es gibt immer mehr ärgerliche Bots, die sich langatmig und monoton mit „ich bin ihr persönlicher Sprachassistent und werde Sie jetzt durch den Reklamationsprozess/die Anmeldung/die Registrierung/die Buchung führen“ vorstellen. Auch bei Zeitungsverlagen, mit denen ich notgedrungen im Moment mehr kommuniziere, als mir lieb ist.

Früher war alles besser…..

Zum Beispiel, als unser wunderbarer Stammzusteller noch die Zeitungen auslieferte. Das ist zwar erst einige Monate her, aber gefühlt mindestens zehn Jahre. Seitdem ist eine Zeitung vor der Tür (oder gar durch den Briefkastenschlitz geworfen wie „früher“) fast wie ein Sechser im Lotto. „Die Zeit“ haben wir seit vier Wochen gar nicht mehr bekommen (heute kündige ich das Abo, ist eh viel zu viel Papier), die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ kommt nur noch alle drei Wochen. Sonntagsfrühstück mit Zeitung hat irgendwie was, jedenfalls für mich. Ich habe das Frankfurter-Abo schon vor zwei Wochen (schriftlich) zu kündigen versucht, aber die nette Dame, die mich daraufhin anrief, war so freundlich, dass ich mich doch noch mal habe überreden lassen. „Geben Sie uns bitte noch eine Chance, wir werden alles tun, damit Sie Ihre Zeitung wieder bekommen!“ Sie hat uns sogar für einen Monat umsonst die digitale Ausgabe freigeschaltet (wird nicht automatisch kostenpflichtig verlängert, hat sie versprochen). Ich wurde weich, die Zeitung kam dann auch tatsächlich am folgenden Samstag, aber nur EINMAL, am vorigen Wochenende glänzte sie bereits wieder durch papierlose Abwesenheit. Ich warte jetzt noch dieses eine Wochenende ab, nachdem der Herr am Telefon gestern auch äußerst nett war, dann werde ich das Abo endgültig kündigen. Übrigens ist die FAZ bisher die einzige Zeitung mit derart konstruktiven Menschen am anderen Ende. Jetzt liefern sie uns sogar die verpasste Ausgabe mit der Post nach! Ich werde sie mir wohl für den kommenden Sonntag aufsparen, damit ich was zu lesen habe, und mir dabei vorstellen, wir hätten eine Woche früher. Ach, früher…..

Früher war alles besser…..

Ich muss zugeben, es fällt mir schwer, den „Stadt-Anzeiger“ zu kündigen, denn er ist unsere altvertraute Tageszeitung, die wir uns allerdings schon seit vielen Wochen fast täglich selbst kaufen müssen, obwohl wir zig Jahre ein Abo haben. Früher rief man noch beim Verlag an und der Mensch am anderen Ende sagte fröhlich: „Das tut uns sehr leid, wir schicken Ihnen sofort einen Boten“, und kurz darauf hatte man die verpasste Ausgabe in der Hand und war glücklich und zufrieden. Jetzt nervt jeder Anruf dort enorm. Wenn man sich erst mal durch die vielen zeitaufwändigen „Drücken Sie die 1, drücken Sie die 2, drücken Sie die 3 etc“ gequält hat und endlich (als echter Beschwerde-Profi) „Mitarbeiter“ oder „Kundenservice“ in den Hörer brüllt oder auch nur eisern schweigt und den Bot quatschen läßt, bis ihm nichts mehr einfällt, statt die zehnstellige Abo-Nummer („Bitte wiederholen Sie …. Ich habe Sie leider nicht verstanden“), hat man einen hilflos wirkenden Menschen am Apparat, der wahrscheinlich wegen der 1 („Wenn Sie mit der Aufzeichnung des Gesprächs einverstanden sind, drücken Sie bitte die 1“) nicht so recht weiß, was er noch sagen soll, nachdem man schon unzählbar oft mit ihm telefoniert hat und sich immer noch nichts geändert hat. „Ich schreibe Ihnen die Ausgabe gut“ hilft herzlich wenig, wenn ich gern meine Zeitung lesen möchte. Auch „Morgen sollte es eigentlich wieder klappen!“ und „Ich werde es an den Zusteller/die höhere Ebene (whatever that means) weiter geben“. „Vielleicht weiß er ja nicht, was er bei Ihnen einwerfen soll, er ist ja vielleicht noch neu!“ hat bei mir dazu geführt, dass ich zwei Schilder an der Tür kleben habe, eins nur für Samstags (Freitagabends raushängen), das andere für die ganze Woche (klebt permanent und sieht häßlich aus), damit der geplagte Zusteller auch wirklich ganz genau weiß, was wir wann bekommen und nicht lange suchen muss. Helfen tut es NICHTS. Niente. Nada.

Nachdem Er- oder Sie-Zusteller einmal samstags die falsche FAZ eingeworfen hat, habe ich „Sonntagszeitung“ noch mal extra rot mit Filzstift unterstrichen und noch etwas dicker geschrieben, auch das hat nichts geholfen. Niente. Nada. Vielleicht kann er oder sie ja nicht lesen und daher kommt all das Chaos? Vielleicht ist das Zustellewesen ja ein Bot, ein Alien oder ein Android, der oder die oder das keinen Bock auf unsere Adresse hat?

Früher gab es noch einen Kiosk gegenüber, an dem man sich all seine Zeitungen sogar am Sonntag vor oder nach den Brötchen kaufen konnte. Doch der ist weg. Genau wie die Bäckerei, bei der man die Brötchen holte. Ersatzlos gestrichen. Genau wie die Metzgerei daneben und die alte Tierarztpraxis. Die neue Tierärztin hat keine offene Sprechstunde mehr, man muss in einem völlig anderen Ort anrufen und einen Termin machen, und sie kastriert nur Kater und keine Katzen und kommt auch nicht nach Hause, wenn man mehrere Katzen hat und nur um die Ecke wohnt. Ich habe keinen Schimmer, wie ich die drei Riesenkatzen zum Impfen dorthin bekommen soll. Sie passen nicht mehr in eine Transportbox und sind reichlich schwer. Egal. Mir fällt schon was ein.

Die diversen Zeitungsstapel, die der neue Zusteller oder der Ersatzzusteller vom neuen Zusteller oder der oder dem Was-weiß-ich-wer-auch-immer NICHT zugestellt hat, liegen häufig hinten unter der Brücke am Einkaufscenter, wo man sich dann problemlos das einem zustehende und bereits bezahlte oder gutgeschriebene Exemplar wegnehmen kann. Es sei denn, man war blöd genug, es sich kurzentschlossen selbst zu kaufen, weil man einfach nicht bis Nachmittags warten konnte. So wie ich. Offenbar bin ich schon so alt, dass ich nicht mehr aus meinen Fehlern lerne. Manchmal nehme ich mir dann zum Trost die „Rundschau“ oder die „FAZ“ Tageszeitung, eh sie vom Regen oder Wind erwischt wird. Die Printmedien sind selbst dran schuld, wenn sie aussterben. Zum Lesen muss man sie nämlich erst mal in der Hand haben.

Früher war alles besser…..

Früher bedeutet hier einfach nur, bevor der zuverlässige tolle ehemalige Stammzusteller seine (gewohnt freundliche) Abschiedskarte eingeworfen hat. Schade, dass ich sie nicht aufbewahrt habe, dann würde ich sie mir jetzt weinend als schöne Erinnerung an die Wand pinnen, als nostalgische Erinnerung an frühere Zeiten, als zeitungsmäßig noch alles gut lief. Der Stammzusteller kam meist gegen fünf in der Früh, das leise Briefkastengeräusch war vertraut und tröstlich, ganz besonders in der Pandemie. Anfangs kam wenigstens noch IRGENDWAS Gedrucktes, meist leider ausgerechnet der „Express“ (nicht im Abo und für mich leider unlesbar, dafür kam er immer doppelt) oder, wenn es besser lief, die „Rundschau“ (auch nicht im Abo und nicht so gut wie der „Stadt-Anzeiger“, finde ich jedenfalls), ab und zu kam auch die „FAZ“ (Tageszeitung), aber wir haben ja bewußt nur die Wochenendausgabe im Abo, und die kam leider nicht. Ein paar Mal lagen die armen Zeitungen draußen im Regen und trieften nur so, einmal hat sie der Wind doppelblattweise in den Zaun verweht. Und schließlich kamen sie dann überhaupt nicht mehr.

Heute ist die letzte Zustellung vom „Stadtanzeiger“ exakt eine Woche her. Ich lese ihn jetzt übrigens morgens mühsam digital im Handy, um mich schon mal langsam an den papierlosen Zustand zu gewöhnen. Allerdings unter ständigem Stress, dass ich das kostbare Ding mit Marmelade vollschmiere oder es mir von einer der Katzen in den Tee gestossen wird. Nur für letzten Mittwoch gab es angeblich beim Verlag ein Zustellungsproblem, für alle anderen Tage war nichts vermerkt. „Da seh ich hier leider gar nichts.“ Heute habe ich nicht angerufen und reklamiert, sondern lieber diesen Beitrag geschrieben, um meinem Ärger endlich konstruktiv Luft zu machen. Am Montag werde ich das Abo aber WIRKLICH kündigen. Echt jetzt. Ich schiebe es schon seit Wochen vor mir her und drohe auch am Telefon jedes Mal damit (der Mensch am anderen Ende der Leitung reagiert darauf mit neutralem Schweigen), aber weil ich an dem Blatt nun mal so hänge, warte ich immer noch ab. Mit Engelsgeduld. Aber Montag ist Schluss. Meine Entscheidung ist unumstößlich. Äußerst bedauerlich. Ach, wie war es doch schön, morgens beim Frühstück noch die gedruckte Tageszeitung zu lesen. Den „Guardian“ und die „New York Times“ lese ich ja schon lange digital, aber vor allem nachts und frühmorgens. „Country Living“ und „The New Yorker“ kommen zuverlässig mit der Post. Bin halt ein Zeitungsmensch. Als unser Keller neulich unter Wasser stand, waren die richtigen Zeitungen aus richtigem Papier, die ich alle gehortet hatte, übrigens ein wahrer Segen. Vor allem die großen. Ich muss mal das Foto raussuchen, das ich damals gemacht habe.

Fazit: Die Zeitungszustellung war früher EINDEUTIG besser, daran gibt es gar nichts zu zweifeln und zu rütteln. Zumindest hier im Kölner Westen.

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