Strandreiter, Spatzen und Nachtblüher – mit Ulla Genzel

„Sommer an der Fleuth“ (Ulla Genzel)

Langsam verabschiedet sich der Sommer, schon blühen die Herbstanemomen und Herbstastern, die Nächte werden länger, und am Niederrhein steigen bereits häufiger die kühlen Nebel auf. Es wird Zeit, sich von dieser Jahreszeit zu verabschieden. Im letzten Sommer habe ich die wohl heißesten Tage meines Lebens durchlitten und mich wie eine Hundertjährige gefühlt, aber an den guten Tagen auch sehr bewußt und mit allen Sinnen die schönen Sommerseiten registriert, vor allem die Farben und Gerüche. Meine Kräuter, die Rosen, das frisch gemähte Gras. Wer weiß, wie lange wir die vertraute Natur noch so genießen können, stecken wir doch mitten im Klimawandel. Ulla liebt genau wie ich vor allem den Herbst, aber sie schwelgt natürlich auch in den leuchtenden Farben des Sommers. Und wenn sie mit ihrer Nelly spazieren geht, freut sie sich schon auf ihre Lieblingsorte, zum Beispiel die ganz besondere Stelle an der Fleuth mit den Kopfweiden.

„Blütenlicht“ (Ulla Genzel)

Ob man im Sommer mehr Gerüche wahrnimmt als im Winter? Alles scheint intensiver, schwerer, wärmer zu riechen. Einige Blumen verströmen ihren Duft erst, wenn es dunkel wird, manchmal betäubend stark, etwa Nachtviolen, Funkien, Levkojen, Ziertabak, Goldlack, Geißblatt und vor allem Lilien.  Nachtblüher haben oft helle Blüten, die geheimnisvoll im Mondlicht leuchten, nachtaktive Insekten anlocken und den dunklen Garten in einem mystischen Ort verwandeln. In diesem Jahr habe ich versucht, zumindest in Vollmondnächten so lange wie möglich draußen zu sein, mit geschlossenen Augen durch meinen Garten zu gehen und dabei immer wieder stehenzubleiben und die Nachtsymphonie der Düfte zu genießen. Wie schade, dass es bei uns keine Glühwürmchen und Zikaden mehr gibt.

„Fuchur am Niederrhein“ (Ulla Genzel)

Neulich beim Live-Malen ging mit Ulla unerwartet die Fantasie durch, und plötzlich verwandelte sich eine harmlose Wolke über Niederrheinfeldern in Fuchur, den Drachen aus „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Sogar den roten Luftballon, den man bisweilen in ihren Bildern entdeckt, hat Ulla ihm an den Schweif gebunden. Ihren Traum, einmal mit Pferd Moneypenny und Hundemädchen Nelly ans Meer zu reisen und sich den frischen Seewind unbeschwert um die Ohren wehen zu lassen, hat sie vor kurzem auch auf der Leinwand Wirklichkeit werden lassen. Hier sieht man die drei in luftigem, frischem Blau am Strand. Ganz entspannt und allein, aber kein bisschen einsam.

„Mein Traum“ (Ulla Genzel)

Ihre Lieblingsvögel hat Ulla in diesem Sommer auch gemalt. Was sie an Spatzen so fasziniert? „Sie sind frech, wild und einfach bezaubernd. Sie singen nicht, sondern zwitschern, und es scheint, als ob sie sich nie unterwerfen. Ich finde sie einfach lustig, sie sind meine Lieblinge!“ Lustig finde ich sie auch, aber sie können auch nerven, denn eigentlich tschilpen sie ja ziemlich eintönig. Stundenlang, wenn es ihnen paßt. Ich weiß, wovon ich rede, denn sie tschilpen mit Vorliebe vor dem Arbeitszimmer meines Mannes.  Aber ich kann Ulla verstehen. Ich brauche nur an die vielen Spatzen auf den Bauernhöfen meiner Kindheit zu denken. Sie waren allgegenwärtig, auch in den Ställen, wirkten tatsächlich ziemlich respektlos und hüpften mir sogar auf die Schuhe. Mein heimlicher Liebling ist übrigens der Eisvogel, weil er so intensive Farben hat, doch ich kenne ihn nur aus Büchern und Filmen. In meinem Garten ist es die kleine Mönchsgrasmücke, die immer so leise und zart in meiner Nähe singt, sobald ich draußen bin. Gelegentlich rührt sie mich damit fast zu Tränen. Und das Rotkehlchen, das mit Vorliebe in unserer Garage nistet und sich für die ständig offene Garagentür erkenntlich zeigt, indem es mich ganz nah mit der Kamera an sich heranläßt. Wenn die Mönchsgrasmücke mal nicht da ist, singt das Rotkehlchen für mich. Ich fragte Ulla dann auch noch nach ihrer Lieblingsblume.  „Obwohl ich Gärtnerin von Beruf bin, ist meine Lieblingsblume die Kornblume.“ Stimmt. Die Kornblumen in den niederrheinischen Feldern! Was für ein Blau!

 

 

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Instagram

Morgan und Marco Polo

Morgan und Marco Polo oben auf dem Buchladendach

Es hat eine Weile gedauert, weil mein Handy (und wahrscheinlich nicht nur das Handy) offenbar schon viel zu alt ist für die neue Medien, aber wir haben es trotzdem geschafft, und die Mäuse sind jetzt auch endlich auf instagram.

Zu finden unter @cheddarandmozzarella, und sie freuen sich todsicher über jeden Besuch!

Bei Dante im Buchladen

 

 

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Ladevorgang abgebrochen – Gerät zu heiß!

Sommerfrau (Mohamed Nohassi/unsplash)

Nur gut, dass ich alles, was ich an positiven Gefühlen für den Sommer aufbringen kann, schon vorige Woche aufgeschrieben habe, denn diese Woche wäre ich dazu definitiv nicht mehr in der Lage. Heute morgen in der Früh war es in unserem Badezimmer so heiß, dass ich das Gefühl hatte, das Tropenhaus im Zoo zu betreten. Oder die Wüste. Mein hochsensibler Temperaturregler ist ja leider im Wärmebereich besonders empfindlich eingestellt. Im Sommer habe ich oft das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, nicht mehr durchatmen zu können, was bei mir früher häufig zu Angstanfällen führte, denn schneller Puls, Schwitzen, Kopfdruck, Übelkeit und Schwindelgefühl sind oft auch Symptome bei Angst, und irgendwie hat mein Körper das häufig durcheinander gebracht. Zum Schluss bringt mich meine Alarmanlage zum Ausrasten, und ich brülle verzweifelt los wie eine Löwin. Wie ich gerade feststelle, bin ich ab 39° nicht mehr zurechnungsfähig. Ich rede Unsinn, bin desorientiert, habe lästige Wortfindungsstörungen und das ungute Gefühl, völlig kraftlos zu sein. Als wäre mein Akku leer. Mein Mann tut mir leid. Im Sommer teilt er sein Leben mit einer hochexplosiven Frau, bei der man nie weiß, wann sie in die Luft geht. Möglicherweise platze ich eines Tages. Oder verdunste. Oder löse mich sonstwie in meine Bestandteile auf. Ich entschuldige mich morgens schon für alles, was da kommen mag. Und abends natürlich nochmal. Für alles, was da gekommen ist. Und das kann eine Menge sein. Ich kann es nicht ändern, auch wenn ich es noch so sehr versuche. (Ja, ich weiß schon: „Stell dich nicht so an!“ Aber so einfach ist das nicht.)

Sommer (geralt/pixabay)

Gestern und vorgestern hatten wir das Pech, bei Bullenhitze im Auto unterwegs zu sein. Auf der Hinfahrt nach Marburg gab das Tomtom plötzlich den Geist auf. „Ladevorgang abgebrochen, Gerät zu heiß“. Das Gerät hatte mein vollstes Mitgefühl. Es fühlte sich glühend heiß an, und ich nahm es von der Halterung und schaltete es aus. Dann hielt ich es erst in die Kühlung und legte es dann auf meine Tasche. Als ich es nach einiger Zeit wieder anstellte, war es hitzegeschädigt. Es zeigte keine Baustellen und Staus mehr an und hatte keinen Schimmer, dass die blöde Brücke in Marburg, über die wir sonst immer in die Stadt kommen, gesperrt war. Verbockt wie es war, wollte es immer wieder auf die Brücke, egal, was wir machten. Jannik (die Tomtom-Stimme) wurde zunehmend leiser, vielleicht wollte er damit Energie sparen, während die merkwürdigsten Straßenangaben im Display lustig hin und her sprangen. Die Daueranzeige „Straße ohne Namen“ ist eine Meldung, die einen bei Hitze nicht wirklich erfreut. Wir kurvten gefühlte Stunden durch Marburg (überall gesperrte Straßen und Baustellen) und wussten nicht, wo wir waren. Das Tomtom offenbar auch nicht. Jannik erst recht nicht. Bis wir schließlich vor dem Freibad standen. Ich glaube, es heißt Sommerbad. Ich rastete aus, doch im Gegensatz zu Jannik wurde ich immer lauter. Nach einer Ewigkeit kamen wir dann trotzdem an.

Hitzewand (Tools-for-motivation/unsplash)

Im Hotel schleppte ich mich gleich unter die Dusche, umziehen musste ich mich sowieso, denn Frau und Kleidung waren, wie meine Mutter immer so schön sagte, „patschnass geschwitzt“. Nur gut, dass ich so viel Ersatzkleidung mithatte. Eine Stunde später hätte ich schon wieder duschen können. Gegen Mitternacht habe ich es dann endlich getan. Obwohl unser Raum einigermaßen klimatisiert war. Mir war es trotzdem zu heiß, und irgendwie schafften wir es nicht, die Temperatur niedriger einzustellen. Egal. Die Klimaanlage war so laut, dass sie mich störte, also Ohrstöpsel rein. Ohrstöpsel bei Wärmestau sind nicht so toll. Der beste Ehemann von allen sagte nicht: „Dir kann man es aber auch nie recht machen“. Dazu ist er zu höflich. Er schwieg gequält. Er hatte Rückenschmerzen und war nicht gut drauf. Trotzdem hat er mir vorgelesen. Sommerlektüre. „Ferien auf Saltkrokan“. Das beruhigt mich. Leider sollte der nächste Tag noch heißer werden. Wir checkten aus, mussten allerdings noch bis drei bleiben.

Batman in Marburg (BFL)

Gegen neun begab ich mich in die Oberstadt. Meine Spiegelreflexkamera hatte ich nicht dabei. Zu schwer. Zu warm. Und überhaupt. Mit der kleinen machte ich Fotos. Ein älterer Herr meinte freundlich „Ich habe gesehen, wie sie grade hochgeschaut und fotografiert haben. Ihre Augen möchte ich haben! Ich gehe hier jeden Tag vorbei, und der fällt mir gar nicht mehr auf!“ Er meinte den Batman, der kopfüber zwischen den Fachwerkhäusern hängt. Das war dann aber auch schon das Highlight des Tages. Der Kinderbuchladen, auf den ich mich so gefreut hatte, war umgezogen, so dass ich wieder zum Marktplatz zurückkehrte, mich auf eine Bank setzte und anfing zu schreiben. Das ging gerade noch. Einen Laden schaffte ich auch. Er war total sticksig, aber es gab da Bastelkram für meine Mäuse. Danach machte ich schlapp, knallte mich vor ein Café und kippte so viel kaltes Mineralwasser in mich hinein, bis mein pflegeleichter Magen leise seinen Unmut bekundete. Ja, ich weiß, dass eiskalte Getränke bei Hitze nicht gut sind, aber ich hatte nun mal das Bedürfnis, und so viel Freiheit muss sein. Zum ersten Mal zeigte ich dem schönen großen Buchladen, den ich in Marburg sonst IMMER aufsuche, die kalte oder vielmehr heiße Schulter. Aber ich konnte ihn von meinem Tisch aus sehen. (Mein Mann war  geschockt, als ich ihm das später mitteilte. „Kein einziges Buch? Geht es dir so schlecht?“) Ich war auch nicht in dem gemütlichen Café Vetter, in das ich sonst IMMER gehe. Nach der Mineralwasser-Episode schleppte ich mich mit letzter Kraft zurück in die relativ kühle Hotelhalle, um dort schräg im Sessel hängend auf meinen Mann zu warten.

(Karine Garmain/unsplash)

Doch zuerst musste ich noch meine Maus-Basteltüte im Auto verstauen. Dabei wurde mir siedend heiß klar, dass ich wirklich kurz vor dem Ausklinken stand. Ich fand den Aufzug zur Tiefgarage nicht mehr (es ist derselbe wie zu den Zimmern!) und rannte mindestens zehnmal hin und her, weil ich plötzlich dachte, er wäre in einem anderen Flur. Zum Schluss musste ich peinlicherweise die Dame an der Rezeption fragen, die mich komisch anguckte. Dabei kenne ich dieses Hotel seit 20 Jahren. Das ist mir da noch nie passiert! Endlich vor der Tiefgarage fand ich die Tür zu den Parkplätzen nicht. Und dann sah ich unser Auto nicht, obwohl es genau vor mir stand. Schwere temporäre Hitzeblindheit.

Ansteigend (geralt/pixabay)

Eigentlich hätte ich am liebsten schon wieder geduscht, aber wir hatten ja das Zimmer nicht mehr. Zu Lesen hatte ich auch nichts dabei, weil ich fest davon ausgegangen war, dass ich in der Buchhandlung zuschlagen würde. Also las ich im Handy meine Mails und die digitale „New York Times“ mit den neuen Artikeln über Trump und Boris Johnson. Zwei Stunden später kam mein Mann, und ich stieg matt und triefend ins Auto.

Das Tomtom warnte bereits in der Tiefgarage „Ladevorgang abgebrochen, Gerät zu heiß“, obwohl es sich total kühl anfühlte. Leider war der Akku so gut wie leer. Na toll! Offenbar hatte Tomtom einen bleibenden Schaden davongetragen. Seine Stimme Jannik auch. Wir beschlossen, Tomtom und Jannik trotz allem so lange anzulassen, bis wir den Weg allein finden konnten. Jannik war mittlerweile voll durch den Wind, obwohl er auf meinem Schoß lag und gar nicht in seiner hitzeanfälligen Halterung steckte. Er redete nur Unsinn! Mitten auf der Autobahn, neben uns donnerte grade ein Laster vorbei, stellte er uns eine Frage, die wir bei dem Krach leider nicht verstanden. Wahrscheinlich nuschelte er mit voller Absicht. Wiederholen wollte er sie jedenfalls nicht. Stattdessen plärrte er stur: „Sagen Sie ja oder nein!“ Wenn man nichts sagte, kam: „Bitte wiederholen Sie! Ja oder nein!“ Mit zunehmend bedrohlichem Unterton. Irgendwann schrie ich entnervt „Ja, du Idiot!“, woraufhin er „Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden, bitte wiederholen Sie! Ja oder nein!“ sagte, und ich so laut „Ja! Ja! Ja!“ brüllte, dass meinem Mann fast die Ohren abfielen. „Ja“ ist in Zweifelsfällen besser als „nein“. Dachte ich. Leider ein Fehler. Jannik seufzte erleichtert und verkündete dann freundlich und gut verständlich: „Neues Ziel: nächste Zahnarztpraxis“. Das Display nudelte kurz und präsentierte uns sogleich den Namen eines Zahnarztes in Weißderteufel bei Wetzlar. Die Praxis hieß Pirandello oder Paparello oder so. Irgendwas, das bei mir Zirkusassoziationen hervorrief.  Ich änderte das Ziel manuell, doch danach zeigte Tomtom nur noch Pfeile im Schneckentempo oder gar nichts, und Jannik war verstummt. Möglicherweise vor Zahnschmerzen. Offenbar brauchte er den Zahnarzt wirklich dringend. In meinem Kopf spukten inzwischen Visionen von kühlen nordischen Häusern herum. Grün-Weiß-Rot. Muss wohl an „Ferien auf Saltkrokan“ liegen. Für richtig kalte Schneebilder fehlte mir eindeutig die Energie.

Nordvisionen (Sasu Tikkanen/unsplash)

Zum Glück kannte mein Mann den Weg und schaffte es auch ohne die Hilfe von Tomtom und trotz seiner halluzinierenden Beifahrerin. Mit letzter Kraft stieß ich mein Mantra aus: „Tut mir echt leid, aber das hat nichts mit dir zu tun! Das ist nur die Hitze! Ehrlich!“ Mein Mann war so klug, nichts zu sagen. Draußen herrschte inzwischen Backofentemperatur. 42 Grad. Sagte jedenfalls der Info-Anzeiger, aber es war bestimmt noch viel, viel heißer. Als absolute Krönung machte urplötzlich die Klimaanlage schlapp und blies uns heiße statt kühle Luft um die Ohren, so dass wir sie ausschalten mussten. Das gab mir den Rest. Ich wäre fast kollabiert, und mein Mann warf mir besorgte Arztblicke zu und meinte: „Halte bitte durch!“ Die nordischen Bilder waren inzwischen Visionen von eisgekühlten Zitrusgetränken gewichen. Mit Zitronenscheiben. Und frischen Pfefferminzblättern. Daneben Riesenportionen Carameleis mit Salz. Das haben wir immer in der Truhe, weil ich es so liebe.

Kühle Halluzinationen

Kurz vor meinem Hitzschlag erreichten wir unser Heim. Der Garten sah ziemlich so aus, wie ich mich fühlte. Aber die Natur geht immer vor, wenn man hochsensibel ist. Auch bei 40°. Ich fütterte die Katze, wässerte ausgetrockneten Töpfe und schlaffe Stauden, leerte eine große Flasche kaltes Mineralwasser (ja, ich weiß, ist schlecht bei Hitze), und erst dann schleppte ich mich unter die Dusche, schaltete im Schlafzimmer (immerhin auch noch stolze 30° warm) die Klimaanlage an (in meinem Fall eine fürwahr lebensrettende Anschaffung) und knallte mich mit der Katze aufs Bett. Als ich mich wieder bewegen konnte, aß ich zwei Portionen Carameleis mit Salz. Mein Magen verstand mich und machte keinen Mucks. Was Temperaturen betrifft, ist er längst nicht so sensibel wie der Rest von mir. Ich hoffe, er hält durch bis zum Herbst.

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Sommer am Niederrhein – mit Ulla Genzel

Lichtzauber – Ulla Genzel

Normalerweise schreibe ich nicht über diese Jahreszeit. Aber für dieses Jahr habe ich mir fest vorgenommen, dem Sommer endlich eine Chance zu geben, auch wenn er mir zunehmend zu schaffen macht. Ganz egal, wie heiß er ist. Genau wie in den letzten Jahren leidet die Natur auch jetzt wieder unter der anhaltenden Trockenheit, und mein Garten braucht an manchen Tagen sogar drei Wasserrationen, um nicht zu verdursten. Das städtische Grün ist schon längst gelb verdorrt. Gestern kam ich am Stadtrand an einem Feld vorbei, auf dem ein Mähdrescher unterwegs war. Die trockene Staubwolke war so heftig, dass ich die Luft anhalten musste. So schlimm waren die Sommer früher nie! Nur gut, dass ein großer Teil meines Gartens ein Schattenreich ist, dort lässt es sich sogar an heißen Tagen noch aushalten. Hier gedeihen Elfenblumen, Hosta und Hortensien. Und Farn! Wie in den Wäldern!

Junimorgen – Ulla Genzel

An die niederrheinischen Kindheitssommer erinnere ich mich immer noch gern, und aus Ullas Bildern steigen sie gleich wieder auf. Die Felder voller Klatschmohn! Und die Waldränder mit Fingerhut! Den liebten wir, denn er war eine magische Pflanze. Wir wussten, dass er giftig ist, und behandelten ihn mit großem Respekt. Wir konnten stundenlang zusehen, wie die Bienen und Hummeln in seine gesprenkelten Blüten krabbelten. Ich rette hier im Garten bis heute sämtliche Fingerhüte, die aus den Fugen sprießen, und pflanze sie vorsichtig in Töpfe. Leider rette ich auch alle Hasel- und Hainbuchenbabys, die sich in die Beeten verirren, so dass ich langsam ein Platzproblem bekomme, aber egal. Vor zwei Jahren habe ich sogar eine winzige Eiche mit einem Blatt gefunden. Sie ist ordentlich gewachsen in ihrem Töpfchen und hat inzwischen schon vier Blätter!

Am Waldrand – Ulla Genzel

In den Sommerferien hatten wir damals alle Zeit der Welt, und zusammen mit Winnie, der Hauptperson in meinen beiden Büchern mit Kindheitserinnerungen vom Niederrhein, wanderte ich jeden Tag hinaus in die Felder. Zu den schwarzweißen Kühen, den zahmen Pferden, die uns freundlich beschnupperten, zu den Wildblumen an den Rändern der Getreidefelder, zum Hof der Bäuerin mit den Schweinen im Vorgarten, zu den zischenden Gänsen hinter dem Holzzaun oder auf die Nierswiesen, wo die Schafe grasten und wir endlich unbehelligt unsere „Bravos“ und etliche verbotene Bücher lesen konnten. Sogar „Lady Chatterley“! Und „Wer die Nachtigall stört“, was äußerst vielversprechend klang. Leider war der Inhalt kein bisschen so, wie der romantische Titel erwarten ließ, aber das Buch war trotzdem gut, also haben wir es zusammen ausgelesen.

Waldschatten - Ulla Genzel

Traumfänger – Ulla Genzel

Damals war die Natur noch bevölkert von geheimnisvollen Wesen. So gab es die Abendmutter, die alle Kinder fing, die sich im Dunkeln draußen aufhielten. Vor ihr hatte ich als ganz kleines Kind eine Heidenangst. Oder die Roggenmuhme mit den eisernen Brüsten und den langen scharfen Zähnen. Sie entführte alle Kinder, die in ihre Felder eindrangen, und schleppte sie in ihre Höhle. Klang gar nicht gut. Aber irgendwann hatten wir die kluge Idee, ihr Winnies nervigen Bruder anzubieten, den wir aus gutem Grund „den Brüllaffen“ nannten, damit sie ihn gegen einen „Wechselbalg“ austauschen konnte. Was genau das war, wussten wir nicht, aber es klang interessant, und wir stellten uns vor, dass es vielleicht ein hübscher kleiner Fuchs war. Aber die Roggenmuhme ließ sich nicht blicken, obwohl wir den Kinderwagen ganz weit in ihr Feld schoben. Wahrscheinlich hat sie sein übles Geschrei abgeschreckt.

Blütenwiese

Blütenwiese – Ulla Genzel

Mit einem großen Weidenkorb und zwei Küchenmessern bewaffnet gingen wir morgens in die Felder, um für unsere Kaninchen frischen Löwenzahn zu stechen und saftigen Klee zu pflücken. Oder um Kamillenblüten zu sammeln, die wir zu Hause in die Sonne legten und trockneten. Ihr Duft versetzt mich auch heute noch sofort wieder zurück. Sommer war damals reine „Draußenzeit“. Kein Mensch wusste, wo wir waren. Ein tolles Gefühl, wenn wir mit den Rädern in die Süchtelner oder Hinsbecker Höhen fuhren, wo der Boden so weich und federnd war und die Luft nach Nadelbäumen und Harz roch. Oder bis ans „Marienpötsche“ (aus dem angeblich die kleinen Kinder kamen, aber das glaubten wir natürlich nicht!) oder an die kühlen Krickenbecker Seen. Gemeine Apps, mit denen man uns überwachen konnte, oder nervige Handys, auf denen man uns selbst in unseren Verstecken stören konnte, gab es damals zum Glück noch nicht. Nicht mal Helikoptereltern, obwohl unsere Mütter von dem Konzept bestimmt hellauf begeistert gewesen wären. Besonders meine. Aber so waren wir einfach FREI und fühlten uns wie mutige Forscherinnen, die aufmerksam den Wald belauschten und Schafe und Wasservögel beobachteten. Oder die Liebespaare – im Freibad und im Wäldchen hinter der Grefrather Dorenburg. Aber natürlich nur ganz, ganz selten.

Faltertraum

Faltertraum – Ulla Genzel

Der Sommer hat tatsächlich auch schöne Seiten, wie ich feststelle. Die lauen Abende, an denen man noch lange draußen sitzt und den Tag in aller Ruhe ausklingen lässt (nachdem man zum letzten Mal seufzend seinen Oleander und die unzähligen Hortensientöpfe gewässert hat). Die Nächte, in denen man den Vollmond gebührend feiern kann. Wunderschön sind auch die Farben des Sommers, etwa das leuchtende Mohnrot, das kräftige Blau von Fächerblume, Storchschnabel und Agapanthus, das satte Gelb und warme Braun der großen schweren Sonnenblumenköpfe, das Zartrosa der Herbstanemonen, die bereits seit einer Woche hier blühen (erstaunlicherweise sind sie bei mir fast zwei Meter hoch!). Schön ist auch der Duft, den der Garten verströmt. Im Moment blühen meine Lilien (seit genau zwei Tagen auch „Tiger Woods“) und die alten Rosenbüsche. Die frischen Kräuter auf meinem Kräutertisch liebe ich auch,  obwohl ihre Blüten bei weitem nicht mehr so viele Insekten anlocken wie damals in den Gärten meines Vaters. Insekten sind eine echte Kostbarkeit geworden.

Mohnfeuer – Ulla Genzel

Wenn es richtig unerträglich heiß und schwül wird, steige ich schnell in eins von Ullas Nebelbildern. Nebel war für mich das Allerschönste am Niederrhein. Aber bald kommt ja wieder meiner Lieblingsjahreszeit, und dann zaubert Ulla bestimmt wieder neue Nebelbilder!  Allerdings hat sie dieses Jahr so viele strahlende Sommerbilder gemalt, dass ich mir schon überlege, ob ich nicht noch einen Sommerbeitrag mache. Ich habe ja bisher noch nie was Nettes über den Sommer geschrieben…..

Nebelbild

Nebel am Niederrhein – Ulla Genzel

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Kevelaer, Maria 2.0 und der schönste Vorbeter von Kattendonk

Sonntags in Kevelaer (BFL)

Am letzten Wochenende war ich zum dritten Mal mit meinen Winnie-Romanen zu Gast in Kevelaer, wieder anläßlich der traditionellen „Landpartie am Niederrhein“. Und wieder fielen mir die alten Kindheitserinnerungen ein, als ich nach meiner Lesung durch das verschlafen wirkende „heilige“ Städtchen ging. Kevelaer räkelte sich trotz brütender Mittagshitze beneidenswert entspannt unter duftenden Linden. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich hasse Hitze. Auf dem ungewohntem Parkplatz wußte ich plötzlich nicht, ob es zur Basilika nach links oder rechts ging, und fragte ein älteres Ehepaar nach dem Weg.  Der Mann warf einen prüfenden Blick auf unser Auto und meinte: „Wat wollt ihr denn in der Basilika? Ihr habt doch den Dom!“ Darauf fiel mir dummerweise nichts Passendes ein. Winnie wäre das nicht passiert. Sie hätte bestimmt gekontert: „Aber ihr habt Maria! Wir ham bloß die Knochen von den Heiligen drei Könijen!“

Maria im Weihrauch (BFL)

Die Kattendonker fuhren früher (vielleicht auch heute noch?) mehrmals im Jahr mit Rädern oder Autos gen Kevelear, doch die große Wallfahrt (zu Fuß) fand im Sommer statt. Nur ein einziges Mal bin ich mitgegangen. Ich erinnere mich noch gut an die dicken Blasen und an meine erschöpften Waden. Die Madonna hat mir offenbar längst verziehen, dass ich damals nicht aus religiösen Gründen pilgerte, sondern nur, weil ich unsterblich in den schönsten Vorbeter von Kattendonk verliebt war, sonst hätte sie meine Lesungswege nicht zum dritten Mal zurück in ihren Ort gelenkt.

Im zweiten Winnie-Buch kommt der Vorbeter höchstpersönlich vor und heißt Gabriel. Das ist zwar ein erfundener Name, aber er paßt perfekt. Bei dem beschwerlichen Pilgermarsch im Jahre 1970 (an dem auch meine Freundin Winnie teilnahm) tat er zu meinem großen Kummer die ganze Zeit so, als wäre ich komplett unsichtbar, und ich war immer wieder den Tränen nah. Die Madonna muss Mitleid mit mir gehabt haben, denn sie hat mir meinen Herzenswunsch kurze Zeit später tatsächlich erfüllt. Doch wie das so ist mit Herzenswünschen. Man sollte sich immer gut überlegen, was man sich wünscht. Nach einigen Jahren war alles vorbei, wir gingen getrennte Wege und haben uns seit vierzig Jahre nicht gesehen. Ob wir uns überhaupt noch erkennen würden? Besser gar nicht daran denken!

Flammenflackern (BFL)

Die Kevelaer Kirchenluft war auch diesmal auf vertraute Weise weihrauchgeschwängert, aber das gehört ja unbedingt dazu. Angeregt durch die erfreuliche Maria 2.0-Aktion der katholischen Frauen im Mai, hatte ich an dem Morgen fast alle meine Marienkapitel gelesen. Erst das lustige mit Tante Pias stets tonlos heruntergeleierter Lieblingsgeschichte vom Kaufmann Henrik Busmann, dem in Kevelaer „vor langer, langer Zeit“ Maria erschien. Die Gottesmutter sprach dabei lupenreines Kevelaer Platt, was wir äußerst erheiternd fanden. Wir erprobten dann immer unsere boshafte „Großtanten-Tirriterung“: Wir störten sie so lange mit dummen Fragen, bis ihr der Kragen platzte. Und natürlich las ich auch wieder „Maria und der Heilige Geist“. Schließlich war ich in ihrer Stadt!

Deckenbild in Kevelaer (BFL)

Deckenbild in Kevelaer (BFL)

Aus heutiger Sicht würde unsere kindliche feministische Revolte eindeutig in die Kategorie Maria 1.5 fallen, wenn nicht sogar bereits in die Kategorie Maria 2.0, doch außer für Winnie und mich blieb sie leider völlig ohne Resonanz. Den Frauen war es offenbar egal, wie man sie behandelte. Und auch, dass man ihre Große Göttin so schmählich ausklammerte, obwohl sie am Niederrhein doch omnipräsent war. Aber was können zwei ketzerische kleine Mädchen schon ausrichten gegen die geballte männliche Religionsmacht der Welt? Das Weibliche, Mütterliche hat uns damals gefehlt, und zudem waren wir felsenfest davon überzeugt, dass nicht der Heilige Geist, sondern Maria in die Dreifaltigkeit gehöre. Oder dass es zumindest eine Vierfaltigkeit (mit Maria) geben müsse.

Maria über den Kerzen (BFL)

Besser noch: Eine komplett weibliche Dreifaltigkeit. Wie die Niersmatronen. Oder Hekate mit den drei Köpfen. Oder die Dreiheit von Mother, Maiden und Crone bei den Kelten. Die kannten wir damals aber alle noch nicht. Leider. Denn damit hätten wir den Herrn Pastor todsicher beeindruckt. Unsere Überlegungen waren eindeutig schwere Gotteslästerung, wie uns die Großtanten entsetzt mitteilten. Tante Pia bekreuzigte sich sogar. Inzwischen weiß ich, dass „der“ Heilige Geist, der uns solche Probleme bereitete,  im Hebräischen und Griechischen tatsächlich feminin ist. Jammerschade, dass diese wichtige Nuance bei der Übersetzung verloren ging. Doch das ist den Übersetzern bestimmt nicht aufgefallen. Und wenn, hat es sie nicht gestört. Außerdem ist auch „pneuma“ im Deutschen maskulin, denn es heißt dummerweise „der Atem“. Keine Chance für das weibliche Geschlecht. Nicht mal für das grammatikalische!

Ein Teil der Kerzenwand in Kevelaer (BFL)

Draußen vor der Kapelle mit dem kleinen Gnadenbild versammelten sich unzählige Messdiener, die offenbar an einer Fahrradprozession teilgenommen hatten und direkt vom Zeltlager kamen. Sie stellten sich im Kreis auf, klingelten fröhlich mit ihren Fahrradklingeln und beteten dann wie aus einer Kehle „Gegrüßet seist du, Maria“. Untermalt von diversen Glocken. Erstaunlich wohltönenden übrigens.

Kevelaer Flagge (BFL)

Die Straßen waren wie üblich blaugelbweiß beflaggt (mit dem kiepentragenden Henrik Busmann aus Tante Pias Geschichte), die Menschen in Läden und Restaurants waren wie üblich gastfreundlich und gut gelaunt. Die unzähligen Kerzen vor den schwarzgerußten Wänden wirkten genau so unheimlich und andersweltlich wie früher, und auch die kleine Madonna in der Muschel war noch genau so weit weg und genau so schmerzerfüllt.

Ein Besuch im Andenkengeschäft musste diesmal sein, das war klar. Meinem Mann war die geballte katholische Devotionalienladung zu viel, so dass ich mich kurz darauf allein mit fünf Verkäuferinnen und ob der religiösen Wucht dann doch etwas überfordert in einem der großen Läden wiederfand.

Devotionalienschrank (BFL)

Drei geräumige Abteilungen mit unzähligen Regalen und Schränken, prall gefüllt mit Madonnen, Heiligen, Engeln, Krippenfiguren, Gebetsbüchern, Amuletten, Medaillen, Rosenkränzen, Kruzufixen, Ikonen, Kästen voller Heiligen- und Andachtsbildchen und Weihwassertöpfchen. Und natürlich Kerzen in jeder Größe. Transparent verpackt. Und geschmückt mit Bildern vom Papst, von Maria oder Jesus.

Kerzenfülle (BFL)

Ich entschied mich spontan für einen winzigen Holzaltar mit aufklappbaren Flügeln. Die dunkelblauen Fähnchen mit dem Marienbild, die ich als Kind immer so stolz nach Hause trug, fand ich nicht, sonst hätte ich mir glatt eins gekauft. Ob es sie überhaupt noch gibt? Als Kind besaß ich eine stattliche Sammlung. Sie standen als starrer Strauß auf meinem Klappbett in einer Vase und verloren regelmäßig das Gleichgewicht, wenn ich mich zu heftig von einer Seite auf die andere drehte. Sie standen gleich neben der kitschigen Plastikgondel, die mir Papa aus Venedig mitgebracht hatte.

Der kleine Marienaltar (BFL)

Übrigens im selben Jahr wie die Wallfahrt. Vor lauter Liebeskummer fuhr ich nämlich nicht wie sonst mit Papa in den Süden (meine Mutter verreiste grundsätzlich nie), sondern blieb zu Hause und hoffte auf ein Wunder. Das Wunder geschah. In Form eines hochromantischen Treffens unter drei alten krummen Sauerkirschbäumen. Danach nahm das Schicksal seinen Lauf. Papa hat mir das nie verziehen. Und ich war bis heute nicht in Venedig.

Wer Lust hat auf eine federleichte Sommerlektüre: die Geschichte mit dem schönsten Vorbeter von Kattendonk finden Sie in meinem zweiten Niederrheinbuch „Mit Winnie in Niersbeck“. Niersbeck ist mein Deckname für den Ort jenseits der Niers (von Kattendonk aus gesehen), in dem sich meine ehemalige Schule befindet. Damals war sie allerdings noch eine strenge Klosterschule, natürlich ausschließlich für Mädchen.

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