Der traurige Monat November ….

Ahornfeuer (BFL)

Dieser Monat hat es in sich. Allerseelen, Allerheiligen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag. Am Volkstrauertag denke ich wie immer an den großen Soldatenfriedhof, den ich als Kind mit meinem Vater besuchte, und spüre die große Hand, die meine kleine warm umschließt. Schweigend steht er neben mir, die Gedanken weit weg. Der 17. November war in diesem Jahr auch der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres, und die Sonntagslesung aus dem Buch Hiob hatte es ebenfalls in sich. „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ Die Zeilen erinnern mich an einen Psalm, den wir in der Schule auswendig gelernt haben. „Die Tage des Menschen sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Geht der Wind darüber, so ist sie dahin, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.“ Traurig, aber auch überaus poetisch. Gone with the wind. Diesmal spüre ich ihn auch deutlich, den Novemberblues. Die Welt ist so voller Leid, Krieg, Unruhen und Katastrophen. Venedig versinkt gerade in den Fluten, in Kalifornien und Australien wüten riesige, alles vernichtende Feuer, Südtirol liegt begraben unter Schnee. Offenbar versucht die Natur gerade, ihren schlimmsten Parasiten abzuschütteln. Manchmal fürchte ich, es könnte ihr bald gelingen.

All die stillen Tage! Am Ewigkeitssonntag nächste Woche wird der Toten des Jahres gedacht. Weiße Kerzen werden nach vorn getragen und feierlich entzündet, die Verstorbenen aus der Gemeinde beim Namen genannt. Eine Freundin ist in diesem Jahr gestorben, so rasend schnell und unvorhergesehen, dass wir uns nicht mehr verabschieden konnten. Sie war einfach plötzlich weg. Seitdem fehlt sie mir. Totensonntag, Tag der Trauer, Trennung und Melancholie. Irgendwie wirkt das Kontrastprogramm dazu in diesem Jahr auf mich besonders heftig. Die Erinnerungen an die Novemberpogrome in der vorigen Woche fanden am selben Tag statt wie die Feiern zum Fall der Berliner Mauer.

Die ersten Weihnachtsmärkte werden grade aufgebaut, der riesige Baum steht schon vor dem Dom. Im Rautenstrauch-Joest Museum ist noch der große Altar vom Dia de los Muertos zu sehen, dem mexikanischen Tag der Toten. Und schon seit Wochen wird bei Einbruch der Dämmerung irgendwo in Köln St. Martin gefeiert, mit Liedern, Laternen und Umzügen. Schade, dass die Schulen und Kitas der Viertel sich nicht zusammentun und gemeinsam einen „richtigen“ Laternenzug mit „richtiger“ Musik und einem „richtigem“ Martin und Martinsfeuer organisieren. Allein in der Innenstadt gibt es 33 Martinszüge! Der eigentliche Martinstag ist der 11. November, doch da sieht man hier vor allem bunt kostümierte Jecke, die mit viel Getöse und reichlich Alkohol den 11.11. feiern. Just an diesem Tag ist in Großbritannien Remembrance oder Poppy Day, und es wird der Opfer des Ersten Weltkriegs gedacht.

Letzten Freitag feierte dann auch die Schule direkt neben uns ihr Martinsfest. Für mich ist dann Heimwehzeit. Meistens ziehe ich mit oder stelle mich zumindest anschließend zu den Kindern ans Feuer, auch wenn es mich schmerzhaft an meine Kindheit und meine verstorbenen Verwandten erinnert, und ich mich dann besonders einsam fühle. Denn die Kinder hier kennen meine Lieder nicht, ihre Laternen sind nur matte Funzeln in Kunststofftüten, und der Kölner St. Martin ist nur ein blasser Schatten, wenn man die farbenprächtigen Züge am Niederrhein mit den eindrucksvollen „Fackeln“, den alten Liedern und dem prächtigem Feuerwerk zum Schluß gewöhnt ist. Diesmal war ich schon vorher so traurig, dass ich zu Hause blieb. Eine weise Entscheidung, denn das Martinsfeuer stank diesmal gottserbärmlich zum Himmel, häßliche erstickende Rauchwolken zogen zu uns herüber, und die Gartenluft war plötzlich zum Schneiden dick. Irgendwann stand ein Feuerwehrmann vor der Tür. „Bitte halten Sie alle Fenster geschlossen, der Rauch zieht leider direkt auf ihr Haus zu. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir haben das im Griff.“ Was in aller Welt war schief gelaufen? Woher kam dieser bestialische Gestank? Der Feuerwehrmann erklärte es mir. „Wir waren das nicht!“ Der Hausmeister hatte offenbar die glorreiche Idee gehabt, feuchtes Heu mit auf den Scheiterhaufen zu packen. Ich hätte nie gedacht, dass feuchtes Heu so scheußlich stinkt!

Blick in den Garten (BFL)

Ein trauriger Monat fürwahr, und doch schafft es die Natur jedes Mal wieder, ein letztes Mal in ihren leuchtendsten Farben zu schwelgen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe zarte bis strahlende Gelbtöne, flammendes Orange, glühendes Rot, matt schimmerndes Messing und sattes Rostrot. Im Garten hängt noch erstaunlich viel Laub, der Hasel ist schon weitgehend ergilbt, doch der rote Perückenstrauch steckt noch in der Farbverwandlung. Er ist spät dran, aber es ist ja auch noch nicht wirklich kalt. Zwei Eichhörnchen kommen frühmorgens und verbuddeln Nüsse im Rasen. Ich biete den Vögeln jetzt wieder vermehrt Futter an, auch wenn sie mit jedem Jahr weniger werden. In den ersten Gartenjahren habe ich noch an die dreißig Vogelarten gezählt, inzwischen sind es vielleicht zehn. Heimchen gibt es auch keine mehr im Sommer, dafür hatten wir eine üble Rattenplage, an die ich lieber nicht zurückdenke. Die Biester saßen zeitweilig sogar auf den Fensterbänken und starrten neugierig ins Haus. Die Libellen werden von Jahr zu Jahr weniger, dafür nehmen die Zecken und Grasmilben rapide zu. In diesem Herbst haben wir keine Igel. Sonst waren es immer drei oder vier. Konrad, der große Igelmann, der wie gefroren mit eingezogenem Kopf stehen blieb, sobald er mich sah, ist im Sommer gestorben. Irgendetwas oder irgendjemand hatte ihn schwer verletzt, und mörderische Fliegenmaden gaben ihm den Rest. Die zutrauliche Igeline war nur im September ein paar Nächte hier und fraß gierig, dann blieb sie weg. Ob sie noch lebt? Ob sie ein anderes Igelhaus gefunden hat? Hier stehen vier, doch diesmal sind alle leer.

Vogelkuchen (BFL)

Ich mag meinen novembrigen Fensterblick. Der Holzapfelbaum hängst übervoll mit winzigen Früchten und leuchtet schon von weitem, der Wilde Wein klammert sich mit schwächer werdenden Fingern an Stein und Holz. Seine Tage sind gezählt, aber noch glüht er orange, feuerrot und rostbraun. Der Teich ruht seit einer Woche unter dem dünnen grünen Winternetz und ist jetzt hoffentlich gegen herabfallende Blätter und hungrige Reiherschnäbel gefeit, die Fische werden träge, und der Ahorn am Ufer trägt sein Zauberkleid. Die Erde riecht feuchter und modriger als im Oktober, und man muss aufpassen, dass man nicht ausrutscht. Blasse Pilze schießen aus dem Boden. Kiefernnadeln regnen herab. Und doch oder vielleicht gerade deshalb liebe ich meinen Garten in diesem Monat ganz besonders.

Wilder Wein (BFL)

 

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Neues aus Mausland: Vinny und Valentine

Vinny und Valentine (BFL)

Heute habe ich nach längerer Pause wieder meine alte Homepage mit dem  Mausblog bei wordpress aktiviert und möchte alle LeserInnen herzlich zu einem herbstlichen Ausflug nach Mouse Town einladen. Im aktuellen Beitrag werden die neuen Maushexen Vinny und Valentine von unserem hochbegabten kleinen Mauslandsreporter Stilton vorgestellt.

In der nächsten Zeit werde ich die Mäuse dort wohl wieder etwas häufiger zu Wort kommen lassen (ich habe es ihnen zumindest versprochen, und Versprechen muss man ja bekanntlich halten), zumal es Stilton und Mila inzwischen tatsächlich geschafft haben, ehrenamtlich als echte Mausreporter beim hiesigen Gemeindebrief tätig zu sein und dort vier Mal im Jahr eine eigene Seite mit Foto haben.

Momentan habe ich für den Mausblog noch keine eigene Domain, daher kann ich die wordpress-Werbung dort leider auch nicht abschalten. Noch haben die Mäuse mich nicht ganz davon überzeugen können, dass so was wirklich nötig ist, aber wir werden sehen…… Sie sind einfach so süß und liebenswürdig, dass ich ihnen kaum etwas abschlagen kann. Besonders an Halloween, wenn sie mich mit ihren komischen Kostümen überraschen. Die arme Mimolette hatte die ganze Zeit Riesensorgen, dass sie sich ihre rosa Schleife ruiniert, aber es ist zum Glück alles gut gegangen.

Der Link oben war nur für den Halloween-Beitrag, aber hier findet ihr die ganze Seite

Trick or Treat! (BFL)

 

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Oktoberland – mit allen Sinnen

Leaves (Thomas Millot/unsplash)

 

Mein Herbst schmeckt nach Halloween

Tag der Toten und gelben Chrysanthemen

Ringelblumen und Ahnenbildern

Zuckerschädeln und Papiergirlanden

 

Ahninnen (BFL)

Maternal ancestors (BFL)

 

Nach Ahornsirup und Indian Summer

Kartoffelsuppe und Pumpkin Pie

Feuerknistern und Marshmallows

Kandierten Äpfeln und Haselnüssen

 

Cat and Witch (Christina Hernandez/unsplash)

 

Nach Blätterwirbeln und feuchter Erde

Waldboden und Herbstzeitlosen

Eichhörnchenflug und Igelhunger

Zimtstangen und Gewürznelken

 

Besenecke (Jessica Furtney/unsplash)

 

Nach gemahlenen Pfefferkörnern und gerösteten Maronen

Tropfendem Wachs und scharrenden Besen

Grinsenden Kürbissen und leisen Sohlen

Schwachem Moder und erstem Verwesen

 

Spinnwebzart (Sam Valdez/unsplash)

 

Nach unruhigen Grablichtern und endlich Samhain

Sachten Moostritten und Kakao mit Sahne

Lila Herbstastern und lockenden Fliegenpilzen

Drudenfuß im Hag und Zauberstab in der Hand

 

The Witch is in (BFL)

 

Nach blassem Vollmond und Karamell

Gespensterhuschen und kichernden Kindern

Klebrigen Zuckerstangen und Katzenpfoten

Raschelnden Gruselkostümen und Mottenpulver

 

Skeleton Boy (Ksenia Makagonova/unsplash)

 

Nach Skeletten und wehenden Mumienbändern

Drachenatem und den Büchern von Ray Bradbury

Heiseren Flüchen und winzigen Mäuseschwänzen

Altweibersommer und brodelndem Kessel

 

Witches‘ Kitchen (Artem Maltsev/unsplash)

 

Nach Hag of Beara und uralter Cailleach

Rabenkrächzen und Fauchen vor der Tür

Matronenhain und Mother Maiden Crone

Nach früher Dunkelheit und später Dankbarkeit

 

Dancer (Joshua Newton/unsplash)

 

Nach Ingwerplätzchen und Stoppelfeldern

Herbem Cider und rauchigem Patchouli

Bittersweet und tiefen Wäldern

Cupcakes im Ofen und Fledermausflügeln

 

Daydreaming (Annie Spratt/unsplash)

 

Nach Kindheitserinnerungen und Nachtvolk

Hortensienkränzen und Traurigkeit

Vampirumhang und Nebelflüssen

Versengtem Laub und Regenschauer

 

Nebelwald (Ricardo Gomez Angel/unsplash)

 

Nach Wolldecken und schwarzem Lakritz

Füllfeder auf Papier und Kopf voll Ideen

Sandelholz und grünem Rasierwasser

Bitterorangen und goldgelbem Harz

 

Witch (Kayla Maurais/unsplash)

 

Nach Kiefernnadeln und Holzspänen

Tim Burton Filmen und Ohrenkneifern

Zitronenschale und lackiertem Sarg

Tannenzapfen und Pflaumenmus

 

Pumpkin Girl (Anita Austvika/unsplash)

 

Nach Spukhaus und verirrten Seelen

Kopflosen Reitern und knarrenden Dielen

Verlassenen Treppenhäusern und Bröckelmauern

Mitternachtskühle und Speicherstaubwolken

 

Pumpkin Head (Simone Garland)

 

Nach faulem Zauber und dem Inneren von Masken

Billiger Schminke und blutroten Nägeln

Getrockneten Kräutern und Zugvogelferne

Orangegelbweißem Corn Candy und Buttermais

 

Corn Candy (Dane Deaner/unsplash)

 

Nach Zuckerstangen und Trick-or-Treat

Pumpkin Spice and everything nice

Quittengelee und Mutters Strickmützen

Nächtlichen Küssen und Dunkelangst

 

Dark Lady (Salvador Altamirano/unsplash)

 

Nach Schokolade und Apfelstrudel

Monstern am Zaun und Tarotkarten

Hagebutten und stürzenden Flugdrachen

Ausgehobenen Gräbern und bretonischen Beinhäusern

 

Spiderweb (Pezibear/pixabay)

 

Nach Tau auf Spinnwebfäden und Nachtmahren

Kartoffelfeuern und Martin Bakers Cheese Cake

Verlorener Liebe und rostroten Samtvorhängen

Geöffnetem Kirchhof und haariger Tarantel

 

Leaf (Aaron Burden/unsplash)

 

Nach leeren Alleen und Rilkes Gedichten

Abschiedschmerz und Kerzenflackern

Tee mit Kandis und banger Erwartung

Stiller Heimkehr und unerwarteter Vollendung

 

Asleep (Anni Spratt/unsplash)

 

Nach träumenden Kindern und Märchenhäusern

Brüsseler Platz und Kitchener Avenue

Zerdrückten Wacholderbeeren und Mokka

Ewiger Vogelgöttin und tanzendem Bärenmädchen

 

Prepared (Joanna Kosinska/unsplash)

 

Nach Räucherwerk und Weihrauchküche

Kristallkugel und Sternenhimmel

Schwarzer Hekate und Steinkreisen

Thin places und Anderswelt

 

Little Witch (Paige Cody/unsplash)

 

Nach erster Umarmung und Liebesschwüren

Caudron of Changes, Feather on the Bone

Arc of Eternity, Ring around the Stone 

Endlosem Zauber und süßer Melancholie

 

Geheimnis (Linas Bam/unsplash)

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Halloween in Hornbeam Hollow – mit Kris Miners

Großvater Spitzmaus und sein Enkel, Buch-Detail (Kris Miners)

Ich entdeckte Kris Miners bei etsy (KrisMiners) und war auf Anhieb von seinen farbenfrohen Bildern begeistert, denn er liebt wie ich den Herbst und den Winter und außerdem auch noch Mäuse, Fliegenpilze und Halloween! Eine verwandte Seele also! In seinem Shop gibt es Karten, Sticker und hochwertige Ansteckpins aus Emaille. Den Kürbisraben musste ich natürlich haben – er hat am 31. Oktober seinen großen Auftritt.

In diesem Jahr ist Kris Miners‘ erstes Kinderbuch erschienen: „Hornbeam Hollow – The Hunt for the Halloween Pumpkin“. Es ist auch in Deutschland erhältlich, aber noch nicht übersetzt (ich kenne eine halloween-verrückte Übersetzerin, die das richtig gern übernehmen würde), doch die schönen Bilder erfreuen bestimmt auch hier viele kleine und große Kinder. Es ist gar nicht so schwer, Halloweenfans die Geschichte von Pygmy und Conker nachzuerzählen, die sich zusammen mit ihrem Großvater Shrew (das englische Wort für Spitzmaus) auf die Jagd nach dem schönsten Halloweenkürbis machen. Natürlich werden sie fündig, schnitzen ihm noch an Ort und Stelle ein spukiges Gesicht, damit er ihnen auch hell genug heim leuchten kann, laden ihn auf ihre Schubkarre und schieben ihn nach Hause. Zu Mama Shrew, die als Hexe verkleidet ist, und dem Riesenkessel mit leckerer Kürbissuppe. Aber auf dem Heimweg passiert noch allerhand. Hornbeam ist das englische Wort für Hainbuche, und die Idee zum Buch kam Kris, als er während eines Spaziergangs eine kleine Maus beobachtete, die in einen hohlen Hainbuchenstamm schlüpfte.

Detail aus dem Buch „Hornbeam Hollow“ von Kris Miners

Ich mag den Humor, die satten, leuchtenden, aber auch ganz zarten Aquarellfarben und die vielen Details, die es zu entdecken gibt. Zum Beispiel das winzige Käferchen, das als Mumie verkleidet mit ausgestreckten Ärmchen auf einem Grasstengel balanciert, oder die kleinen und großen Spinnen, die an Fäden schaukeln oder hoch oben auf Pilzen hocken, die baumelnden Fledermäuse, den Mond mit dem Kürbisgesicht oder die Hexenmaus auf dem Flugbesen. Und dann wäre da noch Pixie, das kleine Waldwesen mit dem Glockenblumenhut, eine Mischung aus Marienkäfer und Elfe, das die Mäuse unterwegs treffen. Sie kann fliegen und ein bisschen zaubern und weiß genau, wo man die allerleckersten Brombeeren findet. Sogar im Dunkeln! Wenn man nämlich auf ihr Näschen drückt, fängt sie an zu schimmern wie ein Glühwürmchen, so dass sie auch nachts gut zurechtkommt. Dazu muss man wissen, dass Kris eine niedliche kleine Tochter hat, die tatsächlich Pixie heißt. Im Buch kann man sogar eine Zeichnung finden, die sie selbst gemalt hat. Aber danach muss man natürlich suchen! Ich hoffe, dass es bald eine Fortsetzung gibt: „Hornbeam Hollow im Winter“ zum Beispiel, denn ich liebe Weihnachtsbäume und Schneebilder.

Kris Miners und sein Buch

Da der Vorname Kris in den USA vor allem ein Frauenname ist, sind viele amerikanische Miners-Fans ziemlich verblüfft, wenn sie feststellen, dass sich hinter dem Namen in diesem Fall eindeutig ein Mann verbirgt. Kris nimmt es mit Humor.

Seine Lieblingstiere sind übrigens Hunde, im Moment tollen gleich zwei temperamentvoll Möpse durchs Haus, aber er zeichnet trotzdem am liebsten Mäuse. Ich kann das gut verstehen! Meine eigenen Mäuse sind hochentzückt von seinen Werken, zumal er ihnen erlaubt hat, sie überall aufzuhängen, und so kommt es, dass man in unseren Maushäusern lauter „Mini-Miners“ entdecken kann. Ich habe den Mäusen sogar eine Kleinversion vom Buch machen müssen, damit sie endlich Ruhe gaben.

Kris Miners beim Zeichnen

Kris Miners in Action

Kris hat eine Homepage, auf der man seine Werke bewundern kann, und eine insta-Seite. Ich bin ja neuerdings selbst mit meinen Mäusen bei instagram (cheddarandmozzarella) und finde es immer wieder faszinierend, dort so viele Künstler aus allen Sparten und aller Welt zu treffen.

Vor einiger Zeit hat Kris seinen Fans Antworten auf ihre „frequently asked questions“ gegeben. „Warst du in der Schule gut in Kunst?“ zum Beispiel. Eigentlich nicht, schreibt er, was vor allem daran lag, dass sein Kunstlehrer eine merkwürdige Vorliebe für LÖFFEL (echt!) hatte und Kris das Motiv höchst langweilig fand. Kann ich gut nachfühlen. Meine Kunstlehrerin gab uns auch immer höchst seltsame Themen vor. Zum Glück mussten wir nie Löffel malen. Aber „Vater beim Rasieren“ war auch schrecklich. Die Umsetzung hat mir kein bisschen Spaß gemacht. Was Kris am liebsten malt? Kürbisse, Fliegenpilze, Mäuse und alles, was mit Herbst und Winter zu tun hat oder irgendwie geheimnisvoll ist. Berufe und Hobbys hat er übrigens ziemlich viele, unter anderem ist er Survival Trainer und liebt Ethnobotanik.

Kris zeichnet den Schneemann von Raymond Briggs

Zu seinen großen Vorbildern zählen Quentin Blake, Axel Scheffler, E.H. Shepard, Beatrix Potter und Jill Barklem. Vor allem aber liebt er Raymond Briggs (den mit dem Schneemann). Ich mag alle diese Illustratoren auch sehr gern und habe sogar eine Riesenausgabe vom Schneemann-Buch „on display“ in meinem Arbeitszimmer. Ganzjährig. Raymond Briggs hat Kris übrigens vor zwei Jahren höchstpersönlich eine Weihnachtskarte geschickt! Auf seinem YouTube Kanal kann man Kris beim Zeichnen zusehen und bekommt manch guten Tipp.

Auf die Frage, was ihn denn an Halloween so fasziniere, obwohl er doch gar kein Amerikaner, sondern Brite sei, erklärt er, dass seine Mutter es hervorragend verstand, diesen Tag für den kleinen Kris, der sich meistens als Dracula verkleidete, immer zu einem ganz besonderen Ereignis zu machen. Die schönen Erinnerungen und den besonderen Herbst- und Winterzauber seiner Kindheit versucht er jetzt an seine eigenen Kinder weiterzugeben. Ich würde die Familie liebend gern mal besuchen, denn im Hause Miners gibt es ein Hologram-Gespenst, ein unheimliches, blau schimmerndes Mädchen mit glühenden Augen, das plötzlich auftaucht, herumgeistert und wieder verschwindet.

Kleine Geister, Halloweenkarte von Kris Miners

Auf facebook hat Kris eine eigene Seite sowie eine muntere Fan-Gruppe „Kris Miners Illustration and Chat“. Im Moment dreht sich dort natürlich alles um Halloween!

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Das Kind braucht Luftveränderung (5) – Effi

Kleines Mädchen (Alexas_Fotos/pixabay)

Die folgenden Erinnerungen gehören meiner Freundin Effi, die als kleines Kind im Vorschulalter ganz allein „verschickt“ wurde. Danke, dass du sie für mich aufgeschrieben hast, liebe Effi. 

Erinnerungsflut – 1. Oktober 2019

Als ich Beates Beitrag über ihre Zeit an der Ostsee und Anja Röhls Sammlung von 250 Berichten ehemaliger Kurheim-Kinder aus den 50er-80er Jahren las, wurde ich regelrecht von Erinnerungen überflutet, denn auch ich war als kleines Kind 1969 – wegen dauernder Mandelentzündungen und Untergewicht – in den Schwarzwald verbannt worden. In ein „Kinderkurheim“ in Bonndorf.

Bettnässer

Nachts nicht pinkeln zu dürfen war besonders scheußlich. Bettnässer und Hosenscheißer mussten am nächsten Morgen so lange ungesäubert neben dem Bett warten, bis dieses frisch bezogen war, in einem Schlafsaal mit vielen Betten und Mädchen unterschiedlichen Alters. Die anderen durften ihr Bett erst verlassen, wenn alle nassen Betten wieder frisch waren, erst dann durften die gepeinigten Mädchen in den Waschraum und alle anderen aufs Klo. Ein Mädchen hatte das Pech, dass sich ihr Nachname auf Hose reimte. „D…. K…. macht in die Hose!“ war einer der Sätze, die mir bis heute tief im Gedächtnis sitzen, und ich erinnere mich an ein zartes Geschöpfchen mit weißblonden Haaren und dauer-rotgeränderten Augen.

Doch wir hatten nach einer gefühlten Ewigkeit das Glück, einem mutigen Jungen mit herausnehmbaren Glasauge zu begegnen, der nachts, wenn die wachhabenden Generäle Pause hatten, alle Schlafsäle abwanderte und die ganz Verzweifelten in kleinen Gruppen zur Toilette geleitete. Ich war zwar ein Angsthäschen, lag aber im Bett gleich an der Tür, und wenn ich nicht mitging, ging auch sonst niemand mit. Das hab ich schnell begriffen. Außerdem fand ich das Glasauge sehr faszinierend und durfte es sogar mal in der Hand halten.

Ich könnte jetzt endlos weiterschreiben…. Vom Sitzen im stockdunklen Kellerraum, weil ich weder Schleife binden noch Doppelschleifen öffnen konnte und der letzte vor mir einfach das Licht aus und die Tür zu machte, gefühlte Panikzeitalter, bis mich mal jemand vermisste oder zufällig entdeckte. Oder wie es sich anfühlte, als Allerletzte im Speisesaal zu hocken, um den verhassten Teller leer zu essen, bis die Übelkeit sich Bahn brach. Und dann das schreckliche Heimweh!

Doch den Wald, besonders den tief dunklen, hab ich geliebt … und das Fräulein für draußen! Das Gras so samtig weich, das Bächlein zum Drüberhüpfen und die quakenden Frösche.

Im Wald (PhotoGranary/pixabay)

Noch mehr Erinnerungen – 2. Oktober 2019

Den ganzen Tag über musste ich gestern an das Kinderkurheim in Bonndorf denken. Vieles ist und bleibt wohl verschüttet in meiner Erinnerung. Immerhin war ich erst sechs Jahre alt, das ist fünfzig Jahre her. Ich erinnere mich, dass ich ein Jahr länger im Kindergarten bleiben „durfte“, während die gleichaltrigen Kinder aus der Nachbarschaft alle eingeschult wurden. Dass da für mich eine Reise bevorstand, wusste ich nicht.

Die Zugfahrt

Ich erinnere mich, dass meine Mutter mich am Kölner Hauptbahnhof in ein Zugabteil setzte. Das waren noch die offenen Abteile mit 6 x 4 Sitzplätzen, jeweils zwei Bänke mit rotem Bezug in einer Nische. Ich erinnere mich, dass andere Kinder, alle etwa in meinem Alter, zustiegen, teils still, teils hopsten sie auf den Bänken herum. Ich hatte schon schreckliches Heimweh, bevor sich der Zug in Bewegung setzte. Es war nicht das erste Mal, dass ich über Wochen ohne Mama Zeit verbringen musste (immer bei Verwandten), da sie sich im Laufe meiner Kindheit mehreren OPs unterziehen musste. Doch selbst wenn das immer furchtbar für mich war und ich früher oder später vor Heimweh krank wurde, dies war das allererste Mal, dass ich diese Reise mutterseelenallein antreten musste, zu fremden Menschen, in eine unbekannte Gegend. Die anderen Kinder kannte ich ja nicht.

Ich erinnere mich an das Gefühl, vor Angst wie gelähmt zu sein. Ich konnte mich nicht bewegen, saß stocksteif und verkrampft auf meinem Platz am Fenster in Fahrtrichtung in der mittleren Nische zum Bahnsteig, konnte kaum atmen, sobald meine Mutter und die anderen Eltern das Abteil verlassen hatten. Ich erinnere mich vage am Rande meines Bewusstseins an eine Frau, die mit im Abteil saß, plötzlich da war und die Stimme erhob. Missmutig, streng und kaltstimmig sorgte sie für Ruhe und Benehmen.

Die Ankunft

Ich habe keinerlei Erinnerung an das Gebäude von außen, nur den Blickwinkel aus einem der unteren Fenster. Da war ein Obstbaum gegenüber, mit einem dunklen Lattenzaun. Auch Häuser und Schuppen oder Scheunen rechts und links. Und ein Weg oder eine Straße um den Obstbaum bzw. den Zaun herum, der weiter hinten am Ende der Gebäude auf Felder führte oder daran vorbei ins Uneinsehbare. Im Gebäude selbst erinnere mich nur an einige Räume in Verbindung mit unangenehmen Befindlichkeiten.

Der Schlafraum

So lag der Schlafraum wohl oben, weil an einer Seite Schräge war, mit einem Fenster. Auch ein Fenster zur Giebelseite war dort. Die Wände weiß und kahl, bis auf ein Kreuz über dem Eingang. Ob in dem Raum Schränke standen, weiß ich nicht mehr. Die Wand neben der Tür will mir nicht mehr ins Bewusstsein rücken.

Es standen drei Betten hintereinander an der Wand mit der Tür, meins ganz vorne. In der nächsten Reihe standen vier Betten hintereinander, daneben noch zwei Reihen. Die jüngeren Kinder in der Nähe der Tür, die älteren weiter davon weg. Von keinem Bett aus konnte man unbeobachtet Kontakt zu den „Nachbarn“ aufnehmen. Sie standen alle einzeln mit viel Platz drumherum. Ich erinnere mich nicht an Stühle oder Nachtschränkchen, nur an nackte weißbezogene Betten.

Eines der älteren Mädchen hatte Fotos an die Wand hinter ihrem Bett gepinnt. Die waren am nächsten Tag fort, und das Mädchen lachte nicht mehr.

Die Tür stand die ganze Nacht offen, ab und an polterte eine der Wachhabenden mit „Ruhe!“ herein, wobei ich jedes Mal höchst unsanft aus dem Halbschlaf gerissen wurde, zu Tode erschrocken. Vor lauter Angst … und oft genug Pipidrang …. konnte ich nur schwer einschlafen. Durch die Tür gelangte man in einen Flur mit knarrendem Holzboden. Man konnte also gar nicht mal eben schnell und heimlich aufs Klo. Die ersten, die es versucht hatten und die ich mitbekommen habe, wurden lauthals ausgeschimpft und unverrichteter Dinge (wörtlich zu nehmen) wieder ins Bett geschafft. Rechts war gleich die nächste Schlafraumtür, ebenfalls offen. Ich erinnere mich, dort nur im Dunkeln hineingeschaut zu haben, auf Betten in der gleichen Anordnung wie bei uns nebenan.

Daneben an der nächsten Wand die Toiletten, erst für Mädchen, dann für Jungs. Weiß gekachelte Räume mit  Toilettenboxen. Ich erinnere mich nicht, ob da Türen waren. Ich erinnere mich aber an eine schimpfende Frau direkt vor mir, halb über mir, weil ich nicht schnell genug mein Geschäft erledigte. Abends vor dem Schlafengehen wurden alle noch mal aufs Klo geschickt, damit nachts Ruhe herrschen sollte, in Schlangen bis in den Flur, zig Mädchen und nebenan zig Jungen. Alle im Schlafanzug oder Nachthemd, viele barfuß.

In meiner Erinnerung gibt es keine Gesichter von den Wachen, nur namenlose furchige Grimassen und entweder zugekniffene oder große offene und schreiende Münder.

Links von unserem Schlafsaal war noch ein kleiner Raum mit Betten drin. Die standen enger beieinander und um Schränke herum. Nachts war diese Tür geschlossen. Ich erinnere mich nicht, ob wir Mittagsschlaf gehalten haben, erinnere mich aber wohl, bei Tageslicht an dem Zimmer vorbeigekommen zu sein, da dort ältere Jugendliche im Bett saßen und Licht vom Fenster hereinfiel. Die Schlafräume durften nur zum Schlafen aufgesucht werden. Ansonsten war das Betreten verboten, zum Teil die Türen abgeschlossen.

Die gegenüberliegende Seite von dem Flur ist verschwommen. Irgendwo war die Treppe nach unten. Ich erinnere mich an ein paar wenige Stufen nach oben und eine Art Galerie mit gedrechseltem Geländer, von der weitere Türen abgingen. Die Wachen kamen von dort schimpfend angerannt. Wohl deshalb wollte ich dort niemals hin.

Die Waschräume

Irgendwo im Haus waren die Waschräume. Ich erinnere mich an weiße Kacheln und Reihen von Waschbecken. Kaltes Licht, Enge und Bedrängtsein, Lärm und Spritzwasser – und an Waschlappen. Die hatten die Eltern mir mitgegeben. In verschiedenen Farben mit Namenseinnäher. Drei hab ich noch heute. In einem sogar noch den Einnäher „N. EFFI MAURER“.

Ich erinnere mich, dass mir der Waschlappen unsanft durchs Gesicht gezogen wurde und über den ganzen Körper, bis die Haut überall brannte. Ich erinnere mich, es irgendwann allein gemacht zu haben, aber ich hatte immer Not, wohin mit meinen Sachen. Also zwischen die Beine geklemmt. Dabei war nackig ausziehen schon eine Tortur und eine Riesenüberwindung. Mir war kalt, alles war nass, und der Boden schwamm. Nirgendwo ein trockener Platz für meine Sachen. Das fand ich ganz furchtbar.

Kleines Mädchen im Wald (Free-Photos/pixabay)

Das Fräulein für draußen

Ich weiß noch, ich gehörte für Draußen-Aktivitäten einer Gruppe an von Kindern in unterschiedlichem Alter. Das Fräulein oder die Tante, deren Name mir nicht mehr einfällt, war sehr nett. Hilfsbereit, zuvorkommend, fröhlich und erklärreich. Sie war so ganz anders als die Wachen innerhalb des Heims. Man könnte sagen: leise.

Der Keller

Bevor wir raus gingen, mussten wir im Keller in einen kleinen Raum, wo die Jacken hingen und die Schuhe standen. Erst konnte ich noch keine Schleife binden. Das hat mir dann ein älteres Kind beigebracht, weil ich mir immer helfen lassen musste und immer die Letzte war. Ich war richtig stolz, als ich es konnte. Dann und wann musste ich andere Schuhe anziehen bis über die Knöchel, und man machte mir einen Knoten mit der Schleife, weil die Bändel sonst zu lang gewesen wären.

Bei der Rückkehr mussten wir natürlich wieder in den kleinen Keller, um Jacken und Draußenschuhe  auszuziehen, und ich erinnere mich, dass das letzte Kind vor mir das Licht ausmachte und die Türe schloss und mich zurückließ. Ich konnte den Knoten nicht lösen, wusste nicht wie, und schon gar nicht so schnell. Mutterseelenallein im Stockfinstern! Ich hatte fürchterliche Angst und traute mich nicht, mich zu bewegen, weg von der Bank mit den Jacken im Rücken. Die Tür war nicht weit weg, jedoch unerreichbar. Gefühlt hab ich stundenlang leise vor mich hin geweint, bis jemand kam und mich „rettete“. Mit Schimpfe natürlich, weil ich nicht pünktlich im Speisesaal war. Das kam ein paar Mal vor, bis mir offenbar jemand die Schuhe so band, dass ich sie wie Stiefel nutzen konnte, also rein- und rausschlupfen, mit Hilfe zwar, aber ohne mich mit den Bändeln zu beschäftigen. Das war – zumindest in dem Punkt – eine Riesenerleichterung.

Tief im Wald (cocoparisienne/pixabay)

Fortsetzung – 4. Oktober 2019

Suppe mit Schwabbel im Speisesaal

Ich erinnere mich bruchstückhaft an den Speisesaal. Mein Platz war etwa am Kopfende eines langen Tisches an der Wand. Die Wände halbhoch holzvertäfelt. Ein Fenster im Rücken mit tiefer Fensterbank, wo ich mich hätte komplett hineinsetzen können, wenn ich gedurft hätte.

Ich erinnere mich zu Anfang meiner Zeit in Bonndorf an ekelhafte Suppen, dicke grüne Brühen mit etwas Schwabbeligem drin, über die ich nicht hinauskam, während die anderen Kinder das Hauptgericht und das Dessert verspeisten. Das Dessert war am leckersten im Vergleich zu allem anderen. Während die anderen Kinder noch anwesend waren, schnürte sich mir die Kehle zu. Ich konnte nicht schlucken, nicht weinen, nicht weglaufen und mich nicht verstecken. Die anderen durften gehen nach dem Dessert, ich musste bleiben und die Suppe aufessen.  Ich erinnere mich, dass ich sehr alleine war, todunglücklich und dann leise in meinen Teller weinte. (Überhaupt habe ich nie laut geweint, da es meinen Vater zuhause immer sehr wütend machte, wenn ich weinte.)

Ich erinnere mich an eine junge Frau (zumindest aus der Perspektive einer Sechsjährigen), auf jeden Fall keine Wache, die ein paar Mal kam, sich zu mir setzte, ständig verstohlen hinter sich schaute, und mir gut zuredete, doch die Suppe zu essen. Einmal hatte sie sogar ein Dessert herbeigeschmuggelt als heimliche Belohnung für den geleerten Suppenteller. Leider wurde sie erwischt und böse ausgeschimpft. Danach kam sie nicht mehr, und ich war wieder allein … mit der Suppe. Ich erinnere mich noch, dass ich danach versucht habe, die ekelhafte dicke Brühe mit Schwabbel drin herunterzuwürgen, dass mir speiübel wurde und ich auf den Tisch gekotzt habe. Daraufhin bekam ich wortlos eine weitere Kelle von dem Zeug aus dem großen Topf, inzwischen kalt und noch ekelhafter.

Ich weiß nicht mehr, wie diese Tage endeten oder wie viele es waren. Aber ich weiß noch genau, dass bald darauf während des Essens eine große Veränderung vor sich ging. Die Jugendlichen saßen plötzlich zwischen uns Kindern, und wenn eines von uns etwas nicht mochte, wurden Portionen getauscht oder sogar die Teller, sobald die Wachen wegschauten. Voll oder halbvoll gegen leer. Daher weiß ich auch, dass das Dessert am besten geschmeckt hat.

Briefe und Besuch

Ich erinnere mich an Post von meiner Mutter aus dem Urlaub, von Tanten mit Onkels, von Oma und Opa. Eine dieser Postkarten habe ich lange aufgehoben, bis sie sich vor ein paar Jahren quasi aufgelöst hat. Es war eine Art 3D-Postkarte mit putzigen Tierchen, comic-haft, auf einer Wiese, und je nachdem, wie man auf die Karte schaute, erschien ein anderes Bild.

Ich erinnere mich farblos an einen Besuch meiner Großeltern in diesem Speisesaal, wie wir an einem kleineren Tisch nahe der Tür gesessen haben. Mein Opa vorne, einen Arm auf dem Tisch, mir zugewandt, erst erzählte er, dann redete er auf mich ein. Meine Oma daneben, mir fast gegenüber, mit übereinander geschlagenen Beinen, ein Arm vor der Brust, den anderen darauf gestützt, schaute sie mich an. Ich sehe in meiner Erinnerung für diese Sequenz keine Farben, nur Grautöne. Ich erinnere mich nicht, mit ihnen das Haus, diesen Raum verlassen zu haben. Auch erinnere ich mich nicht an ihre Worte. Ich erinnere mich nur, bitterlich geweint zu haben, nachdem ich so gehofft hatte, sie würden mir glauben, dass ich unbedingt dort weg musste, es nicht mehr aushielt vor Angst und Heimweh. Sie nahmen mich nicht mit, nicht fort aus diesem schrecklichen Haus. Und ich erinnere mich gut an dieses Gefühl der Lähmung, dass ich kaum atmen konnte.

Gerade jetzt beim Schreiben habe ich ohne Absicht diese Flachatmung, dass ich andauernd tief, tief seufzen muss. Meine Eltern und mindestens eine Tante haben mich wohl ebenfalls besucht. Daran habe ich jedoch absolut keine Erinnerung.

Ich erinnere mich, an anderen Tagen an demselben Tisch im Speisesaal gesessen zu haben, zum Malen und Basteln. Auch vage daran, dass Post an zuhause verfasst wurde. Keine Ahnung, was darin stand. Ich erinnere mich nur, in möglichst großen ungelenken Buchstaben meinen Namen draufgemalt zu haben. Richtig schreiben konnte ich damals noch gar nicht.

Fliegenpilz im Wald (tuptus1703/pixabay)

Der Wald und die Pilze

An Ausflüge in die Gegend erinnere ich mich nicht, nur an die Schwarzwaldhüte mit den großen roten Bommeln drauf. Und an den für mich einzig guten und sicheren Ort in diesen gefühlt endlosen Wochen voller Angst: den Wald. Wir gingen öfter an dieselbe Stelle. Erst eine Wiese mit einzelnen hellen Blumen drauf, dann die Bäume. Am Anfang vereinzelt, dann dichter. Wir mussten uns an den Händen halten und gegenseitig stützen, da dort kein Weg hineinführte. Das Fräulein hat viel erzählt über das, was wir sahen. Bäume, Boden, Wurzeln, Pilze. Auch sollten wir dies und das befühlen. Und lauschen. Auf den Wind, die Vögel, das Knacken weiter hinten durch. Ja, Pilze! Ich erinnere mich gerade vor allem an Fliegenpilze!

Nicht weit vor uns floss ein schmales Bächlein mitten durch den Wald. Nicht tief und sogar für mich überhüpfbar. Wenn ich ganz leise war, konnte ich es gurgeln und murmeln hören. Unweit davon zeigte uns das Fräulein Polster von weichem Gras. So samtig, so friedlich. Ich weiß noch, dass wir eine Zeitlang spielen durften dort am Bach in Sichtweite zur Wiese. Ich weiß auch noch, dass ich mich auf die dicht gewachsenen und duftenden Graspolster unter den Bäumen hingelegt habe, dem Wald lauschte und eingeschlafen bin. Friedlich und entspannt. Bis man meinen Namen rief, mich suchte und fand. Dort hätte ich ewig lieben bleiben mögen. Der Wald war mein Freund, das Gras mein Himmelbett.

Nachtrag – 6.Oktober 2019

Das Album

Habe eben das Erinnerungsheftchen vom Kuraufenthalt in Bonndorf wiedergefunden. Es steckte im Album mit ersten Fotos von mir als Neugeborene bis zum Alter von etwa 10 Jahren, das meine Mutter für mich angelegt hatte. Auf dem Gruppenfoto bin ich die Kleine ganz rechts obenauf. Unter dem Foto steht als Text:

„Erinnerung an die Kur vom 1.10. – 3.11.1969 im Schwarzwald Kinderheim „Johnen“ mit Tante Renate“. Ach, Tante Renate hieß das Fräulein …

An die Betten erinnere ich mich vage, an die Schränke nicht. Auch nicht, ob und welches Stofftier oder Sonstiges ich dabei gehabt haben könnte.

Der Abstecher

Etwa 25 Jahre später auf dem Weg in einen Urlaub jenseits der Alpen habe ich einen kurzen Abstecher nach Bonndorf gemacht. Ich wollte das. Wir hatten nicht viel Zeit, und ich habe das Kurhaus auch gar nicht gefunden, geschweige denn mich vorher schlau gemacht, wo genau es stand. Aber das Gefühl der Beklemmung war allgegenwärtig, sobald wir das Ortsschild passierten. Noch heute muss ich tief seufzen, wenn ich nur den Ortsnamen Bonndorf höre oder lese oder durch irgendeinen Auslöser an die Zeit als Kind dort erinnert werde.

(Effi Knoch)

Ein Bächlein zum Drüberspringen für Effi (DarkWorkX/pixabay)

 

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