Bye Bye “Wrigley’s Spearmint Gum”

In der letzten Zeit verschwinden ärgerlicherweise dauernd meine Lieblingssüßigkeiten aus den Regalen, meist zum Glück nur vorübergehend. Doch der Totalverlust meines geliebten Kaugummis trifft mich jetzt tatsächlich so hart, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen muss, denn Wrigley’s Spearmint Gum ist für mich nicht nur eine vertraute Kindheitserinnerung, sondern vor allem eine Erinnerung an meinen Vater. Immer wenn ich Wrigley‘s kaue, denke ich sofort an ihn. Die Spearmint Streifen waren früher tatsächlich Kult, sie waren ein Stück Kulturgeschichte, besonders für Deutschland. Sie standen für den American Way of Life, schmeckten nach Frische, Freiheit und Frieden, nach großer weiter Welt, nach Abenteuer – und sie sind ein echter Klassiker, denn es gibt sie schon seit 130 Jahren!

die letzten…

Wrigley’s Spearmints haben mich während der gesamten Pandemie unter den Masken begleitet, denn ich ertrage die klaustrophobischen Dinger nur mit Pfefferminzgeschmack im Mund. Außerdem verhindert das minzige Kauen, dass ich unter der Maske Panikanfälle bekomme. Die Kaubewegungen sind dabei so gut wie unsichtbar. Perfekt! Nicht mal meine Mutter, eine erklärte Kaugummihasserin, würde da meckern.

Als es die Streifen eine Weile nicht gab, bin ich notgedrungen auf andere Produkte umgestiegen, doch die meisten trieben mir ob ihrer Schärfe die Tränen in die Augen. Nur Wrigleys waren mild und genau richtig. Tröstlich, väterlich, beruhigend. Sie gehörten außerdem zum ersten, was ich nach dem quälenden Covid 19-Geruchsverlust wieder unverzerrt schmecken und riechen konnte. Also doppelt und dreifach tröstlich und erinnerungsträchtig. Dieser Beitrag kann also nichts anderes werden als eine Liebeserklärung an die grauen Streifen in Silberpapier mit Zackenrand. Bye Bye Spearmint Gum!

Ursprünglich stammen die Streifen aus Chicago. Sie wurden von William Wrigley Junior „erfunden“, der von seinem Vater eine Seifenfabrik übernahm, und waren zunächst nur die kostenlose Beigabe zum Verkaufsprodukt Backpulver, das wiederum anfänglich die kostenlose Beigabe zum ursprünglichen Verkaufsprodukt Seife gewesen war, bevor Wrigley die beliebten Beigaben dann ebenfalls herstellen ließ. Eine geniale Idee übrigens, das mit der kostenlosen Beigabe. So ist auch der erste gedruckte Adventskalender entstanden, aber das ist eine andere Geschichte. Die Kaugummis waren schließlich so beliebt, dass Wrigley ganz auf Chewing Gum setzte. 1893 kam Wrigley’s Spearmint Gum auf den Markt, kurz danach Juicy Fruits. Heute gehört die Firma (leider) Mars. Und Mars fackelt offenbar nicht lange.

Bis vor kurzem konnte ich mir immer noch schnell an der Rewe-Kasse jede Woche ein weiß-grün-rotes Päckchen sichern, seit einigen Wochen geht das plötzlich nicht mehr, wie ich alarmiert feststellte, und nun habe ich den Grund gegoogelt. Seit Ende 2022 werden Spearmint Gums nicht mehr hergestellt. Die wenigen einsamen Streifen, die ich jetzt noch in der Jackentasche habe, werden die letzten sein. Für immer! Wenn ich nicht noch ein paar bei Ebay erwische (ich biete gerade auf zwei Siebener-Packungen). Für teuer Geld kriege ich wahrscheinlich eine, dann kann ich den Abschied zumindest gebührend zelebrieren. Mit je einem langsam und andächtig ausgepackten, wehmütig in den Mund geschobenen Streifen pro Tag, der so lange gekaut wird, bis er nach nichts mehr schmeckt. Und dabei denke ich an meinen Vater. Das zusammengeknüllte Silberpapier konnte man früher im Klassenzimmer übrigens immer toll durch die Gegend schnipsen. Wenn man schnell war und ein unschuldiges Gesicht aufsetzte, kam man sogar ungeschoren davon.

Mars gibt als Grund für das Aus an, dass die umzuckerten Dragee-Kaugummis beliebter seien. Wahrscheinlich stimmt das sogar, aber die Dragees werden die Kult-Streifen nie ersetzen können. Niemals! Schon die Verpackung ist legendär und minimalistisch: weiß, glatt, glänzend mit grünem Pfeil und roter Schrift und roten Extras. Die Streifenkaugummis von Extra und Orbit soll es übrigens auch bald nicht mehr geben. Es soll überhaupt keine Streifenkaugummis mehr geben! Nicht mehr zeitgemäß. Nur noch runde und die blöden Dragees in den praktischen Behältern.

Bubble (Hanna Lopez/unsplash)

Meine kleine Schwester bevorzugte übrigens als Kind Hubba Bubba (auch von Wrigley’s), und blies eindrucksvolle riesige (rosa) Bubbles damit, die irgendwann knallend zerplatzten und genussvoll vom Gesicht gepiddelt wurden. Unsere Mutter hat das die Wände hoch getrieben! Ihre Lieblinge waren allerdings auch minzig: pudrig aussehende runde Pfefferminzbonbons von FAAM. Rote runde lange Packung. Ohne die ging sie nie aus dem Haus und im Auto steckte sie sich immer als erstes ein FAAM in den Mund. Vielleicht als unbewußte kleine Hilfe gegen ihre Autophobie? Leider musste ich von Pfefferminzbonbons schon als Kind immer schrecklich niesen, was in Gesellschaft peinlich war. Also keine Bonbons für mich, auch wenn sie eine wirklich herrliche Luftveränderung im Mund machten und einem für kurze Zeit den Atem raubten.

Meine peinlichste Erfahrung (ach, ich hätte es eigentlich wissen müssen, dann wäre mir diese Schande erspart geblieben) mit Luftveränderung durch Pfefferminzbonbons hatte ich vor vielen Jahren bei einer Lesung der Krimi-Autorin Val MacDermot. Mich gelüstete nach einer Erfrischung, aber dann blieb mir davon förmlich die Luft weg und ich bekam einen dramatischen Erstickungsanfall. Ich saß wie gewöhnlich hinten, in der Nähe der Tür. Zum Glück. Alle drehten sich um und starrten mich an, die Lesung musste unterbrochen werden und ich verließ beschämt und angeschlagen die Stätte meiner Schande. Mit Wrigley’s wäre mir das nie passiert. Die sind mild.

Egal. Die Schwäche für Mint habe ich offenbar von beiden Eltern geerbt, wird mir gerade beim Schreiben bewusst. Dazu passt, dass ich unzählige sehr pflegeleichte und winterharte Minzepflanzen im Garten habe. Es gibt ja so viele: Ananasminze, Schokoladenminze, Marrokanische Minze, Krauseminze, Wasserminze. Schon bei leichten Berührungen duften sie intensiv, erfrischen die Gärtnerin und veredeln jeden Salat. Zumindest für mich.

Pink Bubble

Übrigens habe ich das Hubba Bubba Bubble Blowing nie gemocht, ich fühlte mich für die rosasüßen Späße wohl schon zu erwachsen. Vielleicht hatte ich auch Angst vor meiner Mutter. Nein, bei mir waren es immer nur Spearmint Gums. Während der Pandemie hatten sie bei mir ein absolutes Revival, ich kaue sie inzwischen täglich und bin davon nahezu abhängig. Den Produktionsstopp bei Mars empfinde ich daher als persönlichen Affront. Aber Mars hat ja voriges Jahr auch schon dauernd Probleme mit Twix und Balisto gemacht. Davon habe jetzt vorsorglich eine Notfallreserve in einem sicheren Küchenversteck, damit ich es mit niemandem teilen muss. So was hatte mein Vater auch, allerdings mit Haribo Lakritz und Katjes. In der Garage und im Keller. Lakritz mag ich übrigens gar nicht, aber zum Glück erbt man ja nicht alles.

Rosinenbomber in Berlin 1948 (Henry Ries/Wikipedia)

Wrigleys gibt es in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg. Zusammen mit Nylonstrümpfen, Zigaretten (Lucky Strikes) und Schokolade (Hershey Riegel) waren sie in der Nachkriegszeit echte Kultobjekte, eingeführt von Amerikanische GIs und von den aus den USA heimgekehrten Kriegsgefangenen. Für die traumatisierten Kinder in den zerbombten Städten waren diese Süßigkeiten sicher wahre Schätze, und die berühmten Rosinenbomber oder Candy Bombers warfen während der Berliner Luftbrücke natürlich auch Wrigley’s Spearmints ab, an niedlichen kleinen Fallschirmen.

Für etliche POWs (Prisoners of War) waren die Spearmints wahrscheinlich Kult und Erinnerung zugleich. Wie viele von ihnen später, als es ihnen endlich erlaubt war, als freie Männer in die USA zurückkehrten und sich dort niederließen, habe ich erst vor kurzem erfahren. Wirklich gewundert hat es mich nicht. Auch mein Vater hat diese Möglichkeit für kurze Zeit erwogen, aber er hatte niemanden, der in Amerika für ihn bürgen konnte und schließlich fehlte ihm auch die Kraft. Wie schade für ihn, sein Leben wäre dort sicher besser verlaufen. Bei seiner Entlassung aus der US-Gefangenschaft im Mai 1946 gab man ihm einen kleinen Zettel, auf dem alles aufgelistet war, was er außer der Kleidung, die er am Leibe trug, noch besaß. Darunter waren mehrere Stücke Seife (Palmolive), Zigaretten (Chesterfield, aber die meisten wurden den heimkehrenden POWs von der britischen Besatzung wieder abgenommen), ein Päckchen Tabak (Prince Albert), eine Tafel Schokolade und mehrere Päckchen Kaugummi. Sie ahnen, welche.

Die Vorliebe für Wrigley’s ist ihm genauso geblieben wie die Freude an Coca-Cola, das einzige Getränk, das ihm bis an sein Lebensende Freude gemacht hat und in ihm angenehme Erinnerungen an die USA weckte. „Meinst du, ich kann das trotz Diabetes trinken, Kind?“ Ich gebe zu, ich habe es ihm sogar ins Krankenhaus geschmuggelt, und im Heim packte ich es als allererstes in seinen kleinen Kühlschrank. Light und Classic. Wenn man mit fast neunzig Jahren Coca-Cola so liebt, soll man es auch kriegen. Mein Vater war ohne das sprudelnde Getränk irgendwie nicht er selbst. Vielleicht war es sein kühler kleiner Trost. Coca-Cola ist angeblich sogar gut gegen Kopfschmerzen und (zusammen mit Salzstangen) gegen Durchfall, habe ich als Kind gelernt.

Meine Mutter hasste alles Amerikanische, sie hielt sich lieber an ihre holländischen und niederrheinischen Wurzeln und liebte Käse und Schwarzbrot. Mein Vater hat seine Kaugummis daher nie vor ihr zu Hause genossen, sondern nur allein (oder mit mir) im Garten und im Wald. Meine Mutter machten Kaubewegungen aggressiv, was ich verstehen kann, denn mahlende Kiefer können durchaus bedrohlich aussehen, wenn auch sicher nicht bei meinem Vater und bei mir. Käse liebe ich übrigens auch. Und Schwarzbrot. Besonders das Kultige von der Kölner Bäckerei Zimmermann. Aus ganz Deutschland kommen die Leute und kaufen es. Davon habe ich einen Notfallvorrat im Kühlschrank. Letzten Freitag aufgestockt auf fünf Pakete. Man kann nie wissen.

Bei Ebay sieht es übrigens noch ganz gut aus. Für die eine Siebener Packung bin ich Höchstbietende.

 

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Verschickungskinder – Sechs Monate Liegekur in Niendorf

Mädchen (Caroline Hernandez/unsplash)

Als Kontaktperson zum Kurort Niendorf an der Ostsee erhielt ich vor kurzem einen Brief von H., der mich besonders berührt, denn schon die Vorstellung, als kleines achtjähriges Mädchen ein halbes Jahr aufgrund einer (vom Arzt hoffentlich nicht bewusst gestellten) Fehldiagnose allein und wehrlos zu einer Liegekur „verschickt“ zu werden, ist für mich kaum erträglich.

Was mich bis heute wundert: wir Kinder wurden während all der Zeit das ganze Jahr über verschickt, also auch während der Schulzeit. Ich selbst habe nach der „Kur“ drei Wochen Lehrstoff nachholen müssen, und das in dem so wichtigen Jahr vor dem Wechsel aufs Gymnasium. Wie viele von uns haben durch dieses rücksichtslose Timing, das offenbar nur dazu diente, die Heime und deren Betreiber ganzjährig auszulasten, wertvolle Zeit verloren und wurden deshalb teilweise auch am Ende des Schuljahres nicht versetzt. Das alles ertrugen wir damals stumm und ohne Murren, denn wir waren ja zum größten Teil Kummer gewöhnt.

Strandkind (Sean Barker/unsplash)

Es fällt mir schwer, Bilder für den Beitrag von S. auszuwählen. Ich mag mir diese Liegekuren gar nicht vorstellen. Ich wollte, ich könnte die kleine H. an die Hand nehmen, sie herausholen aus diesem Heim und mit ihr an der Hand hinunter zu den Dünen oder dem Timmendorfer Strand gehen. Vielleicht auch zum kleinen Niendorfer Hafen, der so schön bunt war, dem Geschrei der Möwen zuhören und ihr in einem der kleinen Läden ein paar hübsche Muscheln kaufen. Und dann würde ich ihr Geschichten erzählen, vielleicht vom Klabautermann oder vom Ostseedrachen, von der kleinen Meerjungfrau (aber nicht der von Andersen) oder vom Seestern, der sich im Meer verirrte. Alles lustige Geschichten, bis sie unbeschwert lacht und am Strand mit den Wellen spielt.

Hier ist H.s Geschichte:

Durch Zufall habe ich die Dokumentation des SWF über Verschickungsheime gesehen und war entsetzt, wie sehr ich an meine eigene Jugend erinnert wurde. Ich wurde 1952 als Achtjährige vom Gesundheitsamt Eckernförde in eine „Heilanstalt“ in Niendorf an der Ostsee geschickt, weil ich angeblich ein Loch in der Lunge hatte. Ich musste dort ein halbes Jahr bleiben, das ich für eine besonders schlimme Zeit in meiner Jugend empfunden habe. Den Namen der Anstalt weiß ich nicht mehr. Vielleicht war sie anders als Heime für gesunde Kinder, die dort nur zur Erholung verschickt wurden. Aber vieles erinnert doch sehr an die Methoden der in dem Film gezeigten Szenen.

Ich kann mich nicht an regelmäßige ärztliche Untersuchungen erinnern, lediglich an die von mir am schlimmsten empfundenen Liegekuren. Zwei Stunden nach dem Frühstück und weitere zwei Stunden nach dem Mittagessen lagen wir jeden Tag zu zweit auf einer schmalen Pritsche, einer mit dem Kopf an der einen Seite, der andere mit dem Kopf auf der anderen Seite. Hatte man einen aggressiven „Mitlieger“, so wurde man regelmäßig getreten. Man durfte überhaupt nicht reden, konnte sich daher auch nicht beschweren. Dies und die absolute Bewegungslosigkeit über vier Stunden täglich waren für mich als achtjähriges Kind mit Bewegungsdrang wie Folter – obwohl ich das Wort damals natürlich nicht kannte.

Auch die Mahlzeiten waren katastrophal. Das Essen war fast ungenießbar, obwohl wir Kinder in der Nachkriegszeit weiß Gott von Hause aus nicht verwöhnt waren. Aber natürlich musste alles aufgegessen werden. Wir Kinder haben uns gegenseitig geholfen durch Nase zuhalten und gleichzeitig auf den Rücken klopfen, damit die Gefahr des Erbrechens gemildert wurde.

Als ich kurz vor Weihnachten wohl eine Angina mit Fieber hatte, wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht wie geplant zu den Festtagen nach Hause könne. Mein Brief an meine Eltern muss so verzweifelt gewesen sein, dass mein Vater sich sofort ein Auto lieh und mich gegen den Willen der Heimleitung nach Hause holte, nicht ohne gleichzeitig mitzuteilen, dass seine Tochter nach Weihnachten auch nicht wiederkäme.

Als der Infekt bei mir abgeklungen war, wurde beim Gesundheitsamt festgestellt, dass ich ein halbes Jahr zuvor offenbar „nur“ eine Rippenfellentzündung gehabt hatte und deshalb ein weiterer Aufenthalt in dem Heim nicht mehr nötig wäre – zwar eine folgenschwere Fehldiagnose, aber trotzdem: Glück gehabt!

Ich habe übrigens nie wieder Probleme mit irgendeiner Lungenkrankheit gehabt. Insofern war mein Heimaufenthalt absolut „für die Katz“! Bis heute erfreue ich mich gottlob bester Gesundheit und habe auch mental keinen bleibenden Schaden davongetragen. Aber für alle diejenigen, die so viel mehr als ich leiden mussten, empfinde ich großes Mitleid.

Ich war nur wenige Wochen bevor ich in das Heim kam, mit meiner Familie umgezogen und hatte daher nur sehr kurz die 3. Klasse besucht. Damals fanden die Klassenwechsel ja noch um Ostern herum statt. Zum Glück traute mein Klassenlehrer mir zu, trotz der langen Fehlzeit versetzt werden zu können. Nach einem Jahr habe ich dann sogar die damals übliche Aufnahmeprüfung für das Gymnasium bestanden und also kein weiteres Jahr bis zum Abitur verloren.

Das halbe Jahr war für mich die schlimmste Erfahrung in meiner Jugend. Zum Glück musste ich nicht so furchtbare Dinge erdulden, wie zum Teil in dem Film dokumentiert, so dass ich nicht für mein ganzes Leben traumatisiert bin. Ich finde eine Aufarbeitung aber so wichtig, dass ich gerne einen Beitrag dazu leisten möchte.

Kindertrost

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Maine Coons sind Spätentwickler – Stellaluna

Besonders meinem Katzenmädchen hätte ich gern mehr Zeit zur Spätentwicklung gelassen, doch wieder kam alles anders als geplant. Als ich am 29. Dezember wach wurde, hörte im Flur heftiges Gurren und Zirpen. Stella war rollig. Man konnte es auch sehen, denn sie rollte und wälzte sich auf dem Boden, rieb ihr Köpfchen an Teppichen, Möbeln und Wänden, reckte ihr Hinterteil hoch und schob sich munter durch die Zimmer wie ein silberroter Schneepflug mit weißen Pfötchen. Krispin beobachtete das Treiben aus sicherer Entfernung, während Hathaway das machte, was Kater nun mal machen müssen. Allerdings wirkte er dabei reichlich gestresst.

Stella Schulterkatze

Was tun? Was für ein saublöder Zeitpunkt, unmittelbar vor Silvester und Neujahr und vor allem so kurz vor den diversen wichtigen Arztterminen meines Mannes. „Katzen auf gar keinen Fall in der Rolligkeit kastrieren lassen!“ hallte es durch meinen Kopf, und ich fühlte mich abgrundtief schuldig. Wieder zu lange gewartet! Schon wieder hatte ich mich vom zierlichen Körperbau einer Kätzin täuschen lassen und nicht damit gerechnet, dass sie mitten im Winter rollen würde. Aber diesmal hatte ich leider erstmals auch noch einen potenten Kater im Haus, was alles noch schlimmer machte. Vielleicht war es ja nicht so wild, weil die Raunze gerade erst angefangen hatte? Die Katerbrüder wirkten jedenfalls beide verstört.

Voruntersuchung und OP

Nach dem Frühstück machte ich in der Hauptpraxis einen Termin bei der neuen Tierärztin (zur Voruntersuchung). Ich hatte Glück, es klappte noch am Nachmittag. Die Zeiten, in denen man während der Sprechzeiten einfach mal schnell in die (für mich fußläufige) Praxis gehen und sich ins Wartezimmer setzen konnte, sind leider dahin. Jetzt geht das nur noch mit Termin. Leider gibt es auch keine Hausbesuche mehr. Meine alte Tierärztin war ab und an nach der Sprechstunde vorbeigekommen, damit ich die Katzen nicht alle schleppen musste, vor allem fürs Impfen. Auch die jetzigen Drei hat sie hier gechippt und geimpft und meine betagte Alice am Ende ihres Lebens fast nur noch hier behandelt, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Aber vielleicht hat sie das auch nur getan, weil wir uns ewig kannten und sie auf der anderen Straßenseite praktizierte.

Kleine Küchenfee

Seufzend packte ich Stella in den Kennel, wobei mich ihre Brüder von der Treppe aus kritisch beobachteten. Auf dem Untersuchungstisch wirkte Stellaluna überhaupt nicht mehr rollig, und zum Glück war auch alles mit ihr in Ordnung (kein Herzfehler, muss man abklären, Tiere werden nur kastriert, wenn sie vorher untersucht worden sind). Ich hatte wieder Glück und bekam einen OP-Termin schon für den nächsten Tag, diesmal um 10. Aber Stella würde in der Hauptpraxis operiert werden, die eine halbe Stunde Autofahrt entfernt war, insgesamt also zwei Stunden Fahrt für uns. Ob die Katze die Fahrt vertragen und die OP gut wegstecken würde? In der Nacht lag ich lange wach und fand nur unruhigen Schlaf.

Die Vorbereitungen zur Kastration kannte ich ja. Ab Mitternacht  bzw. 10 Stunden vor dem Eingriff kein Fressen mehr, also sammelte ich gewissenhaft alles ein, was im Haus herumstand, auch etwaige Leckerchen in den Regalen mussten weg, denn Hathaway hat lange Arme und Stella kann gut springen. Der Wassernapf durfte stehen bleiben, das arme Tier soll ja nicht austrocknen. Stellaluna war das alles ohnehin herzlich egal, denn sie rollte immer noch eifrig herum, war allerdings in der Nacht still. Im Vergleich zu meinen früheren Kätzinnen, die meistens wie exzentrische Operndiven klangen, war sie extrem leise, ihre Rufe erinnerten eher an freundliches Zirpen und leises Gezwitscher. Hathaway wirkte hibbelig und angeschlagen, war wohl doch etwas viel für ihn. Für mich auch! Er war übrigens in letzter Zeit stark gewachsen und hatte Krispin deutlich überholt, was Gewicht und Größe betraf.

Stella Schrankkatze

Wie beim letzten Mal füllte ich ein Kostenvoranschlag-Formular aus, alles in allem lagen wir diesmal dank der neuen GOT knapp unter 400 Euro,  und man riet mir dringend, Stella nach der OP einen Body als Leckschutz tragen zu lassen, damit sie die Wunde ja in Ruhe ließ. Von Katzenbodys hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört. Aber man lernt ja dazu. Einen Kragen würde sie nicht tolerieren, das war klar. Also kreuzte ich brav „Body“ an (Größe: klein).

Stella war stoisch wie all meine Coone (außer Alice in jungen Jahren), gab während der Fahrt keinen Mucks von sich, lag im Kennel und schaute mich aus goldgelben Augen vertrauensvoll an. Die Kleine in der fremden Praxis zu lassen und katzenlos nach Hause zu fahren, weckte sofort traurige Erinnerungen, und ich war den Tränen nahe. Die Wartezeit zog sich zäh dahin, ich konnte mich einfach nicht beschäftigen, der kleine silberrote Wirbelwind fehlte. Auch die Kater wirkten reduziert und wollten nicht mal fressen.

Um 12 rief die Praxis an, alles in Ordnung, wir könnten die Kleine jetzt abholen. Den Moment, als mir eine freundliche Fremde den Kennel überreichten, werde ich nie vergessen. Stellaluna, die in einem eng anliegenden roten Anzug steckte, in dem sie dünn und sehr niedlich aussah, hatte mich offenbar an der Stimme erkannt und streckte mir leise maunzend ihre Ärmchen durch das Kennelgitter entgegen.

Es war einmal …. ein roter Katzenbody

Stella mit Body

„Den Body muss sie jetzt zwei Wochen tragen.“ Leckschutz muss sein! Wie bitte? Zwei Wochen? Genau wie all meine Kater hatten auch meine Katzen nach der Kastration nie irgendetwas tragen müssen, meine früheren Tierärzte hatten mir auch nie so viel Angst vor dem potentiellen Belecken von OP-Wunden gemacht. Offenbar sah man das inzwischen nicht mehr so locker wie früher. Nur gut, dass sich wenigstens die Fäden nach wie vor von selbst auflösen würden (Catgut heißt das resorbierbare Nahtmaterial, das hatte sich offenbar nicht geändert). Aber vielleicht war ein warmer Body ja auch ganz praktisch im Winter? Immerhin war Stellas Bauch kahl rasiert. Mit der Rolligkeit war es jetzt jedenfalls vorbei. Ich hoffte, dass sie nicht zu gestresst war, der Spuk hatte ja nur einen einzigen Tag gedauert.

Postoperative Freßorgie

Stellaluna war nach der OP deutlich matter als Krispin und verschlief den größten Teil der nächsten Tage, was verständlich war, denn sie hatte ja einen richtigen Bauchschnitt.

Das erste Fressen nach der OP

Doch auch sie wollte sofort fressen, nachdem sie zum ersten Mal nach der Heimkehr den Kennel verlassen hatte. Sie vertilgte sogar noch mehr als ihr Bruder und schlug sich heißhungrig drei Portionen in den frisch operierten Bauch. Ich habe diese eher mäkelige Katze noch nie so viel und so hastig fressen sehen.

Nach der ersten Mahlzeit legte sie sich in den Kennel und zitterte plötzlich am ganzen Körper. Dabei schnurrte sie laut, aber es klang völlig anders als sonst. Ob sie Schmerzen hatte? Katzen schnurren auch, um sich selbst zu beruhigen. Manche Katzen schnurren sogar, wenn sie sterben. Das Zittern hörte nach einiger Zeit zum Glück wieder ganz von selbst auf. Auch Stella zeigte kaum Nachwirkungen von der offenbar wirklich eindrucksvollen Narkose, sie war orientiert, ihre Augen waren klar, und sie war auch recht sicher auf den Beinen. Nicht ganz so sicher wie Krispin, aber sie war ja auch gewandmäßig gehandicapt.

Sie schaffte es in dem dekorativen roten Body, der hinten für meine Augen reichlich komisch saß (total viele Druckknöpfe), auch mühelos und ohne Malheur regelmäßig ins Katzenklo. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Während der Body-Zeit hat sie sich kein Mal eingenäßt, wie ich insgeheim befürchtet hatte.

Liebe Wachkater

Ihre Brüder waren wie erwartet ausgesprochen zärtlich, beschnupperten sie freundlich, leckten ihr abwechselnd das Köpfchen, verwandelten sich in geduldige sphinxartige Wachkater und wichen ihr nicht von der Seite. Als Stella nach zwei Stunden erneut aus dem Kennel stieg, legte sie sich sofort auf den eisigen Fliesenboden im Flur und war von dort nicht mehr fortzubewegen. Ich traute mich kaum, sie hochzunehmen, aus Angst ihr weh zu tun, weil ich die Wunde ja nicht mal sehen konnte.

Kleeblatt

„Wenn sie sich gar nicht bewegt“, hatte man mir in der Praxis eingeschärft, „ziehen Sie ihr bitte den Body aus. Es gibt Katzen, die werden davon komplett unbeweglich, und das darf natürlich nicht sein.“ Unbeweglich war sie nicht, aber ungewohnt ruhig und passiv. Bequem war das dünne weiche Teil wohl nicht, auch wenn es locker saß. Irgendwie wirkten Stellas Hinterläufe unkomfortabel, denn sobald sie aufstand, streckte sie auffallend und ganz anders als sonst die Hinterbeine lang. Außerdem lief sie damit komisch. Wahrscheinlich saß er nicht richtig. Ich versuchte mein Bestes, um ihr zu helfen. Aber ich hatte ja leider bodymäßig so gar keine Erfahrung. Die plötzliche Ruhe war unheimlich. Sogar das Haus schien den Atem anzuhalten, weil die quirlige Stellaluna nicht wie sonst überall herumtobte.

Wie entfernt man ein OP-Pflaster?

Zwei Wochen würde Stella den Body nie im Leben tragen. Das war mir klar, als sie nach vier Tagen jämmerlich zu schnattern begann, eine Lautäußerung, die ich von ihr noch nie gehört hatte, wenn man ihren Rücken und die Hinterläufe berührte, und den Po nicht mehr richtig hochbekam. Irgendetwas schien ihr weh zu tun. Ob die Hinterläufe abgeschnürt waren? Irgendwas mit der Wunde nicht stimmte? Was tun? Am besten nachschauen. Ich knöpfte unter ziemlichem Herzklopfen vorsichtig den Anzug auf, was sie sichtlich erfreute. Sie begann sofort, sich das ungewohnt platt anliegende Fell auf dem Rücken zu lecken, bis es wieder schön plüschig war. Für den Bauch interessierte sie sich zum Glück nicht. Ganz im Gegensatz zu mir.

rot gewandet

Zu meinem Schrecken bemerkte ich, dass ein Pflaster über der OP-Wunde klebte und Stella einen ordentlichen Bluterguss am Bauch hatte. Leicht panisch rief ich in der Praxis an und erfuhr, dass ich das Pflaster schon am zweiten Tag hätte entfernen sollen. „Hat man Ihnen das nicht gesagt?“ Das hatte ich irgendwie nicht mitbekommen und war ja zudem davon ausgegangen, dass sie den Body vierzehn Tage lang (an einem Stück) tragen müsse. Das Pflaster war an einer Stelle mit dem Fell verklebt und Stella ließ es sich partout nicht freiwillig entfernen. Sie raste sofort panisch weg und versteckte sich an den unzugänglichsten Stellen, wenn ich ihr zu nahe kam. Wegen des Blutergusses traute ich mich auch nicht, den Bauch zu berühren. Den Body konnte ich ihr nur mit Mühe und tatkräftiger Hilfe meines Mannes wieder anziehen. Die Katze wehrte sich dagegen mit allem, was sie aufzubieten hatte, und sie besitzt nadelscharfe Krallen. Was für ein Glück, dass sie keine Poly ist!

Wir fuhren notgedrungen erneut mit ihr in die große Praxis, denn die Tierärztin hier im Stadtviertel war inzwischen in Urlaub. Das Pflaster wurde mühelos entfernt. Einer hielt die Katze lang gestreckt hoch, der andere löste das Pflaster, so haben wir es danach auch mit Hathaway gemacht, aber das muss man ja erst mal wissen. Danach landete Stella wieder in ihrem roten Body, was sie nicht gut fand. „Zwei Wochen mindestens!“ wiederholte die Ärztin. Den Bluterguss konnte man sich nicht erklären, aber die Wunde sah sehr gut aus und wurde fotografiert. War ich schuld an dem blauen Fleck? War es bei der OP passiert? Hatte sie sich hier irgendwo verletzt? Ich machte mir bittere Vorwürfe. „Auf gar keinen Fall in der Rolligkeit kastrieren!“ hallte es durch meinen Kopf. Das Hämatom verschwand zum Glück blitzschnell, man konnte ihm dabei förmlich zusehen. Stella nahm brav ihr Schmerzmittel (5-7 Tage, hatte man mir gesagt, aber am sechsten Tag begann sie dabei zu würgen und ich gab es ihr danach nicht weiter), wenn auch weniger begeistert als der verfressene Krispin. Dass sie in den ersten Tagen so viel auf den kalten Fliesen lag, war möglicherweise ihre Art der Schmerzbekämpfung. Kühle tut sicher gut bei Wundschmerzen.

Wohl dem, der hilfreiche Brüder hat

Stella Bücherkatze

Stella ist längst wieder die alte und hat ihren Body wie erwartet keine zwei Wochen getragen. Mitnichten. Was nicht an mir lag. Von dem roten Ding haben sie ihre geschickten Brüder noch in der Nacht nach der Pflasterentfernung auf für mich völlig mysteriöse Weise befreit. Morgens lag der Body leer und untadelig zugeknöpft wie eine Trophäe vor unserer Schlafzimmertür, als hätte nie eine Stella darin gesteckt, und drei Coone saßen aufgereiht dahinter und (ich kann es nicht anders ausdrücken) grinsten überaus stolz. Wahrscheinlich sollte das rote Teil ein Geschenk für mich sein. Ich musste beim Anblick des Trios lachen. „Okay, das Ding bleibt aus“, versprach ich, und schon raste ein glücklicher silberroter  Wirbelwind an mir vorbei ins Zimmer. Stella sollte natürlich nicht springen, aber sie hat es trotzdem gemacht. Zum Glück ist nichts passiert.

Sie hat sich übrigens während der ganzen Zeit nicht die Bohne für die OP-Wunde interessiert. So viel zum Thema Leckschutz. Als zum Schluß nur noch ein kleiner harter Fädchenknoten auf ihrem Bauch prangte, konnte ich ihn problemlos mit zarten Fingern ziehen.

Stellaluna vom Body befreit

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Maine Coons sind Spätentwickler – Krispin

Krispellino mit Fetzvorhang

In der Tat brauchen Coone länger, bis sie richtig erwachsen sind, bis zu zwei Jahre, und auch ihr Fell entwickelt sich vergleichsweise langsam. Manche Coone wachsen in Schüben und sehen dann vorübergehend unharmonisch aus. Mein silbergrauer Cisco, der später ziemlich groß und kompakt wurde, wirkte zwischendurch erst vorn und dann hinten „tiefgelegt“, und eine Weile sah sein Kopf viel zu klein aus für den mächtigen Körper, aber ansonsten hatte ich immer Glück und äußerst hübsche Coon Youngster.

Meine jetzigen drei sind nun fast ein Jahr alt, längst noch nicht ausgewachsen und haben auch immer noch keinen Fellkragen, was mich aber nicht im Geringsten stört. Wenn es nach mir ginge, könnten sie genauso bleiben wie sie sind, denn noch ist ihr Fell unverfilzt und pflegeleicht. Sie fangen zwar allmählich an zu haaren, aber bis auf die üblichen (meist dunklen) „Magnetstoffe“, die Katzenhaare auf geradezu unheimliche Weise anziehen, macht das nichts. Ich hatte auch schon das ein oder andere juckende Katzenhaar im Auge, aber kein Vergleich zu dem, was ich von ausgewachsenen Halblanghaarkatzen gewöhnt bin. Meine Augen reagieren da leider immer ziemlich heftig.

Was die Geschlechtsreife angeht, waren allerdings sämtliche Coonies, die ich bisher hatte, alles andere als Spätentwickler. Leider. Ich hätte mit der Kastration gern noch gewartet. Ich habe vor dem Eingriff schon Angst, wenn sie noch niedliche Kitten sind, und leider kommt der Point of no Return immer viel zu schnell. Auf jeden Fall schneller als gedacht oder geplant. Bei Katern ist es ja normalerweise nicht so schlimm, aber bei Katzen!

Krispins liebster Kuschelplatz

Gegen Winter begann Krispin, sich vermehrt schnüffelnd für Stellaluna zu interessieren, aber noch so verhalten, dass kein sofortiges Eingreifen nötig war. Das meinte auch meine Tierärztin. „Die sind noch nicht soweit.“ Also erst mal abwarten, was ich immer sehr gern mache. Bei Katern riecht man die Reife ohnehin streng und deutlich, da kann ich mich getrost auf meine Nase verlassen. Bei Kätzinnen ist das schwieriger, sie werden irgendwie von einem Tag auf den anderen rollig, oft in völlig untypischen Jahreszeiten. Und bisher habe ich den richtigen Zeitpunkt jedes Mal verpasst, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Den wichtigen Leitsatz „Nie in der Rolligkeit kastrieren, weil dann die Blutungsneigung viel zu groß ist!“ habe ich dabei stets im Hinterkopf. Aber was macht man, wenn man in einer hellhörigen Mietswohnung lebt oder schwache Nerven hat? Das Geschrei, Gegurre, Gesinge und Gerolle einer Kätzin kann Menschen und andere Katzen völlig fertig machen, besonders, wenn es höchst ungelegen kommt, etwa kurz vor Weihnachten, wenn man gerade den Baum schmückt, zwei Tage vor dem lang geplanten England-Urlaub, pünktlich an Ostermontag, wenn die komplette Family gerade aufgeschlagen ist, oder wenn man dummerweise einen potenten Kater im Haus hat (mir alles schon passiert). Ganz zu schweigen von der bedauernswerten rolligen Prinzessin. Irgendwann rollt sie Tag und Nacht, findet keine Ruhe und frisst keinen Bissen mehr. Diesen Zustand wollte ich Stellaluna auf jeden Fall ersparen. Im Prinzip hatte ich wirklich alles bestens geplant und vorbereitet. Zumindest theoretisch.

Pfötchen halten

Es fing damit an, dass die neue Gebührenordnung der Tierärzte (GOT) für mich völlig unerwartet in Kraft trat, was bei Katzenbesitzern tatsächlich Schnappatmung verursachen kann.  Dann verschwand auch noch viel früher als angekündigt die Tierärztin meines Vertrauens. Bei ihr waren all meine Katzen seit über 20 Jahren in Behandlung und von ihr wurden sie am Ende ihres Lebens sanft und einfühlsam über die Regenbrücke geführt. So was verbindet! Wir hatten vereinbart, dass sie die drei Coone auf jeden Fall noch vorher kastrieren würde, doch dann war sie ohne Vorwarnung weg, die Praxis stand erst gähnend leer, wurde dann zwei Wochen umgestaltet und schließlich von einer neuen, sehr jungen Tierärztin bezogen, der ich natürlich zunächst reichlich fremd und irgendwie irritiert gegenüberstand. „Ich kastriere nur Kater“, konstatierte sie bei meinem ersten Sondierungsbesuch (noch ohne Coone). „Bei Katzen ist das ein komplizierter Eingriff, dazu habe ich hier gar nicht die Voraussetzungen. Dazu muss ich Sie an unsere große Praxis verweisen.“ Schreck lass nach! Die war echt weit weg! Und bisher hatten sämtliche Tierärzte, die ich je hatte, immer beides gemacht. „Den Tierarzt, wie Sie ihn kennen, gibt es nicht mehr. Und das ist auch gut so. Die Tiermedizin ist inzwischen genauso hoch entwickelt wir die Humanmedizin.“ Vielleicht sind Fachtierärzte ja gar nicht so schlecht, dachte ich, besonders bei Zahn-OPs. Die röntgen zumindest alles vorher. Dann wurden eben nur die beiden Kater bei ihr kastriert. Doch nicht mal das klappte.

Krispin im Advent

Krispin war kein Problem, aber Hathaway war leider ein „Einhoder“, wie ich zu meiner Erschütterung bei näherer Tastuntersuchung feststellte. Als Katzenfrau war mir das Problem Kryptorchismus natürlich nicht neu, ich hatte darüber einiges gelesen und auch Beiträge dazu übersetzt, aber wenn man selbst nie einen Krypto-Kater hatte, tangiert es einen nicht wirklich. „Am besten noch ein bisschen abwarten. Vielleicht steigt der zweite Hoden ja noch ab“, rieten mir drei Tierärztinnen und alle Katzenmenschen (bis auf zwei), die ich um Rat fragte. Eigene Erfahrungen hatte von sämtlichen Katzenmenschen allerdings keiner. Nur davon gehört. War angeblich gar nicht so selten. Was für ein Pech, dass es jetzt ausgerechnet wieder mich erwischte! Krypto-Kater operierte die neue Tierärztin natürlich auch nicht, denn der Eingriff macht unbedingt den Einsatz eines Ultraschallgeräts nötig und ist genauso kompliziert (und leider auch teuer) wie eine Katzenkastration, also geschätzt um die 400 Euro. Vielleicht auch noch komplizierter, aber den Gedanken verbat ich mir zunächst. Kein Mensch kann wissen, wo das versteckte zweite Ei sitzt, und auf gut Glück im armen Katerbauch herumschnippeln will man ja auch nicht. Ich hörte von Fällen, wo der Tierarzt auch nach zwei OPs nichts gefunden hatte, und bekam es noch mehr mit der Angst zu tun. Bestimmt würde das Ei noch rechtzeitig absteigen. Also erst mal nur Krispin.

Krispin wurde Mitte Dezember zur Voruntersuchung gebracht und wenige Tage später erfolgreich und völlig problemlos kastriert. Eindeutig ein Punkt für die junge Tierärztin. Stolze 200 Euro kostete die Operation zwar nach der neuen GOT, aber ich war beeindruckt von der modernen Inhalationsnarkose, die so gänzlich anders wirkte als alles, was ich bisher gesehen hatte. Der kleine Patient war danach sofort wach und voll orientiert, torkelte und schwankte kein bisschen mit glasigem Blick herum wie ein Zombie und verschlief auch nicht den ganzen Tag und versetzte seinen Menschen in Angst und Schrecken, weil er irgendwie extrem leblos wirkte. Ich bekam ein Schmerzmittel mit, das ich an vier bis fünf Tagen mit einer dünnen Spritze (natürlich ohne Nadel) ins Mäulchen geben sollte. Große Flasche, weil die anderen beiden ja auch bald dran waren. Krispin nuckelte das Zeug zum Glück freiwillig ab, daher nehme ich an, dass es wohlschmeckend ist.

Krispinus Dracula

Etwas geschockt war ich allerdings von der Aussicht, dass er eine Woche lang einen Kragen tragen sollte. Meine Katzen wurden immer so alt, dass ich nur wenige Kastrationen hautnah miterlebt habe, aber das hatte ich bisher noch nie gehört. „Sonst leckt er sich die Wunde auf und dann kann es sich entzünden.“ Das hatten meine Kater noch nie getan! Die Wunde wird bei Katern nicht vernäht, sondern nur desinfiziert und schließt sich dann von selbst. Einen starren, steifen Plastikkragen wollte ich dem armen Kerl wirklich nicht antun, also kaufte ich vorsorglich schnell noch eine schöne weiche blaue Halskrause (Größe M) bei amazon, die ich dann bei beiden Katern einsetzte. Vorher übte ich schon mal ein bisschen, um sie daran zu gewöhnen, wobei gleich klar wurde, dass Stellaluna sogar mit so einem weichen Ding um den Hals völlig durchdrehte.  Sie wurde panisch und sprang meterhoch, als ich ihr die Halskrause umlegte. Ich parkte den Kragen über Nacht im Transportkorb, damit er auch schön „nach zu Hause“ roch, und vertraute darauf, dass zumindest der gutmütige Krispin ihn tolerieren würde. Aber eine Woche lang? Das müsse unbedingt sein, meinte die Tierärztin. Langsam bekam ich Panik. Hatte ich den Eingriff bisher nicht ernst genug genommen? Meine Angstschwelle ist in Katzenfragen leider extrem niedrig.

Gegen Mitternacht bekam der Ärmste seinen letzten Snack, morgens um 11 brachte ich ihn schweren Herzens in die Praxis, wobei er nach Coonart keinen Mucks von sich gab, um zwölf rief die Tierarzthelferin an und teilte mir mit, dass alles gut gelaufen sei, um halb zwei holte ich meinen Kater wieder ab. Mit blauem Kragen. Der stand ihm zwar wirklich gut, doch ich habe ihn zu Hause trotzdem gleich abgenommen und bin den Rest des Tages in der Nähe geblieben und habe aufgepaßt, dass Krispin sich nicht leckt. Hat er nur zweimal versucht. Ich habe einfach meinem Gefühl mehr vertraut als der strengen ärztlichen Anweisung. Mein Jungkater war tatsächlich vernünftig und ist kragenfrei genesen. Extrem schnell. Noch am selben Abend war er topfit.

Krispin mit Krause

„In ein zwei Stunden darf er fressen“, hatte die Tierärztin gesagt. Doch damit war Krispin nicht einverstanden, er verlangte gleich nach dem Ausstieg aus dem Kennel lautstark nach Futter. Ich gab ihm ein Gäbelchen voll. MEHR! Sicher wusste er selbst am besten, was ihm guttat, also bekam er mehr. Ein ganzes Tütchen. MEHR! Zwei volle Portionen verschlang er,  putzte alles heißhungrig weg, trank seinen geliebten Cat Drink wie ein Fisch, ging ordentlich aufs Katzenklos und legte sich entspannt schlafen.

Seine Geschwister, die ich die ganze Zeit sorgsam im Auge behielt (manche Katzen reagieren leider sehr stark und gelegentlich sogar aggressiv auf den für sie fremden Tierarztpraxisgeruch, so dass man sie unbedingt vorübergehend trennen sollte), verhielten sich äußerst liebevoll und leckten ihm abwechselnd das Gesicht. Während Krispin schlummernd im Kennel lag, saßen sie wie kleine Wachkatzen an den Seiten und passten auf. Das machten die beiden Kater später auch bei Stellaluna, und das machten Krispin und Stella auch bei Hathaway. Wenn sie Menschen wären, könnte man die drei als „äußerst mitfühlend“ bezeichnen. Keine Sekunde lang haben sie miteinander gefremdelt, es sah eher aus, als würden sie einander Trost spenden und Mut zuschnurren. Vielleicht sind sie ja so eng und unkompliziert, weil sie Geschwister sind, oder extrem gut von ihrer Züchterin sozialisiert.

Krispin Schreibtischkater

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Tatzitus Clawdius Krallus

Hathaway bei der Büroarbeit

Für Hathaway aka Pranko fallen mir ständig neue Namen ein. Vor allem lateinische. Sie haben alle mit seinen mächtigen Pfoten zu tun. Nicht von ungefähr. Er besitzt wahre Eisenklauen, besonders vorne rechts, und schlägt und bohrt sie gern und oft in Dinge, die ihn nichts angehen, mir dagegen sehr am Herzen liegen, zum Beispiel mein Tagebuch oder die Geländerstangen unserer schönen alten Holztreppe. Doch das tun seine beiden Geschwister auch. Dabei habe ich vorsorglich überall Kratzgelegenheiten für die drei angebracht. Doch Regale, Bücher, Zeitschriften und vor allem die Beine meiner geliebten Weichholztische haben es Tatzitus Pranko und seinen Geschwistern nun mal angetan. Ein etwas unschönes Ikea-Teil oben im Flur, das ich seit Jahren dekorativ mit d-c-fix beklebt hatte, haben die Geschwister Coon bereits erfolgreich und sehr häßlich abgefetzt. Stellanluna klettert übrigens gern in Windeseile an unseren Vorhängen empor und zwar so geschickt, dass ich sie nie „in action“ erwische. Sie baumelt bereits unter der Decke, wenn ich es endlich bis zu ihr geschafft habe. Meistens mit Stuhl. Oder mit Leiter. Die Decke hier im Altbau ist einfach zu hoch für mich.

Küchenspiele

Mal sehen, ob es klappt

Auch Captain Hook würde gut zu Hathaway passen, denn eine Kralle an seiner rechten Pfote ist so eisenhart, dass er damit sogar schon das linke Spülbecken in der Küche außer Betrieb gesetzt hat. Ein wenig lautstarke Vorarbeit war zwar nötig, doch dann ging alles Rubbeldiekatz. Zuerst angelte er geschickt den Siebcheneinsatz heraus (sollte man haben, fand ich bis dahin, damit nicht zu viel Essensreste in den Abluss geraten), immerhin zu diesem Zeitpunkt bereits vorsorglich von mir gesichert durch ein großes Metallsieb (frau weiß sich ja zu helfen oder glaubt dies zumindest), das eigentlich zum Salatabtropfen gedacht ist und nicht zur Katerabschreckung. Das Riesending entfernte er wiederholt gekonnt und unter lautem Getöse und setzte es auf der Abtropfseite neben seinem Trinknapf ab.  Danach begann er, den Abfluss so lange zu malträtieren, bis durch das ständige Hochziehen per Eisenkralle unter dem Abflußeinsatz die ehemals weiße Plastikhalterung der Schraube mittendurch brach. Danach war es ein Leichtes, auch das metallene Ding an sich samt Schraube zu entfernen, scheppernd auf den Boden zu schmettern und begeistert herumzukicken, woraufhin zu seiner Freude (er LIEBT Krach!) unter dem Zusatzbecken aufgrund von Materialermüdung oder was auch immer das Rohr abfiel und das daneben liegende Rohr des Hauptbeckens gefährlich verschoben wurde, bis es sozusagen nur noch an seiner seidenen Schraube hing. Kreisch! Spülen und Händewaschen unmöglich, sogar der Anschluss an die Spülmaschine sah plötzlich nicht mehr wirklich stabil aus. Krispin kletterte derweil durch die offene Tür unter die Küchenzeile, was neue Schwerstarbeit verursachte (untere Seitenteile abnehmen und aus heftigem Staubgewölle protestierenden Kater hervorziehen).

Vorsicht Katzen

Das Ganze geschah natürlich an einem Samstag, und der einzige Notdiensttyp, der bereit war zu kommen, zockte grimmig und gnadenlos ab. Tatzitus Krallus sah ungehalten aus nächster Nähe zu, wie sein Kunstwerk zerstört und wieder in den Arbeitsmodus versetzt wurde, hat eine erneute Demontage aber seitdem zum Glück nicht wieder versucht. Er hat wohl mitbekommen, dass der Abzocker uns zusätzlich zum himmelhohen Notfallstundenlohn plus himmelhohen Samstagsfahrtkosten plus Irgendwaszuschlag tatsächlich auch noch 70 Euro extra nur dafür berechnet hat, dass wir „zum ersten Mal Kunde“ bei seiner Firma waren. Natürlich alles bar auf die Kralle (pun intended). Man hätte ihm das Geld wirklich nicht geben sollen, aber es handelte sich um einen besonders muskelbepackten, äußerst maskulinen Menschen. Uns blieb nichts anderes übrig als hart zu schlucken. Das erste und letzte Mal, dass ich diese Firma kontaktiert habe. Ich schwöre!

Büroarbeiten

Lampenkratzereien

Clawdius Tatzitus Hathaways Krallennummer mit dem Aktenordner, in dem sich die verschiedenen Ausdrucke unserer Grundsteuererklärung befinden (ich habe dafür ewig gebraucht und die unterschiedlichen Versionen mehrfach ausgedruckt, sowohl bei Elster als auch bei Buhl, denn immerhin leide ich an Dyskalkulie und das Internet schmiert hier ständig ab, daher gibt es einen eigenen Ordner) fiel für ihn weit weniger befriedigend aus.

Bei „Büroarbeiten“ thront er mit Vorliebe mitten auf dem Schreibtisch, meistens genau vor meiner Nase, damit ich nur noch Augen für ihn habe, am besten auf der Computertastatur (wobei er es genau wie Krispin meistens schafft, dass gleich beim ersten Tastenkontakt laute Musik ertönt und ich Stunden brauche, um herauszufinden, woher im Computer das schreckliche Geplärre kommt und wie man es wieder abstellt). Und dann steckt er nicht nur sein ziegelfarbenes Näschen, sondern auch seine Pranken gezielt und gern in Drucker oder Aktenorder. Dass kenne ich schon von Ben und Cisco. Der Drucker meldet daraufhin jedes Mal unter hektischem Blinken und Nudeln „Papierstau“, was mich betrübt und Hathaway durchaus erfreut, doch die meisten Aktenordner erweisen sich zum Glück als robust. Aber eben nicht alle.

Young Clawdius

Einmal ging es richtig schief für Hathaway, weil er sich im „Tippklemmer“ verkrallte und nicht mehr ohne fremde Hilfe befreien konnte, da er nach Katermanier mit aller Kraft zog (statt klug nachzugeben), was ziemlich weh tat und überhaupt nichts half. Wir mussten ihn notgedrungen zu zweit befreien, während er mit angelegten Ohren leise jammernd weiter an seiner verklemmten Klaue riss. Mein Mann fixierte den kräftigen Katerkörper, während ich den widerstrebenden Lauf samt Pranke mit sanfter Gewalt nach vorn drückte, um mit Hilfe des „Betätigungshebels“ den verkeilten Tippklemmer aus den Halteringen lösen zu können. Geschafft! Das Teil baumelte kurz an Hathaways Eisenkralle und sah sofort ein, dass es an der Zeit war abzufallen. Hathaway war wieder frei, schüttelte und trollte sich, wobei er mir noch einen vorwurfsvollem Abschiedsblick über die Schulter zuwarf. Bei der Befreiungsaktion hatte ich mich leider so unglücklich quer über den Schreibtisch beugen müssen, dass sich mir dabei der Rücken verzog, was tagelang weh tat und meine zärtlichen Gefühle für Hathaway dann doch vorübergehend ein klein wenig reduzierte.

Aber man muss ja auch das Gute sehen. Immerhin hat die krallige Aktenordnereinlage meinen verbalen Horizont erweitert. Jetzt kenne ich endlich die korrekten Bezeichnungen für das komische Metallding im Aktenordner  (genau so habe ich es gegoogelt) sowie für das dunkelgraue Design des Grundsteuerordner-Pappdeckels. „Klemmbügel“ (bei Ordnern mit zwei Ringen „Tippklemmer“) und, richtig poetisch, „Wolkenmarmor“. Gut zu wissen! Kann man bestimmt irgendwann mal in irgendeiner wichtigen Konversation brauchen. Als Übersetzerin fiel mir meine Wissenslücke sofort unangenehm auf, daher wurde sie auch umgehend geschlossen. Die Öffnungen vorn am Deckel nennt man übrigens „Raumsparschlitze“, darin werden die „Abheftringe“ durch „kleine Blechnasen“ „arretiert“. Das weiß sicher auch nicht jeder. Ohne Prankos Krallenaktion hätte ich das wohl nie erfahren.

Pranko in Action

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